Vatikan: Vereinigung der päpstl. Kommission für Kulturgüter mit dem päpstl. Rat für Kultur

Die päpstliche Kommission für Kulturgüter wird Anfang November mit dem päpstlichen Rat für Kultur vereint. Das sagte der Leiter des Rates, Kardinal Gianfranco Ravasi, in einem Interview mit dem „Osservatore Romano". Die Kommission hatte bisher die Aufgabe des Erhaltes von Kulturgütern, der päpstliche Rat widmet sich dem Dialog mit der Kultur. Beide haben auch bisher schon eng zusammen gearbeitet. (rv)

Erste Zusammenfassung der Bischofssynode: Vier Punkte und dreizehn Fragen

Der erste Teil der Bischofssynode ist mit der Generalkongregation vom Mittwochnachmittag zu Ende gegangen. Der US-amerikanische Kardinal William Wuerl, Berichterstatter der Synode, fasste die großen Linien der bisher über 200 Beiträge für die Synodalen zusammen. Damit wolle er den Beratungen in den sogenannten „circoli minori", also den nach Sprachen organisierten Arbeitsgruppen, eine Hilfestellung zur Hand geben, so der Kardinal bei der Vorstellung des Dokumentes.

In vier Punkten fasst Wuerl kurz und knapp die wichtigsten Beobachtungen zusammen. An die Punkte schlossen sich jeweils Fragen an, die bei der weiteren Behandlung der Themen helfen sollen.

Was ist Neuevangelisierung?
Die erste Fragestellung bezieht sich darauf, wie genau die Neuevangelisierung im Leben der Kirche verortet ist. Wuerl betont, dass es sich um eine Mitarbeit an der Sendung der gesamten Kirche handle, die diese von Jesus Christus selbst empfangen habe. Damit nimmt Wuerl diese Frage aus dem Bereich reiner pastoraler Strategien heraus. Dieser Auftrag Jesu, die wichtigste Aufgabe der Kirche, betreffe alle Christen gleichermaßen.

Daran schließt Wuerl zwei Fragen an, die sich auf die Identität der Christen und das Ernstnehmen der Verantwortung für diese Verkündung beziehen: Wie könne die Kirche dabei helfen?

Das Umfeld des Dienstes der Kirche
Der zweie Komplex bezieht sich auf die Verschiedenheit der kulturellen, sozialen, ökonomischen und religiösen Umstände, unter denen das Christentum weltweit lebt. Diese Dimension ist bei den Beratungen des ersten Teils der Synode am sichtbarsten geworden. Kardinal Wuerl betont aber, dass bei aller Verschiedenheit in den Einzelheiten, die Notwendigkeit einer erneuerten Verkündigung und Neuevangelisierung von allen gesehen werde, vor allem, weil der Prozess der Säkularisierung alle betreffe, wenn auch auf verschieden Weise.

Einen eigenen Abschnitt bekommt die Kirche im Nahen Osten.
Drei Fragen schließt der Berichterstatter der Synode an: Was sind Erfahrungen von fruchtbaren Initiativen? Wie kann man dem Verschwinden des Glaubenswissens entgegen wirken? Und: Was genau sind die Herausforderungen durch sie Säkularisierung?

Die pastoralen Antworten auf die Umstände
Zu allererst müsse die Einheit der Kirche betont werden, so Kardinal Wuerl im dritten Abschnitt seiner Zusammenfassung. Dann seien die Sakramente neu zu betonen: Die Initiation (Taufe, Erstkommunion, Firmung), die Beichte und die Eucharistie. Eine große Mehrheit der Synodalen habe aber auch eine geistliche Erneuerung der Kirche eingefordert.

„Die Kultur ist das Umfeld der Neuevangelisierung". Deswegen bezieht sich die sechste Frage des Textes darauf, für den Dialog und die Begegnung mit der Kultur neue Räume zu schaffen. Weiter fragt Wuerl danach, wie in den Umständen und verschiedenen Kulturen das Zeugnis des Glaubens glaubhafter gelebt werden könne und was die Kirche dazu beitragen könne. Achtens betont er die Nächstenliebe Christi, die sich im Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklung ausdrücke. Frage neun sucht ein neues Verständnis zwischen den häufig genannten kleinen Gemeinschaften und den ebenfalls in vielen Beiträgen vorkommenden Pfarreien. Die zehnte Frage bezieht sich auf den Katechismus und die Notwendigkeit, Bildung und Katechese jugendgerecht anzubieten. Die letzte Frage dieses Komplexes sucht nach Mitteln, wie die Kirche ihre Katecheten besser unterstützen kann.

Handelnde und Teilhaber an der Neuevangelisierung
Unter den Subjekten der erneuerten Verkündigung sei vor allem die Familie genannt worden, führt Wuerl aus. Seine erste Frage in diesem Bereich bezieht sich deswegen auf die „Hauskirche": Wie könnten Familien besser bei der Weitergabe des Glaubens unterstützt werden?

Frage dreizehn betont die Unersetzbarkeit des Priesters, hier sucht Wuerl nach Mitteln, diesen verkündenden Einsatz zu unterstützen. Die vierzehnte Frage betont die Unersetzbarkeit der Laien: Wie könne die Kirche auf noch vollständigere Weise die Laien und die ortskirchlichen Initiativen einbeziehen?

Den Abschluss des Dokumentes bildet eine kurze Liste möglicher Themen, denen sich die Sprachgruppen zuwenden könnten, so Wuerl. Dies alles werde nun an die Arbeitsgruppen übergeben.

