Papst Franziskus wehrt sich gegen Vereinnahmung von links

Papst FranziskusZum Abschied aus Lateinamerika hat Papst Franziskus die Kirche des Kontinents gelobt. Das sei „eine junge Kirche mit einer gewissen Frische“ und einer „reichen, suchenden Theologie“, sagte Franziskus vor den mitreisenden Journalisten auf dem Rückflug nach Rom an diesem Montag. „Ich glaube, diese Kirche kann uns so viel geben“, so der Papst. Es habe noch nie so viele Familien mit Kindern gesehen; vor dieser Jugend gelte es keine Angst zu haben. „Es kann auch eine undisziplinierte Kirche sein, mit der Zeit wird sie schon disziplinierter werden, aber sie gibt uns viel Kraft.“

Volksbewegungen: „Das sind keine Anarchisten“

Mit Blick auf seine Rede vor den Volksbewegungen wehrte sich der Papst gegen Vereinnahmung von links.

Er habe nichts anderes getan als die Soziallehre der katholischen Kirche auf den Kampf der Aktivisten herunterzubrechen, stellte Franziskus klar. Ähnliches tue er, wenn er Wirtschaftsvertreter empfange. Vor den Volksbewegungen zu sprechen, sei keineswegs „die Hand“ gewesen, „die man einem Feind hinstreckt“ und auch „kein politischer, sondern ein katechetischer“ Akt. Die Aktivisten für Land, Arbeit und Dach über dem Kopf schlössen sich zusammen, weil sie sich von den Gewerkschaften nicht repräsentiert fühlten und für die Rechte der Ärmsten einstehen wollten. „Die Kirche kann da nicht gleichgültig sein“, so Franziskus, der die Aktivisten zugleich vor dem Vorwurf in Schutz nahm, sie seien „Anarchisten“. „Die Kirche macht keine Option für den Weg der Anarchie. Das sind keine Anarchisten“, so der Papst. Volksbewegungen seien kraftvolle Strömungen in der ganzen Welt, es gebe sie auch in Asien, auf den Philippinen etwa oder in Indien oder Thailand.

Mit kritischen Stellungnahmen aus den USA zu seinen Aussagen über nachhaltige Wirtschaft habe er sich noch nicht eingehend beschäftigen können, sagte Franziskus auf eine entsprechende Frage. In den Vereinigten Staaten, die der Papst im September besuchen wird, werden etliche Passagen aus seinen päpstlichen Schreiben als Fundamentalkritik am US-amerikanischen Way of life ausgelegt.

USA-Kuba: „Das ging von allein“

Die Wiederannäherung zwischen den USA und Kuba war „keine Mediation“ des Heiligen Stuhles, fuhr der Papst fort. Der Wunsch nach einer Aussöhnung sei vielmehr von beiden Seiten gekommen. Er habe nichts anderes getan als drei Monate gebetet. „Dann hat mich der Herr auf die Idee gebracht, einen Kardinal hinzuschicken“. Wieder seien Monate vergangen, dann habe ihm Kardinalstaatssekretär Parolin plötzlich gesagt: „Morgen ist die zweite Versammlung der beiden Delegationen. Wie bitte? Jaja, sagte er mir, sie reden miteinander! Das ging von allein, es gab guten Willen der beiden Länder, das ist ihr Verdienst.“ Im Moment sorge er sich um den Friedensprozess in Kolumbien. „Wir stehen immer bereit zu helfen“, sagte Franziskus und bat um Gebet für das südamerikanische Land, für das Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC-Rebellen in Havanna laufen.

Papst wünscht sich „gemeinsamen Weg“ für Griechenland und Europa

Befragt nach der Schuldenkrise in Griechenland, gestand der Papst zunächst, er habe eine „Allergie gegen Wirtschaft“, weil sein Vater, ein Buchhalter, mitunter übriggebliebene Arbeit am Wochenende zu Hause erledigt habe. Franziskus warb um Verständnis dafür, dass er als Kirchenoberhaupt nicht die ganze Dimension des griechischen Schuldenproblems ermessen könne. Jedenfalls aber „wäre es zu einfach, zu sagen, nur diese eine Seite hat Schuld“. Die früheren griechischen Regierungen hätten „sicher eine Verantwortung“, die aktuelle Regierung versuche eine Umkehr. Er wünsche sich, dass Europa gemeinsam „einen Weg finde, das griechische Problem zu lösen, und auch einen Weg der Kontrolle, damit andere Länder nicht in dieselbe Lage geraten.“

Christus auf Hammer und Sichel: „Fühle mich nicht beleidigt“

Wie er denn das Gastgeschenk von Evo Morales interpretiert habe, wollte eine Journalistin vom Papst wissen; der sozialistische Präsident Boliviens hatte Franziskus eine Skulptur überreicht, die den gekreuzigten Christus auf Hammer und Sichel zeigt. Er verstehe das als „Protestkunst“, antwortete der Papst. Auch wenn solche Kunst mitunter „beleidigend“ wirken könne: ihn habe das Werk nicht beleidigt. Es handle sich um eine Skulptur seines Mitbruders Luis Espinal, der 1980 in Bolivien in Zeiten der Diktatur ermordet worden war. Espinal sei ein Exponent einer marxistisch orientierten Theologie der Befreiung gewesen, erklärte Franziskus, und es sei ihm selbst neu gewesen, dass sein Mitbruder auch als Bildhauer und Dichter tätig war. Den auf Hammer und Sichel gekreuzigten Christus trage er mit sich, versicherte der Papst. Hingegen seien die Orden, die er von Präsident Morales erhalten habe, dem Heiligtum der Muttergottes von Copacabana zugedacht. (rv)

Adios, America Latina: Papst Franziskus auf dem Rückflug nach Rom

ParaguayKinder, die mit ihren bunten Uniformen die Schweitergarde imitierten, standen Spalier, als Papst Franziskus am Sonntag Abend (Ortszeit) am Flughafen von Asunción das Flugzeug bestieg, das ihn zurück nach Rom bringt. Horacio Cartes, der Präsident Paraguays und letzter Gastgeber des Papstes, verabschiedete ihn auf dem Rollfeld. Zurück erwartet wird der Papst vor zwei Uhr mittags.

