Ägypten: Angst vor dem Bürgerkrieg

ÄgyptenWurde die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi anfangs im Land selbst und in der internationalen Gemeinschaft noch mit Euphorie begrüßt, mehren sich nun die Stimmen, die mit Blick auf die zunehmende Gewalt auf die Gefahr eines Bürgerkriegs hinweisen. Allein am Montag wurden bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des abgesetzten Präsidenten nach Angaben von Rettungskräften über 50 Menschen getötet; es gab mehrere mehrere hundert Verletzte. Matthias Vogt ist Länderreferent für Ägypten im katholischen Hilfswerk missio. Auch er zeigte sich im Gespräch mit Radio Vatikan tief besorgt über die Eskalation der Situation im Land.

„Ich stelle fest, jetzt mit den doch sehr gewaltsamen Auseinandersetzungen mit vielen Toten in den letzten zwei, drei Tagen, dass die Situation von anfänglicher Euphorie umzuschlagen droht in sehr große Sorge, vorsichtig gesagt, vor einen Bürgerkrieg, oder zumindest einer Radikalisierung der Muslimbrüder und Islamisten, die dann wohl auch bereit sind, massiv Gewalt anzuwenden."

Inwiefern handelt es sich bei der Absetzung Mursis denn tatsächlich um den Willen des Volkes?

„Es sind viele Millionen Menschen vor und in den Tagen nach dem 30. Juni in ganz Ägypten auf die Straße gegangen. Während die Revolution des 25. Januars 2011 gegen Mubarak fast ausschließlich eine Sache der Bevölkerung in Kairo war und es fast nur dort größere Demonstrationen gegeben hat, war diesmal das ganze Land beteiligt. Bei der Absetzung von Mursi selbst war dann ja auch nicht nur das Militär beteiligt, das war dann zwar die Institution, die das ganze durchsetzen konnte, aber bei der Verkündigung durch den Verteidigungsminister und Armeechef waren ja zahlreiche Vertreter der zivilen Opposition anwesend."

Was kann man nach den Ankündigungen der Muslimbrüder jetzt erwarten?

„Also man muss tatsächlich befürchten, dass die Muslimbrüder alle Register ziehen werden, um an der Macht festzuhalten. Das hat sicherlich zwei Gründe. Der eine, offensichtlichte Grund ist der Machtverlust. Sie wollten an einer stark an islamischen Werten und der Sharia orientierten Neuordnung arbeiten. Der zweite Grund ist einer, der im Orient sehr wichtig ist, aber für uns vielleicht gar nicht so leicht einsichtig, nämlich dass sie ihr Gesicht und damit ja auch ihre Ehre durch diesen gewaltsamen Sturz ihres Präsidenten ein bisschen verloren haben. Da muss man jetzt auch schauen, wie man diesen Gesichtsverlust ausgleichen kann, damit sie tatsächlich wieder an einen Tisch mit der Mehrheit der Gesellschaft zurückfinden können und nicht in die gewaltsame Opposition abdriften müssen." (rv)

Ägypten: Nach der Euphorie die Skepsis

Nach der Freiheits-Euphorie rund um den Tahrir-Platz in Kairo mehren sich jetzt mit Blick auf Ägypten die besorgten Stimmen. Der deutsche „Friedens-Bischof" Stephan Ackermann fragt: „Wird Ägypten seinen Friedensvertrag mit Israel bestätigen? Werden aus den demokratischen Kräften im Land freie und verantwortungsvolle Parteien entstehen oder werden radikale Kräfte den Übergang in das neue Ägypten ausnutzen?" In einem Beitrag für den SWR2 fordert der Trierer Bischof, der die „Iustitia et Pax"-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz leitet, dass die neuen Machthaber in Kairo die Weichen Richtung Religionsfreiheit stellen. „Dazu muss der Artikel 2 der Verfassung gestrichen werden, der die Scharia als wichtigste Quelle des Rechts in Ägypten festschreibt und die Grundlage für die Benachteiligung und Verfolgung der christlichen Kopten darstellt."
 Die Muslimbruderschaft hat an diesem Dienstag in Kairo angekündigt, dass sie ihre offizielle Zulassung als Partei beantragen will. Bei einer schnellen Wahl käme der ursprünglich islamistische Verband nach Schätzungen auf 30 Prozent der Stimmen. Bischof Ackermann sieht es immerhin als Zeichen der Hoffnung, dass während der Proteste in Kairo auch Christen zusammen mit Muslimen für ein Ende des Regimes demonstriert hätten. „Da wurden Koran und Kreuz nebeneinander als Zeichen der Freiheit hochgehalten. Gebe Gott, dass diese Erfahrung der Gemeinsamkeit in einem andauernden gegenseitigen Respekt mündet!" Ackermann kritisiert die, so wörtlich, „schnellen Beifallskundgebungen" von westlichen Politikern: „Es ist noch nicht lange her, dass Präsident Mubarak an erster Stelle nicht als Vertreter eines autoritären Regimes gesehen wurde, sondern als verlässlicher Partner." 2009 seien deutsche Rüstungsgüter im Wert von mehr als 77 Millionen Euro nach Ägypten verkauft worden, „wohl wissend, dass es um die Lage der Menschenrechte im Land am Nil schlecht bestellt ist."
Auch die evangelische Kirche in Deutschland macht sich Sorgen mit Blick auf Ägypten, vor allem um die Kopten. Der Berliner Bischof Markus Dröge hat deswegen an den koptischen Bischof in Deutschland, Anba Damian, geschrieben. Es stelle sich die Frage, ob die Christen in Ägypten darauf vertrauen könnten, dass in der Verfassung die Religionsfreiheit verankert und die Menschenrechte aller Bürger geschützt werde. Unter den elf Mitgliedern des jetzt eingesetzten Komitees für eine Verfassungsreform sei nur ein Christ.
Von den rund 83 Millionen Einwohnern sind 87 Prozent Muslime und zehn Prozent orthodoxe Kopten. Außerdem gibt es kleinere Gruppen von katholischen Kopten und Protestanten. (rv)