Senegal: Kardinal schimpft auf die Weltbank

Fünfzig Jahre Unabhängigkeit – das wurde in den letzten Tagen im Senegal gefeiert. Nicht so richtig enthusiastisch wirkt der Erzbischof von Dakar, Kardinal Adrien Sarr, wenn man ihn auf dieses Thema anspricht:

„Ich nenne das fünfzig Jahre Unabhängigkeit mit gemischtem Ergebnis… denn wenn wir zurückschauen, ist unser Enthusiasmus nicht besonders groß. Wir haben viele Fehler gemacht; andere haben unsere Schwäche und Unschlüssigkeit ausgenutzt – das hätten wir vermeiden können, wenn wir wachsamer und selbstverantwortlicher gewesen wären. Und wenn wir uns mehr um das Gemeinwohl gekümmert hätten als um das Wohl einiger Personen oder Gruppen!“

Mehr Wachsamkeit hätte sich der Kardinal vor allem beim Umgang der Regierenden mit der Weltbank gewünscht. Die konnte im Senegal ein Programm durchsetzen, das – so glaubt Sarr – das Land in den letzten Jahrzehnten ausgelaugt hat.

„Es wird heute immer deutlicher, dass die Afrikaner zu schwach waren und einfach andere für sich selbst denken ließen. Das Weltbank-Programm für den Senegal zum Beispiel: Es hat zwar den öffentlichen Haushalt ins Lot gebracht, aber es hat gleichzeitig das Land für eine Weile gelähmt, und das Ergebnis ist, dass das Volk nach zwanzig Jahren Laufzeit dieses Programms dermaßen erschöpft ist, dass das die regierenden Sozialisten die Macht gekostet hat. Das ist ein Beispiel dafür, dass die Afrikaner sich jetzt mal selbst den Kopf zerbrechen müssen, was für ihr jeweiliges Land das Richtige ist. Das kann man sich nicht mehr vom Ausland diktieren lassen: Ihr tut jetzt dies, ihr tut jetzt das – und man fühlt sich wie eine Schulklasse.“

Allerdings – es gilt nicht, jetzt nur aufs Ausland zu schimpfen, oder alle Übel den früheren Kolonialherren anzulasten, wie man das in anderen Staaten Afrikas gerne macht.

„Die negativen Punkte lassen sich nicht nur dem Ausland anlasten – auch wir haben unseren Anteil daran. Wir müssen zunächst einmal unsere eigene Verantwortung anerkennen! Wir sind selbst unseres Glückes Schmied, und wir tragen auch als allererste die Verantwortung für Missstände in unserer Gesellschaft wie etwa die Korruption, den Egoismus, oder dass man das Wohl seiner Familie oder Gruppe über das der Allgemeinheit stellt…“

„Wie das die Afrika-Synode formuliert hat: Steh auf, geh umher und nimm dein Schicksal in die eigene Hand, Afrika!“

Dieser Appell der Weltbischofssynode zum Thema Afrika, die im letzten Herbst im Vatikan stattgefunden hat, ist auch der Tenor eines Hirtenbriefes der Bischöfe des Senegal zu 50 Jahren Unabhängigkeit.

„Wir wollten vor allem die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, die sich mit den 50-Jahr-Feiern der Unabhängigkeit des Senegal bietet – um unsere Landsleute aufzurufen, einen ehrlichen Blick zurückzuwerfen. Auf das Positive, aber auch das Negative, das es in diesen fünfzig Jahren gab. Damit man daraus jetzt Lehren für den Senegal der Zukunft ziehen kann. Durch eine glückliche Fügung fiel das Unabhängigkeitsfest vom 4. April diesmal genau mit dem Ostersonntag zusammen. Darum haben wir daran erinnert, dass die ersten Worte des auferstandenen Jesus an seine Jünger waren: Der Friede sei mit euch! Und davon ausgehend haben wir auch für den Senegal unsere Botschaft auf das Thema Frieden konzentriert.“

Damit meint Sarr zunächst einmal den Frieden zwischen den Religionen – ein Gebiet, auf dem der Senegal lange vorbildlich war. Im Land dominiert eine einheimische, mystisch geprägte und dialogbereite Spielart des Islam: die Muriden. Der erste Präsident Léopold Senghor, ein bekannter Denker der „Négritude“, war ein Katholik. Der Religionsfriede machte aus Sicht des Kardinals von Dakar überhaupt die Fortschritte möglich, die es im Senegal denn doch auch gegeben hat.

