Arabien-Bischof: „Es gibt Hoffnungen und Befürchtungen“

 Die Christen im arabischen Raum sind bei den Protesten mehr Beobachter denn Protagonisten. Das sagt uns Bischof Paul Hinder. Mario Galgano hat den Kapuzinerpater gefragt, wie die Gläubigen im arabischen Raum die derzeitigen Umbrüche erleben. Hinder leitet das Apostolische Vikariat für den arabischen Raum.
Die politischen Umstürze in Tunesien und Ägypten sowie Unruhen in weiteren Staaten haben die Frage in den Vordergrund gerückt, ob nun bald der ganze arabische Raum von einer Revolutionswelle erfasst wird. Wie erleben Sie und die Christen in Ihrem Gebiet die sich vollziehenden Umbrüche dieser Tage?
„Das kommt auf das entsprechende arabische Land an. Im Moment ist es zum Beispiel hier im Oman recht ruhig. Ich weiß nicht, ob das so bleibt. Wäre ich jetzt in Bahrain, wo ich auch hingehen muss, würde ich die Situation wohl anders erfahren. Ich habe allerdings bei einem Telefongespräch mit einem Pfarrer in Bahrain gehört, dass es sich in erster Linie um die Leute handelt, die Landesbürger sind. Also nicht um die Christen. Die sind in diesen Prozess nicht mit einbezogen. Die haben ja auch kein Demonstrationsrecht. Insofern stehen die Christen eigentlich eher als Zuschauer da, obwohl natürlich die Konsequenzen des Umbruchs auch für die Christen erheblich sein werden. Wir sollten uns keine Illusionen machen. Es kommt darauf an, wer am Schluss die Oberhand gewinnt im betreffenden Land."
Und wie denken Sie, wird es am Schluss aussehen?
„Ich denke, wir dürfen nicht allzu rasche Resultate erwarten. Umbrüche gibt es schon, aber dass sich das jetzt schnell stabilisiert, daran glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, dass das ein langfristiger Prozess ist, von dem niemand weiß, wie er ausgeht."
Sie sagten, die Christen hätten eher einen Beobachterstatus…
„Für die Christen und nicht nur sie gilt: Gibt es Hoffnungen, verbunden mit den aktuellen Entwicklungen vor Ort? Hoffnungen gibt es sicher. Wenn jetzt die arabische Bevölkerung auf die Menschenrechte pocht, auf mehr Teilhabe, dann erhoffen sich natürlich auch die Christen mehr Luft in Sachen Religionsfreiheit. Insofern gibt es Hoffnungen, es gibt aber auch Befürchtungen. Je nachdem wer die Oberhand gewinnt, kann es dann auch Rückschläge geben, dass die bereits errungene relative Freiheit in einigen Staaten dann wieder beschränkt werden könnte. Da leben wir im Moment einfach im Ungewissen."
Sie leiten ein Bistum, das den ganzen arabischen Raum abdeckt. Im Moment sind Sie auf Pastoralbesuch. Wen besuchen Sie und was haben Sie bisher erlebt?
„Ich besuche ja jedes Jahr alle Reihen im gesamten Bereich, der unter meiner Jurisdiktion ist. Im Moment hab ich den Zyklus von 2011 hier im Sultanat von Oman begonnen. Ich bin momentan in der nördlichen Pfarrei des Landes. Wir haben hier im Land vier Pfarreien. Ein solcher Besuch spielt sich folgendermaßen ab, dass ich die Gottesdienste halte und bei allen Gottesdiensten auch selbst predige. Auch in den größeren Pfarreien, wo es mehr Gottesdienste gibt am Freitag oder Sonntag. Meistens ist auch die Firmung damit verbunden in den einzelnen Pfarreien. Dann treffe ich den Pastoralrat, den Pfarreirat. Natürlich rede ich mit den Priestern, die im Einsatz sind, dann mit den einzelnen Vertretern der Laien und der Gruppen, die in den betreffenden Pfarreien existieren. Ich bemühe mich auch, dort wo es möglich ist, Christen im Landesinneren zu besuchen, damit sie wenigstens ihre Sorgen dem Bischof unterbreiten können. Oft sind das Christen, die 200 oder 300 Kilometer von der nächsten Pfarrei entfernt leben. Das kann ich natürlich nicht bei allen machen, aber jedes Jahr an einem anderen Ort mal eine solche Gruppe zu besuchen, ist sehr wichtig."
Was sind denn die größten Herausforderungen, mit denen Sie sich zurzeit auseinandersetzen?
„Wenn ich auf unsere eigenen Leute schaue, gehört zu den Herausforderungen, wie die Pastoral organisiert werden kann. Die Situation, dass wir zuwenig Platz haben, oft auch zuwenig Personal, zuwenig Bewegungsfreiheit. Auch einzelne Personen selbst stecken in Schwierigkeiten. In meinem Bereich zum Beispiel, wo sich die ökonomische Krise auswirkt mit allen Bedrohungen für die Leute, die zum Teil ihre Arbeit verlieren oder Einbußen in ihrem Einkommen erleben müssen. Dann ist eines der großen Themen nach wie vor, dass die Mehrheit unserer Gläubigen getrennt ist von ihren Familien. Das hat Konsequenzen für ihr persönliches Leben und ihre moralische Situation. Das beschäftigt uns in unserem pastoralen Alltag: Wie können wir die Menschen, unsere Gläubigen, motivieren, ihrem Glauben treu zu bleiben? Die Konkurrenz besteht da auch auf Seite der evangelikalen Kreise, die uns Leute abwerben, weil wir unter den Muslimen nicht evangelisieren oder missionieren dürfen. Damit wenden sie sich einer Mehrheitskonfession zu, wo es genügend Grund gibt auf Jagd zu gehen in einem gewissen Sinn. Wir stoßen oft an die Grenzen, wenn ich die Möglichkeiten sehe, die uns gegeben sind, von den Räumen her, von den Finanzen, von den Reisemöglichkeiten usw."
