Welttreffen der Familien in Mailand: „Es hat zu tun mit Verbindlichkeit“

Etwa eine Million Menschen nimmt in diesen Tagen in der norditalienischen Metropole Mailand am VII. katholischen Welttreffen der Familien teil. Von Freitag bis Sonntag stößt auch Papst Benedikt XVI. dazu. Das Großereignis soll für das kirchliche Bild von Ehe und Familie werben – auch wenn Mailand nicht unbedingt der logischste Ort dafür ist. Walter Brand, Vorsitzender des Pfarrgemeinderates der deutschen Gemeinde, ist in Mailand aufgewachsen und sagt:

„Patchwork-Familien haben wir sehr viele – wahrscheinlich auch deshalb, weil die Stadt eine sehr weltliche ist. Viel Finanz, viele Familien, bei denen der Mann viel in der Welt herumarbeitet und nur zum Wochenende heimkommt."

Immerhin, auf dem Mailänder Messegelände geben jetzt die Familien den Ton an. Franz-Peter Tebartz-van Elst ist der Familienbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz; er sagte in Mailand unserem Korrespondenten Mario Galgano:

„Es vermittelt sich hier die Katholizität der Kirche: Familien aus allen Kontinenten der Erde, das ist ein sehr vitales und sehr lebendiges Zeugnis. Familien, die unter unterschiedlichen Konstellationen doch das Zeugnis geben, dass Familie Hauskirche ist, Kirche im kleinen. Kardinal Ravasi hat das heute morgen in einem sehr bewegenden Vortrag ja entfaltet, was das heißt: Familie als Haus, die Eheleute als Fundament, die Kinder als lebendige Steine, die vielen Räume, die es zu bewohnen und zu beleben gibt."

Kardinal Gianfranco Ravasi leitet den Päpstlichen Kulturrat. Er stammt aus der Lombardei und hat das Mailänder Treffen eröffnet, zusammen mit dem Erzbischof der Stadt, Kardinal Angelo Scola. Beim Weltfamilientreffen muss Bischof Tebartz-van Elst aus Limburg seine Sprachkenntnisse aufpolieren, denn:

„Es fällt auf, dass Familien vor allem aus den spanischsprechenden Ländern, aus Latein- und Mittelamerika, hier vertreten sind. Das macht mir bewußt, dass ein so großartiges Treffen wie dieses auch bei uns in Deutschland noch mehr Aufmerksamkeit finden muss, um in den kommenden Jahren mehr Familien dort hinzuführen, denen eine solche Stärkung durch gegenseitigen Austausch sehr gut tun würde."

Aber immerhin seien ja die Familien-Verantwortlichen der deutschen Ordinariate und Generalvikariate in Mailand dabei, die trügen ja die Ergebnisse dann in die deutschen Bistümer hinein. Bischof Tebartz-van Elst:

„Es gibt ja bei jungen Menschen eine große Sehnsucht danach, gelingende und stabile Ehe und Familie zu erleben; in diesem Sinne ist es, glaube ich, gut, wenn man von Familien und Eheleuten mitbekommt, wie sie eben diese Berufung leben und wie sie Schwierigkeiten überwinden aus der Kraft des Glaubens heraus. Nichts trägt und belebt so sehr wie das gelebte Zeugnis! Das braucht mehr Raum, das muss sich mehr entfalten können."

Das Gastgeberland Italien ist schon seit vielen Jahren ein Schlußlicht in der EU-Geburtenstatistik. Das liegt vor allem an der Wirtschaftskrise, die hier schon länger spürbar ist als anderswo und jetzt mit neuer Härte zuschlägt, so der Deutsch-Mailänder Walter Brand:

„Besonders diese letzte Krise ist nicht nur für die ärmeren Schichten sehr schwer: Viele steuerliche Maßnahmen zielen auf die Mittelschicht, die eigentlich so eine Stadt wie Mailand aufrechterhalten hat, diese Mittelschicht ist jetzt betroffen. Diese Schicht war nicht wohlhabend, hat aber einigermaßen gut gelebt; plötzlich sind einer oder zwei aus der Familie arbeitslos, und da geht es wirklich an die Reserven."

