„Ich habe das Gefühl, mein Pontifikat wird kurz sein“

Papst FranziskusPapst Franziskus hat sich, sozusagen, mexikanisiert: Dem mexikanischen Fernsehen gab er zu seinem zweiten Amtsjubiläum ein großes Interview, unter einem Bild der Jungfrau von Guadalupe. Dabei warb er erneut um Verständnis dafür, dass er in einer privaten Email vor einer „Mexikanisierung" seiner argentinischen Heimat gewarnt hatte – das sei doch ein in erster Linie „technischer Begriff", wie auch das Wort „Balkanisierung". Und er sprach von seinem Gefühl, dass er ein eher kurzes Pontifikat haben werde.

Fast anderthalb Stunden O-Ton Franziskus: Das Gespräch mit dem Sender „Televisa" gehört zu den bisher längsten Papst-Interviews überhaupt. Differenziert äußert er sich über den Vatikan; es gebe „hier sehr gute Menschen", und eine „genügende" Zahl von ihnen sage ihm auch ihre Sicht der Dinge „offen ins Gesicht". Wobei Franziskus beteuert: „Nie, nie, nie – das sage ich vor Gott – habe ich, seit ich Bischof bin, jemanden dafür bestraft, dass er mir die Dinge ins Gesicht gesagt hat! Das sind die Mitarbeiter, die ich will." Seine vielbeachtete Weihnachtsansprache an die Kurie habe in erster Linie eine profunde „Gewissenserforschung" sein sollen. „Ich wollte sie so plastisch machen", erklärt er, „das hat vielleicht nicht gefallen, der Stil war nicht sehr traditionell für eine Botschaft zum Jahresende – aber am Jahresende tut man gut daran, eine Gewissenserforschung zu halten". Im Übrigen sei es ihm bei der Kurienreform vor allem um eine „Bekehrung des Herzens" zu tun, allerdings durchaus gefolgt von einer „Bekehrung der Lebensweise": „Ich glaube, das ist der letzte Hof, den es noch gibt in Europa", sinniert der Papst über den Vatikan, da müsse etwas „geändert werden", als „Dienst an der Kirche" und „an den Bischöfen".

„Ich habe das Gefühl, dass mein Pontifikat kurz sein wird", vertraut Franziskus außerdem seiner Interviewerin an, allerdings sei das „ein etwas vages Gefühl", darum habe er doch „immer die Möglichkeit offen" – ein Punkt, den er allerdings nicht näher ausführt. Ob er, wie Diözesanbischöfe, also mit achtzig Jahren zurücktreten werde? Das wehrt der Papst ab: „Mir gefällt das nicht sehr, diese Altersgrenze festlegen", das Papsttum sei nun mal so etwas wie eine „letzte Instanz", eine „besondere Gnade". „Also, zu sagen: Der ist jetzt achtzig – das schafft ein Gefühl von Ende des Pontifikats, das nicht gut tun würde. Vorhersehbar, nicht?"

Mit Blick auf den synodalen Prozess zu Ehe und Familie warnt er ausdrücklich vor „übertriebenen Erwartungen"; er deutet an, dass wiederverheiratete Geschiedene aus seiner Sicht die Möglichkeit bekommen müssten, Taufpaten zu sein. Besonders ausführlich geht Franziskus in dem Interview aber natürlich auf mexikanische Belange ein: Er wolle das Land einmal ausführlich besuchen, „nicht nur flüchtig und im Vorbeigehen"; für die 43 verschwundenen – mutmaßlich getöteten – Studenten von Iguala fordert er „Gerechtigkeit, und dass man an sie denke". Auf Sekten angesprochen rät er, genau zwischen „ernsthaften Evangelikalen" und Sekten zu unterscheiden, und beklagt den verbreiteten „Klerikalismus" in Lateinamerikas katholischer Kirche, der die Laien am „Wachsen" hindere. (rv)

„Ein Papst auf der Höhe der Zeit“

Am Montag wird Joseph Ratzinger 85 Jahre alt. Zu denjenigen, die ihn schon lange kennen, gehört Kardinal Walter Kasper. Radio Vatikan hat ein Interview mit dem langjährigen, inzwischen emeritierten Präsidenten des Päpstlichen Einheitsrates geführt und wollte zunächst von ihm wissen, wann er dem heutigen Papst eigentlich das erste Mal begegnet ist.