Nach der Vorstellung des Dokumentes
Zum Schluss der Beratungen der Synode werden nun in den kommenden Tagen zwei Dokumente erarbeitet: Die Schlussbotschaft der Synode und die sogenannten „Propositiones", die Vorschläge aus den Arbeitskreisen, die dann dem Papst zur Erstellung eines nachsynodalen Schreibens übergeben werden. (rv)

Die Bischofssynode geht in die zweite Phase

Die erste Phase der Bischofssynode im Vatikan ist an diesem Mittwochnachmittag zu Ende gegangen: Der Berichterstatter, der US-amerikanische Kardinal William Wuerl, stellte den Synodalen am Abend seine Zusammenfassung der Debatte vor, die so genannte ‚Relatio post disceptationem’. An diesem Donnerstag nun traten die delegierten Präsidenten der Synode vor die Presse, um eine erste vorsichtige Bilanz zu ziehen. Kardinal Laurent Monsengwo Pasinya, Bischof von Kinshasa und einer der drei Präsidenten, bezog sich auf Papst Johannes Paul II. und dessen Idee von Neuevangelisierung, auf die letztlich auch die Synode zurückgehe:

„Diese Evangelisierung muss neu in ihrem Eifer, in ihren Methoden und in ihrem Ausdruck sein".

Pasinya betonte die Notwendigkeit, sich erneut den Trägern der Evangelisierung zuzuwenden, von Bischöfen und Priestern bis zu den Familien und den Laien. Ohne eine neue Konzentration auf diejenigen, die die Verantwortung für die Verkündigung übernähmen, würde diese im Sand verlaufen. Aber auch über andere Problemfelder sei bei der Synode gesprochen worden:

„Wie kann man den Gott Jesu Christi einer Welt verkünden, die die Frage nach Gott gar nicht stellt oder falsch stellt? Damit befasst sich unsere Synode, und sie verläuft gut. Der Heilige Vater ist anwesend, die Synodenteilnehmer sprechen sehr offen und berichten von den Situationen in ihren Ländern. Hier ist der Reichtum der Synode: Niemand erzählt das gleiche. Die Synode umfasst all diese verschiedenen Situationen und die ganze Welt in ihrer Verschiedenheit. Wir müssen vorwärts gehen und als nächstes werden aus der Synode heraus die so genannten Propositionen erstellt, die dem Papst vorgelegt werden und er wird dann entscheiden, wie diese Vorschläge, die ihm gegeben wurden, öffentlich werden."

Gleichzeitig zur Pressekonferenz tagten und tagen den gesamten Donnerstag lang die Sprachgruppen, die so genannten circoli minori, um sich mit der zusammenfassenden Relatio, die Kardinal William Wuerl vorgelegt hatte, zu befassen. (rv)

Vatikan: Papst Johannes Paul I. könnte schon bald seliggesprochen werden

Das sagt der Postulator im entsprechenden Seligsprechungsverfahren, Bischof Enrico dal Covolo. Er werde der Seligenkongregation am Mittwoch das Dossier über den „lächelnden Papst" überreichen; die zusammengetragenen Dokumente machten aus seiner Sicht eine baldige Seligsprechung von Albino Luciani – so der bürgerliche Name Johannes Pauls – möglich. In einem Interview erklärte der Bischof, dass sich aus dem Dossier auch „zweifelsfrei ergibt, dass Johannes Paul I. eines natürlichen Todes gestorben ist". Der Papst war im September 1978, nur 33 Tage nach seiner Wahl, tot aufgefunden worden. Dal Covolo gibt an, dass Benedikt XVI. eine baldige Seligsprechung seines Vor-Vorgängers „stark unterstützt, mit Zuneigung und Aufmerksamkeit". (rv)

Tag der Deutschsprachigen auf der Synode

Gleich vier Bischöfe aus dem deutschen Sprachraum haben an diesem Dienstag auf der Bischofssynode im Vatikan das Wort ergriffen. Der Schweizer Kardinal Kurt Koch, der den Päpstlichen Einheitsrat leitet, sagte, es wäre eine positive Geste, wenn die Synode die anderen kirchlichen Gemeinschaften dazu einladen würde, die Neuevangelisierung zu einer gemeinsamen Aufgabe zu machen. Der Eisenstädter Bischof Ägidius Johann Zsifkovics erinnerte an das Denken von Teilhard de Chardin, das ihm heute aktueller scheine denn je, vor allem angesichts der Trennung von Glauben und Leben in der modernen Gesellschaft. Der Bischof von Basel, Felix Gmür, erzählte uns, worum es ihm in seinem Redebeitrag ging:

„Für mich ist sehr wichtig, dass man auf das Volk Gottes hört: Was sind die wirklichen Anliegen? Damit man auf konkrete Fragen auch konkrete Antworten geben kann. Das Zweite ist, dass man sich der Situation bewusst wird, dass viele Pfarreien ohne Priester sind und dass man die Laien, die dort tätig werden, mit einem Auftrag ausstattet, einer offiziellen Anerkennung durch die Kirche!"

Auch der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst verriet uns schon vorab, was er an diesem Dienstag vor den Synodenvätern ansprechen wollte:

„Was mir auf vielen Beiträgen als sehr dringlich entgegengekommen ist, ist der Ruf nach einer Selbstevangelisierung der Kirche. Das bedingt die Frage: Wo kann das ansetzen? Ich selbst will in meinem Beitrag darauf zu sprechen kommen, dass wir dort, wo wir uns den Suchenden zuwenden (etwa den Katechumenen), durch die Begegnung mit ihren Lebenswegen und ihrer Biografie selber auch noch einmal in die Evangelisierung hineinfinden können."

Selbstevangelisierung setze aber nicht unbedingt ein großes kirchliches Mea Culpa für Fehler der Vergangenheit voraus, so der Limburger Bischof. Ein solches Schuldbekenntnis hatten einige Synodenteilnehmer vorgeschlagen.

„Ich würde es nicht auf den Begriff „Fehler der Vergangenheit" reduzieren: Das ist zu vordergründig. Es geht um die Umkehr des Einzelnen, Umkehr als eine bleibende Einladung des Evangeliums, das ist viel, viel mehr. Bei Fehlern der Vergangenheit hat man schnell den Eindruck, als ginge es darum, jetzt irgendwas abzurechnen oder jemandem Schuld zuzuweisen – darum kann es überhaupt nicht gehen! Wir haben das Bild eines barmherzigen Gottes, der uns immer wieder einlädt, die Umkehr selbst in unserem eigenen Leben zu suchen."