Diese Herausforderungen betreffen aber nicht nur die Christen im arabischen Raum. Die Demonstranten protestieren ja vor allem, weil sie hungern oder die Preise nicht bezahlen können.
„Ja. Es ist ja auch die Frage der Gefährdung. Man muss sehr aufpassen. Zu Recht hat man in den vergangenen Wochen den Blick auf die Christenverfolgung gerichtet, aber man muss das auch im weiteren Rahmen sehen. Es werden ja nicht nur Christen verfolgt. Es wird rein statistisch mehr Blut von eigenen Leuten vergossen innerhalb der Muslime, die Opfer von Terroranschlägen sind. Also nicht der eingegrenzte Blick ausschließlich auf die Christen, obwohl das ein sehr wichtiger Aspekt ist und wir das unmittelbarer spüren. Aber ich denke, es gehört auch zur christlichen Wahrnehmung, dass wir nicht nur auf unsere eigene Gefährdung und unsere eigenen Probleme schauen, sondern das Gesamte im Blick haben. Die Frage nach Sicherheit und Frieden, die betrifft alle."
Ist in einem solchen Kontext der interreligiöse Dialog möglich? Ich nehme an, Sie unternehmen diesbezüglich Versuche?
„Ja, sofern es die Möglichkeit gibt. Es besteht aber die Gefahr, dass der Dialog sich auf einer höheren akademischen Ebene bewegt und dass da zu wenige Initiativen ergriffen werden können. Es ist so, dass wir von unserer Seite her, von der Belastung der Leute her oft keine Reserven mehr haben, dort mehr zu investieren, weil wir schon überfordert sind von den Problemen im eigenen Raum. Das kann dann auch dazu führen, dass wir im konkreten Alltag wenig Kontakt haben mit dem muslimischen Umfeld, wenn es ums Handeln geht. Unsere Möglichkeiten sind eingeschränkt, weil wir ja nicht denselben Rechtsstatus haben wie die Bürger und Bürgerinnen der betroffenen Länder."
Gibt es etwas, was Christen im Westen tun können, um Sie zu unterstützen?
„Man darf die spirituelle, geistliche Unterstützung nicht unterschätzen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Leute, die Christen in anderen Teilen der Welt, sich informieren und nicht nur Schlagwörtern aufsitzen. Sie sollten sich ein umfassendes eigenes Bild verschaffen und bei aller Dramatik der Vorgänge nicht überreagieren. Es gibt Gebiete, da ist es ruhig, da kann man auch hinreisen, womit auch Kontakte gepflegt werden, aber immer mit dem nötigen Respekt vor der Situation im betreffenden Land. Es ist ein Unterschied, ob man einen Trip in die Vereinigten Arabischen Emirate macht, wo es problemlos und ruhig zugeht, oder ob jemand abenteuerlustig nach Jemen reisen möchte, wo Sicherheitsprobleme auftreten. Nicht nur für diejenigen, die reisen, sondern auch für die Leute, die sie dort kontaktieren. Ich habe konkret einzelnen Leuten abgeraten: Reist nicht unseren Leuten nach im Land, auch wenn ihr eine gute Absicht habt, ihr gefährdet sie damit. Also dass da mehr Gespür für die reale Situation der Leute da ist, die in diesen Ländern leben. Man darf hier nicht nur vom Stillen der eigenen Neugier ausgehen, was natürlich immer interessant ist für Leute, die gleichsam im sicheren Hafen von Europa sind, da Informationen zu bekommen, die aber oft die Leute vor Ort in Bedrängnis bringen können. Da wünsche ich mir Verständnis."
Und von den Politikern? Was wünschen Sie sich?
„Von der Politik wünsche ich mir, dass man glaubwürdig stützend im Hintergrund steht und auch die Menschenrechte, inbegriffen die Religionsfreiheit, anmahnt und die immer wieder zur Sprache bringt und nicht aus reiner Opportunität in Schweigen verfällt, wenn es kritisch wird, aus Angst, wirtschaftliche Vorteile aufs Spiel zu setzen."
Was lernen wir von der Protestbewegung im arabischen Raum?
„Ich denke, dass die Vorgänge etwas Positives haben, auch wenn wir noch nicht wissen, wie es ausgeht. Aber es ist ein Erwachen im Gang und es zeigt, dass im Untergrund auch in den Diktaturen das Volk nicht völlig untätig gewesen ist, sondern einiges gelernt hat und nun versucht das zum Tragen zu bringen. Obwohl es in solchen Ländern schwierig ist, einen revolutionären Prozess auf Anhieb im Gleichgewicht zu vollziehen. Das war ja früher, im europäischen Umbruch, auch nicht der Fall. Das macht das Ganze spannend und auch gefährlich. Aber es gibt hier keine Alternative, als dass die Leute so gut es geht durch diesen Prozess hindurchgehen und ihn selbst bewältigen müssen. Ich fürchte, dass die Weltmächte hier in einer Weise versucht sind zu intervenieren, die nicht von Nutzen für die realen Vorgänge in den betreffenden arabischen Ländern wäre." (rv)

