Vatikan: Wohnort, Staatsbürgerschaft, Zutritt

Wer wohnt eigentlich so alles im Vatikan, wer darf zum steuerfreien Tanken an der Schweizergarde vorbeirollen, und wer genießt das Privileg, Inhaber eines vatikanischen Reisepasses zu sein? Das alles regelt ein neues Gesetz, das Papst Benedikt in diesem Jahr erlassen hat und das am 1. März 2011 in Kraft getreten ist. Wir haben das zum Anlass genommen, mit dem Koordinator dieses Gesetzes über das Leben hinter den vatikanischen Staatsmauern zu plaudern.
Bischof Giorgio Corbellini ist ein Mann, der sich mit vielen weltlichen Dingen herumschlagen muss. Er weiß Bescheid über Tank-Karten, Residenzregelungen und die Feinheiten vatikanischer Rahmengesetze, aber auch über Beleuchtungskosten für den Petersdom bei Papstmessen oder das Einziehen von Zwischendecken in alten Palazzi, um mehr Raum zu schaffen. Bischof Corbellini ist Vizegeneralsekretär im vatikanischen Governatorat. Das ist der Regierungssitz des Vatikanstaates, und weil dieser Staat klein ist, kann man das Governatorat mit Fug und Recht – und doch auch wieder nicht – mit einer Stadtverwaltung vergleichen. Jedenfalls: Es geht, anders als beim Heiligen Stuhl, oft um sehr Konkretes.

Wohnen im Vatikan
„ Niemand hat ein Recht darauf, im Vatikan zu wohnen", stellt Bischof Corbellini klar. Aber manche haben die Pflicht.
„Konkret die Schweizergardisten. Sie müssen, ob ledig oder verheiratet, im Vatikan wohnen.
Weiters residieren hier Kardinäle und Bischöfe. Einige von ihnen sind sozusagen psychologisch dazu verpflichtet. Abgesehen vom Papst sind das der Kardinalstaatssekretär und die gesamte Spitze des Staatssekretariates: der Substitut, der „Außenminister", der Assessor der Ersten Sektion, der Sekretär der Zweiten Sektion. Denn die Art ihrer Arbeit ist in einem Maß fordernd, dass ein Wohnsitz im Vatikan ihnen die Dinge sehr erleichtert. Konkret: Es spart ihnen viel Zeit."
444 Personen wohnen zurzeit im Vatikanstaat. Alle, die dieses Privileg genießen bzw. dieser Pflicht gehorchen, tun das, weil sie in Diensten des Papstes stehen. Auf sehr verschiedene Weise. Die sechs Klausurnonnen im Kloster „Mater Ecclesiae" beispielsweise sind dazu da, Tag und Nacht für den Heiligen Vater und sein Wirken zu beten. Andere Kategorien von Bewohnern residieren im Vatikan, weil man im Fall des Falles auf ihr rasches Eingreifen zählen will.
„Denken wir an den Kommandanten der Gendarmerie. Oder an bestimmte Techniker, wie der Verantwortliche der elektro-technischen Werkstatt, weil in jedem Moment ein Gebrechen auftreten kann, wo man sofort Abhilfe schaffen muss. Und als eine von mehreren Ordensgemeinschaften: die Barmherzigen Brüder, die die Vatikan-Apotheke betreiben."
Auch die vielsprachigen Beichtväter von Sankt Peter wohnen im Vatikan, ebenso eine Reihe von Weltpriestern, vornehmlich mit Dienstort Staatssekretariat. Etliche residieren im vatikanischen Gästehaus, der Domus Sancta Marta. Das ist bequem, hat aber den Haken, dass man, wenn der Papst stirbt, von einem Tag auf den anderen seinen Wohnsitz räumen und einem papstwählenden Kardinal überlassen muss.
„Die Kanoniker von Sankt Peter wohnen auch im Vatikan, das sind meist ältere Priester, die besonders über die Feierlichkeit der Liturgien in der Basilika wachen sollen. Und wie gesagt Bischöfe und Kardinäle, die klarerweise Personal beschäftigen, Ordensschwestern oder andere Bedienstete. Diese erhalten auch immer anstandslos die Residenzerlaubnis."
