Vatikan: Menschhandel stärker im öffentlichen Bewusstsein

Kardinal NicholsDas Phänomen Menschenhandel nimmt zwar weiter zu, doch auch die öffentliche Wahrnehmung dafür ist schärfer als noch vor zwei Jahren. Dieses Resümee zieht Kardinal Vincent Nichols von der zweitägigen Sitzung der sogenannten Santa-Marta-Gruppe, die am Donnerstag im Vatikan zu Ende gegangen ist. Bischöfe, Polizeichefs, Ordensfrauen, Opfer und Fachleute aus allen Kontinenten haben zwei Tage lang darüber beraten, wie Menschenhandel durch bessere Vernetzung der Institutionen eingedämmt werden kann. Kardinal Nichols zeigte sich vor Journalisten zufrieden über die bisherige Arbeit der Santa-Marta-Gruppe, die Papst Franziskus im April 2014 ins Leben gerufen hatte. Damals hatten sich Polizeichefs aus rund 20 Ländern dazu verpflichtet, die katholische Kirche in ihren Kampf gegen Menschenhandel auch institutionell stärker einzubinden. Kardinal Nichols:

„Heute Morgen haben wir Papst Franziskus einen Report übergeben, in dem die Fortschritte aus zwei Jahren Arbeit verzeichnet sind. Wie ich dem Heiligen Vater gesagt habe: ,hier drin ist eine ganze Menge an Ermutigendem´. Vor allem zeigt der Report auf, dass Menschenhandel und Sklaverei nicht mehr ganz so verdeckt stattfinden wie früher. Es gibt ein größeres Bewusstsein für das, was der Heilige Vater als ,offene Wunde im Fleisch der Menschheit´ bezeichnet hat. Stimmen, die früher komplett im Verborgenen blieben, werden heute gehört, und Verzweiflung, die unbeachtet geblieben ist, wird nun anerkannt.“

Dennoch nehme das Phänomen von Jahr zu Jahr zu, die großen Migrationsbewegungen der jüngsten Vergangenheit täten ihr Übriges dazu. Die perfiden und genau auf ihre Opfer ausgerichteten Strategien der Menschenhändler machen ein Eingreifen schwierig. Zwei Opfer von Menschenhandel kamen bei der Konferenz direkt zu Wort und gewährten mit der Schilderung ihrer persönlichen Leidensgeschichte Einblick in die Arbeitsweise der Menschenhändler. Das Zeugnis einer Frau, die als Haushaltssklavin missbraucht wurde, wurde in Schriftform vorgelegt.

Erzwungene Prostitution

Auch Princess wurde Opfer von Menschenhandel. Der jungen Nigerianerin wurde eine Stelle als Köchin versprochen, doch tatsächlich landete sie in einem Bordell und auf dem Straßenstrich in Italien, wo sie willkürlich festgelegte Schulden abarbeiten musste. Erst durch die Begegnung mit Caritasmitarbeitern konnte sie ihren Peinigern entfliehen. „Ich habe dann die Hilfsorganisation PIAM gegründet, um Opfern von Prostitution zu helfen, den ich habe mich gefühlt, wie sie sich fühlen. Ich bin der lebende Beweis für die Gefahren und Grausamkeiten, unter denen viele nigerianische Frauen leiden. Mein Herz fließt über vor Freude, wann immer ich einer von ihnen helfen kann.“ Durch intensive Arbeit vor Ort in Nigeria sei es tatsächlich gelungen, den Fluss von Mädchen aus dem Einzugsgebiet ihrer NGO nach Italien einzudämmen. Der internationalen Gemeinschaft lege sie vor allem ans Herz:

„Mehr internationale Projekte in den Ursprungsländern und dort nicht nur auf übergeordneter Ebene, sondern lokal, um Bildung für junge Mädchen zu fördern. Internationale Polizeieinheiten sollten stark zusammenarbeiten, um Menschenhändler in Ländern wie Nigeria, Niger und Libyen zu überführen und den Handel mit Sexsklaven dadurch einzuschränken. Außerdem braucht es mehr Zufluchtsstätten für die vielen Opfer von Menschenhandel in Europa und größere Finanzmittel für Schutzprogramme.“

Opfer von Menschenhandel, so der Appell von Princess, müssten bereits bei ihrer Registrierung in Europa als Opfer identifiziert und in Schutzeinrichtungen verbracht werden, um sie so ihren Ausbeutern zu entziehen.