Ägypten: Nach der Euphorie die Skepsis

Nach der Freiheits-Euphorie rund um den Tahrir-Platz in Kairo mehren sich jetzt mit Blick auf Ägypten die besorgten Stimmen. Der deutsche „Friedens-Bischof" Stephan Ackermann fragt: „Wird Ägypten seinen Friedensvertrag mit Israel bestätigen? Werden aus den demokratischen Kräften im Land freie und verantwortungsvolle Parteien entstehen oder werden radikale Kräfte den Übergang in das neue Ägypten ausnutzen?" In einem Beitrag für den SWR2 fordert der Trierer Bischof, der die „Iustitia et Pax"-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz leitet, dass die neuen Machthaber in Kairo die Weichen Richtung Religionsfreiheit stellen. „Dazu muss der Artikel 2 der Verfassung gestrichen werden, der die Scharia als wichtigste Quelle des Rechts in Ägypten festschreibt und die Grundlage für die Benachteiligung und Verfolgung der christlichen Kopten darstellt."
 Die Muslimbruderschaft hat an diesem Dienstag in Kairo angekündigt, dass sie ihre offizielle Zulassung als Partei beantragen will. Bei einer schnellen Wahl käme der ursprünglich islamistische Verband nach Schätzungen auf 30 Prozent der Stimmen. Bischof Ackermann sieht es immerhin als Zeichen der Hoffnung, dass während der Proteste in Kairo auch Christen zusammen mit Muslimen für ein Ende des Regimes demonstriert hätten. „Da wurden Koran und Kreuz nebeneinander als Zeichen der Freiheit hochgehalten. Gebe Gott, dass diese Erfahrung der Gemeinsamkeit in einem andauernden gegenseitigen Respekt mündet!" Ackermann kritisiert die, so wörtlich, „schnellen Beifallskundgebungen" von westlichen Politikern: „Es ist noch nicht lange her, dass Präsident Mubarak an erster Stelle nicht als Vertreter eines autoritären Regimes gesehen wurde, sondern als verlässlicher Partner." 2009 seien deutsche Rüstungsgüter im Wert von mehr als 77 Millionen Euro nach Ägypten verkauft worden, „wohl wissend, dass es um die Lage der Menschenrechte im Land am Nil schlecht bestellt ist."
Auch die evangelische Kirche in Deutschland macht sich Sorgen mit Blick auf Ägypten, vor allem um die Kopten. Der Berliner Bischof Markus Dröge hat deswegen an den koptischen Bischof in Deutschland, Anba Damian, geschrieben. Es stelle sich die Frage, ob die Christen in Ägypten darauf vertrauen könnten, dass in der Verfassung die Religionsfreiheit verankert und die Menschenrechte aller Bürger geschützt werde. Unter den elf Mitgliedern des jetzt eingesetzten Komitees für eine Verfassungsreform sei nur ein Christ.
Von den rund 83 Millionen Einwohnern sind 87 Prozent Muslime und zehn Prozent orthodoxe Kopten. Außerdem gibt es kleinere Gruppen von katholischen Kopten und Protestanten. (rv)

Vatikanberater: „Islamisten wollen in Ägypten an die Macht!“

Massendemonstration in Kairo, Präsident Hosni Mubarak bildet sein Kabinett um, das Militär zieht hinter den Kulissen die Fäden – muss man Angst haben, dass die Muslimbrüder in Ägypten an die Macht kommen? Ja, das muss man, sagt ohne Umschweife Samir Khalil Samir, ein ägyptischer Jesuit und Berater des Vatikans.
 „Natürlich, die Islamisten wollen an die Macht! Die Muslimbrüder sind 1928 mit diesem Ziel entstanden: wirklich islamische Staaten zu schaffen. Sie finden, dass Ägypten zu stark vom nicht-islamischen Westen beeinflusst ist. Und sie wollen an die Macht, um Reformen durchzusetzen, die aus ihrer Sicht das Beste für das Volk sind – aus der Sicht anderer hingegen das Schlimmste. Eigentlich sind wir es, die solche Bewegungen erst erschaffen: Wenn man nicht genug Freiheit und soziale Hilfe gibt, dann profitieren sie davon und treten dadurch in die Gesellschaft ein."
Genauso hätten sie es in Ägypten gemacht, so Samir, der in Beirut Islamwissenschaften lehrt und der im Herbst auch an der Nahost-Sondersynode im Vatikan teilgenommen hat. Schließlich stehe ja die Armut der Ägypter am Anfang der derzeitigen Revolte:
„Etwa vierzig Prozent der Ägypter leben in absoluter Armut – sie haben noch nicht einmal zwei Dollar am Tag zur Verfügung. Hingegen haben sich die Preise binnen eines Jahres teilweise verdreißigfacht, und dafür zahlen die Armen die Zeche. Die Regierung tut nicht genug dagegen, und hier genau ist die Wurzel der Gefahr des Islamismus. Die Muslimbrüder und andere islamistische Bewegungen haben verstanden, dass es reicht, sich sozial zu engagieren, um Wählerstimmen an sich zu binden."
Das Regime von Hosni Mubarak hat in den letzten Jahrzehnten ein doppeltes Spiel getrieben: Die Muslimbrüder waren offiziell verboten, wurden aber mehr oder weniger geduldet. Sie sind heute mit Sicherheit die am besten organisierte oppositionelle Kraft in Ägypten, beobachtet Pater Samir:
„Sie sind überall: Sie treten unter irgendeinem unverdächtigen Namen in andere Parteien ein und treiben von dort aus eine islamische Politik voran. Alllerdings: Ägypten ist ein moderates Land, die Natur des Ägypters ist nicht die Rebellion, er will einfach nur leben."
Hady ist ein junger Ägypter, der in Kairo lebt und arbeitet. Er nimmt in diesen Tagen an den Protesten auf der Straße und auf dem Tahrir-Platz teil. Gegenüber Radio Vatikan meint er:
„Ich habe oft Gerüchte gehört, dass das eine Revolution von Hungrigen wäre, die Revolution der Armen, aber so ist das nicht: Das ist die Revolution von ganz Ägypten, das hat mit dem Hunger nichts zu tun. Wir marschieren alle zusammen – friedlich vereint wie Brüder, auch wenn wir aus allen Teilen der Gesellschaft kommen. Hier ist ganz Ägypten, nicht nur die Armen! Wir zerstören nichts, wir haben Forderungen: Wir wollen mehr Demokratie, mehr Respekt für die Personen, und dass die Leute genug zu essen haben…"
Mehr Demokratie – wenn Pater Samir diese Forderung der vielbeschworenen „arabischen Straße" hört, wird er vorsichtig.
„Ja, aber wir müssen präzisieren, was Demokratisierung für uns bedeutet! Sie bedeutet als allererstes Gerechtigkeit für die Ärmsten, und dann mehr Freiheit. Wir haben ein Regime erlebt, das aus Angst vor diesen extremistischen Bewegungen alles zu stark kontrolliert hat. Wie kommt man wieder heraus aus diesem Teufelskreis? Durch Reformen, vor allem auf sozialem Gebiet – mit sozialen Einrichtungen, die für alle zugänglicher werden. Vor allem die Schulen sind in einem katastrophalen Zustand; wir haben fast vierzig Prozent Analphabeten!"
„Das ist mein Volk, das ist meine Nation!", sagt Hady, der sicher auch in diesem Moment unter den Demonstranten in Kairo ist. „Ich habe Menschen sterben sehen; ich habe alte Leute und Kinder gesehen, die wegen des Tränengases nicht mehr atmen konnten… Es war wirklich tragisch zu sehen, wie die Polizei auf normale Bürger einschlug, Menschen, die friedfertig demonstrierten. Es war wirklich dramatisch, und es wird weitergehen, es wird nicht aufhören – es wird immer weitergehen!" (rv)

