Caritas Schweden: Willkommenskultur auf der Kippe

Caritas SchwedenSchweden ist traditionell ein Land mit einer starken Willkommenskultur. Doch mit der Ankunft von über 160.000 Flüchtlingen allein in der zweiten Jahreshälfte 2015 sieht sich die Politik des Landes offenbar zunehmend überfordert. Schwedens Innenminister Anders Ygeman kündigte jüngst in einem Zeitungsinterview an, dass bis zu 80.000 Asylbewerber, also praktisch die Hälfte der angekommenen Flüchtlinge, abgeschoben werden sollen. Ein falsches Signal, das nur die Ängste von Teilen der Bevölkerung schürt, meint der Migrationsbeauftragte von der Caritas Schweden, George Joseph im Gespräch mit Radio Vatikan.

Ähnlich wie in Deutschland war auch in Schweden anfangs die Solidarität groß, als ab vergangenen September zehntausende Flüchtlinge ankamen. Doch das kleine Land mit den 10 Millionen Einwohnern sieht sich mit der großen Zahl an Neuankömmlingen offenbar überlastet und setzt nun auf schärfere Asylgesetze und strengere Grenzkontrollen. Zu dem Stimmungswechsel haben auch die Belästigungen von zahlreichen Frauen durch Flüchtlinge in Köln und auch in Schweden geführt, weiß George Joseph.

„Schweden war eines der aufnahmefreundlichsten Länder in Europa, gemessen an der Bevölkerung von 10 Millionen Einwohnern, jeder Asylbewerber hat eine Unterkunft bekommen, meistens Appartements, es gab eine sehr positive Willkommenskultur. Doch mit der Ankunft von über 163.000 Flüchtlingen vorwiegend in der letzten Hälfte von 2015, hat die politische Elite panisch reagiert und den Kurs in der Flüchtlingspolitik geändert. Mit den Zwischenfällen in Köln und auch in Schweden wachsen zudem die Ängste der Menschen gegenüber Flüchtlingen. Die öffentliche Meinung ist von Vorstellungen bestimmt, dass die meisten Neuankömmlinge keine richtigen Flüchtlinge sind, sondern Kriminelle, Vergewaltiger und Terroristen. So will die schwedische Regierung das Asylrecht verschärfen. Das ist ein neues Signal an die Flüchtlinge, es soll heißen: Kommt nicht nach Schweden, wird sind strenger geworden.“

Nach dem Aufruf von Papst Franziskus, in jeder Kirchengemeinde mindestens eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen, hat die schwedische Bischofskonferenz für jede katholischen Gemeinde Schwedens einen Flüchtlings-Koordinator eingesetzt, der die Freiwilligen bei der Arbeit mit Flüchtlingen und Asylbewerbern anleitet. Die Caritas ist für die Schulungen und Unterstützung ihrer Arbeit mit verantwortlich. George Joseph beobachtet in allen Kirchen, nicht nur der katholischen, und der Zivilgesellschaft Schwedens viel Unterstützung und Einfühlungsvermögen für die Flüchtlinge. Insbesondere bei den jungen Leuten. Aber die Zahl der Skeptiker nimmt zu, wegen der negativen Schlagzeilen und der strengeren Asylpolitik. Die jüngsten Äußerungen von Innenminister Anders Ygeman machen ihm Sorgen.

„Die Kirche und die Caritas ist besorgt angesichts der Äußerungen des Ministers. Die Verfahren bis zu einer Abschiebung dauern lange und gehen durch mehrere Instanzen. Und viele Menschen können nicht zurück in ihre Heimat, da wird es viele Rechtsstreits geben und das wird für die Zivilgesellschaft, aber auch vor allem für die Kirche, die die Menschen ja auch rechtlich unterstützt, eine Mammutaufgabe.“

Die meisten Menschen, die bei der katholischen Kirche Schwedens Hilfe suchen, sind sogenannte Dublin-Fälle, die über Italien gekommen sind. Viele dieser Menschen sind dem Menschenhandel zum Opfer gefallen. Die Caritas unterstützt sie und hilft ihnen bei der Unterkunftssuche, einige Gemeinden bieten auch Sprachunterricht an, helfen bei der Suche nach Familienangehörigen und der kulturellen Integration. Hinzu kommt, dass die katholische Kirche in Schweden selbst bunt ist: Sie besteht aus 122 verschiedenen Nationalitäten, darunter gibt es auch viele syrische und chaldäische Katholiken. Joseph spricht von einem „kulturellen Kapital“ in der katholischen Kirche Schwedens, Fremde zu verstehen und aufzunehmen. Dabei arbeitet die Minderheitenkirche des skandinavischen Landes (rund 100.000 Katholiken) auch eng mit anderen schwedischen Kirchen wie der protestantischen Kirche, der orthodoxen; Pfingstkirchen und dem Schwedischen Rat der Christen, der Dachorganisation aller christlichen Kirchen des Landes zusammen. Gemeinsam haben sie eine Arbeitsgruppe für das Thema Migration gegründet, in der alle Kirchen vertreten sind. So veröffentlichten die Kirchen vor Weihnachten auch einen gemeinsamen Appell an die schwedische Gesellschaft und Politik, in dem sie zum Respekt vor den Grundrechten der Flüchtlinge und zum Erhalt der schwedischen Willkommenskultur aufrufen.