Er halte es auch für wichtig, „noch einmal darüber nachzudenken, was Säkularisierung in unserer Welt heute bedeutet", so Bischof Tebartz-van Elst:

„Ein Phänomen, das sich auf anderen Kontinenten im Vergleich zu Europa sehr unterschiedlich darstellt. Hier sollten wir Chancen, aber auch Grenzen sehen. Ich glaube, das herauszufinden und herauszuspüren ist die hohe Kunst, wenn wir uns auf Wege der Evangelisierung einlassen wollen."
(rv)

Menschen in der Zeit: Kardinal Gianfranco Ravasi

Zum 70. Geburtstag. Eine Sendung von Aldo Parmeggiani
(Ausstahlung in den Sendungen am 14. und 21. Oktober 2012)

Herr Kardinal, Sie haben mit elf Jahren begonnen – auf eigene Faust – Griechisch zu lernen. Das kommt nicht sehr oft vor. Heute beherrschen Sie eine Vielzahl von Sprachen. Ist Ihnen dies alles in die Wiege gelegt worden?

„Ohne Zweifel gibt es dieses Geschenk, diese Gnade – nicht nur in der Theologie, sondern auch auf dem Gebiet der Kunst, der Kultur. Das wird auch Sonderbegabung genannt und ist ganz einfach als ein Geschenk zu betrachten, ein Geschenk, das allerdings immer auch weiter gepflegt werden muss. Ich bin kein Genie, aber ich habe sicherlich ein Erbe aus der typisch klassischen Kultur mitgeschenkt bekommen, ein Erbe, das den Namen Neugierde mitträgt. Das heißt, ich hatte immer den Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen, Deshalb habe ich in den verschiedensten Kulturbereichen der Menschheit meinen Weg gesucht."

Sie wollten Professor für Griechisch und Latein werden. Haben aber nach dem Gymmnasium den Entschluss gefasst, Priester zu werden. Was war da geschehen? Gab es da ein Damaskuserlebnis?

„Wenn ich über meine Berufung etwas beichten darf, muss ich auf ein Datum hinweisen, das bei unseren Hörern sicher auf Verwunderung stoßen wird: ich war nämlich erst vier Jahre alt, als ich eine Erfahrung machte, die ich bis heute im Innersten meines Herzens trage, auch wenn ich deren Bedeutung erst später erkannte. Damals lebte noch mein Großvater, mit dem ich sehr eng verbunden war.
Ich erinnere mich noch ganz genau an die wunderbare Abendstimmung, die Hügellandschaft und die Talebene, durch die gerade pfeifend ein Zug fuhr. Ich weiß nicht warum – ich kannte ja noch nicht die Erzählung Pirandello’s vom ‚Pfiff des Zuges’ (Il fischio del treno) – aber plötzlich überfiel mich ein tiefes Gefühl der ….Unzulänglichkeit, der Melancholie, die in mir spontan den Wunsch aufkommen ließ, mich an etwas zu klammern, an etwas mir noch Unbekanntes, das über allen Dingen zu schweben schien. Als Kind suchte ich wahrscheinlich die Zuwendung eines Mitmenschen, eine Sicherheit. Letzten Endes aber war es die Sehnsucht nach der Unendlichkeit. Also diese Episode erachte ich als den Augenblick meiner Berufung."

In der Folge weist Ihr ‚curriculum vitae’ in der kirchlichen Laufbahn einen ständigen und steilen Weg nach oben auf: bis zum Kardinalshut. Hätten Sie sich dies als einfacher Priester jemals vorstellen können?

„Da dieses Gespräch ein sehr persönliches zu werden scheint – sagen wir eine Art öffentliche Beichte vor einem Publikum, das ich sehr schätze, ich bin nämlich ein leidenschaftlicher Verehrer auch der deutschen Kultur – will ich ganz offen sprechen und auf einen Aspekt hinweisen, der nicht meine Tugendhaftigkeit unterstreichen soll, sondern der ganz einfach auf Tatsachen beruht: ich habe nie an meine Karriere gedacht oder sie herbeigewünscht. Ich habe nie meinen Lebenslauf, der sich erst in der letzten Phase meines Daseins so erstaunlich entwickelt hat, auf diese Weise angestrebt.
Mein Traum war immer – außer dem Unterrichten – in der Forschung auf wissenschaftlichem Gebiet tätig zu sein. Und in der Tat konnte ich dies auch lange Zeit ausführen. Den Weg nach Rom – die große Stadt der Berufungen – hatte ich nicht geplant, obwohl mich dann meine Forschungsarbeit dorthin geführt hat. Diese letzte Phase in meinem Leben – das muss ich zugeben – ist für mich wirklich eine Überraschung im wahrsten Sinne des Wortes."

Als hervorragender Bibelkenner und Exeget haben Sie Ihre Wissenschaft immer auf Fakten aufgebaut. Ihr wichtigstes biblisches Anliegen scheint – mit Hilfe der Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Archäologie und Theologie – darauf ausgerichtet zu sein, zu beweisen, dass der wahre Jesus mehr als der historische Jesus ist ?