Ägypten: Dialog wird „eingefroren“

Die islamische Universität al-Azhar in Kairo hat ihren Dialog mit dem Vatikan „eingefroren". Das teilt ein Statement der Universität an diesem Donnerstag mit. Der Generalsekretär der wichtigsten Lehrautorität im sunnitischen Islam, Ali Abdel Dayem, erklärt, die Maßnahme habe etwas „mit den islamkritischen Äußerungen von Papst Benedikt XVI. in jüngster Zeit" zu tun. Al-Azhar wehrt sich gegen den Eindruck, als ob Moslems im Nahen Osten die Gläubige anderer Religionen unterdrückten. Papst Benedikt XVI. hatte nach dem blutigen Anschlag auf christliche Kopten in Alexandria zu Jahresbeginn wiederholt deutlich zu Religionsfreiheit aufgerufen. Das hatte al-Azhar und die ägyptische Regierung verstimmt; die Führung in Kairo rief ihre Vatikanbotschafterin kürzlich „zu Konsultationen" zurück. Normalerweise treffen sich Vertreter des Vatikans und der al-Azhar-Universität zweimal im Jahr zu einem Dialog. Der Vatikan wurde von der Absage aus Kairo offenbar überrascht: Der Päpstliche Dialograt „sammelt derzeit noch Informationen", erklärte Papstsprecher Federico Lombardi am frühen Nachmittag. Man bemühe sich „um ein adäquates Verständnis der Situation". Lombardi wörtlich: „Auf jeden Fall bleibt es bei der Linie der Offenheit und der Gesprächsbereitschaft." Die letzte größere Verstimmung im Dialog des Vatikans mit der islamischen Welt hatte es nach der so genannten „Regensburger Rede" von Papst Benedikt im September 2006 gegeben. Danach kam es allerdings zu einer Art Blüte im Dialog, was u.a. auf der Jordanienreise des Papstes im Mai 2009 sichtbar wurde. (rv) 

Vatikan: Ägypten ruft nach Papstäußerungen Botschafterin zurück

Der Außenminister des Vatikan, Erzbischof Dominique Mamberti, hat am Dienstagabend die Botschafterin Ägyptens beim Heiligen Stuhl empfangen. Grund für das Treffen waren die Verstimmungen zwischen der Regierung in Kairo und dem Vatikan nach dem Neujahrsempfang des Papstes für die akkreditierten Botschafter.
 Mamberti habe der Botschafterin Lamia Aly Hamada Mekhemar die Anteilnahme des Vatikans für die Opfer des Anschlages auf die koptische Gemeinde von Alexandria ausgedrückt. Das teilte der Pressesprecher des Vatikans, Pater Federico Lombardi, in einer Presseerklärung mit. Den Terroranschlag von Alexandria hatte Papst Benedikt XVI. zuletzt bei seiner Rede vor Diplomaten am Montag aufgegriffen. „Diese Folge von Angriffen ist ein weiteres Zeichen für die dringende Notwendigkeit, dass die Regierungen der Region trotz der Schwierigkeiten und der Drohungen wirksame Maßnahmen zum Schutz der religiösen Minderheiten ergreifen", so der Papst. Diese Äußerung war für Ägypten der Grund, seine Botschafterin zu Konsultationen zurück zu rufen, eine diplomatische Geste, die Missfallen ausdrücken soll. Ein Sprecher des Außenministeriums in Kairo hatte die vatikanischen Äußerungen zum Anschlag auf Kopten in Alexandria als „nicht hinnehmbare" Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens bezeichnet. Bei dem Treffen hätten Erzbischof Mamberti und die Botschafterin ausführlich über die Spannungen gesprochen, so Lombardi: Mamberti habe genau über die Äußerungen des Papstes informiert, besonders über seine Äußerungen zu Religionsfreiheit und den Schutz der Christen im Nahen Osten. Die Botschafterin habe ihrerseits die Befürchtungen Ägyptens zum Ausdruck gebracht.
Der Heilige Stuhl nehme nach dem Anschlag auf die Kopten Anteil an den Empfindungen ganz Ägyptens, so Mamberti. Man teile die Befürchtungen einer möglichen Eskalation und begrüße die Bemühungen der Regierung, die genau diese vermeiden wolle. (rv)