„Wir ermutigen unsere Gemeinden, mit den lokalen Kirchen zusammenzuarbeiten und die Ressourcen zu bündeln. An vielen Orten haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche, der lutherischen Kirche und den anderen Pfingstkirchen. Zum Beispiel werden unsere Priester zu Trainingsprogrammen eingeladen oder sie bringen uns Helfer. Die ökumenische Arbeit in diesem Bereich ist sehr eng. Wir sind auch hocherfreut , dass Papst Franziskus im Oktober Schweden besucht. Er ist sehr beliebt, nicht nur bei den rund 100.000 Katholiken des Landes, sondern auch Nicht-Christen möchten den Papst einmal sehen. Wir rechnen damit, dass er sich auch stark aussprechen wird für die Rechte von Migranten.“

Immer wieder gibt es aber auch Konflikte zwischen den Flüchtlingen untereinander. In den Flüchtlingsheimen treten ethnische und religiöse Spannungen auf. Viele sind traumatisiert, bringen Gewalterfahrung mit und sind mit dem Zusammenleben überfordert. Besonders hier muss die Kirche, aber auch die Zivilgesellschaft nun Verantwortung zeigen.

„Wir rufen alle Bürger und die Kirche dazu auf, in die Unterkünfte zu gehen und mitzuhelfen, die Spannungen zwischen Einzelnen beizulegen und für mehr gegenseitiges Verständnis zu sorgen. Es treten ethnische und religiöse Spannungen auf, etwa zwischen Muslimen und Christen aus Syrien und wir versuchen das zu vermeiden und mit den Menschen zu sprechen, ihre Ängste auch ernst zu nehmen ihnen das Gefühl zu geben, dass sie gehört werden, jemanden zum Reden haben. Wir helfen mit interreligiösem Dialog, am Ende des Tages sind es doch alles Menschen und wir müssen einen Weg des Zusammenlebens finden. Auf lange Sicht wird das der schwedischen Gesellschaft zu Gute kommen. Wenn wir das schaffen, schaffen es die Flüchtlinge, wenn wir versagen, dann schaffen es auch die Flüchtlinge nicht.“ (rv)

Die Kunst und die Religion: Eine komplizierte Beziehung

HaendeItalien ist empört, und nicht nur Italien: Zum Besuch von Irans Präsident Rohani in der vergangenen Woche verhüllte die Stadt Rom in den Kapitolinischen Museen antike Statuen, weil die Figuren nackt waren. Wer genau den Auftrag gab, ist unklar – doch dass es passiert ist, weiß auch das Internet. Karikaturen mit verhüllten Statuen oder getricksten Gemälden verbreiteten sich wie im Flug, die Mona Lisa mit Burka war da zu sehen oder die Rubens-Grazien mit ihren blanken Rundungen als angeblicher Hintergrund bei der Begegnung Rohanis mit dem Papst im Vatikan (nicht wenige fielen auf die Fotomontage hinein). Kurz: Die italienische Zensur des öffentlichen Raumes sorgte für Debatten. Statuen, die vor 2.000 Jahren nackt geschaffen wurden und nackt blieben, werden nun verhüllt, angeblich aus Respekt für die kulturelle Empfindlichkeit eines Besuchers?

Diese Frage im Hinterkopf, besuchten wir eine wissenschaftliche Konferenz in den vatikanischen Museen zum Thema „Braucht die Kunst die Religion?“ und sprachen mit dem aus Deutschland stammenden Kunsthistoriker Arnold Nesselrath, stellvertretender Direktor der Vatikanischen Museen. „Die Kunst hat im Wesentlichen zwei Wurzeln“, erklärte er uns, „das eine ist das Totengedenken und das andere die Religion. Das sind die beiden Elemente, die immer die Kunst produziert haben; von den frühesten Zeiten an bis heute.“

Es ist wahr, dass die Kirche in früheren Jahrhunderten oft Auftraggeber für die Kunst war, und auch hier fand Zensur statt. Hochberühmtes Beispiel: das „Jüngste Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle. Papst Paul IV. sprach von Ketzerei und verlangte von dem Renaissance-Genie Michelangelo, sein angebliches Skandal-Fresko abzuschlagen, was zum Glück nicht geschah. Stattdessen kam es zur Zensur mit dem Pinsel. 1564 schließlich erlaubte Michelangelo eine „Milderung“ seines „anrüchigen“ Kunstwerkes. Daniele da Volterra hatte 1565 die Ehre, die Genitalien der unbekleideten Figuren mit kleinen Tüchern zu übermalen, was ihm den Beinamen „Braghettone“, Hosenmaler, eintrug. Seine Anstands-Tücher sind bis heute als geschichtlich aussagekräftiges Stück Kunst erhalten. Aus Respekt, gewissermaßen, für die Empfindlichkeit jener Zeit.

Dass wir heute wieder Kunst bedecken aus Respekt, kann man differenziert betrachten. Arnold Nesselrath meint aber, dass dieses direkte Beispiel die vatikanischen Museen nicht betrifft und er sich spezifisch dazu nicht äußert. Dass Kulturen aber aneinander geraten sind in der Vergangenheit und dies auch in Zukunft tun werden ist ihm klar. Vielleicht könnte Kunst und Kultur kein Hindernis, sondern ein Schlüssel sein.

„Wesentlich ist, glaube ich, dieses: dass Kulturen, wenn sie miteinander leben wollen, sich verstehen und respektieren müssen. Das ist etwas, was die Kultur und die Kunst leisten müssen. Das ist in unseren Tagen sehr wichtig und wird von Tag zu Tag wichtiger, insofern sich Kulturen mit der derzeitigen Geschwindigkeit treffen und notgedrungen auch mischen. Das ist etwas, was immer auch stattgefunden hat. Wenn wir uns überlegen, dass die Römer keine Null kannten und heute ohne Null nichts mehr funktioniert, kein Computer und keine Bilanz, dann kann man vielleicht etwas von der Dimension erahnen, die auf uns zukommt, in der wir leben und leben müssen und immer gelebt haben und dessen Toleranz müssen wir uns sein." (rv)