Italien: Am Samstag ist es soweit

Am Samstag ist es soweit: Dann beginnt die seltene, öffentliche Ausstellung des Turiner Grabtuchs – des legendären Leinengewebes also, das viele für einen direkten Zeugen von Tod und Auferstehung Jesu halten. Rund 1,4 Millionen Besucher haben sich bisher angemeldet für die Ausstellung, die bis zum 23. Mai im Turiner Dom stattfindet. Der weitaus grösste Teil der Anmeldungen kommt mit 93 Prozent aus Italien. Insgesamt rechnet das Erzbistum Turin bis zum Ende der Ausstellung mit 1,5 bis 1,8 Millionen Pilgern. Am 2. Mai wird auch Papst Benedikt XVI. in der norditalienischen Industriestadt erwartet. Aber sein Besuch bedeutet keine Aussage darüber, ob das meterlange Linnen nun wirklich Jesu Grabtuch war oder nicht. Die Kirche nimmt dem Stoff gegenüber eine „sehr vorsichtige“ Haltung ein, sagt der Vorsitzende der zuständigen Diözesankommission, Giuseppe Ghiberti.

„Auf der einen Seite erlaubt die Kirche eine Verehrung – auch weil sie das Evangelisierungs-Potential des Grabtuches wahrnimmt. Auf der anderen Seite steht aber das Wort Johannes Pauls II., dass man der Wissenschaft lassen muss, was ihr gebürt: Dass also die Wissenschaft die Antwort auf die zwei berühmten Fragen der Sindonologie geben muss. Die erste Frage ist die nach dem Alter des Tuches, die zweite betrifft die Art und Weise, in der darauf dieses mysteriöse und bislang nicht nachahmbare Abbild aufgetreten ist. Innerhalb einer autonomen religiösen Betrachtung steht vor jeder wissenschaftlichen Erklärung fest, dass die Kreuzigungswunden des Mannes auf dem Grabtuch mit den Passionsberichten der Bibel übereinstimmen. Zugleich ist aber ein solcher vorwissenschaftlicher Zugang nicht antiwissenschaftlich; von der Forschung erwartet man sich eine Erhellung, die augenblicklich noch nicht vollständig ist.“

Das Negativbild des Grabtuches zeigt Antlitz und Umrisse eines gekreuzigten Mannes mittleren Alters. Sein Körper weist Verletzungen auf, die der in der Bibel beschriebenen Geisselung Jesu, der Dornenkrönung und dem Lanzenstich entsprechen. Das Grabtuch wird seit 1578 in Turin aufbewahrt. Sein Ursprung liegt im Dunkeln. Einige Wissenschaftler nehmen an, dass es sich bis zur Plünderung durch die Kreuzfahrer 1204 in Konstantinopel befand. Über das Alter des Leinen streiten sich Fachleute bis heute.

„Das Grabtuch ausgestellt zu sehen, ist nichts Schönes oder Erhebendes – man sieht da nur ein Schauspiel des Leidens. Je genauer man hinsieht, umso verstörender ist es… Aber es ist dann auch wieder tröstlich, wenn man sieht, wie viele Betrachter Tränen in den Augen haben. Das ist nicht nur oberflächliche Emotion, sondern es zeigt uns, dass man über dieses Zeichen sehr stark ins Gespräch mit dem Geheimnis unserer Erlösung eintreten kann.“

Das Turiner Grabtuch ist erstmals seit zehn Jahren wieder öffentlich zu sehen. Anmeldungen sind online über die Internetseite www.sindone.org in deutscher Sprache möglich. Während der Ausstellung können sich Besucher zudem bei einer Anlaufstelle vor dem Turiner Dom kurzfristig registrieren lassen. (rv)

Vatikan: „Jetzt Kurs halten“

Von neuem hat sich der Vatikan zum Thema Missbrauch zu Wort gemeldet: In einer langen Erklärung geht Papstsprecher Federico Lombardi an diesem Freitag auf Vorwürfe gegen den Papst und die Kirche ein. Der Jesuitenpater betont im Auftrag Benedikts XVI., dass „Wahrheit und Frieden für die Opfer“ jetzt die Priorität der Kirche sind. Wir dokumentieren hier die Erklärung Lombardis in vollem Wortlaut in unserer eigenen Übersetzung.

„Die Debatte über sexuellen Missbrauch (nicht nur) durch Kleriker geht weiter, mit Nachrichten und Kommmentaren unterschiedlichen Tenors. Wie kann man in diesen aufgewühlten Wassern dennoch klaren Kurs halten, nach der Maßgabe des Evangeliums „Duc in altum – Fahr weit hinaus“?