Vom Sexsklaven zum Profifußballer

Al Bangura stammt aus Sierra Leone. Bereits als Kind träumte er von einer Karriere als Profifußballer, musste jedoch nach Todesdrohungen mit der Mutter und den Schwestern nach Guinea flüchten, wo er nicht wusste, wie er für den Lebensunterhalt der Familie hätte sorgen können. Hier habe er einen Franzosen kennengelernt, der ihm versprochen habe, professionell Fußball zu spielen. Dies sei der Beginn eines Albtraums gewesen, den er mit vielen anderen jungen Männern, die von einer Karriere als Fußballer in Europa träumten, teile. Denn über Paris wurde Al nach London geschafft, wo er in einem Hotelzimmer gefangen gehalten, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen wurde. Er wisse heute selbst nicht mehr, wie ihm die Flucht schließlich gelungen sei. In einem Heim gelandet, begann er wieder Fußball zu spielen. Dort wurde er durch einen Talentscout entdeckt und spielte schließlich tatsächlich in einem Club, der es bis in die englische Oberliga schaffte. Seine Prominenz helfe ihm nun, andere vor seinem Schicksal zu bewahren und Betroffenen zu helfen. (rv)

Große politische Grundsatzrede des Papstes

Papst FranziskusAlle Jahre wieder, immer kurz nach Neujahr, empfängt der Papst das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps, also Botschafter aus aller Welt. Und dabei holt er traditionell aus zu einer ausführlichen Analyse der Weltlage. So auch an diesem Montag: Franziskus machte schon in den ersten Worten seiner Rede klar, dass die Welt aus seiner Sicht derzeit „von so vielen Übeln geplagt und bedrückt“ ist. Dennoch fand er bei seiner Tour d’horizon durchs Internationale auch einiges Positive. Hier sind die grundlegenden Gedanken aus der Papstrede.

Nein zur Gewalt im Namen Gottes

„Niemals kann man im Namen Gottes töten“: Das war der Ausgangspunkt des Papstes. Das Weihnachtsfest habe uns gerade daran erinnert, dass „jede authentisch gelebte religiöse Erfahrung nur den Frieden fördern“ könne. „Das Geheimnis der Menschwerdung zeigt uns das wahre Gesicht Gottes, für den Macht nicht Gewalt und Zerstörung bedeutet, sondern Liebe, und für den Gerechtigkeit nicht Rache bedeutet, sondern Barmherzigkeit.“

Damit war auch schon das Stichwort Barmherzigkeit gefallen, das für den Papst grundlegend ist; man denke nur an das derzeit laufende „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“. Er habe es, so sagte Franziskus, absichtlich in Zentralafrika beginnen lassen, also in einem von Gewalt tief verwundeten Land. „Dort, wo der Name Gottes missbraucht worden ist, um Unrecht zu verüben, wollte ich gemeinsam mit der muslimischen Gemeinschaft der Zentralafrikanischen Republik bekräftigen: „Wer behauptet, an Gott zu glauben, muss auch ein Mensch des Friedens sein“ und folglich ein Mensch der Barmherzigkeit… Nur eine ideologische und irregeleitete Form von Religion kann daran denken, durch vorsätzlichen Mord an wehrlosen Menschen im Namen Gottes Gerechtigkeit zu erweisen, wie es in den blutigen Terroranschlägen der vergangenen Monate in Afrika, Europa und im Nahen Osten geschehen ist.“

Hauptakzente des letzten Jahres aus Vatikansicht: Barmherzigkeit und Familie

Barmherzigkeit war, so stellte es Franziskus an diesem Montag dar, sozusagen der Leitfaden seiner Reisen im vergangenen Jahr: nach Sri Lanka und auf die Philippinen, nach Bosnien, Lateinamerika, Kuba und in die USA. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Reisen und überhaupt seines Handelns (vor allem der von ihm geleiteten Bischofssynode) sei der Einsatz für die Familie gewesen, die ja „die erste und wichtigste Schule der Barmherzigkeit“ sei – eine Formel, mit der der Papst die zwei Hauptakzente verklammerte.