Damit endet die bislang längste Papstreise dieses Pontifikates, Ziele waren Ecuador, Bolivien und zuletzt Paraguay. Als nächste Reise stehen im September die Länder Kuba und USA auf dem Programm, samt einem Besuch bei den Vereinten Nationen. (rv)

Papst an Paraguays Politik: Mahnung zu stabiler Demokratie

ParaguayIn den Gärten des Präsidentenpalastes Lopez in Asuncion hielt Papst Franziskus ein berauschendes und persönliches Plädoyer für eine bessere Welt und ein besseres Paraguay – gegen ein Vergessen der Geschichte, für die Förderung des Dialogs und der demokratischen Werte, sowie für ein wirtschaftliches Wachstum, das den Armen in den Mittelpunkt stellt.

Die musikalische Untermalung des Treffens setzte sich nicht aus Zufall aus Stücken der Jesuitenreduktionen Paraguays zusammen. Paraguay war im 17./18. Jahrhundert Kernland der früheren sogenannten Jesuiten-Reduktionen, dem Orden, welchem auch Papst Franziskus angehört. Doch die Missionssiedlungen seines Ordens gingen ab 1756 gegen den Willen der Jesuiten in einem Blutbad der Kolonialarmeen unter. Mehr als 6.000 Indios wurden ermordet.

Der Papst mahnte dazu, die Militärdiktatur des Landes (1954-1989) aufzuarbeiten. An ihrer Spitze stand der deutschstämmige General Alfredo Stroessner, der das Land mit eiserner Hand regierte. Papst Johannes Paul II. hatte damals Anteil an seinem Sturz. Bislang widmete sich Paraguay diesem Schreckenskapitel kaum.

Der Binnenstaat habe immer schon eine schwierige Geschichte gehabt, betonte Franziskus. Bis zu seinen ersten Schritten zur Unabhängigkeit, aber auch vor noch nicht allzu langer Zeit. „Die Geschichte Paraguays hat schreckliches Leid des Krieges erlebt, Brudermord, Unterdrückung von Freiheit und Verstöße gegen die Menschenrechte. Wie viel Leid, wie viel Tod! Es ist bewundernswert, wie hartnäckig und mit welchem Geist das paraguayische Volk diese Unglücke überstand und weiterhin Kräfte aufbringt, eine blühende und friedliche Nation aufzubauen.“

Auch der Palast selbst sei Zeuge der Geschichte, betonte der Papst. Dieser war einst noch das Ufer des Flusses, den viele Guarani nutzten. Franziskus bedachte, all den „namenlosen“ Paraguayern, die nicht in den Geschichtsbüchern genannt werden, doch die die wahren Protagonisten der Geschichte waren. Eine große Rolle hatten vor allem die Frauen des Landes.

„Auf den Schultern der Mütter, der Ehefrauen, der Witwen war die schwerste Last. Sie waren im Stande, ihre Familien und ihr Land voranzubringen und pflanzten in den neuen Generationen eine Hoffnung für ein besseres Morgen. Gott segne die paraguayische Frau“. Ohne es hier wörtlich zu nennen spielt Papst Franziskus offensichtlich auch auf seine persönliche Geschichte an. Als Jesuitenprovinzial hatte Bergoglio in Buenos Aires zur Rettung zahlreicher Menschen vor dem Staatsterror beigetragen. Doch für seine erste Arbeitsgeberin, die Paraguayanerin und Menschenrechtsaktivistin Esther Ballestrino de Careaga (1918 – 1977) konnte er leider nichts tun. Sie kämpfte für die Auffindung der vielen Entführungsopfern des Regimes und wurde schließlich selbst Opfer der Diktatur. Papst Franziskus prangerte an, dass niemand die Geschichte vergessen dürfe. Die Vergangenheit müsste aufgedeckt werden.

„Ein Volk, dass seine Vergangenheit, seine Geschichte vergisst und damit seine Wurzeln, hat keine Zukunft. Das Gedächtnis, welches sich unerschütterlich auf die Basis Gerechtigkeit stützt, ist frei von Rachegelüsten und Hassgefühlen und verwandelt die Vergangenheit in eine Quelle der Inspiration um eine Zukunft des Zusammenlebens aufzubauen. Denkt an die Tragödie und die Absurdität des Krieges. Nie mehr Krieg unter Brüdern!“

Mit den Bruderkriegen sind die Kriege innerhalb Lateinamerikas der vergangenen 200 Jahre mit ihren vielen Opfern gemeint. Die Arbeit für den Frieden solle nie ruhen und der Dialog soll den gemeinsamen friedlichen Weg bereiten. Für Papst Franziskus sei es die Zusammenarbeit, die zähle. Dazu gehöre auch das Zulassen von anderen Meinungen. Paraguay sei laut Franziskus auf dem richtigen Weg in der Konstruktion einer „soliden, stabilen und demokratischen“ Basis, dies sei auch in der Verfassung verankert. Eine der großen Herausforderungen sei der Kampf gegen die Korruption im Lande und der Wille zum Gemeinwohl. Eine Wirtschaft, die den Schwächsten und den Ärmsten nicht in den Mittelpunkt stelle, sei zum Scheitern verurteilt. Wirtschaftswachstum müsse menschenwürdig sein. Der Papst nannte auch Details.

„Es wurden wichtige Schritte auf dem Gebiet des Bildungs- und Gesundheitswesens gemacht. Die Bemühungen aller gesellschaftlich Handelnden mögen nicht aufhören, bis es keine Kinder ohne Zugang zu Bildung mehr gibt, keine Familien ohne Heim, keine Arbeiter ohne menschenwürdige Arbeit, keine Landwirte ohne urbares Land und keine Menschen, die zur Migration auf eine unsichere Zukunft hin gezwungen sind; bis es keine Opfer von Gewalt, Korruption und Drogenhandel mehr gibt.“ (rv)

„Papstworte nicht in eingeengtem Zusammenhang sehen“

Pater LombardiVatikansprecher Federico Lombardi hat dazu eingeladen, die Worte von Papst Franziskus bei der Begegnung mit Volksbewegungen im weiten Zusammenhang zu sehen. Das Kirchenoberhaupt hatte bei dem Treffen, das stellenweise an eine antikapitalistische politische Kundgebung erinnerte, unter anderem Kolonialismus durch Freihandelsabkommen und „aufgezwungene Sparmaßnahmen“ kritisiert, wobei er offen ließ, ob damit etwa TTIP bzw. Griechenland gemeint sein könnten. Boliviens Präsident Evo Morales kannte solche Zurückhaltung nicht, er erklärte vorab in seiner Ansprache vor dem Papst das Referendum in Griechenland zum „Beginn der Befreiung Europas“.