Übersicht: Reaktionen auf Anschlag von Ägypten

Politiker und Islam-Vertreter in der arabischen und islamischen Welt haben das Attentat von Alexandria einhellig und mit scharfen Worten verurteilt. Auch die Kommentare in ägyptischen Zeitungen äußern große Sorge. Die regierungsnahe „Ruz al Yusuf" vermutet, die Extremisten wollten das Land in einen Bürgerkrieg treiben. Die fundamentalistisch orientieren Muslimbrüder, die den Anschlag schon am Samstag klar verurteilt hatten, wollen nun für mehr Rechte für Kopten eintreten. Sie kündigten an, dass sie künftig wohl einen Kopten im Amt des Staatspräsidenten akzeptieren würden. Das ist bislang von der ägyptischen Verfassung nicht erlaubt.
US-Präsident Barack Obama hat den Anschlag als „barbarische Tat" gebrandmarkt. Nach der Analyse eines US-Korrespondenten fürchtet man im Weißen Haus, dass es zu weiteren Massakern an Christen im Nahen Osten kommen könnte – konkret an Christen in Nord- und Südsudan nach der Volksabstimmung über eine mögliche Unabhängigkeit des Südsudan. Das Referendum ist auf den 9. Januar angesetzt.
Die jüdische Gemeinde von Rom zeigt sich in einem Statement beunruhigt über „das Vorgehen gegen Christen in Ländern wie Sudan, Nigeria, Irak bis hin zu Gaza". Sie stellen sich hinter eine Initiative des römischen Bürgermeisters Gianni Alemanno. Dieser bietet die Schirmherrschaft der Stadt Rom für alle Initiativen an, die sich von Rom aus für Religionsfreiheit einsetzen. Italiens Außenminister Franco Frattini fordert von der EU, ihre Hilfen für Länder, die die Sicherheit von Christen nicht genügend gewährleisten, zurückzufahren.
Die deutsche Bundesregierung sprach von einem Akt der Brutalität. „Das zynische Vorgehen der Attentäter zeigt, wie notwendig es ist, entschlossen gegen Terrorismus und religiöse Intoleranz vorzugehen", betonte Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Zugleich forderten Vertreter aus Politik und Kirche, christliche Minderheiten in islamischen Ländern besser zu schützen. CDU-Politiker riefen muslimische Würdenträger in aller Welt auf, sich von Gewalt gegen andere Religionen zu distanzieren. „Muslimische Autoritäten in Kairo und anderswo müssen eindeutig Stellung beziehen gegen jede Form von Gewalt im Namen ihrer Religion", sagte Bundesbildungsministerin Annette Schavan dem „Hamburger Abendblatt". Es könne keinen Frieden der Völker ohne einen Frieden der Religionen geben. Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), beklagte gegenüber der Zeitung eine zunehmende Gewalt gegen Christen. Diese würden vor allem in Ländern verfolgt, „in denen Muslime die Mehrheit haben".
Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, forderte die ägyptische Regierung auf, aktiv für die Religionsfreiheit Partei zu ergreifen und Anfeindungen religiöser Minderheiten im Namen des Islam zurückzuweisen. Das gelte für Christen ebenso wie für Bahai oder auch ehemalige Muslime.
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn bekundete seine tiefe Betroffenheit über den Bombenanschlag. „Die katholische Kirche in Österreich ist solidarisch mit dem Schmerz und der Trauer der koptischen Kirche. Dies um so mehr, als es zwischen unseren Kirchen seit mehreren Jahrzehnten dank der Stiftung ‚Pro Oriente‘ eine tiefe innere Verbundenheit gibt", so der Kardinal wörtlich. Der Wiener Erzbischof betonte zugleich, dass ihn nicht nur der Schmerz über das Schicksal der neuen Märtyrer von Alexandrien bewege, er sei auch in tiefer Sorge über die Situation der Christen im ganzen nahöstlichen Raum. Christen dürften nicht als Bürger zweiter Klasse behandelt werden, so Kardinal Schönborn: „Niemand soll irgendwo als Bürger zweiter Klasse angesehen werden".
Auch der Weltrat der Kirchen verurteilt das Attentat von Alexandria. Sein Generalsekretär Olav Fykse Tveit fordert die ägyptische Regierung auf, für die Achtung der religiösen Rechte der Angehörigen aller Glaubensrichtungen zu sorgen. Der Leiter der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Kairo, Pfarrer Joachim Schroedel, ruft zu stärkerer Solidarität der Kirchen in Europa mit den christlichen Gemeinden in Ägypten auf. So sollten auch deutsche Bischöfe nicht nur zu Christen in Israel oder Palästina reisen, sondern auch einmal Gemeinden in Ägypten besuchen, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur in Kairo. Bei einem solchen Besuch könnten die Bischöfe zudem in offiziellen Gesprächen die Problematik der christlichen Minderheit im Land thematisieren. Die ägyptische Regierung müsse mehr zu deren Schutz tun. Der Seelsorger berichtete, seit dem Anschlag hätten sich einige Muslime bei ihm gemeldet und ihre Betroffenheit und Trauer über die Tat bekundet. Die Mitglieder der deutschsprachigen Gemeinde seien nicht stärker verängstigt als bislang.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak auf, sich für ein Ende der Diskriminierung der Kopten im öffentlichen Leben einzusetzen. Mubarak könne so ein deutliches Zeichen gegen die zunehmende Gewalt setzen, unter der die religiöse Minderheit leidet. „Mit leeren Worten der Anteilnahme werden die Kopten sich nicht beruhigen lassen", meint ein Experte des von Göttingen aus operierenden Verbandes. „Nach Jahren staatlicher Schikanierung und stillschweigender Duldung von Übergriffen wollen die Christen nun endlich konkrete Taten zur Verbesserung ihrer schwierigen Lage in Ägypten sehen." So sollten nicht nur der Bau und die Modernisierung von Kirchen erleichtert werden, auch die Religionszugehörigkeit sollte nicht länger in amtlichen Papieren ausgewiesen werden. Außerdem sollten anti-christliche Kampagnen in Schulen sowie Medien unterbunden werden, und die Kopten müssten angemessen im Parlament vertreten sein.
Bislang ist die christliche Minderheit im Abgeordnetenhaus durch Vertreter repräsentiert, die von der Regierung handverlesen sind. Präsident Mubarak hatte nach den Wahlen vom Herbst 2010 sieben Kopten als Parlamentarier ausgewählt. Ihre Ernennung wurde jedoch von führenden Vertretern der Kopten kritisiert, da sie sich nicht engagiert für die Rechte der Minderheit einsetzten.
(rv)