Anstandslos die Residenzerlaubnis erhalten auch Kinder – die Kinder der Schweizergardisten nämlich, derzeit 17, außerdem die Knaben im Teenageralter, die im Petersdom ministrieren. Sie wohnen in einem „Preseminario" genannten Internat innerhalb der Vatikan-Mauern.
Beim Aufstieg auf den Vatikanhügel in den Gärten fällt, gleich hinter dem Petersdom, ein etwas isoliert liegendes, sehr idyllisches Gebäude in den Blick, das so genannte Gärtnerhaus Diese Bleibe hat nun einen neuen Mieter bekommen, weiß Bischof Corbellini:
„Früher hat der Chefgärtner hier gewohnt. Jetzt nicht mehr. Sein Häuschen, ein sympathisches mittelalterliches Bauwerk mit einem kleinen Turm, wurde dem Chefredakteur des Osservatore Romano zugewiesen. Der jetzige Chefgärtner wohnt in Castelgandolfo, auch dort gibt es ja päpstliche Gärten. Und jeden Morgen kommt er zur Arbeit hierher."
Miete wird im Vatikan keine bezahlt, weil es sich durch die Bank um Dienstwohnungen handelt. Muss das Badezimmer neu gemacht werden, ist das Sache des Governatorates. Geht nur der Wasserhahn kaputt, ruft man auf eigene Kosten den Klempner, muss ihn aber bei der Gendarmerie anmelden und hoffen, dass er zum vereinbarten Zeitpunkt kommt. Denn:
„Wenn man Besuch erhält, muss diese Person etliche Kontrollpunkte von Schweizergarde und Gendarmerie durchlaufen. Die Gendarmerie lässt sie nur dann durch, wenn der Gastgeber auch von diesem Besucher weiß und einverstanden ist."
Kurz: Wer gerne spontane Gäste hat, ist im Vatikan weniger gut aufgehoben. Und wer selbst einmal nach Mitternacht, womöglich nach einer fröhlichen Geburtstagsparty, nach Hause kommt, kann das nicht ungesehen tun, sondern muss einen von zwei Bereitschaftsposten der Schweizergarde passieren. Bischof Corbellini wird leise:
„Unter uns gesagt, die bequemsten Wohnungen im Vatikan sind die in der Glaubenskongregation, denn dieser Palazzo hat ein Tor in den Vatikan und eines nach Italien!"

Vatikanische Staatsbürgerschaft
Nicht jeder, der im Vatikan wohnt, ist deswegen schon Vatikan-Bürger. Die vatikanische – unter Anführungszeichen – Staatsbürgerschaft ist im Regelfall eine zweite Staatsbürgerschaft neben der ursprünglichen, die beibehalten wird.
„Nach dem jetzigen Recht sind Vatikanbürger: alle Kardinäle, die im Vatikan und in Rom wohnen. Das war schon früher im Lateran-Vertrag so geregelt. Weiters die Diplomaten des Heiligen Stuhles. Außerdem jene, die im Vatikanstaat wohnen, insofern sie hier Dienst leisten und die Staatsbürgerschaft annehmen möchten, und auch die Ehepartner und Kinder dieser Personen".
Vatikanische Staatsbürger können sich derzeit 572 Personen nennen. Nur sie erhalten den vatikanischen Pass. Wobei es „den vatikanischen Pass" streng genommen nicht gibt, denn der Papststaat stellt vier verschiedene Typen von Pässen aus. Das Governatorat für diejenigen, die im Vatikanstaat residieren. Das Staatssekretariat hingegen macht Diplomatenpässe sowie Dienstpässe, entweder permanente oder zeitlich begrenzte für bestimmte Missionen. Die Pässe, die das Staatssekretariat ausstellt, tragen auf der Titelseite keinen Staatsnamen, sondern bloß das Wappen des Heiligen Stuhles. Vatikan-Pässe sind Dokumente mit integriertem Mikrochip, die den neuesten internationalen Sicherheitsnormen folgen.