Nach der außerordentlich langen Begegnung in einer Messehalle in Boliviens größter Stadt Santa Cruz baten Journalisten Lombardi um eine Einordnung. Sie wollten unter anderem wissen, wie der Papst nach einer solchen Rede ausschließen könne, von Politikern für ihre Zwecke missbraucht zu werden. „Ich verstehe das Problem“, so Lombardi. „Es ist klar, dass es Instrumentalisierungen gibt. Es ist aber auch irgendwie normal und nicht nur hier so. Meine Antwort ist, dass der Papst eine solch große Autorität hat und eine Fähigkeit, sich auf einem sprachlichen Niveau auszudrücken, die es erlaubt, ihn sofort zu verstehen. Man kann das, was er sagt, nicht in einem eingeengten Zusammenhang sehen.“

Der Papst habe bestimmte Prozesse in der Entwicklung Boliviens klar gelobt, das sei offensichtlich, er habe aber nicht gesagt, das sei ein Modell für alle, so Lombardi weiter. Der Papst habe in einer viel weiteren Perspektive gesprochen und mit einem inneren Gleichgewicht. „Mir scheint, dass der Papst ein Ermutiger und ein Katalysator für diese Volksbewegungen ist“, fügte Lombardi an. Er respektiere aber gleichzeitig ihre Autonomie und ihre Kreativität, er gebe ihnen nicht seine Richtung vor. Er ermutige und helfe auf seine Weise, um gemeinsam ein Netzwerk aufzubauen, so dass die Arbeit dieser Bewegungen wirkungsvoller werde. (rv)

Vatikan: Ernennungen für Caritas Internationalis und Cor Unum

Kardinal TagleDer Papst hat Kardinal Luis Antonio Tagle, Präsident von Caritas Internationalis und Erzbischof von Manila, zum Mitglied des Päpstlichen Rates „Cor Unum“ ernannt. Das gab der Vatikan an diesem Samstag bekannt. Zudem stockte Franziskus den Führungsausschuss von Caritas Internationalis mit drei weiteren Mitgliedern auf: dem Bischof von Gent und Präsidenten von Caritas Europa, Lucas Van Looy, dem Erzbischof von Zypern und Präsident der Caritas Zypern, Youssef Antoine Soueif, und dem Präsidenten von Caritas Ozeanien, Pater Gerard Patrick Burns. (rv)

Italien: Giacomo Kardinal Biffi verstorben

Kardinal Giacomo BiffiDer emeritierte Erzbischof von Bologna, Kardinal Biffi ist heute in den Morgenstunden im Alter von 87 Jahren verstorben. Biffi leitete die Erzdiözese bis Dezember 2003. Papst Johannes Paul II. hatte ihn 1985 in den Kardinalsstand erhoben und ihm die Titelkirche Ss. Giovanni Evangelista e Petronio zugewiesen. Bis 2008 war er Mitglied der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Mit seinem Tod umfasst das Kardinalskollegium insgesamt 221 Kardinäle und von diesen haben 120 ein aktives Wahlrecht in einem künftigen Konklave. (vh)

Der Papst an Priester und Ordensleute in Santa Cruz, Bolivien

BolivienChristen dürfen nicht wegsehen, wenn sie mit dem Leid ihrer Mitmenschen konfrontiert werden. Das sagte Papst Franziskus am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) bei einer Begegnung mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen in einer Salesianerschule in Santa Cruz, Bolivien. Hier finden Sie den vollen Text der Ansprache des Papstes mit den meisten der von ihm vorgenommenen, spontanen Einschüben.

„Liebe Brüder und Schwestern,

ich freue mich über diese Begegnung mit euch, um die Freude zu teilen, die das Herz und das ganz Leben der Jünger und Missionare Jesu erfüllt. Die Grußworte von Weihbischof Roberto Bordi haben das zum Ausdruck gebracht und ebenso die Zeugnisse von Padre Miguel, von Schwester Gabriela und des Seminaristen Damián. Vielen Dank dafür, dass ihr uns an eurer eigenen Berufungserfahrung habt Anteil nehmen lassen.

Im Bericht des Markus haben wir auch von der Erfahrung eines anderen Jüngers, des Bartimäus gehört, der sich der Gruppe derer anschloss, die Jesus nachfolgten. Er war ein Jünger der letzten Stunde. Es war die letzte Reise des Herrn von Jericho nach Jerusalem, wo er ausgeliefert werden sollte. Blind und ein Bettler. So stand Bartimäus am Rand des Weges. Ausgeschlossener geht es gar nicht. Ausgegrenzt. Und als er erfuhr, dass Jesus vorüberging, begann er zu schreien, er ließ sich hören – so wie diese gute Schwester, die mit dem Schlagzeug auf sich aufmerksam gemacht und gesagt hat, hier bin ich! Herzlichen Glückwunsch, du spielst gut!

Jesus war von den Aposteln umgeben, den Jüngern, den Frauen, die ihm gewöhnlich folgten, mit denen er sein Leben lang die Wege Palästinas durchwanderte, um das Reich Gottes zu verkünden. Und eine große Menschenmenge. Wenn wir das etwas pointiert ins Heute übersetzen: Mit Jesus gingen die Bischöfe, die Priester, die Ordensfrauen, die Seminaristen, die engagierten Laien, alle, die ihm folgten, die ihm zuhörten, und das gläubige Volk Gottes.