Der 52-jährige Brand, heute Vater von fünf Kindern zwischen 15 und 26 Jahren, weiß, dass viele junge Paare in italienischen Großstädten sich heute Kinder schlicht nicht leisten können. Überhaupt sei es anstrengend, Kinder in einem solchen Moloch großzuziehen:

„Mailand als Großstadt hat natürlich die ganzen Hindernisse und Gefahren der Großstädte: Viele Menschen, viel Verkehr. Andererseits gibt es durchaus guten Service für Familien, also Schulen, Freizeitmöglichkeiten, Sport, da wird sehr viel angeboten. Wahrscheinlich mehr als in anderen Städten."

Zurück aufs Messegelände: Der Bischof von Limburg hat den Eindruck, dass die Krise von Ehe und Familie heute vielleicht auch zusammenhängt mit der Krise der Berufungen, die die Kirche in den meisten Teilen Europas erlebt.

„Es hat zu tun mit der Verbindlichkeit. Wir beobachten da, wo es Familien gibt, die wirklich in dieser inneren Gebundenheit an Gott Verbindung untereinander gestalten und damit Verbindlichkeit leben, dass aus solchen Keimzellen des Glaubens auch Priesterberufungen und Berufungen fürs gottgeweihte Leben erwachsen. Das hängt zusammen. Insofern ist die Sorge für Ehe und Familie so wichtig – auch im Hinblick auf den geistlichen Nachwuchs."

Der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, beklagte an diesem Donnerstag bei einem Vortrag in Mailand den „demographischen Winter in Europa". Die Euro-Retter müßten längerfristig mehr auf Familien setzen, denn „mit mehr Konsum und weniger Kindern lassen sich unsere Länder auf Dauer nicht retten", so der Kardinal. Die Kirche sei keineswegs „monothematisch auf das Thema Familie fixiert". Sie mache aber darauf aufmerksam, dass die Familie „die einzige anthropologische Struktur ist, die uns sowas wie Zukunftspläne erlaubt". (rv)

Kardinäle bekräftigen ihre Treue zum Papst

Angesichts der Kreise, die die sogenannte Vatileaks-Affäre zieht, bekräftigen viele italienische Kardinäle in den Medien ihre Treue zu Papst Benedikt. „Lassen wir den Papst in Ruhe – er wird nicht zurücktreten, warum sollte er auch": Das erklärte Kardinal Ersilio Tonini in einem Zeitungsinterview. „Ich verstehe nicht, warum derzeit irgendwelche Schlaumeier mit Dreck werfen", so der Kardinal wörtlich. Allerdings könne er in der ganzen Angelegenheit auch „nichts Tragisches erkennen, keinerlei Drama". Zu den Berichten, der Kammerdiener des Papstes habe Briefe von Benedikts Schreibtisch kopiert und an Journalisten weitergegeben, sagte der frühere Erzbischof von Ravanna: „Also, ein bißchen Dummheit ist da mit Sicherheit auch im Spiel."

Kardinal Peter Turkson vom Päpstlichen Friedensrat gab gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ansa zu bedenken, die Auswahl von Mitarbeitern sei immer eine heikle Sache, da gehe es dem Vatikan wie anderen Regierungen. Der aus Ghana stammende Kardinal widersprach Analysen dieser Tage, im Vatikan sei eine Art Machtkampf zwischen italienischen Mitarbeitern im Gang. Es stimme nicht, dass es zuviel Italiener an der Kurie und im Kardinalskollegium gebe.

Kardinal Gianfranco Ravasi vom Päpstlichen Friedensrat erklärte, es gebe nicht zu leugnende Probleme im Vatikan, das sei „manchmal unvermeidlich". Er bedaure aber, dass in den Medien derzeit „ein Bild vom Heiligen Stuhl vermittelt wird, das nicht der Realität entspricht". Kardinal Francesco Coccopalmerio vom Päpstlichen Rat für Gesetzestexte gibt sich zuversichtlich, „dass die Kirche aus dieser Prüfung gereinigt hervorgehen wird". Kardinal Antonio Maria Vegliò vom Päpstlichen Migrantenrat spricht von einem „Moment der Trauer und des Durcheinanders"; er hoffe, dass die Untersuchungen „schnell zur Wahrheit vorstoßen". Allerdings sei der Vatikan „ein Schiff, das immer dazu imstande ist, geradeaus zu fahren".