„Leider wissen wir um die zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich die Familie auseinandersetzen muss in dieser Zeit, in der sie bedroht ist durch zunehmende Bemühungen einiger, die Institution der Ehe selbst neu zu definieren, durch Relativismus, durch die Kultur der Kurzlebigkeit und durch mangelnde Offenheit für das Leben.“

Franziskus zeigte sich besorgt über die „individualistische Mentalität“ in vielen Gesellschaften. Sie sei der „Nährboden“, auf dem ein „Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten“ reife. Das führe letztlich dazu, dass man mit Mitmenschen so umgehe, als seien sie „bloße Handelsware“; „zynisch“ werde man dadurch und „feige“. „Sind das denn nicht die Gefühle, die wir oft gegenüber den Armen, den Ausgegrenzten, den Letzten der Gesellschaft hegen? Und wie viele Letzte haben wir in unseren Gesellschaften!“ Damit war der Papst beim Thema Migration.

Migrations-Notstand und Flüchtlingsströme

„Massives, gewaltiges Phänomen“, „unvermeidliche Angst“, die es begleitet – so blickte Franziskus auf die Migrationsströme „vor allem in Europa“, aber auch in anderen Teilen der Welt. Er rückte das Geschehen in eine biblische Perspektive. „Tatsächlich erzählt uns die ganze Bibel die Geschichte einer Menschheit auf dem Wege, denn das In-Bewegung-Sein ist dem Menschen wesenseigen… Von der Vertreibung aus dem irdischen Paradies bis zu Abraham, der unterwegs ist zum Land der Verheißung; von der Erzählung des Exodus bis zur Deportation nach Babylonien schildert die Heilige Schrift Mühen und Leiden, Wünsche und Hoffnungen, die denen von Hunderttausenden von Menschen gleichen, die in unseren Tagen unterwegs sind.“

Wie einst Mose suchten die Migranten von heute – unter ihnen viele verfolgte Christen – ein Land, „in dem Milch und Honig fließen (Ex 3,17), wo man in Freiheit und Frieden leben kann“, so der Papst. Häufig sei es „extremes Elend“, das sie zur Migration zwinge. „Leider ist bekanntlich der Hunger noch eine der schwersten Plagen unserer Welt, mit Millionen von Kindern, die jedes Jahr verhungern. Es schmerzt jedoch festzustellen, dass diese Migranten häufig von keinem der internationalen Schutzsysteme aufgefangen werden, die auf den internationalen Verträgen basieren.“

Das sei eine Frucht der – von ihm häufig beklagten – „Wegwerfkultur“, urteilte der Papst. Sie bringe Menschen in Gefahr, indem sie sie „den Götzen des Gewinns und des Konsums opfert“. Arme, Behinderte, Ungeborene oder alte Menschen würden aussortiert; die „Arroganz der Mächtigen“ mache die Schwachen „zu Objekten für egoistische Ziele“.

Nein zum Menschenhandel

Auch so ein Thema, das diesem Papst besonders am Herzen liegt: der Kampf gegen Schlepper und Menschenhändler. Dass viele Staaten oder Staatenbündnisse „reguläre Migration“ unmöglich machen, treibt Migranten solchen zwielichtigen Geschäftemachern in die Hände, beklagte Franziskus. „Aus dieser Sicht erneuere ich noch einmal meinen Appell, dem Menschenhandel Einhalt zu gebieten, der die Menschen vermarktet, besonders die schwächsten und schutzlosesten. Immer werden unserer Erinnerung und unseren Herzen die Bilder von Kindern, die im Meer ums Leben kamen, unvergesslich eingeprägt bleiben – Opfer der Skrupellosigkeit der Menschen und der Erbarmungslosigkeit der Natur.“

Das war Franziskus’ Verbeugung vor dem kleinen Aylan Kurdi. Das Foto des Dreijährigen, der auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ertrunken ist, hat im September des letzten Jahres viele Menschen bewegt.

Ursachen der Migration beheben

„Einen großen Teil der Ursachen für die Migrationen hätte man schon vor Zeiten in Angriff nehmen können“, stellte der Papst fest. „So hätte man vielen Unglücken zuvorkommen oder zumindest ihre grausamsten Folgen abmildern können.“ Es sei dringend nötig, alles zu tun, „um den Tragödien Einhalt zu gebieten und den Frieden herzustellen“.