„Genauer kennengelernt habe ich ihn 1964, als ich Professor in Münster in Westfalen wurde. Er war damals auch Professor in derselben katholischen Logenfakultät. Begegnet ist er mir allerdings schon ein Jahr vorher, bei einer Akademieveranstaltung der Diözesanakademie in Stuttgart. So ist es fast eine halbes Jahrhundert, das wir uns kennengelernt haben und uns zunächst als Theologen begegnet sind."

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Eindruck?

„Der erste Eindruck war derselbe, wie wir Joseph Ratzinger, jetzt Benedikt XVI. heute kennen. Ein sehr stiller gesammelter Mensch, der sehr bescheiden auftritt, hochbelesen und grundgescheit ist, aber in seinen Aussagen sehr bestimmt ist. Er spricht eine sehr schöne Sprache, verständlich und ansprechend. Und so ist er auch geblieben, bis heute."

Sie kennen ihn als Theologen, als Erzbischof von München und Freising, als Präfekten in Rom, als Sie selbst Bischof in Deutschland waren. Dann als Präfekten, als Sie hier in Rom gearbeitet haben, nun als Papst. Wie ist es, den Papst schon so lange und in so verschiedenen Rollen zu kennen?

„Gut, es war zunächst natürlich eine Schwierigkeit schon innerhalb des Konklaves, wenn jeder Kardinal zum Papst vorgeht, ihn begrüßt, man gibt ihm die Hand und verspricht den Gehorsam. Und da war es für mich die Schwierigkeit, wie soll ich ihn denn überhaupt anreden, denn wir waren per „Du" und man kennt sich schon sehr lange als Kollegen, dann als Bischöfe hier in Rom. Aber er hat es mir dann sehr leicht gemacht. Seine ersten Worte, die er zu mir gesagt hat, damals noch im Konklave, waren: Nun müssen wir den Weg der Einheit gemeinsam gehen!

Und als ich ihn dann später im Vatikan zu einem persönlichen Gespräch getroffen habe, sagte er „wir belassen es bei dem Du". Nun, man ist in diesem Moment sehr zurückhaltend, man darf beim Papst nicht indiskret sein. Ich versuche dies möglichst wenig zu gebrauchen, aber es ist immer ein sehr persönliches und herzliches Gespräch und eine angenehme Begegnung.

Wir schätzen uns gegenseitig, ich auf jeden Fall schätze ihn sehr als Theologen. Wenngleich ich hier und da gelegentlich andere theologische Akzente gesetzt habe. Aber das ist in der Theologie durchaus etwas Normales, da braucht es gelegentlich Disputationen. Das gehört sozusagen zum Geschäft der Theologie. Mit einem Papst führt man selbstverständlich keine öffentliche Disputation. Das tut man nicht, und es würde dem Amt auch schaden. Das Amt ist zu wichtig, um es zu beschädigen."

Sie haben es angesprochen: Diskussion unter Theologen ist normal, sogar wissenschaftlich gewünscht. Sie haben mit ihm gestritten. Die Frage etwa des Primates der Verschiedenheit und des Petrus, ich erinnere mich an meine eigenes Theologiestudium. Wie ist das, mit dem Theologen Joseph Ratzinger zu streiten? Was für eine Art akademische Auseinandersetzung führt man mit Joseph Ratzinger?