Zwei Fakten zeigen sich deutlich, drängen sich uns auf. Einerseits das Geschrei, das Geschrei des Bettlers und andererseits die verschiedenen Reaktionen der Jünger. Stellen wir uns die verschiedenen Reaktionen der Bischöfe, der Priester, der Ordensfrauen, der Seminaristen auf die Schreie vor, die wir da hören… Es ist, als wollte der Evangelist uns die Art des Echos zeigen, die das Geschrei des Bartimäus im Leben der Menschen und im Leben der Gefolgsleute Jesu auslöst. Wie sie angesichts der Leiden dessen reagieren, der am Rand des Weges steht, allein mit seinem Leid. Wie keiner auf ihn achtet, wie auch keiner ihm ein Almosen zusteckt. Er gehört nicht in diesen Kreis derer, die dem Herrn folgen.

Drei Antworten hören wir auf die Schreie des Blinden, und auch heute sind diese drei Antworten aktuell. Wir könnten sie mit den Worten des Evangeliums selbst benennen:

1. Vorübergehen.

2. Sei still!

3. Hab Mut! Steh auf!

1. Vorübergehen. Einige gehen vielleicht vorüber, weil sie ihn nicht gehört haben. Sie waren bei Jesus, sie schauten auf Jesus, sie wollten Jesus hören und konnten ihn nicht verstehen. Vorübergehen ist das Echo der Gleichgültigkeit, das Vorübergehen an den Problemen, so dass sie uns nicht berühren. „Das ist ja nicht mein Problem.“ Wir hören sie nicht, wir nehmen sie nicht zur Kenntnis. Es ist die Versuchung, das Leid zu bagatellisieren, sich an das Unrecht zu gewöhnen – und, ja, so Leute gibt es: Ich bin hier bei Gott, mit meinem gottgeweihten Leben, von Jesus in den Dienst gerufen und, ja doch, es ist ganz normal, dass es Kranke gibt, Arme, Leute die leiden, und darum ist es genauso normal, dass ein Schrei, eine Bitte um Hilfe mich nicht aufmerken lassen. Wir gewöhnen uns daran, wir sagen uns: Das ist normal, es war immer so, aber mich betrifft es nicht – aber das in Klammern gesetzt, nicht wahr? Es ist das Echo, das aus einem gepanzerten, verschlossenen Herzen kommt, das die Fähigkeit zu staunen verloren hat und damit die Möglichkeit, sich zu ändern. Wir Jünger Jesu, wieviele von uns laufen Gefahr, unsere Fähigkeit des Staunens zu verlieren, sogar dem Herrn gegenüber? Dieses Staunen der ersten Begegnung, wie sehr geht es mit der Zeit zurück, und das kann jedem passieren, auch dem ersten Papst ist es passiert: Wohin sollen wir gehen, Herr, wenn du doch Worte des ewigen Lebens hast? Und dann verraten sie ihn, er leugnet, das Staunen ist bei ihm zerstört. Das ist ein ganzer Prozess des Abstumpfens. Vermauertes Herz. Es ist ein Herz, das sich daran gewöhnt hat vorüberzugehen, ohne sich anrühren zu lassen; eine Existenz, die sich dahin und dorthin wendet, aber im Leben ihres Volkes nicht Fuß fasst – einfach weil sie zu dieser „Elite“ gehört, die dem Herrn folgt.

Wir könnten das die Spiritualität des zapping nennen. Immer etwas anderes, noch etwas und noch etwas, aber nichts bleibt. Es sind die Menschen, die der letzten Neuigkeit nachlaufen, dem letzten “best seller”, die aber dann nicht imstande sind, Kontakt aufzunehmen, sich in Verbindung zu setzen, sich einzubringen, auch nicht dem Herrn gegenüber, dem sie doch folgen…

Ihr werdet mir sagen: „Diese Leute sind aber dem Meister gefolgt, sie haben aber auf die Worte des Meisters geachtet. Sie haben ihm zugehört”. Ich glaube, das ist die größte Herausforderung der christlichen Spiritualität. Der Evangelist Johannes erinnert uns daran: Wie kann jemand Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er seinen Bruder, den er sieht, nicht liebt? (1 Joh 4, 20b). Sie glaubten dem Herrn zuzuhören, aber sie verrieten ihn zugleich, und die Worte des Meisters prallten an ihrem vermauerten Herzen ab. Diese Einheit zu zerteilen – Gott hören und den Bruder hören –, ist eine der größten Versuchungen, die uns auf dem ganzen Weg begleiten, wenn wir Jesus folgen. Und wir müssen uns dessen bewusst sein. So wie wir auf unseren Vater hören, hören wir auch auf das gläubige Volk Gottes. Wenn wir es nicht mit eigenen Ohren hören, mit unserer ganzen Fähigkeit des Hinhörens, mit dem Herzen, dann ist etwas schiefgelaufen.

Vorüberzugehen, ohne auf das Leid unserer Leute zu hören, ohne Wurzel zu schlagen in ihrem Leben, in ihrem Land, ist so viel wie das Wort Gottes zu hören und nicht zuzulassen, dass es in unserem Inneren Wurzel schlägt und fruchtbar wird. Eine Pflanze, eine Geschichte ohne Wurzel, ist ein vertrocknetes Leben.

2. Zweites Wort: Sei still! Das ist die zweite Haltung gegenüber dem Geschrei des Bartimäus. Sei still, fall nicht lästig, mach keinen Wirbel, wir beten gerade, wir sind in einer Spiritualität tiefer Versenkung, stör nicht, fall nicht lästig. Im Gegensatz zur vorherigen Haltung hört diese hin, nimmt Kenntnis, tritt in Kontakt mit dem Schrei des Anderen. Sie weiß, dass er da ist, und reagiert sehr elementar, indem sie zurechtweist. Das sind die Bischöfe, die Priester, die Ordensfrauen, die Päpste, oder? … Armes Volk Gottes, wie oft wird es angeraunzt, wegen schlechter Laune oder wegen der persönlichen Lage eines Jüngers oder einer Jüngerin Jesu. Es ist die Haltung, wie sie jene dem Volk Gottes gegenüber einnehmen, die es immer zurechtweisen, die immer knurren, die es immer zum Schweigen bringen wollen. Streichle es doch lieber, bitte, hör ihm zu, sag ihm, dass Jesus es liebt! „Nein, das geht doch nicht, gute Frau, schaffen sie diesen Jungen, der die ganze Zeit heult, aus der Kirche, ich predige doch gerade.“ Als ob das Weinen eines Kinders nicht eine sublime Predigt wäre!