„Das würde aber bedeuten, eingefahrene Gewohnheiten und Gepflogenheiten wieder zur Diskussion zu stellen, vom mit dem Waffenhandel verbundenen Fragenkomplex über das Problem der Rohstoff- und Energieversorgung, über die Investitionen, die Finanzpolitik und die politischen Programme für Entwicklungshilfe bis zu der schweren Plage der Korruption.“

Nötig seien „mittel- und langfristige Pläne, die über den Notbehelf hinausgehen“. Das Ziel dabei sei ein Doppeltes: Integration der Migranten in den Aufnahmeländern einerseits, „solidarische Programme“ zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer andererseits.

Europa

Vielleicht ist es auch seiner Auszeichnung mit dem Aachener Karlspreis 2016 geschuldet, dass der Papst an diesem Montag ausdrücklich auf die Lage in Europa einging. Es sei mit einem „Flüchtlingsstrom“ konfrontiert, wie es ihn in der jüngeren Geschichte noch nie gegeben habe.

„Die massenhaften Landungen an den Küsten des Alten Kontinents scheinen jedoch das System der Aufnahme ins Wanken zu bringen, das auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs mühsam aufgebaut wurde und immer noch ein Leuchtfeuer der Menschlichkeit darstellt, auf das man sich beziehen kann.“

Die Herausforderung für Europa sei gewaltig, nicht zuletzt angesichts von „Befürchtungen um die Sicherheit“. „Die augenblickliche Migrationswelle scheint die Fundamente jenes „humanistischen Geistes“ zu untergraben, den Europa von jeher liebt und verteidigt. Dennoch darf man sich nicht erlauben, die Werte und die Prinzipien der Menschlichkeit … und der gegenseitigen Solidarität aufzugeben, auch wenn sie in einigen Momenten der Geschichte eine schwer zu tragende Bürde sein können.“

Er sei davon überzeugt, dass Europa „die Mittel“ besitze, „ um das rechte Gleichgewicht zu finden“ zwischen Schutz der eigenen Bürger und Aufnahme der Neuankömmlinge. Das hört sich etwas gewundener an als „Wir schaffen das“… aber im Kern meint es dasselbe.

Viel Lob gab es von Papst Franziskus für Länder, die großzügig Flüchtlinge aufnehmen. Er nannte den Libanon, Jordanien, die Türkei und Griechenland, aber auch Italien. „Es ist wichtig, dass die Nationen an vorderster Front bei ihrer Auseinandersetzung mit dem aktuellen Notstand nicht allein gelassen werden.“ Migration werde „mehr, als das bisher der Fall war, ein grundlegendes Element der Zukunft der Welt darstellen“, da solle man sich nichts vormachen.

Migranten aus muslimischen Ländern

Islamische Terroristen, die sich unter Flüchtlinge mischen, oder Migranten in der zweiten Generation, die in Europa radikalisiert werden und Anschläge verüben – auch auf diese Szenarien ging Papst Franziskus ein. Dass junge Leute mit Migrationshintergrund in ihrem Aufnahmeland in den religiösen Extremismus abrutschten, habe auch mit der „Leere der fehlenden Ideale“ und dem „Verlust der – auch religiösen – Identität“ im „sogenannten Westen“ zu tun.

„Das Phänomen der Migration wirft also eine ernste kulturelle Frage auf, deren Beantwortung man sich nicht entziehen kann. Die Aufnahme kann daher eine günstige Gelegenheit sein für eine neue Einsicht und Öffnung des Horizontes.“ Nicht nur für den Aufgenommenen, der natürlich „Werte und Gesetze“ des Gastgebers respektieren müsse. Sondern auch beim Gastgeber selbst.

„Auf diesem Gebiet erneuert der Heilige Stuhl seinen Einsatz im ökumenischen und interreligiösen Bereich, um einen aufrichtigen und fairen Dialog einzuleiten, der dadurch, dass er die Besonderheiten und die persönliche Identität eines jeden zur Geltung bringt, ein harmonisches Zusammenleben aller sozialen Komponenten fördert.“

Positive Entwicklungen im letzten Jahr

Ja doch, 2015 war nicht nur ein „annus horribilis“, es hatte in internationaler Hinsicht auch sein Gutes. Sagt Papst Franziskus. „Ich denke vor allem an das sogenannte Atomabkommen mit dem Iran, das – wie ich hoffe – dazu beitragen möge, ein Klima der Entspannung in der Region zu fördern, wie auch an die Erzielung des erwarteten Klimavertrags im Laufe der Konferenz von Paris.“