Ägypten: Zahl der Todesopfer erhöht sich auf 22

In Alexandria hat sich die Zahl der Todesopfer nach dem Massaker vor einer koptischen Kirche auf 22 erhöht. Einer der mehreren Dutzend Verletzten starb am Sonntag, wie die Nachrichtenagentur ansa mitteilt. Die Polizei hat sieben Menschen inhaftiert, die verdächtigt werden, für den blutigen Anschlag in der Silvesternacht verantwortlich zu sein. Die Ermittlungen konzentrieren sich derzeit auf eine ägyptische Gruppe, die sich nach dem Vorbild des Terror-Netzwerks al-Quaida organisiert hat. Seit Jahren hatte es in Ägypten keinen islamistischen Anschlag mehr gegeben. Der Zorn vieler Kopten entlud sich derweil in Straßenschlachten und Demonstrationen. International wächst die Sorge um die Sicherheit von Christen in mehrheitlich islamischen Ländern, etwa in Ägyptens Nachbarland Sudan.
 „Wir hatten mit dergleichen gerechnet, weil es immer wieder Drohungen gegen die Christen in Ägypten gab", sagt der Bischof von Assiut in Ägypten, William Kirillos. „Vor allem während der Festtage stand ein Schlag dieser Art zu erwarten. Natürlich hat das bei unseren koptischen Brüdern zu einer heftigen Reaktion geführt: Sie wollen jetzt nicht mehr in voller Form ihr Weihnachtsfest feiern" – das orthodoxe und koptische Christen erst in ein paar Tagen begehen – „und sie wollen auch keine Vertreter der Behörden empfangen."
„Ich will im Namen aller Christen und aller Katholiken der koptischen Gemeinschaft Solidarität ausdrücken", sagt im Gespräch mit uns Erzbischof Michael Fitzgerald; der frühere Dialog-Verantwortliche des Vatikans und ausgewiesene Islam-Kenner ist heute Nuntius des Papstes in Kairo. „Wir haben unser Weihnachtsfest am 25. Dezember ohne Schwierigkeiten feiern können, aber die Orthodoxen bereiten sich jetzt natürlich mit großer Sorge auf ihr Weihnachten am 7. Januar vor. Wir sollten Vertrauen in die Sicherheit im Land haben, auch wenn es natürlich sehr schwer ist, solche Attentate zu verhindern."
Imam von al-Azhar kritisiert Vatikan
Christliche und auch islamische Demonstranten wollen während der orthodoxen Weihnachtsfeiern koptische Kirchen in Ägypten mit „menschlichen Schutzschilden" umgeben. Wie Nuntius Fitzgerald hatten auch Vatikansprecher Federico Lombardi und Papst Benedikt das Attentat von Alexandria heftig verurteilt; der Papst hatte nur wenige Stunden nach der Bluttat von Rom aus die internationale Gemeinschaft eindringlich zum Schutz verfolgter Gläubiger, vor allem verfolgter Christen, aufgerufen. Das verärgerte allerdings den Imam der Kairoer Universität al-Azhar, Ahmed al-Tayyeb, der sich die „nicht hinnehmbare Einmischung" verbat. Wörtlich meinte der Vertreter der wichtigsten Universität im sunnitischen Islam: „Ich bin nicht einverstanden mit dem Standpunkt des Papstes, und ich frage: Warum hat denn der Papst nicht auch zum Schutz von Moslems aufgerufen, als diese im Irak umgebracht wurden?" al-Tayyeb hat dem koptischen Oberhaupt, Papst Shenuda III., am Sonntag einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Demonstranten versuchten vergeblich, den Wagen des Islamführers zu blockieren. Auch Nuntius Fitzgerald hat, wie am Montag bekannt wurde, dem koptischen Oberhaupt inzwischen kondoliert.
Vatikansprecher Lombardi – er leitet den Vatikanischen Pressesaal und Radio Vatikan – hat dem Imam widersprochen. Benedikt XVI. habe doch deutlich seine Sorge „über die Folgen der Gewalt für die ganze Bevölkerung geäußert", das gelte für Christen wie Moslems. Klar ist aber, dass die ägyptische Führung jetzt stärkere Spannungen zwischen Kopten und Moslems im Land befürchtet. Die Kopten stellen etwa zehn Prozent der Bevölkerung, sie sind damit die stärkste Ortskirche in einem Land des Nahen Ostens. Immer wieder klagen sie über Diskriminierungen durch die islamische Mehrheit. (rv)