Der deutsche Kardinal Walter Brandmüller wies gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" darauf hin, dass es schon immer in der Kirchengeschichte Geheimnisverrat und die Verbreitung geheimer Dokumente gegeben habe. So seien während des Ersten Vatikanischen Konzils 1870/71 Geheimpapiere in deutschen Publikationen wiedergegeben worden. Im 13. Jahrhundert habe sogar der französische König Philipp der Schöne einmal eine päpstliche Bulle gefälscht, um Papst Bonifaz VIII. zu diskreditieren. Brandmüller leitete früher das Päpstliche Komitee für Geschichtswissenschaften.

Der Leiter des Vatikanischen Pressesaals, Jesuitenpater Federico Lombardi, nahm „Vatikleaks" zum Anlaß einer richtiggehenden Medienoffensive. Den dritten Tag in Folge stellte er sich an diesem Donnerstag auf einer Pressekonferenz den Fragen von Journalisten zu den Irrungen und Wirrungen von „Vatileaks". Die formellen Ermittlungen gegen den Kammerdiener des Papstes halten allerdings noch an, bisher wisse man noch nicht viel, weitere Verhaftungen gebe es auch nicht. (rv)

Vatileaks: „Zweck heiligt nicht die Mittel“

In der Affäre um die Weitergabe vertraulicher Vatikandokumente setzt der Heilige Stuhl nun offenbar auf eine Medienoffensive. Vatikansprecher P. Federico Lombardi steht den Journalisten seit Montag täglich in einem Pressebriefing Rede und Antwort, die Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano" publiziert an diesem Mittwoch auf der ersten Seite ein langes Interview mit Erzbischof Angelo Becciu. Er ist als Substitut im Staatssekretariat etwas wie der „Innenminister" des Heiligen Stuhles. Ebenfalls am Mittwoch publizierte die römische Tageszeitung „Il Messaggero" ein Interview mit Vatikankardinal Angelo Comastri, der so wie Becciu Italiener ist. Ziel der vatikanischen Medieninitative ist es offenbar, die immer blumigeren Hypothesen italienischer und internationaler Medien über den Datenschwund in die Schranken zu weisen und die jeweils publizierbaren Fakten weiterzugeben, ohne andererseits den laufenden Ermittlungen vorzugreifen.

„Ich halte die Veröffentlichung der entwendeten Briefe für einen immoralischen Akt von unerhörter Schwere", sagte Erzbischof Becciu im „Osservatore". Dabei gehe es nicht bloß um die Verletzung der Privatsphäre des Papstes, sondern besonders auch jener Menschen, die sich vertraulich an ihn als Kirchenführer gewendet hätten, die also beispielsweise, ihrem Gewissen folgend, dem Papst ihre Anregungen und Proteste mitgeteilt hätten. „Wenn ein Katholik zum Papst spricht, ist er verpflichtet, sich zu öffnen wie vor Gott, auch weil ihm absolute Vertraulichkeit zugesichert ist", so Becciu wörtlich.

In vielen Zeitungs- und Internetartikeln ortete Becciu „eine grundlegende Scheinheiligkeit". Einerseits kritisiere man den absolutistischen Charakter der Regierung der Kirche, „andererseits erregt man sich darüber, dass Menschen, die dem Papst schreiben, ihre Ideen oder auch Klagen über die Art des Regierens" in der Kirche ausdrückten. Viele der vertraulichen Dokumente spiegelten nicht etwa Machtkämpfe oder Rachegelüste, sondern „genau jene Freiheit des Denkens", die die Kirche angeblich nicht zulasse. Im Vatikan verschiedene Ansichten zu haben, die auch deutlich voneinander abweichen können, sei „ziemlich normal": „Wir sind keine Mumien", so Becciu wörtlich. Gehorsam bedeute keineswegs, auf ein eigenes Urteil zu verzichten, sondern seine Sichtweise aufrichtig darzulegen, um sich dann nach der Entscheidung des Vorgesetzten zu richten. Das geschehe „nicht aus Berechnung, sondern aus Zugehörigkeit zur von Christus gewollten Kirche".

Gift, Grabenkämpfe, Verdächtigungen: ein solchese Klima erlebe er selbst im Vatikan nicht, fuhr Becciu fort. Dass dieses Bild vom Vatikan verbreitet sei, tue ihm leid. „Aber das muss uns zu denken geben und uns dazu bringen, ein Leben durchscheinen zu lassen, das mehr an der Frohen Botschaft ausgerichtet ist".