„Im Rahmen meiner Tätigkeit als Dozent für Exegese habe ich vor allem zwei Linien herausgearbeitet: einerseits natürlich jene Linie des biblischen Glaubenstextes – eine Art Fanal auf dem Lebensweg des Gläubigen – und zweitens habe ich mich sehr eingesetzt für eine geschichtliche Interpretation des biblischen Textes und dessen Inkarnation, in der Tat: schlagen wir irgend eine Seite der Bibel auf, dann ist es nicht schwer, eine Stelle über den Krieg oder eine klagende Gestalt zu finden, wir stoßen auf den Schrei Hiobs, irgendwie auf die Leere des Kohelet, ja auf Jesus Christus selbst, der in der Sprache für einen beschränkten Kulturraum spricht. Seine 35 Gleichnisse sind mit Sicherheit eine Art Spiegel eines Horizonts, in dem er selbst eingebunden war.
Die Bibel muss also unter dem Aspekt ihrer sozialen, exitentiellen, archäologischen, geografischen und historischen Koordinaten betrachtet werden, die die Inkarnation betreffen. Das heißt, sie gehören zu dem Wort, das Fleisch geworden ist. Unter anderem befindet sich in Goethes Faust eine diesbezügliche außerordentliche Analyse mit einem wunderbarem Wortspiel. Wir müssen also anerkennen, dass Christus als Fixpunkt der Heiligen Schrift sicherlich auf der einen Seite der geschichtliche Jesus, gleichzeitig aber auch das Wort, der logos, ist. Er ist das transzendente Wort, aber er ist auch Jesus von Nazareth. Deshalb die Notwendigkeit, im realen Jesus – wie Benedikt XVI. sagt – sowohl den logos, das Fleisch, die Zerbrechlichkeit, die Göttlichkeit, als auch die konkrete Wirklichkeit, das Absolute, das Ewige, die Geschichte, die Unendlichkeit und den Raum zu sehen."

Würden Sie uns den eben benannten Passus über Goethes Faust noch einmal kurz erklären?

„Goethe präsentiert den Faust im ersten Abschnitt, einem der schönsten Texte der westlichen Kultur überhaupt: Am Anfang war das Wort. Dann aber fügt er noch etwas hinzu und übersetzt: Am Anfang war der Sinn, die Bedeutung, der Sinn des Daseins, des Seins. Und fügt vielleicht noch eine Steigerung hinzu, denn es ist ein Wort, das etwas kreiert, es ist ein Wort, das die Geschichte prägt: nämlich das Wort ist die Kraft. Und schließlich fasst er zusammen; am Anfang war die Tat. Goethe beurteilt dies aber negativ. Was also ist das Wort Gottes? Es ist gleichzeitig Wort, Bedeutung, Macht, Tat."

Wie kann man einem modernen Menschen erklären, dass es die ‚Vorsehung’ wirklich gibt?

„Dem modernen Menschen kann man vor allem zeigen, dass jene obskure Realität, das Böse, in Wirklickeit eine außerordentliche Wachstums-Komponente der Menschheit ist. Ich möchte das so erklären: wenn wir nicht das Böse hätten, die Begrenzung, die Vergänglichkeit, die Unglückseligkeit, gäbe es vielleicht 80 Prozent weniger Weltliteratur. Wir hätten keinen Dostojewski, wir hätten keinen Goethe, wir hätten keinen Dante. Vergessen wir nicht, dass auch im Bösen ein Sinn enthalten ist.
Das Buch Hiob zeigt genau auf, dass, auch wenn Gott scheinbar deine von Rationalität gezeichneten Probleme nicht unmittelbar löst, diese dennoch Teil eines meta-rationalen und nicht irrationalen Planes sind. In diesem Licht muss, glaube ich, die Vorsehung betrachtet werden. Manchmal hilft die Vorsehung ja auch, konkrete Probleme zu lösen, aber sie vermittelt immer ein transzendentes Gefühl, in dem wir allerdings nicht immer den Sinn erkennen."

Ist die Theologie demnach eine Wissenschaft?

„Wir wissen, dass Johannes Paul II. eine Enzyklika geschrieben hat, die nicht nur für Theologen wichtig ist: ‚Fides et Ratio’. Sie enthält das berühmte Bild der Erkenntnis. Die Erkenntnis braucht, um in das Geheimnis eintreten zu können, zwei Flügel. Den Flügel der überlieferten Wahrheit und den Flügel jener Wahrheit, die durch die Vernunft errungen wurde. Aus diesem Grund müssen wir immer anerkennen, dass es eine wissenschaftliche Methotologie der Theologie gibt.
Sicher, der Glaube stellt einen Schritt weiter dar. Der Heilige Augustinus drückt das mit einem Satz aus, der uns skandalös erscheinen mag, in Wirklichkeit jedoch blitzgescheit ist: ‚Wenn der Glaube nicht gedacht ist, dann ist es kein Glaube!’. Also muss der Mensch dieses große Mittel des Denkens benützen, und dieses Mittel trägt ihn vor das Tor des Lichtes, hinter dem dann der Weg des Glaubens erst beginnt. Die Logik dieses Glaubens ist dann nicht mehr die Logik der Vernunft. Deshalb ist die Theologie eine Wissenschaft auf zwei Ebenen: zuerst kommt die Fundamentaltheologie, dann folgt der Weg der Mystik, der jedoch nicht extatisch, also sinnlos, sondern ein Weg der höheren Logik ist: mehr oder weniger ist dies auch der Weg der Erfahrung der Liebe und der Erfahrung der Ästhetik."

Wissenschaft und Theologie sind nicht immer einer Meinung: Wo ist die Grenze zwischen der Wissenschaft und dem Glauben? Wo hingegen treffen sie sich?