Der Klimavertrag von Paris sei bedeutend; jetzt sei es aber auch wichtig, „dass die übernommenen Engagements nicht nur ein guter Vorsatz bleiben“, mahnte der Autor von „Laudato si’“, der ersten Enzyklika überhaupt zum Thema Umwelt. Froh ist Franziskus auch über die jüngsten Wahlen in Zentralafrika, über die Friedensgespräche in Kolumbien und über Zyperns Herantasten an eine Wiedervereinigung.

Herausforderungen für 2016

„Nicht wenige Spannungen“ hätten sich schon am Horizont „blicken lassen“: Damit meinte der Papst den saudisch-iranischen Konflikt, Nordkoreas Bombentest und den Konflikt in der Ost-Ukraine. Für Syrien und auch Libyen gebe es jetzt immerhin wieder Hoffnungen auf eine „politische und diplomatische Lösung“.

„Andererseits erscheint immer deutlicher, dass nur eine gemeinsame und abgestimmte politische Aktion dazu beitragen kann, die Ausbreitung des Extremismus und des Fundamentalismus aufzuhalten, mit ihren Hintergründen terroristischer Prägung, die sowohl in Syrien und Libyen als auch in anderen Ländern wie dem Irak und dem Jemen unzählige Opfer fordern.“ Welcher Art eine solche „Aktion“ sein müsste, führte der Papst nicht aus; ein Ruf nach Bodentruppen war das jedenfalls nicht.

„Die Herausforderung, die uns mehr als alle anderen erwartet, ist jedoch die, die Gleichgültigkeit zu überwinden, um den Frieden aufzubauen, der ein immer anzustrebendes Gut bleibt.“ Vor allem der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern mit seinen „tiefen Wunden“ harre weiter einer Lösung. (rv)

Großer Aktionsplan gegen Menschenhandel

VatikanplatzEine beispiellose religionsübergreifende Initiative gegen Menschenhandel hat an diesem Montag im Vatikan begonnen. Der Heilige Stuhl, die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo und die Anglikanische Kirche wollen gemeinsam gegen moderne Sklaverei in allen ihren Formen vorgehen. Sie gründeten zu diesem Zweck gemeinsam mit einer einschlägigen australischen Stiftung, der „Walk Free Foundation“, ein Aktions-Netzwerk mit dem Namen „Global Freedom Network“. In der gleichzeitig abgegebenen gemeinsamen Erklärung heißt es wörtlich: „Die körperliche, wirtschaftliche und sexuelle Ausbeutung von Männern, Frauen und Kindern verurteilt 30 Millionen Menschen zur Entmenschlichung und Verwahrlosung. Jeder Tag, an dem wir diese Situation länger hinnehmen, tun wir unserer gemeinsamen Menschlichkeit Gewalt an und beleidigen das Gewissen aller Völker“.

Beleidigung für das Gewissen aller Völker

Die Unterzeichner laden „alle Gläubigen und ihre Religionsführer, alle Regierungen und Menschen guten Willens“ dazu ein, dem „Global Freedom Network“ beizutreten und ihre Anstrengungen gegen Menschenhandel zu bündeln. Unter Menschenhandel verstehen die Unterzeichner – also: der Heilige Stuhl, die Al-Azhar-Universität, die Anglikanische Kirche und die australische Stiftung – ausdrücklich auch alle Unterformen wie Zwangsprostitution, Zwangsheirat und Leibeigenschaft, den Missbrauch von Kindern zur Arbeit, als Soldaten und in der Porno-Industrie sowie „jede andere Form moderner Sklaverei und Menschenhandels“.

Das Netzwerk werde „Instrumente des Glaubens“ nutzen, heißt es in der Erklärung weiter: Gebet, Fasten und Nächstenliebe. An einem gemeinsamen Gebetstag werden demnach Katholiken, Muslime, Anglikaner und alle anderen Menschen guten Willens weltweit für die Opfer des Menschenhandels und ihre Freiheit beten.

