D: „Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung“

„Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung! Kindern klar machen, dass man nein sagen darf. Strukturen herstellen, in denen Beschwerden ernst genommen werden." Das braucht es, um Missbrauch wirksam zu verhindern. Und das sagt Ursula Raue. Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie wurde vom Jesuitenorden als unabhängige Sachbearbeiterin eingesetzt, um die Missbrauchsfälle in deutschen Jesuitenschulen zu untersuchen. Ihre Untersuchung bezieht sich auf Missbrauchsfälle, die sich Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre ereignet haben, gibt Raue im Gespräch mit Radio Vatikan an. Warum sind die Fälle erst jetzt ans Licht gekommen? Raue:
„Was immer wieder raus kommt ist, dass die Autorität der Täter von so großer, auch einschüchternder Bedeutung war, dass sich die Opfer und Betroffenen überhaupt nicht getraut haben, etwas zu sagen."
Wurden gemeldete Fälle innerhalb des Ordens nicht ernst genommen? Dazu Raue:
„Ich gehe mal davon aus, dass es solche Fälle auch gegeben hat. Ich hab da in den Akten einiges gesehen, wo man sagen kann: Da sind Entscheidungen getroffen worden, die auf Kenntnissen beruhen müssen, für die ich aber keine Unterlagen gesehen habe. Also es wird auch eine ganz intensive verbale Kommunikation gegeben haben. Ob Missbrauchsfälle zu Sanktionen geführt haben oder ob man dann die Täter einfach versetzt hat – das ist ein Teil des Problems und der Arbeit, die jetzt zu leisten ist."
Auch das Ausbleiben strafrechtlicher Verfolgungen bei Bekanntwerden von Missbrauchsfällen innerhalb des Ordens müsse jetzt geklärt werden, so Raue. Dieses Versäumnis hänge wohl damit zusammen, so Raue, dass die Fälle – „Streicheln, Anfassen und Selbstbefriedigung gegen den Willen der Betroffenen" – offensichtlich nicht als sexueller Missbrauch wahrgenommen wurden. Raue vermutet da ein gesellschaftliches Problem:
„Ich denke, dass auch in der Gesellschaft damals möglicherweise die Sensibilität dafür gefehlt hat, dass auch solche Geschichten Kindern schaden. Das lerne ich jetzt gerade in diesen ganzen Aussagen, die zu mir kommen: Dass selbst diese objektiv relativ kleinen Übergriffe unglaubliche Schäden angerichtet haben."
Kenntnisse um mögliche Folgen sexuellen Missbrauchs – wie Traumata, Identifikation mit dem Aggressor, Angst und Schuldgefühle bei den Opfern – existierten aber nicht erst seit gestern. Ob solche Kenntnisse im Umgang der Kirche mit den Fällen berücksichtigt worden seien – auch diese Frage müsse gestellt werden, so Raue. Nach unserem Interview geht es für Ursula Raue zurück ans Telefon. Sie bekommt viele Anrufe zur Zeit, sehr viele davon beziehen sich auch auf Missbrauchsfälle an anderen Schulen oder Jugendeinrichtungen, also außerhalb des Jesuitenordens. (rv)

Irak: Christliche Enklave in Not

So nah, so fremd – das Christentum im Nahen Osten geht uns viel an, auch wenn wir es kaum kennen. Einer hat sich vorgenommen, das zu ändern: Hans Hollerweger. Der Österreicher, der in diesen Tagen seinen achtzigsten Geburtstag feiert, setzt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der „Initiative christlicher Orient" für die bedrängten Christen im Libanon, in Syrien, in der Südosttürkei, im Heiligen Land – und im Irak ein. Er sagt:
„Die wirtschaftliche Lage hat sich in letzter Zeit leicht gebessert – aber es ist für sie weiter sehr schwierig."
Sie – das sind die Christen im Irak. Genau gesagt: Im Nordirak, im Bistum Zakho-Dohuk. Dort gibt es eine Art christliche Enklave. Wie sie zustande kam, erklärt Professor Hollerweger:
„In den 1970er-Jahren wurden die Christen vom Regime Saddam Husseins aus ihrem Land im Nordirak vertrieben und mussten nach Bagdad oder in den Süden des Irak flüchten. Nach 2003 sind viele vor dem islamistischen Terror aus den Städten in ihre ländlichen Ursprungsgebiete zurückgekehrt. Und so gibt es in der Diözese Zakho sechzehn reine Flüchtlingsdörfer."
In diesen christliche Enklaven im islamischen Umfeld mangelt es an Zukunftsperspektiven: Es gibt keine Arbeit, Infrastrukturen und soziale Einrichtungen fehlen – und so sehen Viele die einzige Möglichkeit darin, auszuwandern – besonders innerhalb der jungen christlichen Bevölkerung. Ein Problem besteht darin, kritisiert Hollerweger, dass viele Christen ihr Land, das ihnen vom Saddam-Regime weggenommen wurde, immer noch nicht zurückbekommen haben:
„Sie sind ja aus ihren Dörfern geflüchtet und sind jetzt wieder dort, wo man ihre Dörfer wiedererrichtet hat. Die kurdischen Behörden agieren in dieser Sache sehr zögerlich. Sie tun zu wenig dafür, ihnen ihr Eigentum zurückzugeben und so eine Existenzgrundlage zu schaffen." (rv)