„Zunächst einmal, man führt eine sehr respektvolle Auseinandersetzung, denn an seiner theologischen Qualität besteht kein Zweifel, ich selber habe großen Respekt vor seiner theologischen Leistung. Zum anderen führt man eine Auseinandersetzung auf dem gemeinsamen Boden des katholischen Glaubens, wir sind beide katholisch, also auf einer gemeinsamen Grundlage. Hier ist eine Auseinandersetzung etwas Wünschenswertes. Und dann geht es schon zur Sache. Er spricht ja auch eine sehr deutliche Sprache, und das darf man dann auch wieder unter allem Respekt tun. Es war aber nie eine Feindseligkeit oder dergleichen zwischen uns. Als Papst ist es eine völlig andere Sache, zumal als Kardinal hier in Rom ist es einfach unsere Aufgabe, dem Papst zu helfen, ihn unter Umständen auch einmal aus Situationen herauszuhauen, das muss man auch tun. Er kann sich ja nicht immer in der gleichen Weise wehren, wie man das sonst tun kann, da muss man ihm helfen, ihn unterstützen und vielleicht einen echten Wadenbeißer für ihn machen."

Nun hat er ja auch als Papst selber zu Diskussionen eingeladen. Sein Jesus-Buch will er nicht als lehramtliches Dokument verstanden wissen. Haben Sie mit ihm schon einmal über dieses Buch gesprochen, oder wissen Sie von Diskussionen, die er selber über dieses Jesus-Buch beziehungsweise Jesus-Bücher geführt hat?

„Ich habe nie selber mit ihm über dieses Buch gesprochen. Es hat sehr viel Anerkennung gefunden. Es ist schließlich auch ein Buch, das auch für Nicht-Fachtheologen lesbar ist, was sehr wichtig ist. Es gibt natürlich unter den Fachtheologen hier und da unterschiedliche Meinungen, das ist das normalste der Welt. Im Großen und Ganzen werden die aber sehr sachlich und zurückhaltend geäußert. Man will einem Papst nicht zu nahe treten, aber auf der anderen Seite schätzt man, dass er sich überhaupt so auf die Exegese eingelassen hat.

Es ja auch nicht selbstverständlich, dass sich ein Papst auf die heutige, moderne Exegese einlässt, sie zitiert und sich damit auseinandersetzt und Position bezieht. Das Buch hat in sofern schon auch etwas bewirkt, als es eine hypertrophe, überzogene, kritische Einstellung zurückstutzt. Man kann ja auch die Kritik überziehen.

Gelegentlich braucht es auch eine Kritik an der Kritik. Das hat er ja auch getan. Vor allem hat er auch versucht, sich nicht so auf den historischen Jesus zu fixieren, sondern Jesus aus dem Ganzen des neuen Testaments heraus zu interpretieren. Das ist eine neue Form der Exegese, eine ganzheitliche, kanonische Exegese innerhalb des Kanons des neuen Testaments, wie sie vor allem in Amerika entwickelt worden ist. Und in sofern ist er hier auch schon auf der Höhe der Zeit."

Das wahrscheinlich prägendste Merkmal an Joseph Ratzinger, Benedikt XVI. ist das Theologe sein, das kommt immer wieder, auch ein Theologe der verständlich ist, vor allem mittwochs bei den Generalaudienzen immer wieder hervorkommt. Wie würden Sie sein Denken beschreiben?

„Es ist ein Denken, das von der Bibel und den Kirchenvätern herkommt. Es ist entscheidend für ihn, dass aus der ganz großen weiten Tradition heraus schöpft, sie aber auch zu aktualisieren versteht. Vor allem geht es ihm, das ist mein Eindruck, um eine spirituelle Vertiefung des Glaubens und das ist etwas, was mir viele Hörer der Audienz oder der Predigten, der Katechesen sagen, dass sie diese spirituellen Akzente und diese Tiefe und den Reichtum sehr schätzen. Also für ihr eigenes religiöses Leben sehr viel mitnehmen. Mir scheint das eines der Hauptanliegen seines Pontifikats zu sein. Die Vertiefung des Glaubens selber, denn nur aus einem vertieften Glauben können dann auch sinnvolle Reformen kommen und nicht der umgekehrte Weg ist möglich."

Hat sich das in den letzten 50, 55 Jahren als Theologe bei ihm geändert, oder war das immer schon da?