Sieben Handlungsfelder

Für das erste Jahr ihres Bestehens hat die religionsübergreifende Initiative sieben eng umrissene Handlungsfelder ausgemacht. Man wolle alle Glaubensgemeinschaften und auch politisch Verantwortliche dazu einladen, ihre Versorgungsketten und Investitionen zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie moderne Sklaverei ausschließen. Dieselbe Aufforderung soll an 50 Großkonzerne gehen, deren Vorstandsvorsitzende praktizierende Gläubige und Menschen guten Willens sind. Auch sollten die Religionsgemeinschaften ihre jeweiligen Jugendabteilungen mobilisieren und diese mit entsprechenden Projekten betrauen. In Familien, Schulen, Universitäten und Orden sollte das Sprechen über Menschenhandel ermuntert sowie Methoden gelehrt werden, wie man Menschenhandel erkennt und anzeigt. Die letzten beiden Punkte sind eminent politisch: Das interreligiöse Netzwerk gegen Menschenhandel lädt 162 Regierungen der Welt, die Menschenhandel öffentlich ablehnen, dazu ein, einen globalen Fonds zur Abschaffung der Sklaverei zu gründen; das Ziel sind 30 Unterschriften von Regierungschefs bis zum Ende des laufenden Jahres. Der letzter Punkt des Aktionsplans ist: die G20-Staaten dazu einladen, moderne Sklaverei und Menschenhandel zu verurteilen und den Globalen Fonds öffentlich zu unterstützen.

Ein Anfang und ein Versprechen

„Unsere Welt muss von diesen schrecklichen Übel und Verbrechen gegen die Menschlichkeit befreit werden“, heißt es abschließend in der gemeinsamen Erklärung. Diese sei gleichzeitig „ein Anfang und ein Versprechen: Die Opfer der modernen Sklaverei und des Menschenhandels werden nicht vergessen und ignoriert sein: alle werden ihre Geschichte erfahren“.  (rv)

Italien: Dem Menschenhandel nicht gleichgültig gegenüberstehen

ItalienSchon bevor Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, war ihm der Kampf gegen den Menschenhandel wichtig: Als Erzbischof von Buenos Aires feierte er immer am 23. August, dem Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel, eine Messe in für die Opfer dieses grausigen Geschäfts. Dass er sein Engagement auf diesem Gebiet auch als Papst fortsetzt, wundert Schwester Eugenia Bonetti deshalb nicht. Die Consolata-Missionarin kämpft seit Jahren gegen den Handel mit Frauen. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagt sie:

„Wir haben sofort gemerkt, dass ihm daran immer noch viel liegt. Schon in seiner Osterbotschaft hat er ja beispielsweise über den Menschenhandel als ,neue Form der Sklaverei in diesem Jahrhundert’ gesprochen. Das hat er zwei Mal wiederholt. Das war für uns ein erstes Signal, dass sich der Papst über diesen furchtbaren Handel bewusst ist, der das Leben vieler unschuldiger Menschen zerstört. Sie brauchen Hilfe, denn sie befinden sich im Netz dieser Händler."

Schwester Eugenia erinnert auch daran, dass Franziskus auch immer das große Geschäft, das mit dem Handel von Menschen gemacht wird, gesehen und kritisiert habe. So sagte er beispielsweise, jeder, der sich auf diese Art und Weise bereichere, solle vor sich selbst und vor Gott dieses Handeln prüfen. Dass Franziskus nun für diesen November ein Treffen im Vatikan geplant hat, bei dem Strategien im Kampf gegen den Menschenhandel erarbeitet werden sollen, ist für Schwester Eugenia ein deutliches Zeichen:

„Diese Nachricht hat unser Herz mit Freude erfüllt: Wir sehen darin einen großen Einsatz auf der Ebene der Kirche und im Vatikan, der sich in besonderer Weise konkretisiert. Es stimmt zwar, dass das Problem auch durch Gesetze gelöst werden muss, wichtig sind in diesem Zusammenhang aber auch die Sensibilisierung der Leute und Aufklärung. Das Problem des Menschenhandels muss unter verschiedenen Aspekten gesehen werden. Wir alle haben da eine große Verantwortung und wir sind alle in der Lage einige Ringe dieser Kette zu zerstören."