Zutritt zum Vatikan
Ein beträchtlicher Teil des Vatikanstaates ist für Jedermann fast ohne Wenn und Aber zugänglich: Der Petersplatz immer außer nachts, der Petersdom nach einer Sicherheitskontrolle und die Vatikanischen Museen nach dem Lösen einer Eintrittskarte. Rund 18 Millionen Menschen besuchten nach Angaben der Vatikan-Gendarmerie 2010 den Petersdom. An den Gottesdiensten mit dem Papst und den Generalaudienzen nahmen im selben Jahr 2.270.000 Personen teil. Die Museen wollten 4.600.000 Besucher sehen. Doch auch in den etwas „exklusiveren" Teil des Vatikans drängen immer mehr Leute, gerne auch mit dem Wagen. 2010 registrierte die Gendarmerie 2.100.000 eingelassene Vehikel. Nicht gerechnet die Fußgänger. Corbellini:
„Bürger und Residierende haben uneingeschränkt Zutritt. Alle Angestellten erhalten einen Ausweis, außerdem können auch andere Personen eingelassen werden, die in den Büros zu tun haben. Wenn sie öfter dienstlich kommen, bekommen sie ebenfalls einen Ausweis. Auch das diplomatische Personal aus dem Ausland, das beim Heiligen Stuhl akkreditiert ist, hat Zugang zum Vatikan. Sei es für Kontakte mit Büros oder aus anderen Gründen."
Sehr beliebt unter diesen anderen Gründen: Das Vatikan-Kaufhaus. Es ist im repräsentativen Bahnhofsgebäude untergebracht, und bei der Fahrt dorthin lässt sich die Schönheit der päpstlichen Gärten erahnen. Feilgeboten werden luxuriöse Markenkleidung von Armani bis Burberry, Taschen und Schuhe, Zigaretten, Parfum, Schmuck und Uhren, alles steuerfrei. Gedacht waren diese Angebote ursprünglich, selbst wenn sie in einem gewissen Widerspruch zu den bescheidenen Vatikangehältern stehen, für Angestellte und ihre Familien. Diese dürfen auch im staatseigenen Supermarkt, der so genannten „Annona", einkaufen und an zwei Tankstellen steuerfreies Benzin zapfen – was sich lohnt.
„Nun, das Benzin ist wirklich billig. Ich muss sagen, es war früher noch billiger, 33 Prozent unter dem Niveau Italiens. Heute sind es nur 20 Prozent – um die Kassen des Staates zu begünstigen. Der Vatikan-Supermarkt hingegen ist nicht günstig. Klarerweise können wir nicht mit Großmärkten konkurrieren. Wir kaufen 10.000 Flaschen Öl, eine Supermarktkette kauft 10 Millionen. Bei uns setzt man auf Qualität. Es soll Leute geben, die nur dann Fleisch essen, wenn es aus dem Vatikan kommt!"
Nobel-Kaufhaus, Tankstelle, Supermarkt: Hier nimmt der Vatikanstaat den Vorwurf der Geschäftemacherei in Kauf. Monsignor Corbellini ruft in Erinnerung, dass man ja auch hohe Kosten habe.
„Denken wir nur, was es jedesmal kostet, den Petersplatz für eine Generalaudienz herzurichten. Da kommen ja nicht hundert Personen, sondern 12.000. Jede Woche die Stühle hin- und wieder wegzustellen, das sind jedesmal Zehntausende Euro. Alle Feiern im Petersdom bezahlt der Vatikanstaat, mehr noch, immer wenn der Papst sich im Vatikan aufhält, sind alle Ausgaben zu Lasten des Governatorates. Andererseits sind diese Einkaufsmöglichkeiten für die Angestellten ein großer Vorteil, zeitlich wie wirtschaftlich. Andernfalls bestünde nicht dieser brennende Wunsch nach unserem Ausweis für die Einkäufe, besonders fürs Benzin. Im Übrigen bemühen sich die Leute oft um diesen Ausweis und haben gar nicht die Absicht, ihn zu benutzen. Der Vatikan-Ausweis ist ein Statussymbol!" (rv)