Nicht gelten ließ Becciu das Argument, die Veröffentlichung der Dokumente sollen nur für mehr Transparenz im Vatikan sorgen. Es könne keine „Erneuerung" geben, die das moralische Gesetz mit Füßen trete. „Das Ziel heiligt die Mittel, das ist kein christliches Prinzip", so der Erzbischof. Journalisten rief er dazu auf, „mutig auf Distanz zu gehen" zur „kriminellen" Initiative eines ihrer Kollegen. (rv)

Papst äußert sich zur Vatileaks-Affäre

Papst Benedikt XVI. hat sich an diesem Mittwoch zur so genannten „Vatileaks-Affäre" geäußert. Es ist das erste Mal, dass der Papst selbst zum Diebstahl vertraulicher Vatikan-Dokumente Stellung bezog; ein ungewöhnlicher Vorgang. Benedikt XVI. brachte seine Betrübtheit über die Vorfälle zum Ausdruck, zeigte sich aber zugleich zuversichtlich, dass die Mitarbeiter der Kirche wieder auf den rechten Weg zurückfänden. Der Papst sagte wörtlich:

„Die Ereignisse, die in diesen Tagen die Kurie und meine Mitarbeiter betreffend passiert sind, haben mein Herz mit Traurigkeit erfüllt. Es hat sich aber nie die feste Gewissheit getrübt, dass – trotz der Schwäche des Menschen, der Schwierigkeiten und der Proben – der Herr der vom heiligen Geist geführten Kirche seine Hilfe niemals fehlen lassen wird, um sie auf ihrem Weg zu unterstützen."

Deutliche Worte fand der Papst gegenüber einigen Medien, die über die Affäre berichtet hatten:

„Nichtsdestoweniger haben sich Behauptungen multipliziert, die durch einige Kommunikationsmittel aufgebauscht wurden und die völlig unbegründet waren; sie gingen weit über die Fakten hinaus. Sie haben ein Bild des Heiligen Stuhles wiedergegeben, das nicht der Realität entspricht. Ich möchte deswegen mein Vertrauen und meine Ermutigung gegenüber meinen engsten Mitarbeitern erneuern und gegenüber allen, die mir täglich mit Treue, Opferbereitschaft und in Stille helfen, mein Amt zu erfüllen." (rv)

Normen zum Umgang mit Visionen

Die vatikanische Glaubenskongregation hat über ihre Website und an diesem Dienstag über den Osservatore Romano die Übersetzung einer Richtlinie zum Umgang mit übernatürlichen Phänomenen veröffentlicht. Der Präfekt der Kongregation, Kardinal William Levada, erläutert in einem Artikel für die Vatikanzeitung die Gründe für diesen Schritt.
Zu den Aufgaben der Glaubenskongregation gehört neben der Förderung und dem Schutz der Glaubenslehre auch die Beschäftigung mit Fragen der Glaubenspraxis, etwa mit „Pseudo-Mystizismus, behaupteten Erscheinungen, Visionen und Botschaften, denen ein übernatürlicher Ursprung zugeschrieben wird", so Levada in seinem Artikel. Bei diesen übernatürlichen Phänomenen geht es um die Beurteilungen von Erscheinungen wie etwa der von Medjugorje, aber auch um private Offenbarungen und Visionen.

Bereits 1978 wurden diese Normen zur Erfüllung dieser Aufgabe veröffentlicht, allerdings ausschließlich auf Latein und an die Bischöfe gerichtet, in deren Aufgabengebiet die Beurteilung solcher Phänomene falle. Man hoffe nun, durch die Veröffentlichung einer offiziellen Übersetzung weitere Kreise wie etwa Theologen und andere Experten ansprechen zu können, so Kardinal Levada.

Eine Aktualisierung habe die Beschäftigung mit diesem Thema durch die Bischofssynode 2008 erfahren, die sich mit dem Wort Gottes befasst hatte. Kardinal Levada betont, dass nach dem Wort Jesu Christi die Offenbarung abgeschlossen sei. Davon seien Privatoffenbarungen zu unterscheiden. Diese könnten der Offenbarung in Christus nichts hinzufügen, sondern nur dazu dienen, sie in einem bestimmten historischen Kontext zu vertiefen: „Eine Privatoffenbarung kann neue Akzente setzen, neue Weisen der Frömmigkeit herausstellen oder alte vertiefen. Sie kann einen gewissen prophetischen Charakter besitzen (vgl. 1 Thess 5,19-21) und eine wertvolle Hilfe sein, das Evangelium in der jeweils gegenwärtigen Stunde besser zu verstehen und zu leben. Sie ist eine Hilfe, die angeboten wird, von der man aber nicht Gebrauch machen muss", so Levada.