„Ich denke das war mehr oder weniger immer schon da. Er war schon immer ein spiritueller, frommer Mensch. Als Papst kommt natürlich das Pastorale, das Spirituale noch viel mehr zum Tragen, das Wissenschaftliche tritt in diesem Moment etwas zurück. Das liegt einfach an der neuen Aufgabe, wo er große Menschenmassen ansprechen muss. Da kann er nicht als Fachtheologe reden. Aber diese spirituelle Sprache, die auch eine Sprache des Herzens ist, die versteht er zu sprechen. Er hat auch eine sehr schöne Sprache, übrigens nicht nur wenn er deutsch spricht, auch das Italiensche ist er sehr reich und vor allem das Französische, das sagen auch Franzosen zu mir. Er könne viel besser französisch als manche Franzosen es können. Er ist sehr ausdrucksfähig und das spricht dann schon sehr an."

Er ist jetzt 85 Jahre alt, er hat jahrzehntelang Theologen geprägt. Was meinen Sie, was für theologische und geistige Elemente werden über die nächsten Jahrzehnte bleiben von Benedikt XVI.?

„Ich denke, dass die Elemente sehr lange überdauern, ausgehend vom Konzil, wo er einer der einflussreichen theologischen Berater war, über kirchlich geäußerte Fragen und dass er die Liebe zur Kirche, eine tiefe Einsicht in das Wesen der Kirche, nicht nur eine soziologische Sicht der Kirche, als Leib Christi, als Braut Christi, Tempel des Heiligen Geistes. All das hat die Theologie geprägt und das wird sicher auch weiter wirken. Er hat das dann sehr vertieft von Augustinus her, der ein besonders beliebter Kirchenvater ist, und bei Augustinus in den Psalmkommentaren etwa, kann man wunderbare Aussagen über die Kirche finden.

Zum Zweiten spielt bei ihm die Geschichtstheologie eine große Rolle. Mit der hat er sich vor allem im Zusammenhang mit Bonaventura befasst, einem ganz großen Vertreter der scholastischen Theologie. Aber auch schon bei Augustinus über den Gottesstaat, das ist ja auch eine Art Geschichtstheologie, das spielt ebenfalls eine Rolle. Und von dort her hat er auch Zugänge gefunden, etwas später, als er schon Kardinal war, zu politischen Problemen der Gegenwart, Religionsfreiheit, die Situation der Kirche in der modernen Gesellschaft. Das spielt jetzt natürlich notwendigerweise eine wichtige Rolle: Diese Warnung vor dem Relativismus der Postmoderne, wo es darauf ankommt, die Wahrheitsfrage in den Vordergrund zu stellen. Die Freiheit ist nur dann frei, wenn sie auf die Wahrheit bezogen ist. Wenn sie das nicht mehr ist, wird sie abhängig von Eigeninteressen, Stimmungen und Mehrheitsmeinungen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, die Wahrheitsfrage so in den Vordergrund zu stellen.

Da besteht sehr viel Tradition des Platon, des Augustinus, auch des hohen Mittelalters. Ich denke, das ist ein besonderer Akzent bei ihm. Das ist ein zeitkritischer Akzent, aber wie ich meine ein notwendiger, weil eine gewisse Gleichgültigkeit besteht über die Wahrheit beziehungsweise man die Wahrheitsfrage abzuwerten versucht: „was ist denn das, Wahrheit", wie Pilatus fragte. Davor kann man nur warnen. Das wäre dann auch das Ende der europäischen Kultur. Und dagegen ist er auch ein Wächter oder einer, der aus der reichen europäischen Tradition und Kultur kommt. Es geht ihm auch um die Zukunft Europas, um die es nicht ganz so gut bestellt ist, wenn man auf das kulturelle, geistige Leben schaut."

Herr Kardinal, ganz herzlichen Dank. Vielleicht abschließend, wenn Sie möchten, noch ein Geburtstagsgruß: was wünschen Sie dem Heiligen Vater für seine nächsten Lebensjahre Ad multos annos?