Papst: „Attentate gegen Christen beleidigen Gott und ganze Menschheit“

Papst Benedikt XVI. hat das verheerende Attentat auf Christen in Alexandria, bei dem am Samstag mehr als 20 Menschen umkamen, als „niederträchtige Geste des Todes" bezeichnet. Gleichzeitig rief er die Christen zum Gewaltverzicht auf. Er habe mit Schmerz die Nachricht von der Attacke auf die koptische Gemeinde in Ägypten gehört, sagte der Papst nach dem Angelusgebet an diesem Sonntag Mittag vor Tausenden Gläubigen und Besuchern auf dem Petersplatz:
 „Diese niederträchtige Geste des Todes – ebenso wie jene, Bomben vor die Häuser von Christen im Irak zu legen, um sie zum Auswandern zu zwingen – beleidigt Gott und die gesamte Menschheit, die eben gestern für den Frieden betete und mit Hoffnung in ein neues Jahr ging. Vor dieser Strategie der Gewalt, die auf Christen abzielt, und die Folgen für die gesamte Bevölkerung hat, bete ich für die Opfer und ihre Angehörigen und ermutige die kirchlichen Gemeinden, im Glauben zu bleiben und weiterhin die Gewaltfreiheit zu bezeugen, die aus dem Evangelium kommt."
Vor dem Gebet richtete der Papst eine Botschaft an Spanien. In Madrid waren gleichzeitig zum Angelus Katholische Gläubige zu einer Kundgebung für eine gerechtere Familienpolitik versammelt. „Macht die christlichen Familien zu Heiligtümern der Treue, des Respekts und des Verständnisses", rief der Papst den christlichen Familien Spaniens zu. Er ermutigte sie dazu, „Diener der Liebe" zu sein, die das Leben verteidigt. In den verschiedenen Sprachen ging Papst Benedikt auf das Tagesevangelium ein, nämlich den Prolog des Johannesevangeliums.
„Mit Freude grüße ich alle Brüder und Schwestern aus den Ländern deutscher Sprache. Gottes Wort steht am Anfang von allem, es ist Licht und Leben für die Welt, für uns Menschen. Dies rufen uns die Lesungen am heutigen zweiten Sonntag nach Weihnachten in Erinnerung. Das göttliche Wort hat in Jesus Christus menschliche Gestalt angenommen, es macht sich sozusagen auf den Weg und sucht nach unserer Liebe. Maria hat ihm ihr mütterliches Herz, ihr ganzes Leben geschenkt. Und auch wir sind eingeladen, Gottes Wort in uns lebendig werden zu lassen, ihm Raum zu geben, damit es uns von innen her umwandeln kann. Denn es gibt uns die Macht, wie Johannes sagt, Kinder Gottes zu werden, wirklich Menschen nach dem Abbild Gottes. Der Herr segne euch alle und behüte euch." (rv)

Ägypten: Verheerender Anschlag auf Christen

Bei einem Bombenattentat auf koptische Christen in Alexandria sind in der Silvesternacht 17 Menschen getötet worden; 43 weitere wurden nach Medienangaben zum Teil schwer verletzt. Ein Sprengsatz explodierte am Samstag kurz nach Mitternacht, als die Besucher einer Neujahrsmesse in Alexandria aus der Kirche kamen. Nach der Tat lieferten sich wütende Christen nach Angaben der Polizei und von Augenzeugen Strassenkämpfe mit den Sicherheitskräften und stürmten eine nahe gelegene Moschee. An der Messe hätten fast 1.000 Menschen teilgenommen, sagte der koptische Priester Mena Adel. Nach dem Gottesdienst seien die Besucher auf die Strasse geströmt. „Ich war drinnen und habe eine starke Explosion gehört", so der Geistliche. „Menschen standen in Flammen." Augenzeugen berichteten, vor der Kirche habe die zerstörte Karosserie eines Autos gestanden, im Umkreis hätten Leichen gelegen, zahlreiche Menschen seien verletzt worden. Die Polizei ging zunächst von einem mit Sprengstoff beladenen Auto aus; mittlerweile sprechen die Behörden aber von einem Selbstmordattentäter.
 Das christliche Gotteshaus und die nahegelegene Moschee wurden durch die Explosion beschädigt. Wie das Innenministerium mitteilt, sind unter den Verletzten auch Muslime. Medien hatten zunächst von 21 Toten gesprochen; mittlerweile gehen die Behörden von 17 Todesopfern aus. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Anschlag. Der Gouverneur von Alexandria, Adel Labib, gab umgehend dem Terrornetzwerk Al-Kaida die Schuld an der Tat. Das Innenministerium sprach am Samstag von „ausländischen Elementen", die für das Attentat verantwortlich seien. Präsident Hosni Mubarak rief wenige Stunden nach der Bluttat zur Einheit auf: „Die Söhne Ägyptens, ob Kopten oder Moslems, sollten jetzt gegen den Terrorismus zusammenstehen." Ein Sprecher der Kairoer Universität Al-Azhar, der wichtigsten Autorität im sunnitischen Islam, nannte den Anschlag von Alexandria einen „Angriff auf die nationale Einheit Ägyptens". Eine Verurteilung des Massakers kommt auch von den fundamentalistisch orientierten „Muslimbrüdern". Auf ihrer Homepage sprechen sie von einem „gefährlichen Verbrechen" und schreiben wörtlich: „Keine Religion kann so ein Verbrechen gutheißen, erst recht nicht der Islam, der den Schutz des Lebens, der Ehre und der Güter auch von Nicht-Muslimen fordert."
Die Kopten sind die grösste christliche Glaubensgemeinschaft im Nahen Osten. Sie machen ungefähr zehn Prozent der 80 Millionen Einwohner im überwiegend muslimischen Ägypten aus und sehen sich im Alltag Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt. In den vergangenen Jahren gab es in verschiedenen Teilen Ägyptens immer wieder tödliche Auseinandersetzungen zwischen Kopten und Muslimen. Die gleiche Kirche in Alexandria geriet bereits 2006 in die Schlagzeilen, nachdem ein Messerstecher Gottesdienstbesucher angegriffen hatte. Syrien hat am Samstag das Attentat von Alexandria heftig verurteilt. Schon die Parlamentswahlen vor wenigen Wochen waren in Ägypten von starken, auch religiösen, Spannungen begleitet gewesen; im September 2011 stehen nun Präsidentenwahlen an.
Ein Regierungs-Statement aus Damaskus spricht von einer Attacke „auf den religiösen Pluralismus in Ägypten und in anderen arabischen Staaten". Syrien stehe an der Seite Ägyptens, „um gemeinsam Front gegen den Terrorismus zu machen". Bestürzung über die Nachricht aus Alexandria kommt auch vom französischen Außenministerium und vom Primas der anglikanischen Weltkirche, Erzbischof Rowan Williams von Canterbury. (rv)