„Wir tragen auf unseren Schultern eine Erfahrung, die oft als kontrastreiche Erfahrung zwischen dem Glauben und der Wissenschaft bezeichnet wird. Immer wieder hieß es im 19. Jahrhundert aus dem Lager der Positivisten: die einzigen Wahrheiten sind jene, die bewiesen werden können.
Offensichtlich wurden damit alle theologischen und im engeren Sinne auch philosophischen Überlegungen ad acta gelegt.
Heute wird diese positivistische Haltung auch von nichtglaubenden Wissenschaftlern nicht mehr vertreten. Vielmehr gibt es nach ihrer Ansicht mindestens zwei verschiedene Erkenntnisebenen: der Mensch besitzt auch eine Erkenntnisebene zum Beispiel auf dem Gebiet der Poesie, der Kunst, des Verliebtseins, was auch in der Theologie, der Philosophie, im Glauben, der Fall ist. Ein großer amerikanischer Wissenschaftler, Steven Gould, jüdischer Abstammung und Atheist, er ist 2002 gestorben, hat eine Formel geprägt: zwischen der Theologie und der Wissenschaft laufen paralell zwei verschiedene Strömungen, die nicht miteinander verbunden werden können. Sie können also untereinander nicht in Konflikt kommen. Da sie zwei verschiedene Wege gehen.
Das ist bereits die Anerkennung und Würdigung einer Wissenschaft, die außerhalb des Bereiches der Physik liegt. Heute liegt der Schwerpunkt immer mehr auf dem Gebiet des Dialogs. Denken wir an Einstein, der ausdrücklich unterstrich, dass er bei der Ausarbeitung seiner Relativitätstheorie die Philosophie in Anspruch nehmen mußte. Die Versuchs-Wissenschaft über das Konzept von Zeit und Raum reichte nicht mehr aus. Wir müssen also anerkennen, dass Wissenschaft und Glauben gegenseitig ihre Autonomie respektieren müssen, gleichzeitig aber auch einen Dialog führen können, da sowohl das Subjekt als auch das Objekt ihrer Forschung einzigartig sind."

Herr Kardinal, was ist dieser ‚Vorhof der Völker’, den der Papst sich gewünscht und Ihnen anvertraut hat? Welches Ziel strebt diese neue Einrichtung an? Ist es ein Ort, an dem Nichtglaubende bekehrt werden sollen?

„Der Vorhof der Völker war einst ein offener Raum vor dem Tempel von Jerusalem, zu dem auch die Heiden Zutritt hatten. Gegenüber befand sich der Hof der Israeliten. Und so konnten sich die beiden verschiedenen Gemeinschaften gegenseitig in die Augen schauen.
Im Jahre 2010 hatte Papst Benedikt den Wunsch geäußert, diesen Raum im Bereich unserer Kirchen wieder einzuführen. Es ist ein offener Raum, in dem der Wind der Gedanken, der Wind des Geistes, der Religion und der Forschung weht. Wir haben inzwischen Dutzende von Begegnungen in aller Welt in diesen ‚Vorhöfen der Völker’ veranstaltet und hier glaubende und nichtglaubende Persönlichkeiten versammelt, die sich mit den großen Fragen der Menschheit befassen. Ein großer Philosoph des 19. Jahrhunderts, Søren Kierkegaard, sagte: ‚Wir befinden uns wie auf einem Schiff, das mittlerweile von einem Koch gesteuert wird. Das, was der Kapitän durch den Lautsprecher bekannt gibt, ist nicht mehr die Route, sondern das, was wir morgen essen werden’. In einer Welt, in der nur mehr die Mode, das Essen, der Sex und nichts anderes mehr eine Rolle spielen, muss es Stimmen geben, die dir einen Sinn vermitteln. Das ist der Grundgedanke des ‚Vorhofs der Völker’."

Sie sind ein bedeutender Kommunikator des Sakralen, ein hervorragender Biblist. Sie suchen das Gespräch mit der säkularisierten Welt, mit den Atheisten, den Agnostikern. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren bereits in Paris, Bologna, Bukarest, Florenz, Rom, Assisi, Tirana, Mexikostadt, Palermo und demnächst in Berlin dieses universale Gesprächsforum mit Menschen verschiedener Kulturen, Sprachen und Religionen inszeniert. Gibt es dazu einen roten Faden?

„Ich denke das rechte Stichwort dazu lautet ‚Dialog’. Was bedeutet Dialog auf griechisch? Es bedeutet: dia -zwei, Logos – Gespräche, Gespräche die sich kreuzen, sich begegnen. Es bedeutet auf griechisch aber ebenso: das Gespräch vertiefen.Und darüber muss ernsthaft nachgedacht werden. Pascal sagte einmal: ‚Das Prinzip der Moral heißt in korrekter Weise denken zu lernen.’
Lernen also auch wir – wenn auch in verschiedener Weise und unter verschiedenen Gesichtspunkten – aber in ernsthafter Absicht über ernsthafte Themen nachzudenken, sodass wir über die Gleichgültigkeit hinauswachsen. Denn die Gleichgültigkeit, die Oberflächlichkeit die Banalität, die sind der wahre Atheismus. Das ist – würde ich sagen – das große Ziel des Dialogs.
Und in diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass bereits zwei hohe Persönlichkeiten aus Berlin, dieser stark säkularisierten Großstadt – nämlich die Oberbürgermeister Klaus Wowereit und der Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki – beide ihren Wunsch geäußert haben, Berlin möge Zeuge dieses Willens zum Dialog werden."

Was schätzen Sie an einem Agnostiker, was missfällt Ihnen bei einem Christen?

„In dem Agnostiker schätze ich – und ich würde mir wünschen, dass dies auch bei den Gläubigen der Fall ist – seinen Wunsch nach der Suche des Ursprungs. Da er sein Ziel noch nicht kennt, stellt er sich Fragen. Mir fällt hier ein Ausspruch von Platon ein, den er Sokrates in den Mund legt: ‚Ein Leben ohne Suche verdient nicht gelebt zu werden.’
Die Suche ist eine fundamentale Komponente, die auch uns Glaubenden gelehrt werden muss. Wie der Psalm sagt: Licht im Lichte, wir werden in deinem Licht ein anderes Licht erkennen. Was den Christen betrifft, würde ich mir wünschen, dass dieser dem Nichtglaubenden mit dem Ausdruck der Gelassenheit, der Freude, der Hoffnung begegnet. Und nicht mit dem Gesicht der Negativität.
Wie oft wird die Religion als Kampf gegen die Sünde dargestellt. Religion ist vor allem eine Gnade! Sie ist vor allem der Eintritt Gottes in die Geschichte, sie ist Begegnung der Menschen. Deshalb wünschte ich mir, dass der Gläubige mehr diesen Aspekt erkennt, den Aspekt des Lichts, der Gelassenheit, der Hoffnung. Die Hoffnung ist die kleinste Tugend, aber sie führt die beiden anderen an der Hand: den Glauben und die Barmherzigkeit."

Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, ein berühmter Satz in Goethes Faust.

„Sie treffen mit Ihrer Bemerkung einen wichtigen Punkt: den Punkt der Kommunikation innerhalb der Kirche heute. Es werden viel zu wenig Fragen zu den verschiedensten Themen gestellt. Man ist immer noch davon überzeugt, mit der traditionellen Art von Kommunikation voranzukommen. Ich, zum Beispiel, bediene mich der Form des Twitterns. Jeden Tag am Morgen sende ich eine biblische Botschaft bestehend aus 140 Buchstaben und am Abend einen Beitrag mit kulturellem Inhalt, oder auch einen Blog. Ich schreibe in den Zeitungen und spreche im Fernsehen. All dies tue ich, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass ein Mensch, wenn er sich seiner eigenen Werte bewußt ist – das sage ich auch zu den nichtglaubenden Hörern, die auch ihre Ideen haben und an ihre Werte glauben – auch daran erinnert werden muss, dass man die Fähigkeit, die Frische, die Intensität, die Überzeugungskraft, die Schönheit der Kommunikation beherrschen muss.
Denken wir an Christus und seine Gleichnisse. Wenn wir am Sonntag in die Kirche gehen und der Priester ein Gleichnis vorliest, wissen die Leute schon am Anfang, wie dieses Gleichnis enden wird. Aber die Menschen hören dennoch aufmerksam zu, denn seine Parabeln strahlen immer wieder eine neue Faszination aus. Wir müssen auch in den heutigen Kommunikationsmitteln diese Ausstrahlung wiederentdecken. Mit unseren heutigen neuen digitalen Möglichkeiten arbeiten."

Das wäre sozusagen die moderne Kanzel der Kirche?

„Es ist wirklich ein neuer Aeropag der Kirche – um ein biblisches Beispiel zu nennen: als der hl. Paulus den Entschluss fasst, auch öffentlich aufzutreten – meist tat er das in griechischer Sprache, die das heutige Englisch wäre – wählt er die Wege, die ihn am schnellsten zum jeweiligen Ort seiner Auftritte führen: die römischen Konsularstraßen. Aber auch Athen, die Heimat der Kultur. Hier zitiert er in einer Ansprache Arates – ein griechischen Dichter – und einen weiteren Dichter, Kleantes, der auch Philosoph war, um die Rede spannender und eindrucksvoller zu gestalten. Sicher, manchmal blieb der Erfolg aus, aber viele folgten – wie die Apostelgeschichte schreibt – seinen Worten. Und auf diese Weise folgen auch heute viele der Botschaft."

Sprechen wir jetzt über Schönheit, die Kunst: Spiritualität und Schönheit sind zwei untrennbare Begriffe: so hieß es am Ende des ‚Vorhofs der Vôlker’ in Barcelona. Was ist Schönheit?

„Es gibt viele Definitionen der Schönheit und also auch der Kunst. Ich möchte hier zunächst einen tief antichristlichen Autor nennen, und dann einen deutschen Künstler. Ein überzeugter antchristlicher Autor war Henry Miller. Der Autor des ‚Wendekreis des Krebses’ und des ‚Steinbocks’ schreibt in einem seiner weniger bekannten Werke folgende Worte über die Kunst und die Religion: ,Die Kunst und die Religion sind wertlos, es sei denn sie bezeugen den Sinn des Lebens.‘ Das ist nicht wenig, würde ich sagen.
Der Andere hingegen heißt Hermann Hesse. In seiner Erzählung ,Klein und Wagner ‘ definiert auch er die Kunst. Und zwar in tief religiöser Weise, würde ich sagen: ,Kunst bedeutet, in jedem Ding Gott aufzeigen.‘ Nicht alle Künstler sind religiös, aber alle Künstler sind sich von Natur aus einig, in der Kunst nicht nur das Sichtbare aufzuzeigen. Paul Klee sagte: ‚Die Kunst, die Schönheit stellt nicht das Sichtbare dar, sondern das Unsichtbare, das im Sichtbaren enthalten ist.’ Und dies ist der fundamentale Zweck der Kunst.
Als Lucio Fontana, dieser berühmte italienische Künstler, eine Leinwand durchschneidet, antwortete er den fragenden Journalisten: ‚Seht ihr denn nicht, dass dies ein Schimmer ins Absolute ist? Ein Schritt über die Öberfläche hinaus? Dies also, glaube ich, ist Schönheit: den letzten Sinn erfassen, der in der Alltäglichkeit verborgen ist."

Kann man sagen, dass die Kunst eine universale Sprache spricht? Dass Glaube und Musik, Glaube und Malerei, Glaube und Kunst Geschwister sind?