„Man wünscht ihm natürlich mit 85 Jahren die nötige physische Kraft, aber vor allem auch die nötige geistige Durchhaltekraft gegenüber manchen Anfechtungen, denen er ausgesetzt ist. Vor allem Freude an seiner Aufgabe! Freude an der Kirche und Hoffnung für die Kirche und für sein eigenes ewiges Leben." (rv)

Benedikt XVI.: „Betet für mich zum Pontifikatsjubiläum“

Um Gebet für das Jubiläum zum siebenjährigen Pontifikat, das Benedikt XVI. am kommenden Donnerstag begeht, bat der Papst die Gläubigen in seinen französischen Grußworten:

„Ich bitte euch, für mich anlässlich der siebten Jahrestages meiner Wahl auf den Stuhl Petri am kommenden Donnerstag zu beten, damit Gott mir die Kraft gibt, die mir anvertraute Mission zu erfüllen!"

Die Barmherzigkeit des Herrn ist Quelle der Freude – das gab der Papst den deutschsprachigen Pilgern mit auf den Weg:

„Nach seiner Auferstehung gibt Christus den Aposteln die Vollmacht zur Sündenvergebung. Und den heiligen Thomas lässt er nicht im Dunkel des Unglaubens allein, sondern heilt ihn durch die Kraft seiner verklärten Wunden. So wird die Barmherzigkeit des Herrn für die Apostel zur unerschöpflichen Quelle österlicher Freude. Euch allen wünsche ich eine gnadenreiche Osterzeit!"

Der Papst war am späten Freitagnachmittag von seinem Sommersitz Castel Gandolfo in den Vatikan zurückgekehrt. Nach den umfangreichen Kar- und Osterliturgien hatte sich Benedikt XVI., der am Montag seinen 85. Geburtstag begeht, am vergangenen Sonntag zu einem kurzen Erholungsaufenthalt an seinen Amtssitz oberhalb des Albaner Sees begeben. Seinen Geburtstag begeht der Papst am Montag als normalen Arbeitstag. Am Morgen feiert er gemeinsam mit den bayerischen Bischöfen sowie dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, in der Capella Paolina des Apostolischen Palastes einen Gottesdienst. Am Mittag empfängt er Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zusammen mit einer hochrangigen Politikerdelegation in Audienz. (rv)