Ägypten/EU: „Menschenhandel blüht vor Europas Türen“

Die Lage von rund achtzig eritreischen Geiseln auf der Sinai-Halbinsel verschärft sich. Seit etwa einem Monat werden die Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus Eritrea, von ägyptischen Menschenhändlern unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten; sechs von ihnen wurden in den letzten Tagen von ihren Bewachern ermordet. Der Papst hatte am letzten Sonntag an die Rechte der Flüchtlinge erinnert und zur Solidarität mit ihnen aufgerufen. Don Mussie Zerai ist Präsident der eritreischen Agentur und Hilfsplattform „Habeshia" für Zusammenarbeit und Entwicklung. Er hatte an diesem Montag Kontakt mit den Flüchtlingen.
„Die Gefangenen erleben schreckliche Bedingungen, sowohl was Hygiene und Gesundheit betrifft, als auch Misshandlungen, denen sie ausgesetzt sind. Einige von ihnen bräuchten medizinische Hilfe. Es sind schwangere Frauen darunter, die zum Arzt müssten, sie leiden Hunger und Durst. Sie tragen Ketten an den Füßen, sind seit Tagen ohne Essen, leiden unter ständigen Misshandlungen. Die Geiselnehmer wollen von jedem 8.000 Dollar. Das Ultimatum ging am Sonntag zu Ende, und jeder hat über Verwandte bereits 500 Dollar zahlen müssen, um das eigene Leben zu retten. Wir wissen, dass sechs der Flüchtlinge getötet wurden. Den anderen kann dasselbe passieren."
Insgesamt 250 Flüchtlinge – 80 davon offenbar aus Libyen – hatten versucht, über Ägypten nach Israel einzureisen, und waren fünfzig km vor der israelischen Grenze gekidnappt worden. Eigentlich hatten sie nach Europa gewollt, so Don Mussie Zerai. Das sei aber nicht möglich gewesen, so der Menschenrechtler mit Blick auf das jüngste Abkommen zwischen Libyen und Italien, nach dem Flüchtlinge in Richtung Italien noch auf dem Mittelmeer abgeblockt und wieder nach Libyen umgeleitet werden können. Die verschärfte Einwanderungspolitik der EU setze solche Flüchtlinge zunehmend unter Druck, meint Christopher Hein, Direktor des italienischen Flüchtlingsdienstes „Cir":
„Schon seit ein paar Jahren erschweren die verschärften Maßnahmen der EU die Situation der afrikanischen Flüchtlinge, die bisher über die Meerenge von Gibraltar nach Europa einreisten. Spanien hat diesen Weg militärisch abgeriegelt. Und schließlich hat Italien mit Libyen dieses Abkommen geschlossen, das jedoch keine Lösung ist für Eritreer, die nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Je mehr man die Türen Europas verschließt, desto mehr Aufwind erhalten Menschenhändler und illegale Organisationen, die sich am Leid der anderen bereichern."
Nach Hein müsste Europa die Flüchtlinge, die in ihren Ländern verfolgt und unterdrückt werden, als politische Flüchtlinge aufnehmen. In Eritrea fliehen viele junge Menschen zum Beispiel vor Armut und einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft. Fahnenflüchtlinge fürchten um ihr Leben. Im Fall der eritreischen Geiseln hofft auch Don Mussie Zerai auf schnelles Eingreifen der internationalen Gemeinschaft:
„Der Papst hat einen Appell lanciert, dass die Rechte dieser Menschen respektiert werden. Wir hoffen, dass dieser Aufruf die internationale Gemeinschaft und insbesondere die ägyptischen Autoritäten dazu bringt, die Flüchtlinge aus den Händen der Menschenhändler zu retten. Der Schutz und die Rechte dieser Flüchtlinge müssen durch das internationale Recht anerkannt und garantiert werden!" (rv)