„Im schulischen Bereich hat es sichtbaren, wirklichen Fortschritt gegeben, auch im Gesundheitswesen und – mit Abstrichen – in der wirtschaftlichen Entwicklung: Die Senegalesen haben heute mehr Güter für ihr Leben zur Verfügung. Aber wir weisen mit Nachdruck darauf hin, dass sich der Fortschritt und der Frieden im Senegal dem Dialog verdanken: Dass wir verschiedene Ethnien sind bzw. verschiedenen Religionen angehören, hat den Frieden im Senegal nicht gestört. Es gibt einen realen Dialog zwischen Nachbarn oder am Arbeitsplatz: Wir betrachten uns in erster Linie als Menschen und als Senegalesen, bevor wir dann sagen, ich gehöre zu der oder der Ethnie bzw. Religion.“

„Mit ihren sozialen Einrichtungen trägt die Kirche viel zur Entwicklung des Senegal bei; wir haben Schulen, die Caritas in den einzelnen Bistümern, Programme für die Förderung von Frauen und Alphabetisierungsprogramme. Aber darüber hinaus liegt uns sehr daran, dass wir kompetente Laien an Schaltstellen in der Gesellschaft platzieren – und hier haben wir große Sorgen. Wir drängen die Laien dazu, mehr in den Parteien oder Gewerkschaften präsent zu sein, damit sie dabei sind, wenn Entscheidungen über die Zukunft des Senegal getroffen werden. Wenn uns das besser gelänge, könnte die Kirche effektiver und mehr für die Gesellschaft tun…“ (rv)

Norwegen: Missbrauchsfall „ordnungsgemäß“ bearbeitet

Der Vatikan hat die Missbrauchsvorwürfe gegen den ehemaligen Bischof von Trondheim bestätigt. Der aus Deutschland stammende Georg Müller war wegen des Missbrauchs an einem minderjährigen Ministranten bereits im vergangenen Jahr zurückgetreten. Der Missbrauch habe sich Anfang der neunziger Jahre ereignet und sei der Kirche im Januar 2009 bekannt geworden, schreibt Vatikansprecher Federico Lombardi in einem Kommuniqué, das an diesem Mittwoch veröffentlicht wurde. Der Fall sei im Auftrag der Glaubenskongregation von der Nuntiatur in Stockholm schnell aufgenommen und untersucht worden, so Lombardi weiter. Im Anschluss an die Entpflichtung von seinen Ämtern im Juni 2009 habe sich Müller einer Therapie unterzogen und sei nicht mehr pastoral tätig gewesen. – Nach norwegischem Strafrecht ist der Fall verjährt. Das heute volljährige Opfer wollte bisher anonym bleiben. Es handelt sich um den ersten bekannten Missbrauchsfall in der katholischen Kirche in Norwegen. (rv)

Chile: Vatikan-Kardinal zu Besuch

„Viva Chile!" Mit diesen Worten ist die Nummer Zwei des Vatikans in Chile eingetroffen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone soll dort den Opfern des jüngsten Erdbebens die Solidarität des Papstes ausdrücken; er bleibt bis nächsten Mittwoch. Seinen ersten Termin hatte der umgängliche Kardinal an diesem Mittwoch im Präsidentenpalast.

„Der Heilige Stuhl hat mit großer Genugtuung die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der scheidenden und der neugewählten Regierung beobachtet, beim Übergang der Regierungsverantwortung wie beim Erdbeben-Notstand. Ich habe der chilenischen Führung die Bereitschaft der katholischen Kirche versichert, über ihre internationale Caritas wie über das Netz der Pfarreien weiterhin den am meisten Betroffenen nahe zu sein."

„Kardinal Bertone ging es bei seinem Treffen mit der Staatsspitze wohl vor allem darum, dass die Kirche im Erdbebengebiet weiter als wichtiger Faktor für Hilfe und Wiederaufbau angesehen wird." Das sagt Ramon Abarca, der Sprecher des Erzbistums Santiago. „An diesem Freitag ist Bertone in der Stadt Concepcion – dieses Bistum wurde vom Erdbeben am meisten betroffen. Der Kardinal trifft dort viele Opfer und Helfer, und er feiert eine Messe auf der „Plaza de Armas". Ab Samstag ist er dann wieder in Santiago."

„Am wichtigsten wird am Sonntag die „Fiesta de Cuasimodo", ein sehr populäres Fest, an dem Bertone teilnimmt. Und dann trifft er am Sonntag Nachmittag alle Bischöfe von Chile und überreicht ihnen ein Marienbild, das ihnen der Papst schenkt – dieses Marienbild soll anschließend bei den 200-Jahr-Feiern Chiles eine Rolle spielen."

Venezuela, Mexiko, Kolumbien – das sind Länder, die mit Chile zusammen in diesem Jahr zwei Jahrhunderte Unabhängigkeit feiern: bicentenario. Die Haupt-Feiern in Santiago sind für den 25. Mai vorgesehen. Chiles Kirche bereitet das auf ihre Weise vor:

„Das Bild Mariens wird zusammen mit einem Evangeliar, das uns der Papst ebenfalls schenkt, von Santiago aus sofort an zwei oder drei Orte gebracht, die vom Erdbeben am meisten betroffen wurden", sagt Cristian Prescht. Er ist der Chile-Koordinator der „mision continental". „Es kommt u.a. auf eine Insel, die nach dem Beben einen furchtbaren Tsunami erlebt hat. Und im Anschluß daran geht das Marienbild dann auf eine nationale Wallfahrt von Süd nach Nord – überallhin, wo es die Ortskirche wünscht. Dabei wird immer für Chile gebetet werden. Und wir werden immer wieder um einen Tisch sitzen und gemeinsam aus diesem Evangeliar lesen – damit wir uns bei dieser Wallfahrt nicht nur ins Marienbild verlieben, sondern auch das Wort Gottes in diePraxis umsetzen!"