Papstkenner: Rückblick auf fünf Jahre „Pontifikat Benedikt“

An diesem Montag feiert die Weltkirche den fünften Jahrestag des Pontifikats von Benedikt XVI. Roman Angulanza, pensionierter Direktor des katholischen Bildungswerkes in Salzburg, kennt den Papst über ein halbes Jahrhundert. Er gehört zum Schülerkreis von Joseph Ratzinger, der die jährlichen Treffen mit seinen früheren Studenten auch als Papst in Castel Gandolfo weiterführt. Schritte auf dem Weg der Ökumene, wichtige Papstreisen oder Benedikts Umgang mit heiklen Themen wie Missbrauch und Piusbrüdern – im Interview mit Radio Vatikan lässt Angulanza fünf bewegte Jahre „Pontifikat Benedikt“ Revue passieren. Lesen Sie hier den zweiten Teil zum Thema.
So wie Benedikt XVI. bei der ersten Bischofssynode nach seiner Wahl zum Papst neue Kommunikationsregeln propagierte, so schlug er auch im interreligiösen Dialog einen neuen Ton an. Im Gedächtnis blieb vor allem die Regensburger Rede vom 12. September 2006. Diese warf nicht nur in der muslimischen Gemeinschaft Fragen auf. Benedikts provokantes Zitat zum Verhältnis von Religion und Gewalt im Islam hat den Dialog mit den Muslimen jedoch gerade erst in Gang gebracht, so Angulanza.
„Es haben sich ja unmittelbar nach der Rede 138 hochrangige Vertreter des Islams gemeldet. Sie haben einen sehr respektvollen Brief an den Papst gerichtet. Damit hat dann ein fruchtbarer Dialog begonnen. Ein Jahr später waren diese hochrangigen Gelehrten dann bei uns im Schülerkreis und führten einen sehr höflichen Dialog ohne Feindseligkeiten mit ihm. Da wurden vor allem die Gemeinsamkeiten der beiden Religionen herausgearbeitet. Daraufhin ist es zur Gründung eines katholisch-muslimischen Forums gekommen und das hat wiederum bewirkt, dass in einzelnen muslimischen Staaten dann auch erlaubt worden ist, Kirchen zu bauen.“
Dialog mit dem Islam „auf hohem Niveau“
An das Verbindende der beiden Religionen erinnerte der Papst auch im Rahmen seiner Heilig-Land-Reise im Mai 2009. In einer Ansprache vor Moslems und Diplomaten im jordanischen Amman warnte er vor Religionsmissbrauch und rief zum Schutz religiöser Minderheiten auf. Dabei wählte Benedikt XVI. einen respektvollen Ton, knüpfte selbst an jenen Dialog an, der seit der Regensburger Rede begonnen hatte. Das habe wohl auch mit Benedikts guter Kenntnis des Islams zu tun. Angulanza:
„Beim ersten Treffen im Schülerkreis, nachdem er Papst geworden war, hatten wir das Thema Islam. Das haben wir breit abgehandelt, mit hervorragenden Fachleuten zum Thema. Dort hat sich gezeigt, dass er selbst sehr viel weiß und sehr gut Bescheid weiß. Es hat ja auch die türkischen Medien sehr beeindruckt, als er in der Blauen Moschee still gebetet hat, das war sehr eindrucksvoll. Gerade die muslimischen Intellektuellen sehen, dass der Papst dem Islam mit großer Hochachtung begegnet.“
Das Aufheben der Exkommunikation von vier traditionalistischen Piusbischöfen im Januar 2009, darunter auch die des Holocaust-Leugners Richard Williamson, sorgte vor allem in Deutschland für Unmut. Diese Geste setzte – wie auch das Vorantreiben der Seligsprechung von Papst Pius XII. – den Beziehungen zum Judentum einen Stich. Auch deshalb wurde Benedikts Heilig-Land-Reise im Mai 2009 von der jüdischen Weltgemeinschaft mit Argusaugen beobachtet: Was würde er zum Holocaust sagen?
„Er hat deutlich unterschieden: Am Flughafen hat er erst einmal ganz deutlich die Fakten benannt. Er hat das in aller Schärfe getan und das Verbrechen angeprangert, das Ausmaß, dass es sich nie mehr wiederholen darf, dass die hässliche Fratze des Antisemitismus – immer noch existierend in der Welt – weiterhin bekämpft werden muss. Das hat er sehr deutlich gesagt. Aber dann hat man auf Schritt und Tritt immer nur beobachtet: Sagt er noch etwas, sagt er noch etwas? In Yad Vashem war es für ihn eine Stunde der Besinnung, da ging es um andere Dinge, als immer dasselbe zu wiederholen. Ich glaube, man nimmt einfach nicht ernst, was er gesagt hat und erwartet sich immer Wiederholungen.“
Es war keine „volle Rehabilitierung“
Mit seinem Besuch in der römischen Synagoge im Januar 2010 konsolidierte der Papst die katholisch-jüdischen Beziehungen, dennoch war bei der Visite das Unbehagen über die geplante Seligsprechung von Pius XII. und die ausgestreckte Papsthand zu den Piusbrüdern spürbar. In der Debatte um die Traditionalisten habe der Vatikan Kommunikationsfehler begangen, räumt Papstkenner Angulanza ein. So sei die Rücknahme der Exkommunikation in der Öffentlichkeit als „volle Rehabilitierung“ verstanden worden.
„Das ist ja überall falsch interpretiert worden: Rücknahme der Exkommunikation heißt ja, dass sie beichten gehen können und die Krankenölungen empfangen und solche Dinge. Das hat man so interpretiert, dass es eine volle Rehabilitation o.ä. sei. Es ist also ganz falsch vermittelt worden, Kommunikationskanäle sind nicht genutzt worden, man hätte zum Beispiel eine Pressekonferenz machen müssen und dann als Journalist die Frage stellen können: Was bedeutet das überhaupt?“
Das Bemühen um Einheit mit dem „rechten Rand“ der Kirche habe sich nicht erst bei Benedikt gezeigt, stellt Papstkenner Angulanza weiter fest. Die Aufhebung der Exkommunikation der vier Lefebvre-Bischöfe sei schon lange geplant gewesen.
„Es gab ja schon einen einstimmigen Beschluss unter Johannes Paul II., dass die Exkommunikation auf Bitten der Pius-Brüder aufgehoben wird. Dieser Beschluss bestand bereits, nur ist es aufgrund der Krankheit von Johannes Paul II. nicht mehr dazu gekommen. In jüngerer Zeit haben dann wieder zwei Gremien einen Beschluss gefasst und sind an Papst Benedikt selbst herangetreten.“ (rv)