Es ist das Drama des isolierten Gewissens derjenigen Jünger und Jüngerinnen, die denken, das Leben Jesu sei nur für jene, die sich für geeignet halten. Im tiefsten steckt darin eine tiefe Verachtung des heiligen, gläubigen Volkes Gottes: „Dieser Blinde da, was hat der sich hier einzumischen, der soll dahinten bleiben!“ Es sollte nur Platz geben für die “Berechtigten”, für eine “Kaste der Anderen”, die sich nach und nach von ihrem Volk absondert. Sie haben aus der Identität eine Frage der Superiorität gemacht… Die, die dem Volk Gottes ständig Hindernisse aufbauen, die spalten es.

Sie hören, aber sie hören nicht zu, sie halten lieber eine Predigt, sie sehen, aber sie schauen nicht hin. Die Notwendigkeit, anders zu sein, hat ihr Herz blockiert. Die Notwendigkeit, sich zu sagen: Ich bin nicht wie er, wie sie, hat sie nicht nur vom Schrei der Leute und von ihren Tränen entfernt, sondern besonders von den Motiven ihrer Freude. Lachen mit denen, die lachen, weinen mit denen, die weinen – das ist ein Teil des priesterlichen Herzens und des gottgeweihten Herzens…

3. Das dritte Wort: Hab Mut! Steh auf! Das ist das dritte Echo. Es geht nicht direkt auf das Geschrei des Bartimäus zurück, sondern kommt aus der Reaktion der Leute, die zusehen, wie Jesus auf den Ruf des Bettler reagiert… Es ist ein Schrei, der zum Wort wird, zur Einladung, zur Veränderung, zum Angebot einer neuen Weise, auf das heilige Volk Gottes einzugehen.

Das Evangelium sagt uns, dass Jesus nicht wie die anderen vorüberging, sondern dass er stehen blieb und fragte, was denn los sei. Er hält inne vor dem Ruf einer Person. Er tritt heraus aus der Anonymität der Masse, um zu wissen, wer das ist, und so nimmt er sich seiner an. Er schlägt Wurzel in seinem Leben. Und statt ihm Schweigen zu gebieten, fragt er: Was kann ich für dich tun? Er hat es nicht nötig, anders zu sein, sich abzusondern, er überprüft nicht, ob der Betreffende Redebefugnis hat oder nicht. Er fragt ihn nur, er will wissen, wer er ist, um am Leben dieses Menschen Anteil zu nehmen, um sein Los zu teilen. So gibt er ihm nach und nach die Würde wieder, die er da am Wegesrand, blind, verloren hatte, er bezieht ihn ein. Statt ihn nur von außen zu sehen, macht er sich auf, um sich mit den Problemen zu identifizieren und so die verwandelnde Kraft der Barmherzigkeit zu offenbaren. Es gibt kein Mitleid…, das nicht innehält. Wenn du nicht innehälst, nicht mit dem anderen leidest, dann hast du nicht das göttliche Mitleid. Es gibt kein Mitleid, das nicht zuhört. Es gibt kein Mitleid, das sich nicht mit dem Anderen solidarisiert. Das Mitleid ist kein zapping, es besteht nicht im Verschweigen des Leids. Es ist im Gegenteil die Logik der Liebe. Es ist die Logik, die sich nicht von der Angst bestimmen lässt, sondern von der Freiheit, die daher kommt, dass man liebt und das Wohl des Anderen über alle Dinge stellt. Es ist die Logik, die daher kommt, dass man keine Angst hat, dem Leid unserer Leute nahezukommen. Auch wenn es oftmals nicht mehr ist, als an ihrer Seite zu sein und aus diesem Augenblick eine Gelegenheit zum Gebet zu machen.

Das ist die Logik der Jüngerschaft, das ist es, was der Heilige Geist mit uns und in uns tut. Dafür sind wir Zeugen. Eines Tages sah uns Jesus am Rand des Weges, auf unseren Leiden sitzend, auf unserem Elend, auf unserer Gleichgültigkeit. Jeder kennt seine alte Geschichte. Er hat uns nicht zu schweigen befohlen, sondern ist im Gegenteil stehen geblieben, hat sich uns genähert und gefragt, was er für uns tun könne. Und dank einer großen Zahl von Zeugen, die uns sagten: Hab Mut! Steh auf!, haben wir nach und nach diese barmherzige Liebe begriffen, die verwandelnde Liebe, die es uns befähigt hat, das Licht zu sehen. Wir sind nicht Zeugen einer Ideologie, wir sind nicht Zeugen eines Rezepts, oder einer Art und Weise, Theologie zu betreiben. Von all dem sind wir keine Zeugen. Wir sind Zeugen der heilenden und barmherzigen Liebe Jesu. Wir sind Zeugen seines Wirkens im Leben unserer Gemeinden.

Das ist die Pädagogik des Meisters, das ist die Pädagogik des Volkes Gottes. Von der Gleichgültigkeit des zapping zum “Hab Mut! Steh auf! Der Meister ruft dich” (Mk 10, 49). Nicht weil wir etwas Besonderes sind, nicht weil wir besser sind, nicht weil wir Funktionäre Gottes sind, sondern nur, weil wir dankbare Zeugen der Barmherzigkeit sind, die uns umgestaltet.