„Wir wissen, dass beide das Absolute, das Ewige suchen. Ein Naiv-Künstler zum Beispiel stellt seine Werke in sehr einfacher Art und Weise dar, in Wirklichkeit jedoch will er beweisen, dass diese einen tieferen Sinn haben. Deshalb sind Kunst und Glaube notwendigerweise Geschwister. Sie wollen nicht kleinliche Informationen vermitteln, sondern letzte Horizonte aufzeigen.
Deshalb möchte ich im Jahre 2013 auf der Biennale von Venedig – eine globale, internationale Kunstschau ersten Ranges, die sicherlich auch degenerierte Werke zur Schau stellt – letztes Jahr zum Beispiel war der Papillon der Bundesrepublik sicher großartig aber in gewisser Weise streifte er sogar die Blasphemie – will ich also in Vertretung des Heiligen Stuhls auch dabei sein. Dabei sein an einem Ort, wo sich die Kunst mit der Krise in der Gesellschaft konfrontiert.
Ich habe Künstler verschiedener Ausrichtung und verschiedener Konfessionen engagiert, denen ich ein Thema vorgegeben habe: nämlich die ersten elf Kapitel der Genesis. Dort wo sich die Schöpfung, wo die Auflösung der Schöpfung, wo die Öffnung, wo sich der Weg Abrahams zeigt. Auf der einen Seite also der Mensch, denken wir an Michelangelo und an seine Sixtina, die gemeinsame Liebe, auf der anderen die Sünde, die Gewalt des Kain und Abel, die Sintflut, der Turm zu Babel, die Auflösung der Schöpfung, und zum Schluss Abraham auf seinem Weg. Ich möchte, dass diese Künstler in einem Rahmen, wie ihn nur Venedig hat, der ganzen Welt zeigen können, was diese Themen bedeuten. Auch für jene Menschen, die nie eine Kunstausstellung besuchen, sondern ihren üblichen Alltag leben."

Eminenz, ich möchte dieses Gespräch mit Ihnen mit Goethe abschließen, dessen Namen im Laufe dieser Sendung immer wieder gefallen ist: Goethe hat gesagt, die Muttersprache Europas ist das Christentum. Ist sie es auch heute noch?

„Ich glaube, Goethe ist einer der großen geliebten Menschen der Universalität, der Menschheit, der Kultur. Goethe hat mit seinem Hauptwerk, seinen Reflexionen, seinen Dialogen uns allen vieles gelehrt. Ich glaube, diese tief empfundene und wahre Einschätzung hat für die gesamte Geschichte Gültigkeit. Wir leben heute in einer von Vergesslichkeit gezeichneten Welt, die sich an dieses große Patrimonium nicht mehr erinnern will: an die Muttersprache. Denken wir daran, welche Bedeutung das Christentum allein für die Kunstgeschichte hat! Denken wir, was es für das Ethos bedeutet. Wir tun der Ethik jeden Tag Gewalt an. Aber Europa, seine zehn Sterne, gibt es dennoch immer. Wir müssen alles tun, dass diese so vergessliche und oberflächliche Welt sich wieder dieses schönes lateinischen Spruches entsinnt : ,erinnern heißt, recordare cordis. Ins Herz einschließen.‘ Schließen wir also im Herzen die großen Symbole der Schönheit, der Wahrheit, des Lichts mit ein. Das sage ich nicht als Kardinal, auch nicht als Priester oder Glaubender, sondern als Mann der Kultur. Denn, wer keine Erinnerung hat, lebt nicht."

Hintergrund
Kardinal Gianfranco Ravasi wurde am 18. Oktober 1942 in Merate in der Lombardei geboren. Sein Vater war Steuerberater, seine Mutter Lehrerin. Seine klerikale Karriere begann Ravasi relativ spät, aber dann umso steiler. Die Etappen lauten: Professor für Exegese des Alten Testaments in Mailand, Leitung der Biblioteca Ambrosiana, 2007 Bischofsweihe und 2010 Kardinalsernennung, beides durch Papst Benedikt XVI. Schließlich wurde ihm die Leitung der päpstlichen Einrichtung ‘Vorhof der Völker’ übertragen. Der Präsident des Päpstlichen Rates für die Kultur gilt als einer der einflussreichsten Brückenbauer zwischen Kirche, Wissenschaft und Kunst. (rv)

Das Synodentelegramm (10. Generalkongregation)

Am Samstag Nachmittag war die Synode geprägt von der Unterschiedlichkeit der kirchlichen Situation weltweit. Vertreter aus postkommunistischen Ländern berichteten von der Bedrohung durch Neokapitalismus und die Reste materialistischer Mentalitäten. Aus Afrika kamen Wortmeldungen zur Bedrohung durch Sekten und Aberglauben, sowie die positive Bedeutung einer guten Katechese. Der Generalobere der Schönstattpatres, Pater Heinrich Walter, betonte in seiner in deutscher Sprache gehaltenen Rede die Rolle der Familie für die Neuevangelisierung. Familien seien auch Träger der Evangelisierung, wie positive Erfahrungen in Südamerika zeigten. Der maronitische Patriarch Bechara Rai würdigte die Bemühungen um den interreligiösen Dialog im Nahen Osten. Evangelisierung finde indirekt in den katholischen Schulen, Universitäten oder Krankenhäusern von einzelnen Diözesen oder Ordensgemeinschaften statt, die für Christen wie für Muslime offen seien. Zudem würden die Medien für eine Evangelisierung genutzt. Mehrere Synodenväter aus Lateinamerika gingen mehr auf die theologischen Grundlagen der Neuevangelisierung ein. Im Anschluss an die 15 Redebeiträge des Samstag Nachmittag war Gelegenheit zur freien Diskussion. Montagmorgen gehen die Arbeiten weiter. (rv)

Türkei/Vatikan: Ohne Religionsfreiheit keine Gerechtigkeit

Der Vatikan hat erneut die Bedeutung der Religionsfreiheit für Gerechtigkeit und Frieden betont. Beim „Istanbul World Forum", das am Wochenende in Instanbul stattfand, sagte der Sekretär des Vatikanrats für den interreligiösen Dialog, Religionen leisteten einen wesentlichen Beitrag im gesellschaftlichen Diskurs. Religionen könnten zudem den Frieden sichern helfen, so Mons. Miguel Ángel Ayuso Guixot. Dazu dürfte aber ihre Ausübung nicht eingeschränkt werden. – Das „Istanbul World Forum 2012" steht unter dem Thema „Gerechtigkeit und der Aufbau einer neuen globalen Ordnung". Es nehmen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft teil. Außer Guixot nahm auch der päpstliche Nuntius, Erzbischof Antonio Lucibello teil; ferner der ökumenische Patriarch Bartholomaios, der Großmufti von Jerusalem und Scheich Hamsa Yusuf vom Zaytuna College in Kalifornien. (rv)

Das Synodentelegramm: Soziallehre und Volksfrömmigkeit

Die Sitzung der Synode am Freitagnachmittag war wegen des festlichen Mittagessens aller Synodalen mit dem Papst und den noch lebenden Teilnehmern am Zweiten Vatikanischen Konzil recht kurz, es kam nur Werner Arber, Nobelpreisträger, Protestant und Präsident der päpstlichen Akademie der Wissenschaften zu Wort. In seinem längeren Vortrag sprach er über die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft und ging in diesem Zusammenhang auch auf die Evolutionstheorie nach Darwin ein. Mehr dazu können Sie in einem Interview mit Prof. Arber in unserer Sonntagssendung hören.