Vatikan feiert fünf Jahre Benedikt

Papst Benedikt XVI. begeht an diesem Montag den fünften Jahrestag seiner Wahl. Den Jahrestag, der im Vatikan als Feiertag gilt und für die Angestellten dienstfrei ist, verbringt der 83-Jährige ohne protokollarische Termine. Um die Mittagszeit gibt Kardinaldekan Angelo Sodano mit den in Rom anwesenden Kardinälen ein Essen zu Ehren des Papstes. Es handele sich nicht um eine Dienstbesprechung oder Krisensitzung sondern um ein Festtreffen, hebt man im Vatikan hervor. Ort des gemeinsamen Essens ist die Sala Ducale, einer der Prunkräume des Apostolischen Palastes. Geladen und zugesagt haben dem Vernehmen nach zwischen 40 und 50 Personen. Die mit aufwendigen Fresken ausgestaltete Sala Ducale, die zwischen der Sixtinischen Kapelle und der Cappella Paolina liegt, gibt unter anderen den Rahmen für die jährlichen Neujahrsempfänge des Papstes für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps. – Am 19. April 2005 wählten die zum Konklave versammelten Kardinäle im vierten Wahlgang den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, zum Kirchenoberhaupt. (rv)

Gemmingen: „Wir regen uns über Nebensächlichkeiten auf“

Vor fünf Jahren – am 19. April 2005 – wurde der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger zum 265. Nachfolger des Apostel Petrus gewählt. Hautnah dabei war auch der damalige Redaktionsleiter der deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan, P. Eberhard von Gemmingen. In unserem Wocheninterview hat ihn Mario Galgano gefragt, welche Zwischenbilanz zu Benedikts Amtsführung zu ziehen gibt.

„Zunächst gab es ja einen großen Sturm der Begeisterung in Deutschland mit dem Slogan „Wir sind Papst" und dann kam der Papst auch noch nach Köln und Bayern und man hat sich große Hoffnungen gemacht. Und die andere Seite hat kritisiert, „um Gottes Willen Ratzinger". Und beides war meiner Ansicht nach sehr oberflächlich. Die einen haben gejubelt, weil man dachte, jetzt ist Deutschland eben vorgerückt und die anderen haben protestiert, weil sie meinten, Ratzinger oder Benedikt sei eben entsetzlich konservativ. Das heißt die öffentliche Wahrnehmung ist fast immer wahnsinnig oberflächlich und vor allem ist sie im deutschen Sprachraum auch anders als anderswo. Und das muss man sich völlig klar machen, dass, was uns deutschsprachige sehr bewegt – die Piusbruderschaft, die tridentinische Messe – das wird in anderen Weltteile, und zwar in den allerallermeisten Weltteilen, überhaupt nicht wahrgenommen. Das heißt, wir regen uns zum Teil auf über Nebensächlichkeiten und es gibt viel wichtigeres, was der Papst tut und sagt und er wird von anderen, von Christen in anderen Ländern auch ganz anders wahrgenommen als im deutschen Sprachraum."

Was ist denn Ihrer Meinung nach so die Hauptbotschaft, die der Papst in diesen fünf Jahren weitergetragen hat – sozusagen der rote Faden seines Pontifikats?