Die vorgestellten Normen unterscheiden positive und negative Kriterien der Beurteilung. Positive Kriterien sind die Fragen nach Wahrheit und geistlicher Reife der Erscheinung. Negativ fragen die Kriterien nach psychischen Erkrankungen, Gewinnstreben oder unmoralischen Handlungen.

Als zweiten Schritt legen die Normen die Vorgehensweise fest, nach der lokal zuständige Autoritäten und später die Glaubenskongregation selber vorgehen sollen, um zu einem Urteil über Erscheinungen und Visionen zu kommen. Die Normen sind auf Deutsch auf der Seite der Glaubenskongregation nachlesbar. (rv)

Vatileaks: „Immer noch in der Untersuchungsphase“

Die formalen Ermittlungen gegen den inhaftierten päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele werden noch mindestens bis Ende der Woche dauern. Das hat Vatikansprecher Pater Federico Lombardi an diesem Dienstag bei einem Pressebriefing vor Journalisten erklärt. Neben dem Kammerdiener seien im Zug der Ermittlungen „mehrere andere Personen" angehört worden, aber es gebe vorerst keine weiteren Verhaftungen.

„Im Zug der Vorerhebungen ist als Delikt schwerer Diebstahl formuliert worden. Es gab aber bisher keine Erhebungen über die Motivation, die Schwere des Delikts, die Absichten. Es handelt sich noch nicht einmal um einen regulären Strafprozess, geschweige denn ein Urteil. Wir sind immer noch in der Untersuchungsphase."

Gabriele habe sich in den sechs Jahren, die er als Kammerdiener des Papstes wirkte, immer korrekt verhalten, es habe niemals Anzeichen für gegenteiliges Verhalten gegeben, sagte Lombardi. Der unerlaubte Besitz der vertraulichen Dokumente – zu deren Art und Umfang Lombardi aufgrund des Prozessgeheimnisses keine Angaben machen wollte – sei andererseits „eine objektive Tatsache".

„Wir sind alle entsetzt. Man hätte sich eine solche Lage nicht leicht vorstellen können. Man muss ihm zuhören, was er zu sagen hat, und das wird ja eben getan. Deshalb ist es so wichtig, dass er seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt hat. Es handelt sich ja nicht um einen simplen Einbruchsdiebstahl."

Etliche der ins Kraut schießenden Spekulationen wies der Vatikansprecher in dem Briefing zurück, etwa, dass gegen fünf Kardinäle „ermittelt" würde. Die Affäre „Vatileaks" sei jedenfalls „eine Prüfung, eine schwere Prüfung für den Papst und die Kurie", so Pater Lombardi wörtlich. Jeder könne sehen, dass es sich „um schwerwiegende Dinge" handle, die auch nicht erst mit der Verhaftung des Kammerdieners begannen.

„Der Papst ist Zeuge einer Angelegenheit, die ihn von ganz nah betrifft; es ist eine schmerzliche Angelegenheit. Und es gibt den Wunsch, Klarheit zu schaffen, die Wahrheit zu finden. Das gilt nicht nur für die Verhaftung Paolos. Der Papst hat Mitte März die Kardinalskommission [zur Untersuchung des „Dokumentenschwundes“] eingesetzt, ein nicht alltäglicher Vorgang. Das heißt, der Papst war sich bewusst, dass es hier eine gründliche Aufklärung und Bewertung der Vorgänge brauchte. Sicher, die letzte Episode ist für ihn besonders leidvoll, weil sie eine ihm nahestehende und von ihm geschätzte Person betrifft."

