Die Kunst und die Religion: Eine komplizierte Beziehung

HaendeItalien ist empört, und nicht nur Italien: Zum Besuch von Irans Präsident Rohani in der vergangenen Woche verhüllte die Stadt Rom in den Kapitolinischen Museen antike Statuen, weil die Figuren nackt waren. Wer genau den Auftrag gab, ist unklar – doch dass es passiert ist, weiß auch das Internet. Karikaturen mit verhüllten Statuen oder getricksten Gemälden verbreiteten sich wie im Flug, die Mona Lisa mit Burka war da zu sehen oder die Rubens-Grazien mit ihren blanken Rundungen als angeblicher Hintergrund bei der Begegnung Rohanis mit dem Papst im Vatikan (nicht wenige fielen auf die Fotomontage hinein). Kurz: Die italienische Zensur des öffentlichen Raumes sorgte für Debatten. Statuen, die vor 2.000 Jahren nackt geschaffen wurden und nackt blieben, werden nun verhüllt, angeblich aus Respekt für die kulturelle Empfindlichkeit eines Besuchers?

Diese Frage im Hinterkopf, besuchten wir eine wissenschaftliche Konferenz in den vatikanischen Museen zum Thema „Braucht die Kunst die Religion?“ und sprachen mit dem aus Deutschland stammenden Kunsthistoriker Arnold Nesselrath, stellvertretender Direktor der Vatikanischen Museen. „Die Kunst hat im Wesentlichen zwei Wurzeln“, erklärte er uns, „das eine ist das Totengedenken und das andere die Religion. Das sind die beiden Elemente, die immer die Kunst produziert haben; von den frühesten Zeiten an bis heute.“

Es ist wahr, dass die Kirche in früheren Jahrhunderten oft Auftraggeber für die Kunst war, und auch hier fand Zensur statt. Hochberühmtes Beispiel: das „Jüngste Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle. Papst Paul IV. sprach von Ketzerei und verlangte von dem Renaissance-Genie Michelangelo, sein angebliches Skandal-Fresko abzuschlagen, was zum Glück nicht geschah. Stattdessen kam es zur Zensur mit dem Pinsel. 1564 schließlich erlaubte Michelangelo eine „Milderung“ seines „anrüchigen“ Kunstwerkes. Daniele da Volterra hatte 1565 die Ehre, die Genitalien der unbekleideten Figuren mit kleinen Tüchern zu übermalen, was ihm den Beinamen „Braghettone“, Hosenmaler, eintrug. Seine Anstands-Tücher sind bis heute als geschichtlich aussagekräftiges Stück Kunst erhalten. Aus Respekt, gewissermaßen, für die Empfindlichkeit jener Zeit.

Dass wir heute wieder Kunst bedecken aus Respekt, kann man differenziert betrachten. Arnold Nesselrath meint aber, dass dieses direkte Beispiel die vatikanischen Museen nicht betrifft und er sich spezifisch dazu nicht äußert. Dass Kulturen aber aneinander geraten sind in der Vergangenheit und dies auch in Zukunft tun werden ist ihm klar. Vielleicht könnte Kunst und Kultur kein Hindernis, sondern ein Schlüssel sein.

„Wesentlich ist, glaube ich, dieses: dass Kulturen, wenn sie miteinander leben wollen, sich verstehen und respektieren müssen. Das ist etwas, was die Kultur und die Kunst leisten müssen. Das ist in unseren Tagen sehr wichtig und wird von Tag zu Tag wichtiger, insofern sich Kulturen mit der derzeitigen Geschwindigkeit treffen und notgedrungen auch mischen. Das ist etwas, was immer auch stattgefunden hat. Wenn wir uns überlegen, dass die Römer keine Null kannten und heute ohne Null nichts mehr funktioniert, kein Computer und keine Bilanz, dann kann man vielleicht etwas von der Dimension erahnen, die auf uns zukommt, in der wir leben und leben müssen und immer gelebt haben und dessen Toleranz müssen wir uns sein." (rv)

Das vatikanische Geheimarchiv öffnet sich

Lang vorbereitet, endlich eröffnet: Die große Ausstellung „Lux in Arcana" über das Vatikanische Geheimarchiv in den Kapitolinischen Museen in Rom. 100 der wichtigsten, seltensten, schönsten und kuriosesten Dokumente des päpstlichen Privatarchivs sind zu sehen. Rund zehn davon betreffen den deutschen Sprachraum, darunter besonders Martin Luther. Der Präfekt des Geheimarchivs, Bischof Sergio Pagano:

„In der Ausstellung ist zu sehen das Register, das die Bulle Exsurge domine von 1520 beinhaltet. Damit verurteilte Leo X. die Thesen Luthers. Im selben Register ist auch die Bulle verzeichnet, mit der Luther exkommuniziert wurde. Das ist ein päpstliches Register, also ein schmuckloses Verwaltungsdokument, aber eben mit sehr weitreichenden Folgen. Auch weil die originalen Bullen, die nach Deutschland geschickt wurden, von Luther bekanntlich verbrannt wurden. Das heißt, man kennt nicht den Wortlaut des Textes, außer durch spätere Kopien."