„Ich glaube er hat das Stichwort selber gegeben am Tag bevor das Konklave losging, das ihn dann gewählt hat, nämlich mit dem Wort „Diktatur des Relativismus" – also er sagt glaube ich, das ist meine Interpretation, in unserer heutigen Welt haben wir die Tendenz, nichts mehr als verbindlich, wahr, gut und sicher anzusehen. Alles wird als vergänglich angesehen, im Sinne „von heute glauben wir so, morgen werden wir anders glauben", „heute ist dies wahr, morgen wird etwas anderes wahr sein" – die Diktatur des Relativismus. Und nachdem er aber nun nicht kritisieren will, macht er es umgekehrt: Er zeigt eben auf, was Glaube ist und was der Glaube bedeutet für die Welt – auch in dem Weltauftrag und es kommt besonders zum Zug in seinen Enzykliken „Deus caritas est", Gott ist die Liebe und „Spe salvi", über die Hoffnung und dann auch in der Sozialenzyklika. Also ich meine seine guten, positiven, aufbauenden Botschaften gibt es, aber weil die Presse und die Medien meistens oberflächlich sind, wird das zu wenig wahrgenommen. Und der Vatikan hat es auch noch nicht geschafft, die konstruktiven Botschaften des Papstes so der Welt zu präsentieren, dass sie wahrgenommen werden."

Sie waren in diesen fünf Jahren Benedikt meistens in Rom, im Vatikan selber – jetzt sind Sie seit einiger Zeit außerhalb des Vatikans. Wie hat sich Ihre Sicht gegenüber dem Papst verändert?

„Die Sicht hat sich vor allem deswegen jetzt verändert, weil ich seit Anfang des Jahres hier bin und seit Anfang des Jahres haben wir die Missbrauchsvorwürfe gegen Priester. Und dadurch wird natürlich alles noch einmal besonders davon gefärbt. Also ich meine, das was wir Deutsche jetzt tun, nämlich wirklich zu sagen, wir müssen den Opfern versuchen Gerecht zu werden, indem wir sie zur Sprache bringen können. Wir dürfen nicht unser System oder die Kirche verteidigen, auch wenn die Medien ungerecht sind. Aber zunächst müssen wir den Sturm ertragen, hinnehmen und uns den Opfern zuwenden. Es war bei uns die Rede von der kopernikanischen Wende, nämlich dass man sich nicht mehr dem Schutz der Einrichtung der Kirche zuwendet, sondern der Hilfe für die Opfer. Und zwar nicht aus pragmatischen Gründen, sondern grundsätzlich – das Evangelium fordert, dass das Opfer, dass der Geschlagene, der Getretene in den Mittelpunkt gestellt wird – das ist Jesus Christus und nur wenn wir das tun, tun wir das, was Jesus täte – er würde auch nicht die Jünger verteidigen, wenn die Jünger etwas Böses tun, würde er nicht sagen „Na ja die Jünger sind schwache Leute" – sondern er würde zunächst mal den Angegriffenen verteidigen. Und das müsste glaube ich in der gesamten Weltkirche noch deutlicher geschehen. Aber Papst Benedikt hat ja da auch sehr deutlich gesprochen. Er ist für die totale Aufklärung, für Konsequenzen etc.. Nur es gibt so viele Stimmen – und dann geht die Stimme des Papstes zum Teil auch unter. Wir deutschsprachige sind in der Gefahr, aber in der Gefahr sind alle, dass man nur den Blickwinkel sieht, der einen selbst betrifft. Für die Afrikaner, Asiaten, Lateinamerikaner oder auch Nordamerikaner sieht die Kirche ganz anders aus – da spielen also gerade die Gespräche mit der Pius-Bruderschaft oder die Liturgiereform der tridentinischen Messe fast gar keine Rolle. Und dummerweise konzentrieren wir uns hier in Mitteleuropa oft nur auf diese Sachen, die uns mehr oder weniger ärgern, aber es ist eine sehr sehr einseitige Sicht und wer mit etwas mehr Informationen nach Rom schaut, der kriegt auch ein anderes Bild." (rv)