Leiter der Kardinalskommission ist der spanische Opus Dei-Kardinal Julian Herranz, der früher den päpstlichen Rat für Gesetzestexte leitete, ein ausgewiesener Fachmann für Justizfragen also. Die Kardinäle setzten ihre Arbeit mit Anhörungen fort, sagte Lombardi; sie arbeiteten mit dem Vatikangericht, das die Ermittlungen führt, und mit der Gendarmerie zusammen, wenngleich sie andere Kompetenzen und Aufträge hätten. Ob eine Zusammenarbeit mit der italienischen Justiz nötig wird, weil auch nach italienischem Gesetz Straftaten vorliegen, werde der Verlauf der Ermittlungen zeigen. Lombardi stellte ein weiteres Pressebriefing für den morgigen Mittwoch in Aussicht. (rv)

Päpstlicher Kammerdiener im Verdacht

In der Affäre um die Weitergabe vertraulicher Vatikan-Dokumente ist der Kammerdiener von Papst Benedikt XVI. festgenommen worden. Vatikansprecher Federico Lombardi bestätigte die Verhaftung des 46-jährigen Paolo Gabriele am Samstag in einer Mitteilung. Der Hausangestellte befindet sich bereits seit vergangenem Mittwochabend in Haft. Er habe zwei Anwälte benannt und sich mit diesen beraten, so der Vatikansprecher.

Die erste Phase der Erhebungen gegen Gabriele ist nach Angaben von Lombardi bereits abgeschlossen. Durchgeführt wurde sie vom vatikanischen Generalstaatsanwalt Nicola Picardi. Derzeit sei der Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet am Zug. Die Ermittlungsphase diene dazu, ein angemessenes Gesamtbild der Lage zu erhalten. Danach werde der Untersuchungsrichter den Kammerdiener entweder freilassen oder ein Hauptverfahren eröffnen.

Vor Journalisten erklärte Vatikansprecher Lombardi, bei den Nachforschungen sei nicht von „kurzen Fristen" auszugehen. Welche weiteren Fragen dabei auftauchten, sei ungewiss. So fragen sich beispielsweise etliche Beobachter, ob es noch weitere Verdächtige in der Affäre um die Weitergabe vertraulicher Vatikan-Dokumente gibt. Lombardi ließ anklingen, dass mit der Verhaftung des Kammerdieners noch nicht der Abschluss der Affäre erreicht sei. Bisher sei ausschließlich die vatikanische Justiz mit dem Fall befasst. Der tatverdächtige Kammerdiener wohne auf vatikanischem Staatsgebiet, daher unterliege er „vollständig den vatikanischen Justiznormen".

Der Vatikan habe die Verhaftung erst nach Abschluss der Vorermittlungen bestätigten wollen, erläuterte der Vatikansprecher. Die Festnahme Gabrieles habe im Vatikan „Erstaunen und Schmerz" ausgelöst. „Alle im Vatikan kannten ihn, es gibt großes Mitgefühl mit seiner Familie", betonte Lombardi. Er hoffe, dass die Familie des Mannes „diese Prüfung überstehen" könne.

Der 46-jährige lebte mit seiner Frau und den drei Kindern in einer Wohnung im Vatikanstaat. Er arbeitete seit 2006 als Kammerdiener für Benedikt XVI. Neben vier Ordensfrauen und den beiden Privatsekretären Georg Gänswein und Alfred Xuereb war Gabriele einer der wenigen Vertrauten, die Zugang zu den Privaträumen des Papstes hatten.

In den vergangenen Monaten waren immer wieder interne Dokumente an italienische Medien weitergegeben worden, in denen es unter anderem um Korruptionsvorwürfe ging. Einige davon sind in dem Buch „Sua Santità" („Seine Heiligkeit") von Gianluigi Nuzzi abgedruckt, das vor einer Woche in Italien erschien. Unter den Dokumenten, die dem Autor zugespielt wurden, sind unter anderem streng geheime und private Briefe des Papstes. Der Vatikan bezeichnete die Veröffentlichung als kriminellen Akt.

Nach ersten Enthüllungen im Januar hatte Benedikt XVI. im April eine Untersuchung der „Vatileaks"-Affäre angeordnet und eine Kommission von Kardinälen unter der Leitung des „Innenministers" des Heiligen Stuhles, Erzbischof Angelo Becciu, mit den Ermittlungen betraut. Im Fokus der Korruptionsvorwürfe stand zumeist das vatikanische Geldinstitut IOR, dessen Präsident Ettore Gotti Tedeschi am Donnerstag zurücktrat. Zuvor hatte ihm der Aufsichtsrat einstimmig das Misstrauen ausgesprochen. Der Vatikan teilte mit, Gotti Tedeschi habe nicht den „grundlegenden Anforderungen" seines Amts genügt. Als Interimschef wurde sein bisheriger Stellvertreter, der Deutsche Ronaldo Hermann Schmitz ernannt. (rv)