Bertone erzählt, der Papst habe ihm noch am Ostersonntag viele Grüße an Kirche und Volk in Chile aufgetragen.

„Die Feiern zu zweihundert Jahren Bestehen des chilenischen Staates werden sicher eine gute Gelegenheit, die fundamentalen Werte dieses Landes und seiner Bevölkerung neu herauszuarbeiten. Viele dieser Werte sind in diesem Moment des Schmerzes deutlich geworden." (rv)

D: Ansturm auf kirchliche Missbrauchs-Hotline

Die seit letztem Dienstag frei geschaltete Beratungs-Hotline der katholischen Kirche zu sexuellem Missbrauch hat bisher einen regelrechten Ansturm erlebt. Insgesamt 13 293 Anrufsversuche seien in der vergangenen Woche registriert worden. Das gab der Sprecher des Bistums Trier, Stephan Kronenburg, im Interview mit dem Kölner Domradio an. Die zuständigen Psychologen und Sozialpädagogen hätten Dienstag, Mittwoch und Donnerstag allein 394 Beratungsgespräche geführt, die zwischen fünf Minuten und einer Stunde gedauert hätten. Dass es sich um ein kirchliches Angebot handelt, sei für die Menschen anscheinend kein Problem. Kronenburg:

„Wir sind überrascht, dass so viele Menschen anrufen. Es gab im Vorfeld ja Befürchtungen oder teilweise sogar Kritik sowie die Frage: Kann die Kirche ein solches Angebot überhaupt machen? Werden sich Menschen, die von Mitarbeitern der Kirche missbraucht wurden, überhaupt an ein solches kirchliches Angebot wenden? Da sieht man jetzt doch schon nach den ersten Tagen deutlich, dass diese Befürchtung oder Kritik so nicht zutreffend ist. Es gibt offensichtlich viele Menschen, die fast auf dieses Angebot gewartet haben. Mit einem Ansturm in dieser Größenordnung haben wir so nicht gerechnet."

Die unabhängige Missbrauchsbeauftragte des Jesuitenordens, die Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue, hatte nach der DBK-Sitzung zum Thema Missbrauch Beratungsangebote gefordert, die von der Kirche unabhängig sind. Auch sie erhält seit Wochen Anrufe von hunderten Missbrauchsopfern. Bei der Hotline der deutschen Bischofskonferenz bemühe man sich um einen differenzierten Zugang, so Kronenberg. So unterscheide man zwischen Beratungen zu sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt.

„Es sind im Wesentlichen Missbrauchsopfer, aber auch Angehörige von Opfern, die dann aus der familiären Situation berichten. Was wir ebenfalls festgestellt haben, ist, dass es nicht nur Missbrauchsopfer sind, die sich melden, sondern dass sich auch Opfer von Misshandlungen an die Hotline wenden. Da geht es um Misshandlungen im Heimbereich und in Internaten. Wir verweisen dann allerdings an die eigene Hotline, die es seit einiger Zeit dafür gibt. Die Grenzen sind da natürlich fließend oder können nicht immer genau definiert werden. Aber unsere Berater versuchen einzuschätzen, ob sie oder die anderen Kollegen die richtigen Ansprechpartner sind."

Kronenburg bat um Verständnis dafür, dass aufgrund der Vielzahl der Anrufe nicht jeder durchgekommen sei. Wer seine Telefonnummer hinterlasse, werde aber auf jeden Fall zurückgerufen. Aufgrund des Andrangs habe man die Zahl der Berater aufgestockt, so der Bistumssprecher. Viele verschiedene Formen von Missbrauch seien aufzuarbeiten. So berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" an diesem Donnerstag, dass an der Odenwaldschule in Südhessen offenbar bis in die neunziger Jahre hinein auch Schüler durch Schüler sexuell misshandelt oder in brutalen Ritualen gedemütigt worden seien. Ein ehemaliger Lehrer der Schule soll dabei in mindestens einem Fall nicht eingegriffen haben. Durch die neuen Fälle sei die Zahl der Missbrauchsfälle an der Schule von 33 auf etwa 40 gestiegen, so das Blatt. – Die kostenlose Hotline ist dienstags, mittwochs und donnerstags von 13.00 bis 20.30 Uhr unter der Nummer 0800 / 120 1000 erreichbar. Auch Täter können sich dort melden. Im Internet wird Beratung unter hilfe-missbrauch.de angeboten. (rv)