Vielleicht fragt sich nun der ein oder andere, was er selbst denn tun kann, um Sklaven- und Menschenhandel zu verhindern. Schwester Eugenia dazu:

„Ich sage immer: Durch unsere Gleichgültigkeit machen wir uns schon schuldig. Grade als Christen sind wir gefordert, die Gleichgültigkeit der anderen nicht zu akzeptieren. Es geht hier um Millionen von Menschen, die – auch hier bei uns in Italien – ausgenutzt werden, nicht nur im Bereich der Arbeit, sondern besonders beim Menschenhandel im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung. Hier sind vor allem Frauen betroffen und ein Großteil von ihnen, nämlich etwa 80 Prozent, ist auch noch minderjährig." (rv)

Ägypten/EU: „Menschenhandel blüht vor Europas Türen“

Die Lage von rund achtzig eritreischen Geiseln auf der Sinai-Halbinsel verschärft sich. Seit etwa einem Monat werden die Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus Eritrea, von ägyptischen Menschenhändlern unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten; sechs von ihnen wurden in den letzten Tagen von ihren Bewachern ermordet. Der Papst hatte am letzten Sonntag an die Rechte der Flüchtlinge erinnert und zur Solidarität mit ihnen aufgerufen. Don Mussie Zerai ist Präsident der eritreischen Agentur und Hilfsplattform „Habeshia" für Zusammenarbeit und Entwicklung. Er hatte an diesem Montag Kontakt mit den Flüchtlingen.
„Die Gefangenen erleben schreckliche Bedingungen, sowohl was Hygiene und Gesundheit betrifft, als auch Misshandlungen, denen sie ausgesetzt sind. Einige von ihnen bräuchten medizinische Hilfe. Es sind schwangere Frauen darunter, die zum Arzt müssten, sie leiden Hunger und Durst. Sie tragen Ketten an den Füßen, sind seit Tagen ohne Essen, leiden unter ständigen Misshandlungen. Die Geiselnehmer wollen von jedem 8.000 Dollar. Das Ultimatum ging am Sonntag zu Ende, und jeder hat über Verwandte bereits 500 Dollar zahlen müssen, um das eigene Leben zu retten. Wir wissen, dass sechs der Flüchtlinge getötet wurden. Den anderen kann dasselbe passieren."
Insgesamt 250 Flüchtlinge – 80 davon offenbar aus Libyen – hatten versucht, über Ägypten nach Israel einzureisen, und waren fünfzig km vor der israelischen Grenze gekidnappt worden. Eigentlich hatten sie nach Europa gewollt, so Don Mussie Zerai. Das sei aber nicht möglich gewesen, so der Menschenrechtler mit Blick auf das jüngste Abkommen zwischen Libyen und Italien, nach dem Flüchtlinge in Richtung Italien noch auf dem Mittelmeer abgeblockt und wieder nach Libyen umgeleitet werden können. Die verschärfte Einwanderungspolitik der EU setze solche Flüchtlinge zunehmend unter Druck, meint Christopher Hein, Direktor des italienischen Flüchtlingsdienstes „Cir":
„Schon seit ein paar Jahren erschweren die verschärften Maßnahmen der EU die Situation der afrikanischen Flüchtlinge, die bisher über die Meerenge von Gibraltar nach Europa einreisten. Spanien hat diesen Weg militärisch abgeriegelt. Und schließlich hat Italien mit Libyen dieses Abkommen geschlossen, das jedoch keine Lösung ist für Eritreer, die nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Je mehr man die Türen Europas verschließt, desto mehr Aufwind erhalten Menschenhändler und illegale Organisationen, die sich am Leid der anderen bereichern."
Nach Hein müsste Europa die Flüchtlinge, die in ihren Ländern verfolgt und unterdrückt werden, als politische Flüchtlinge aufnehmen. In Eritrea fliehen viele junge Menschen zum Beispiel vor Armut und einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft. Fahnenflüchtlinge fürchten um ihr Leben. Im Fall der eritreischen Geiseln hofft auch Don Mussie Zerai auf schnelles Eingreifen der internationalen Gemeinschaft:
„Der Papst hat einen Appell lanciert, dass die Rechte dieser Menschen respektiert werden. Wir hoffen, dass dieser Aufruf die internationale Gemeinschaft und insbesondere die ägyptischen Autoritäten dazu bringt, die Flüchtlinge aus den Händen der Menschenhändler zu retten. Der Schutz und die Rechte dieser Flüchtlinge müssen durch das internationale Recht anerkannt und garantiert werden!" (rv)