Die reformatorische Kirchenspaltung ist derart bedeutend, dass noch ein weiteres Dokument über Luther in der Ausstellung zu sehen ist: Das Wormser Edikt von Karl V. gegen Martin Luther von 1521, die Verhängung der Reichsacht über Reformator.

Die übrigen Dokumente, die den deutschen Sprachraum betreffen, sind in chronologischer Reihenfolge: Aus dem Jahr 962 das Privilegium Ottonianum von Otto I., eine Bestätigung des Kirchenstaates. Dann das Wormser Konkordat von 1122 zwischen Papst Calixtus II. und Kaiser Heinrich V., das den Investiturstreit über die Einsetzung der Bischöfe beendete. Aus dem Jahr 1164 stammt ein kaiserliches Dokument von Friedrich I. Barbarossa. Es folgen zwei päpstliche Bullen, die deutsche Kaiser betreffen, nämlich aus dem Jahr 1245 die Bulle Papst Innozenz IV. zur Absetzung Kaiser Friedrich II.; und die Bulle Clemens VII. zur Kaiserkrönung von Karl V. aus dem Jahr 1530. Aus dem Jahr 1770 stammt ein Dokument, das Wolfgang Amadeus Mozart betrifft: Die Verleihung des „Goldsporns" an den erst 14-jährigen Musiker. Bischof Pagano:

„Mozart kam nach Rom, für eine Reise mit dem Vater. Berühmt ist, dass er in der Sixtinischen Kapelle das Miserere von Allegri hörte, das er dann Ton für Ton nur vom Hören her niedergeschrieben haben soll. Da der 13jährige so berühmt war, wollte ihn der Papst in Privataudienz empfangen, und dabei verlieh er ihm eine sehr hohe Auszeichnung, den so genannten Goldsporn, mit dem auch ein Titel verbunden war, „Palatin-Graf". Das zeigt die Wertschätzung, die der Papst für den jungen Musiker hat, denn der Goldsporn wurde nur sehr selten verliehen."

Aus dem 1868 stammt ein kleiner handschriftlicher Brief der Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt Sissi, an Papst Pius IX. und aus dem Jahr 1945 schließlich ein ganz unscheinbarer, tragischer Brief, die Frage nach Auskunft über den Verbleib von Edith und Rosa Stein im Zweiten Weltkrieg.

Das Vatikanische Geheimarchiv hat seit jeher die Phantasien beflügelt: Romanciers und Filmregisseure fabrizierten ganze Mystery-Thriller rund um die mutmaßlichen Inhalte oder Nicht-Inhalte der päpstlichen Dokumentesammlung. Die Ausstellung greift das so entstandene Interesse auf und stellt in eigens gedrehten Filmen das Archiv in der Realität vor: Die langen unterirdischen Gänge, die Menschen, die die Archivalien katalogisieren, die Restaurateure, die alte Pergamente in die Zukunft retten.

Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone eröffnete die Ausstellung an diesem Mittwoch. Bei der Vorstellung der großen Schau vor im Juli vergangenen Jahres erklärte er den Zweck der Öffnung:

„Lux in Arcana, ein sehr passender Titel für die Ausstellung: Arcana meint hier nicht „Regierungsgeheimnis", sondern die verborgenen, sehr weitläufigen Räumlichkeiten der Archive, die dazu da sind, die Schätze zu erhalten, die sie bergen. Ich wünsche mir also, dass sich in den sieben Monaten der Ausstellung das Licht ausbreitet und die Archive solcherart erhellt werden, sodass die Besucher die echten Schätze des Vatikanischen Geheimarchivs sehen können. Das sind seine unzähligen Pergamente und Handschriften und Codices, Akte, Dokumente, die von den römischen Päpsten seit nunmehr vier Jahrhunderten dort abgelegt werden, damit sie den Historikern und der Gelehrten zur Verfügung stehen."

Die Ausstellung ist bis zum 9. September in den Kapitolinischen Museen zu sehen. (rv)