Und wenn man so lebt, dann kommen Lust und Freude auf, und wir können dem Zeugnis der Schwester zustimmen, die sich in ihrem Leben an den Rat des hl. Augustinus, zu singen und voranzugehen, gehalten hat. Diese Freude, die vom Zeugnis der umwandelnden Barmherzigkeit herkommt. Wir sind nicht allein auf diesem Weg. Wir helfen einander durch das Beispiel und das Gebet. Eine Wolke von Zeugen (vgl. Hebr 12,1) steht uns zur Seite. Denken wir an die selige Nazaria Ignacia de Santa Teresa de Jesús, die ihr Leben der Verkündigung des Reiches Gottes gewidmet hat. Sie betreute die Alten, mit der »Schüssel des Armen« für jene, die nichts zu essen hatten, sie eröffnete Heime für verwaiste Kinder und Krankenhäuser für Kriegsversehrte, sie gründete sogar eine weibliche Gewerkschaft zur Förderung der Frau. Denken wir auch an die ehrwürdige Virginia Blanco Tardío, die sich ganz der Evangelisierung und Pflege der Armen und Kranken gewidmet hat. Sie und viele andere Namenlose, sehr viele unter uns, die wir Jesus folgen, sind ein Ansporn auf unserem Weg. Diese Wolke der Zeugen! Gehen wir voran mit der Hilfe Gottes und der Mitarbeit aller. Der Herr bedient sich unser, damit sein Licht in alle Winkel der Erde dringt. Und vorwärts: Sing und geh voran! Und während Sie singen und vorangehen, beten Sie bitte für mich, ich brauche es. Danke.“ (rv)

Kardinal Turkson: Kirche solidarisch mit Volksbewegungen

Kardinal TurksonEine der wichtigsten oder zumindest öffentlichkeitswirksamsten Begegnungen bei dieser Lateinamerikareise von Papst Franziskus findet an diesem Donnerstagabend in Bolivien statt: Der Papst nimmt an einem internationalen Treffen der Volksbewegungen teil. Wenige Tage vor diesem Treffen hat sich der Vatikanvertreter Kardinal Peter Turkson mit den Zielen der Bewegungen solidarisch erklärt. Die Kirche anerkenne, schätze und fördere das politische Engagement der Volksbewegungen, unterstrich der Präsident des Päpstlichen Friedensrates beim Start der Konferenz am Dienstag im bolivianischen Santa Cruz. An dem Zweiten Welttreffen der Volksbewegungen in Bolivien nehmen schätzungsweise 1.500 Vertreter aus Lateinamerika und anderer Kontinente teil, darunter zahlreiche Bischöfe und andere Kirchenvertreter. Papst Franziskus tritt am Donnerstagabend vor die versammelten Vertreter und wird in einer Ansprache seine Sicht der Dinge darlegen.

Bereits im Oktober 2014 hatte der Papst Teilnehmer eines solchen Treffens der Volksbewegungen im Vatikan empfangen und über das Thema Solidarität gesprochen: „Das bedeutet, denken und aktiv werden für die Gemeinschaft und einstehen für die Prioritäten des Lebens, anstatt all das tun, was nur die Inbesitznahme von Gütern ist", so der Papst damals. Und weiter: „Solidarität bedeutet auch, dafür zu kämpfen, dass es keine Ungleichheiten und Armut oder Arbeitslosigkeit und Enteignungen gibt. Solidarität ist auch der Kampf um soziale Rechte und um die Rechte von Arbeitern.“ Es gehe bei diesen Volksbewegungen darum, die „Demokratien zu revitalisieren", so der Papst.

Das Thema jetzt beim Treffen in Bolivien sei dasselbe wir beim Treffen im Vatikan, betonte Kardinal Turkson im Interview mit Radio Vatikan. „Er kritisiert oft die Wirtschaft, die nicht richtig funktioniert, oder das internationale Finanzsystem. Das Thema des Ausschlusses von Menschen, um das es dabei geht, erinnert uns daran, dass, wenn es gelänge, all die Ausgeschlossenen ins Boot zu holen, die Welt viel besser wäre.“ Von den sieben Milliarden Menschen auf der Welt werden drei Milliarden in den „informellen Sektor“ sortiert, rechnet Kardinal Turkson vor. Sie seien weder ins Wirtschaftssystem noch in die Gesellschaft eingegliedert, zahlten auch keine Steuern. „Es gibt einen großen Teil der menschlichen Aktivität, der nicht anerkannt wird“, so Turkson. „Hierum geht es bei diesen Treffen, sie sollen Protagonisten, Verantwortliche für ihre eigene Zukunft werden.“

Das Treffen in Bolivien sei deswegen etwas Besonderes, weil der Präsident des Landes, Evo Morales, selber aus der Bewegung hervor gegangen sei. Man fühle sich also zu Hause, so Turkson. Morales hatte auch am ersten Treffen 2014 im Vatikan teilgenommen. (rv)

Papstrede zur Begrüßung in Bolivien

BolivienHerr Präsident,
geschätzte Vertreter des öffentlichen Lebens,
liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern,

zu Beginn dieses Pastoralbesuchs möchte ich alle Männer und Frauen Boliviens grüßen und ihnen meine besten Wünschen für Frieden und Wohlergehen aussprechen. Ich danke dem Präsidenten des Plurinationalen Staates Bolivien für den mir erwiesenen herzlichen Empfang und für seine freundlichen Worte zur Begrüßung. Dank sage ich auch den Herren Ministern und den Vertretern des Staates, der Streitkräfte und der Staatspolizei, die so gütig waren, mich zu empfangen. Meinen Brüdern im Bischofsamt, den Priestern, den Ordensleuten, den Christgläubigen und der ganzen pilgernden Kirche in Bolivien möchte ich meine Empfindungen brüderlicher Verbundenheit im Herrn zum Ausdruck bringen. Im Herzen trage ich besonders die Söhne und Töchter dieses Landes, die aus vielfachen Gründen eine „andere Erde“ suchen mussten, damit diese sie aufnehme, einen anderen Ort, wo diese Mutter sie fruchtbar werden lasse und ihnen das Leben möglich mache.