Vor allem, indem man sich weiterhin um Wahrheit und Frieden für die Opfer bemüht. Etwas, was uns stark berührt, ist, dass heute soviele innere Wunden ans Licht kommen, die teilweise vor vielen Jahren geschlagen wurden – manchmal vor Jahrzehnten – und die doch immer noch offen sind. Viele Opfer wollen keine Entschädigung, sondern innere Hilfe, ein Urteil in ihrer schmerzlichen, persönlichen Angelegenheit. Das ist etwas, was wirklich noch verstanden werden muss. Vielleicht müssen wir Geschehnisse, die so negativ auf das Leben von Personen, der Kirche und der Gesellschaft gewirkt haben, noch tiefer begreifen. Dafür sind auf kollektiver Ebene der Hass und die Gewalt der Konflikte zwischen Völkern ein Beispiel: Auch hier sehen wir, wie schwer es ist, sie zu überwinden und zu wahrer Versöhnung zu kommen. Die Missbräuche schlagen tief im Innern der Persönlichkeit Wunden; darum haben die Bischofskonferenzen richtig gehandelt, die den Opfern mutig Wege und Orte geschaffen haben, bei denen sie sich frei äußern können und wo man ihnen zuhört – ohne dass man jetzt glauben könnte, das Problem wäre schon angegangen und erledigt durch die Gesprächsmöglichkeiten, die es schon seit einiger Zeit gibt… Auch die Bistümer und einzelnen Bischöfe haben richtig gehandelt, die den Opfern auf väterliche Art geistliche, liturgische und menschliche Hilfe leisten. Es scheint deutlich, dass die Zahl neuer Anzeigen wegen Missbrauchs sinkt, wie wir es in den USA erleben; aber für viele beginnt der Weg der tiefen inneren Heilung erst jetzt, und für andere hat er noch gar nicht begonnen. Was die Hilfe für Opfer betrifft, hat der Papst schriftlich seine Bereitschaft zu weiteren Begegnungen mit ihnen gezeigt und sich zum Weg der ganzen kirchlichen Gemeinschaft bekannt. Aber das ist ein Weg, der noch mehr Respekt vor den Personen und noch mehr Suche nach Frieden verlangt, wenn er wirklich tiefe Wirkungen zeitigen soll.

Abgesehen von der Hilfe für die Opfer gilt es außerdem, weiter mit Entschiedenheit und Aufrichtigkeit die korrekten Prozeduren der kanonischen Verurteilung der Täter und der Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden – soweit es in ihre Justiz- und Strafkompetenz fällt – anzuwenden. Dabei muss man natürlich die Besonderheiten der Normen und Situationen in den verschiedenen Ländern beachten. Nur so kann man hoffen, wirklich ein Klima der Gerechtigkeit und des vollen Vertrauens in die kirchliche Institution wiederherzustellen. Es hat Fälle gegeben, in denen Verantwortliche der Gemeinschaft oder von Einrichtungen – aus Unerfahrenheit oder mangelhafter Ausbildung – nicht die Kriterien präsent hatten, die ihnen helfen können, mit Entschlossenheit auch dann einzugreifen, wenn das für sie sehr schwierig oder schmerzlich sein kann. Aber während das bürgerliche Recht mit allgemeinen Normen vorgeht, muss das kanonische immer berücksichtigen, wie sehr ein Vertrauensbruch durch Personen mit Verantwortung in der kirchlichen Gemeinschaft doch moralisch schwerwiegend ist und welch flagranter Widerspruch doch zu der Lebensweise besteht, die sie eigentlich haben müssten. In diesem Sinne sind Transparenz und Strenge dringend notwendig, um von einer weisen und gerechten Führung der Kirche zu zeugen.