„Vatileaks“: Ermittlungen eingeleitet

Papst Benedikt XVI. hat eine übergeordnete Kommission des Heiligen Stuhls beauftragt, über die Weitergabe vertraulicher Vatikan-Dokumente an die Medien zu ermitteln. Das teilte die Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano" in ihrer Samstagsausgabe mit. Damit wolle der Papst Licht in die sogenannte „Vatileaks"-Angelegenheit bringen, so die Zeitung des Heiligen Stuhls.

Der Papst wurde immer darüber auf dem Laufenden gehalten, was während der vergangenen Wochen in den Medien vermittelt wurde. Benedikt XVI. sei „sehr betroffen" über das Geschehene, blicke aber mit Zuversicht nach vorne. Das sagte der Substitut des Staatssekretariats, Erzbischof Angelo Becciu, im Gespräch mit dem „Osservatore". Die Arbeit an der römischen Kurie sei besser als ihr Ruf, fügt der Direktor der Vatikanzeitung, Giovanni Maria Vian, in dem Zeitungsbeitrag hinzu. Erzbischof Becciu betont, dass das Personal im Staatssekretariat zuverlässig sei. Es stimme nicht, dass die Mitarbeiter nur „an Karriere und Komplotte" denken, fügt Becciu an: „Die Realität ist weit weg von diesen Vorurteilen", so der italienische Kurienerzbischof. Aber es habe einige Mitarbeiter gegeben, die interne Dokumente aus „Unredlichkeit" und „gemeiner Feigheit" weitergereicht hätten. Diese hätten ihre privilegierte Stellung ausgenutzt, um Dokumente publik zu machen, deren „Vertraulichkeit zu respektieren sie verpflichtet waren." Dadurch sei in der Öffentlichkeit ein Bild der Römischen Kurie entstanden, das nicht der Realität entspreche.
„Es ist zu wünschen, dass sich die Basis unserer Arbeit wieder neu schaffen lasse: das gegenseitige Vertrauen", sagte Becciu. Dies setze jedoch „Seriosität, Loyalität, Korrektheit" voraus.

In den vergangenen Monaten waren aus dem Vatikan vertrauliche Dokumente an die Medien durchgesickert. So wurden etwa interne Informationen über ein angebliches Mordkomplott gegen den Papst bekannt. Der Vatikan hatte die Veröffentlichungen als „Vatileaks" kritisiert – in Anspielung auf Wikileaks, bei der als vertraulich klassifizierte interne Dokumente der US-amerikanischen Administration ins Internet gestellt wurden.

Hintergrund
Erzbischof Becciu leitet die so genannte Erste Sektion des Staatssekretariates, die für die Allgemeinen Angelegenheiten des Heiligen Stuhles zuständig ist. Diese ist dem Papst in den Fragen seines täglichen Dienstes behilflich, soweit es um die Weltkirche und um die Beziehungen zu den einzelnen Dikasterien der Kurie geht. Die Erste Sektion besorgt beispielsweise die Redaktion der Dokumente, die der Papst ihr anvertraut, und beaufsichtigt die offiziellen Mitteilungsorgane des Heiligen Stuhls. (rv)

Krise an der Spitze der „Vatikanbank“ IOR

Jetzt hat auch der Vatikan seine Bankenkrise: Der Aufsichtsrat der sogenannten „Vatikanbank" IOR hat dem Präsidenten der Einrichtung, Ettore Gotti Tedeschi, das Misstrauen ausgesprochen. Der Banker, der seit 2009 an der Spitze des IOR stand, habe „trotz wiederholter Mahnungen … bestimmte Aufgaben von vordringlicher Wichtigkeit nicht ausgeführt". Das steht in einer Erklärung, die der Vatikanische Pressesaal am Donnerstagabend veröffentlichte. Worum es da genau ging, wird nicht gesagt.

„Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind bedrückt über das Vorgefallene, das zu diesem Misstrauensvotum geführt hat. Aber sie halten diese Aktion für wichtig, um das Institut arbeitsfähig zu erhalten." Mehr sagt das Statement aus dem IOR nicht. Der Rat wolle jetzt „nach vorne schauen" und hoffe auf einen „exzellenten neuen Präsidenten, der dem Institut helfen wird, effektive und starke Beziehungen zwischen dem Institut und der Finanzwelt wiederherzustellen – auf der Basis gegenseitigen Respekts vor den international gängigen Bankenstandards". Das Vatikanstatement macht deutlich, dass der Aufsichtsrat bei seiner ordentlichen Sitzung vom Donnerstag „einstimmig" so entschieden hat. Das bedeutet: Auch der Spanier Manuel Soto Serrano hat gegen Gotti Tedeschi gestimmt. Soto Serrano gehört auch zum Aufsichtsrat des „Banco de Santander", für die Gotti Tedeschi ebenfalls arbeitet.

Noch am Abend erklärte Gotti Tedeschi seinen Rücktritt von der IOR-Spitze, gab aber keine weiteren Erklärungen ab. An diesem Freitag nun wird die Kardinalskommission zusammentreten, die für das IOR zuständig ist. Sie muss unter der Leitung von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone entscheiden, wie es jetzt generell weitergehen soll. Die Führung des Instituts liegt derzeit vorübergehend bei seinem Vizepräsidenten, dem Deutschen Hermann Schmitz. Der international renommierte Banker Ettore Gotti Tedeschi hatte sich in den zurückliegenden Jahren vor allem darum bemüht, dass das IOR auf die sogenannte „Weiße Liste" kommt. Diese Liste führt Länder auf, die internationale Standards gegen Geldwäsche, dubiose Finanzgeschäfte und Terrorfinanzierung einhalten. Die Experten der internationalen Einrichtung Moneyval werden im Juli ihren Prüfbericht vorlegen. Auf dessen Grundlage wird dann entschieden, ob der Vatikan den Sprung auf die Liste schafft.

Gotti Tedeschi ist Professor für Ethik und Finanzwesen an der Katholischen Universität Mailand, Autor mehrerer Bücher und häufiger Kolumnist in der Vatikanzeitung „Osservatore Romano". Er war Berater des früheren italienischen Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti.

Das Kürzel IOR steht für „Istituto per le Opere Religiose", Institut für religiöse Werke; es wurde 1942 von Papst Pius XII. gegründet, um die Gelder kirchlicher Stiftungen zu verwalten. Weitere Gelder kommen von Ordensgemeinschaften, Bischofskonferenzen, Päpstlichen Universitäten oder Klöstern. Eine eigentliche Staatsbank ist es nicht – eher ein weltweit operierendes Werk mit Sitz im Vatikan. Es untersteht nicht dem Heiligen Stuhl, sondern direkt dem Papst als Alleineigentümer. Dem Aufsichtsrat gehören fünf Laien an, die von der Kardinalskommission ausgesucht werden. Ein Konto können dort Ordensleute, Vatikanangestellte und Diplomaten beim Heiligen Stuhl eröffnen.

Immer wieder war das IOR in den letzten Jahrzehnten in Finanzskandale verwickelt; Papst Benedikt bemüht sich darum, es auf Transparenz und das Einhalten internationaler Standards zu verpflichten. Ende 2010 paßte der Papst die Regeln für Finanzgeschäfte im Vatikan per Dekret den EU-Normen an. Außerdem richtete er ein Kontrollgremium namens AIF ein, um allgemein die Finanz- und Vermögensangelegenheiten im Vatikan zu kontrollieren. (rv)

Mali: Putschisten bestimmen eigenen Präsidenten

Allen internationalen Absprachen und Friedensplänen zum Trotz haben die Putschisten in Mali einen eigenen Präsidenten bestimmt. Ihr Anführer Amadou Haya Sanogo solle statt Dioncounda Traoré Interims-Staatschef sein. Traoré war einen Tag nach seiner Ernennung zum Übergangspräsidenten in seinem Büro in der Hauptstadt Bamako von Putschanhängern angegriffen und verletzt worden; er ist zur Nachbehandlung nach Paris geflogen. Dieses Vakuum haben sich die Putschisten zunutze gemacht. Unter Führung von Sanogo hatte eine Gruppe von Soldaten Ende März die Macht an sich gerissen und Präsident Amadou Toumani Touré gestürzt. Nach dem Putsch gelang es Rebellen binnen weniger Tage, große Teile des Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Lage in dem westafrikanischen Land ist seither äußerst angespannt. (rv)