Ich freue mich, in diesem Land einzigartiger Schönheit zu sein, das in seinen verschiedenen Gegenden von Gott gesegnet wurde: das Hochland, die Täler, das Amazonastiefland, die Wüsten, die unvergleichlichen Seen. Die Präambel seiner Verfassung hat dies auf poetische Weise festgehalten: „Vor unvordenklichen Zeiten erhoben sich Berge, entsprangen Flüsse, bildeten sich Seen. Unser Amazonien, unser Chaco, unser Hochland und unsere Ebenen und Täler hüllten sich in Pflanzen und Blumen“. Es erinnert mich daran, dass „die Welt [..] mehr [ist] als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten“ (Enzyklika Laudato si’, 12). Es ist aber vor allem ein Land, das in seinen Menschen gesegnet ist mit seiner reichen kulturellen und ethnischen Wirklichkeit, die einen großen Reichtum und einen bleibenden Aufruf zum gegenseitigen Respekt und zum Dialog darstellt: jahrtausendealte ansässige Völker und gegenwärtige ansässige Völker. Wie viel Freude bereitet es uns zu wissen, dass das Kastilische, das in diese Länder gebracht wurde, heute mit 36 indigenen Sprachen zusammenlebt und sich vermischt – wie es bei den Nationalblumen Kantuta und Patujú das Rot und das Gelb tun –, um Schönheit und Einheit in der Verschiedenheit zu geben. In diesem Land und Volk hat die Verkündigung des Evangeliums starke Wurzeln geschlagen, und die Jahre hindurch hat das Evangelium das Zusammenleben erleuchtet und so zur Entwicklung des Volkes beigetragen und die Kultur gefördert.

Ich komme als Gast und Pilger, um den Glauben derer zu stärken, die an den auferstandenen Christus glauben. Denn wir Gläubige sollen, während wir in diesem Leben pilgernd unterwegs sind, Zeugen seiner Liebe, Sauerteig einer besseren Welt sein und am Aufbau einer gerechteren und solidarischen Welt mitarbeiten.

Bolivien macht gerade wichtige Schritte, die Inklusion von weiten Bereichen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens voranzubringen. Es kann auf eine Verfassung zählen, welche die Rechte der Einzelnen, der Minderheiten, der Umwelt anerkennt, wie auch auf Einrichtungen, die für diese Wirklichkeiten empfänglich sind. All das verlangt einen Geist öffentlicher Zusammenarbeit, des Dialogs und der Teilnahme der Einzelnen und der gesellschaftlichen Handlungsträger in den Fragestellungen, die alle angehen. Der ganzheitliche Fortschritt eines Volkes beinhaltet das Wachstum in Bezug auf die menschlichen Werte und die Übereinstimmung in gemeinsamen Idealen, denen es gelingt, die Willen zu vereinen, ohne jemanden auszuschließen oder abzuweisen. Wenn es sich beim Wachstum um ein bloß materielles handelt, läuft man immer Gefahr, wieder neue Unterschiede zu schaffen, bei denen der Überfluss der einen auf dem Mangel der anderen beruht. Daher erfordert der gesellschaftliche Zusammenhalt neben der Transparenz auf institutioneller Ebene Anstrengung bei der Erziehung der Bürger.

In diesen Tagen möchte ich gerne die Berufung der Jünger Christi fördern, die Freude des Evangeliums zu verkünden und Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Die Stimme der Hirten, die eine prophetische sein muss, spricht zur Welt im Namen der Mutter Kirche, ausgehend von ihrer auf dem Evangelium gründenden vorrangigen Option für die Geringsten. Die brüderliche Nächstenliebe, der lebendige Ausdruck des neuen Gebots Jesu, drückt sich in Programmen, Werken und Einrichtungen aus, welche die ganzheitliche Förderung des Menschen suchen, so wie die Sorge und der Schutz für die Schwächsten. Man kann nicht an Gott Vater glauben, ohne in jedem Menschen einen Bruder oder eine Schwester zu sehen, und man kann Jesus nicht nachfolgen, ohne das Leben für die hinzugeben, für die er am Kreuz gestorben ist.

In einer Zeit, die oft dazu neigt, die grundlegenden Werte zu vergessen oder zu verkehren, verdient die Familie ein besonderes Augenmerk seitens der Verantwortlichen für das Gemeinwohl. Sie bildet nämlich die Grundzelle der Gesellschaft, die feste Bande der Einheit beisteuert, auf denen das menschliche Zusammenleben beruht, und sie gewährleistet durch die Zeugung und Erziehung ihrer Kinder die Erneuerung der Gesellschaft.

Die Kirche fühlt ebenso besondere Sorge für die jungen Menschen, die im Einsatz für den Glauben und für große Ideale eine viel versprechende Zukunft sind, „Wächter, die die Morgenröte und den neuen Frühling des Evangeliums ankündigen“ (Johannes Paul II., Botschaft zum 18. Weltjugendtag, 6). Für die Kinder Sorge zu tragen, dafür zu sorgen, dass die Jugend sich für edle Ideale einsetzt, ist die Garantie für die Zukunft einer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die ihre eigene Versicherung findet, wenn sie ihre alten Leute schätzt, ehrt und für sie sorgt, wenn sie die Wahl trifft, eine „Gedächtniskultur“ zu schaffen, die den alten Menschen nicht nur die Lebensqualität in ihren letzten Jahren sicherstellt, sondern die Herzenswärme, wie es Ihre Verfassung gut zum Ausdruck bringt.

Herr Präsident, liebe Brüder und Schwestern, ich danke Ihnen, dass ich hier sein darf. Diese Tage werden es uns möglich machen, verschiedene Momente der Begegnung, des Dialogs und der Feier des Glaubens zu erleben. Es freut mich, in Ihrer Heimat zu sein, die sich als friedliebend bezeichnet, welche die Kultur des Friedens und das Recht auf Frieden fördert.

Ich stelle diesen Besuch unter den Schutz der Unserer Lieben Frau von Copacabana, der Königin Boliviens, und bitte sie, dass sie alle ihre Kinder beschütze. Vielen Dank! Der Herr segne sie! Jallala Bolivien! (rv)

Papst an Studenten: „Diese Erde schreit zum Himmel“

EcuadorIn einer Ansprache vor Vertretern der Schulen und Universitäten Ecuadors hat der Papst zum Schutz der Schöpfung und zu einer Bildung für das Gemeinwohl aufgerufen. In seiner Rede an der Päpstlichen Katholischen Universität in Quito zitierte Franziskus Stellen aus seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato sì“. An der 1946 gegründeten Päpstlichen Universität in Quito studieren rund 30.000 junge Menschen an 14 Fakultäten. Unter ihnen sind traditionell viele Söhne und Töchter aus Familien der höheren und mittleren Gesellschaftsschichten.