In diesem Zusammenhang ist die Ausbildung und Auswahl der Priesteramtskandidaten und, allgemeiner noch, des Personals an Schul- und Seelsorgseinrichtungen die Voraussetzung für eine effiziente Prävention von möglichen Missbrauchsfällen. Zu einer gesunden Reife der Persönlichkeit zu kommen, auch in sexueller Hinsicht, war immer schon eine schwierige Herausforderung; aber heute ist sie es noch mehr, auch wenn bessere psychologische und medizinische Kenntnisse eine große Hilfe bei der geistlichen und moralischen Ausbildung bedeuten. Jemand hat darauf hingewiesen, dass in der heißesten Periode der „sexuellen Revolution“ in den letzten Jahrzehnten die Frequenz von Missbrauchsfällen größer war. Bei der Ausbildung muss man auch diesen Kontext berücksichtigen und den noch weiteren Kontext der Säkularisierung. Im wesentlichen geht es darum, Sinn und Bedeutung der Sexualität, der Keuschheit und der affektiven Beziehungen in der Welt von heute in sehr konkreter Form, nicht nur indirekt oder abstrakt, wiederzuentdecken und neu zu betonen. Welche Quelle der Unordnung und des Leids kann doch seine Verletzung oder Unterschätzung bedeuten! Wie der Papst an die Iren schreibt, kann ein christliches und priesterliches Leben heute nur dann dem Anspruch seiner Berufung Genüge tun, wenn er sich wirklich an den Quellen des Glaubens und der Freundschaft mit Christus nährt.

Wer die Wahrheit und die objektive Einschätzung der Probleme will, wird sich Informationen für ein umfassenderes Verständnis des Problems der Pädophilie und des Missbrauchs an Minderjährigen in unserer Zeit und in einzelnen Ländern zu verschaffen wissen und dabei auch Ausmass und Verbreitung des Phänomens verstehen. Er wird dann auch besser verstehen, dass die katholische Kirche mit diesem Problem keineswegs allein dasteht, dass es aber für sie etwas besonders Schwerwiegendes bedeutet und spezifische Lösungsansätze verlangt – und dass die Erfahrung, die die Kirche auf diesem Gebiet derzeit macht, auch für andere Einrichtungen oder für die ganze Gesellschaft nützlich werden kann. In dieser Hinsicht scheint es uns doch so, als hätten die Medien noch nicht genug gearbeitet, vor allem in den Ländern, in denen die Präsenz der Kirche größere Relevanz hat und in denen sich daher leichter die Kritik auf sie fokussiert. Aber Dokumente wie der US-Bericht über Kindesmisshandlung würden doch verdienen, stärker verbreitet zu werden, damit sich begreifen lässt, auf welchen sozialen Gebieten dringend eingegriffen werden sollte und was die Proportionen der Probleme sind. Allein 2008 wurden in den USA über 62.000 Täter von Missbrauch an Minderjährigen bekannt; der Anteil katholischer Priester daran ist so gering, dass er noch nicht einmal als solcher in dem Bericht ausgewiesen wird.

Das Engagement für den Schutz von Kindern und Jugendlichen ist also ein weites und unerschöpfliches Feld, weit über das Problem hinaus, das einige Mitglieder des Klerus betrifft. Wer seine Kräfte hier mit Sensibilität, Großzügigkeit und Aufmerksamkeit einsetzt, verdient Dankbarkeit, Respekt und Ermutigung von allen, vor allem von den kirchlichen und zivilen Autoritäten. Ihr Beitrag ist essentiell für die Glaubwürdigkeit ihrer Schul- und Erziehungsarbeit von Jugendlichen, in der Kirche und außerhalb. Mit Recht hat der Papst für sie in seinem Brief nach Irland Worte großer Wertschätzung gefunden, wobei er natürlich an einen viel breiteren Horizont gedacht hat.

Benedikt XVI. ist ein kohärenter Führer auf dem Weg der Strenge und der Wahrhaftigkeit – er verdient allen Respekt und alle Unterstützung, die er derzeit aus allen Teilen der Kirche erfährt. Dieser Hirte ist dazu imstande, mit Geradheit und Sicherheit diese schwierige Zeit durchzustehen, in der es nicht an Kritik und unbegründeten Gerüchten fehlt. Man muss vorurteilsfrei sagen, dass dieser Papst oft von der Wahrheit Gottes und vom Respekt der Wahrheit gesprochen hat und dafür ein glaubwürdiger Zeuge geworden ist. Wir begleiten ihn und lernen von ihm die ständige Notwendigkeit, in der Wahrheit und in der Transparenz zu wachsen und den Blick für die schweren Probleme in der Welt offenzuhalten. Auf Teilwahrheiten oder angebliche Enthüllungen, die versuchen, seine Glaubwürdigkeit oder die anderer Einrichtungen und Personen der Kirche zu untergraben, antworten wir mit Geduld. In der Kirche, in der Gesellschaft, in der wir leben, im Reden und Denken brauchen wir diese geduldige und unbeirrte Liebe zur Wahrheit, wenn wir unseren Zeitgenossen dienen wollen, statt sie zu verwirren.“ (rv)