Am Freitag wurden ebenfalls noch die von den Synodenteilnehmern gewählten Mitglieder der Kommission bekanntgegeben, die sich mit der Abfassung der Schlussbotschaft befassen wird. Darunter sind neben dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn der Generalobere des Jesuitenordens, Adolfo Nicolás und Kardinal Gianfranco Ravasi, Leiter des Päpstlichen Kulturrats. Insgesamt hat diese Kommission zwölf Mitglieder.

Am Samstagmorgen bezogen sich eine Mehrzahl der insgesamt 24 Beiträge entweder auf die Frage der Volksfrömmigkeit oder der katholischen Soziallehre. Bischof Filippo Santoro sprach von seinem süditalienischen Bistum, in dem metallverarbeitende Industrie den Alltag der Menschen durch die Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes, aber immer auch durch Skandale um überhöhte Dioxinwerte präge. Die Kirche müsse ihre Botschaft „wie die Wunder der Apostel" verkünden, indem sie in der Nähe zu den Gefährdeten lebe.
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson, der nicht nur die Verkündung der Soziallehre, sondern auch die Evangelisierung des Sozialen anmahnte.

Des Themas Volksfrömmigkeit nahm sich unter anderen der mexikanische Bischof José Martín Rábago an; Diese Traditionen hätten ihren eigenen missionarischen Impetus, müssten aber häufig von Folklore gereinigt werden.

Weitere Themen bei der Generalkongregation am Samstag waren die Familie als Ort und Subjekt der Evangelisierung und die Frage von Katechese und Glaubenswissen. (rv)

Anglikanischer Primas spricht auf Synode

Es war der ökumenische Höhepunkt der Bischofssynode im Vatikan: Am Mittwochabend wandte sich der Primas der anglikanischen Weltgemeinschaft, Erzbischof Rowan Williams von Canterbury, an den Papst und die Bischöfe. In seinem Vortrag lobte er das Zweite Vatikanische Konzil vor allem dafür, dass es „das christliche Menschenbild erneuert" habe. Gläubige müssten der Welt heute das „Gesicht einer Menschlichkeit in endlos wachsender Liebe" zeigen. Christen könnten der „unwirklichen und irrsinnigen Welt" entgegentreten, zu der die Finanzsysteme und die Werbung die Menschen anstifteten. Frei von reiner Selbstorientierung bilde die „von Gottes Weisheit" geprägte christliche Kontemplation eine Antwort.

Um den christlichen Glauben in der westlichen Gesellschaft wieder zu beleben, verwies Williams auf geistliche Gemeinschaften, die über konfessionelle Grenzen hinaus Begeisterung ausstrahlten. Je mehr die christlichen Konfessionen einander fernblieben oder sich den anderen gegenüber für überlegen hielten, umso unglaubwürdiger werde ihre Botschaft. Der Erzbischof trat für eine „spirituelle Ökumene" und Netzwerke wie die benediktinisch inspirierte „World Community for Christian Meditation" ein.

Im Gespräch mit Radio Vatikan bekräftigte der anglikanische Primas, wie bedeutsam das Konzil weit über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus gewesen sei.

„Es war ungeheuer wichtig! Ich war ein Teenager, als das Konzil begann, und ein praktizierender Anglikaner, und was zunächst als interessante, aber irgendwie exotische und weit entfernte Veranstaltung erschien, öffnete sich auf einmal und wirkte nicht mehr auf sich selbst bezogen. Das beeindruckte mich und andere. Wir entdeckten in den Verfahrensweisen beim Konzil eine ungeahnte Transparenz der katholischen Kirche, wir erlebten Papst Johannes XXIII. als ein Geschenk an die ganze Christenheit. Und wir stellten fest, dass auf einmal auch andere christliche Kirchen überlegten, wie sie bestimmte Dinge besser machen könnten. Die katholische Liturgiereform stieß z.B. eine ganze Reihe von Liturgiereformen auch in anderen Kirchen an! Ja, das Konzil war auch für uns ausgesprochen wichtig."

Die Erwartungen, die das Konzil vor fünfzig Jahren weckte, waren sehr hoch – doch der damalige Schwung scheint im Lauf der Jahre verlorengegangen zu sein. Der Weg der christlichen Kirchen zur Einheit und zu einem gemeinsamen kraftvollen Zeugnis sei steiniger, als man sich das damals gedacht habe, so Williams.

„Ja doch, manchmal bin ich da enttäuscht. Aber wenn ich dann auf die sechziger Jahre zurückschaue, erinnere ich mich daran, wie wir damals in der Kirche wie in der Politik schlechthin alles für möglich gehalten haben! Da war schon eine Menge Übereilung und Naivität mit im Spiel. Wohinter wir nicht mehr zurückgehen werden, das ist, dass wir mittlerweile auf eine ganz andere Art zusammen beten. In den fünfziger Jahren, als ich ein Kind war, wäre es ziemlich undenkbar gewesen, mit römischen Katholiken zusammen zu beten. Noch nicht einmal das Vaterunser betete man gemeinsam! Die Haupterrungenschaft ist, dass wir uns näher kennengelernt und jetzt das Gefühl haben, dass wir zusammengehören. Das ist irreversibel!" (rv)