Mit Gesängen empfingen die Studenten den Papst an ihrer Universität. „Die Schöpfung ist eine Gabe, die geteilt werden muss.“ Der Papst ging zunächst vom Gleichnis vom Sämann aus dem Lukasevangelium (Lk 8, 4-15) und vom Buch Genesis aus, in dem Gott den Menschen zum „Bebauen und Hüten“ (Gen 2, 15) einlädt. Die Schöpfung sei der Ort, um eine Gemeinschaft aufzubauen, ein „Wir“ der gegenseitigen Sorge und Verantwortung: „Die Welt, die Geschichte, die Zeit ist der Ort, wo wir das Wir mit Gott aufbauen, das Wir mit den anderen, das Wir mit der Erde. Unser Leben verbirgt immer diese Einladung, eine mehr oder weniger bewusste Einladung, die immer fortbesteht.“

„Bebauen“ und „Hüten“ der Schöpfung müssen dabei Hand in Hand gehen, erinnerte der Papst: „Das eine erklärt sich vom anderen her. Wer nicht Sorge trägt, bebaut nicht, und wer nicht bebaut, trägt nicht Sorge. Wir sind nicht nur eingeladen, am Schöpfungswerk teilzunehmen, indem wir die Schöpfung bebauen, wachsen lassen, entwickeln, sondern wir sind auch eingeladen, für sie Sorge zu tragen, sie zu schützen, sie zu bewahren.“

„Eine Erde, die zum Himmel schreit“

Angesichts der großen Schädigungen, Verwüstungen und Plünderungen der Umwelt durch den Menschen und des Irrglaubens, technologische und wirtschaftliche Macht bedeuteten automatisch echten Fortschritt, sei ein Kurswechsel vonnöten, schärfte der Papst seinen Zuhörern ein.,Welche Art von Kultur wollen wir für uns und unsere Kinder und Enkel? Wie wollen wir die Erde hinterlassen? Welchen Sinn wollen wir dem Leben einprägen?‘ seien Fragen, die heute gestellt werden müssten. Angesichts einer „Erde, die zum Himmel schreit“, sei die Sorge um die Schöpfung heute ein dringlicher „Auftrag“: „Wir können unserer Wirklichkeit, unseren Brüdern und Schwestern, unserer Mutter Erde nicht weiter den Rücken zukehren. Es ist uns nicht gestattet, das, was um uns herum geschieht, zu ignorieren, als ob bestimmte Situationen nicht existieren würden und nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun hätten. Einmal mehr ergeht eindringlich diese Frage Gottes an Kain: ,Wo ist dein Bruder?‘ Ich frage mich, ob unsere Antwort weiter lauten wird: ,Bin ich der Hüter meines Bruders?‘ (Gen 4,9)

Mensch und Welt seien in einem engen Netzwerk verflochten, das Möglichkeiten der Verwandlung und Entwicklung, aber auch der Zerstörung und des Todes beinhalte, führte der Papst weiter aus. Umweltschutz bedeute hier auch Achtsamkeit für die menschliche Umwelt, unterstrich Franziskus mit Worten aus seinem jüngsten päpstlichen Lehrschreiben: „Die menschliche Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht sachgemäß angehen können, wenn wir nicht auf Ursachen achten, die mit dem Niedergang auf menschlicher und sozialer Ebene zusammenhängen“ (Laudato sì, 48).

Erziehung zur Sorge um die Schöpfung

Bildungsgemeinschaften hätten eine „lebenswichtige, wesentliche Rolle beim Aufbau des Bürgersinns und der Kultur“, ging der Papst dann zum zweiten Schwerpunkt seiner Ansprache über. Schulen und Universitäten seien „ein Saatbeet“ und „fruchtbare Erde“, „durstig nach Leben“. Die Uni-Professoren, Lehrer und Eltern rief er an dieser Stelle dazu auf, den Nachwuchs zur Sorge um die Gemeinschaft, die Ärmsten und die Umwelt heranzubilden. Den Erziehern redete er ins Gewissen:

„Wachen Sie über Ihre Schüler, indem Sie ihnen helfen, einen kritischen Geist, einen offenen Geist zu entwickeln, der in der Lage ist, für die Welt von heute zu sorgen? Einen Geist, der fähig ist, neue Antworten zu finden auf die vielen Herausforderungen, die uns die Gesellschaft stellt? Sind Sie in der Lage, sie zu ermutigen, der Wirklichkeit, die sie umgibt, nicht mit Desinteresse zu begegnen?“ Analysen allein reichten hier nicht aus, fuhr der Papst fort, vielmehr müsse es darum gehen, kreative Lösungen für aktuelle Probleme zu finden und „authentische Forschung“ sowie ein Denken in Zusammenhängen zu fördern: „Wie gelangt das Leben um uns mit seinen Fragen, Fragestellungen und Problemen in die Universitätsprogramme oder in die verschiedenen Bereiche der Bildungsarbeit? Wie entfachen und wie begleiten wir eine konstruktive Diskussion, die aus dem Dialog über eine menschlichere Welt entsteht?“

Mehr Zugang zu Bildung ermöglichen

Auch an den universitären Nachwuchs Ecuadors richtete sich der Papst mit einem klaren Aufruf. Ein Universitätsabschluss sei kein „Synonym für höheren Status“, „Geld“ oder „soziales Ansehen“, so Franziskus. Bildung sei schließlich ein „Zeichen größerer Verantwortung“, sie sei ein „Recht“, aber auch ein „Privileg“, wandte er sich an Schüler und Studenten: „Wie viele Freunde – bekannt oder unbekannt – möchten einen Platz an diesem Ort haben und haben ihn wegen verschiedener Umstände nicht erhalten? In welchem Maß hilft uns unser Studium, uns mit ihnen zu solidarisieren?“ (rv)