Mit „Fake News“ gegen den Papst?

Auch Kardinal Gerhard Müller geriet jetzt in den Zielpunkt einer Desinformationskampagne, kommentiert Guido Horst.

Knapp vierzig Grad im Schatten. Draußen, auf dem Petersplatz, scheinen sich die Eisenstangen der Absperrungen in der Sonnenglut zu verbiegen, drinnen, nur einen Steinwurf von den Kolonnaden entfernt, im Palazzo Nummer 1 an der Piazza della Città Leonina, empfängt Kardinal Gerhard Müller ganz leger: Sommerhose, kariertes kurzes Hemd. Auch in seiner Wohnung, die einst lange Jahre das Domizil von Kardinal Joseph Ratzinger war, steigen die Temperaturen beträchtlich an. Der Grund für die etwas unkonventionelle Begegnung ist eine der vielen „fake news“, wie sie in Rom zurzeit nur so die Runde machen. Doch diesmal betraf es Müller direkt, den Papst Franziskus erst vor wenigen Tagen aus dem Amt des Glaubenspräfekten entlassen hat. Der Sekretär des Kardinals. Don Slawek, ist im Ausland, Müller deshalb ohne Zugang zum Internet – und so las er erst jetzt, was in den Stunden zuvor rund um die ganze Welt gegangen war.

Das letzte Gespräch zwischen Papst und Müller sei in Wirklichkeit so verlaufen, hatte Maike Hickson in ihrem Online-Dienst „One Peter Five“ behauptet, und der italienische Journalist Marco Tosatti hatte das auf seinem Blog „Stilum curiae“ auf Italienisch sofort weiterverbreitet. Also: Am 30. Juni in den Apostolischen Palast berufen, habe Müller, mit den zur Entscheidung anstehenden Akten der Glaubenskongregation bewaffnet, eine relativ kurze Unterredung mit Franziskus gehabt. Der Papst habe dem Kardinal nur fünf Fragen stellen wollen, so „One Peter Fice“ und „Stilum curiae“: Sind Sie für oder gegen den Frauendiakonat, habe Franziskus gefragt. Ich bin dagegen, so Müller. Und weiter: Sind Sie für oder gegen die Aufhebung des Zölibat? Ich bin natürlich dagegen, so Müller. Sind sie für oder gegen weibliche Priester. – Ich bin entschieden dagegen. Wollen Sie „Amoris laetitia“ verteidigen? Ja, so die Antwort von Müller, insofern es mir möglich ist. Es gibt da noch Zweideutigkeiten. Und dann die letzte Frage des Papstes: Wollen Sie Ihren Protest gegen die Kündigung Ihrer drei Mitarbeiter zurückziehen? Heiliger Vater, habe der Kardinal entgegnet, das waren gute Leute ohne Makel, die ich vermisse. Es war nicht korrekt, sie über meinen Kopf hinweg zu entlassen, und das kurz vor Weihnachten, so dass sie ihre Büros bis zum 28. Dezember räumen mussten.

Dann, so schreiben Hickson und Tosatti, habe der Papst dem Kardinal nur noch mitgeteilt, dass er sein Mandat als Präfekt der Glaubenskongregation nicht verlängern werde, und sei wort- und grußlos gegangen. Als Quelle für diese Version des letzten Gesprächs zwischen Papst und Müller gab Hickson eine „vertrauenswürdige deutsche Quelle“ an, die das anonym berichtet habe, nachdem sie kurz nach der Entlassung Müllers mit diesem an einem Essen des Kardinals mit seinem Abiturjahrgang in Mainz teilgenommen und entsprechende Bemerkungen aufgeschnappt habe. Diese anonyme Quelle ist der Redaktion dieser Zeitung bekannt. In Rom ist sie nur als dubiose Figur bekannt, deren sprudelnde Phantasie keine Grenzen kennt – alles andere also als vertrauenswürdig.

Als jetzt Kardinal Müller am Mittwochmorgen den Ausdruck der beiden – fast gleichlautenden – Berichte las, traute er seinen Augen nicht. „Das stimmt nicht“, so Müller, das Gespräch sei ganz anders gelaufen. Auch der Schluss des vermeintlichen Protokolls der „deutschen Quelle“ sei falsch. Bei Hickson und Tosatti hieß es dort, der Präfekt sei nach dem Weggang des Papstes noch ein wenig sitzengeblieben, in der Erwartung, das Franziskus etwas holen würde, ein kleines Geschenk oder Ähnliches, um den Kardinal zu verabschieden oder sich für seine Dienste zu bedanken. Bis ihm dann der Präfekt des Päpstlichen Haues, Erzbischof Georg Gänswein, mitgeteilt habe, dass die Audienz beendet sei. Kardinal Müller staunte jetzt nicht schlecht, als er nun diese frei erfundene Darstellung lesen musste. Zumal er selber über den Verlauf der besagten Audienz berichtet hatte, der Papst sei mit ihm tatsächlich Akten der Glaubenskongregation durchgegangen und habe ihm erst beim Hinausgehen mitgeteilt, dass er seine Amtszeit als Glaubenspräfekt nicht verlängern werde.

Man könnte diese Blüten der Desinformation, wie sie Kardinal Müller überrascht zur Kenntnis nehmen musste, in dem Fach „fake news“ ablegen und es mit einer knappen Richtigstellung oder einem Dementi bewenden lassen. Aber sie sind symptomatisch für eine Zeit, in der ein Pontifikat für Unruhe sorgt und mancher sich bemüßigt fühlt, mit Fehlinformationen und freien Erfindungen diese Unruhe noch zu steigern – aus den unterschiedlichsten Motiven heraus. Der Franziskus in den Mund gelegte Satz: „Ich werde als der Papst in die Geschichte eingehen, der die Kirche gespalten hat“, schaffte es bis in das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Und schon kreist in deutschen Landen das Gerücht, der päpstliche Autor von „Amoris laetitia“ wolle den deutschen Verein „Donum vitae“ mit dem Segen der Deutschen Bischofskonferenz in die Schwangerenberatung der Kirche integrieren – trotz der Ausstellung des einst von Rom nicht gewollten Beratungsscheins.

Solche Gerüchte – das ist eines der möglichen Motive – sollen die romtreuen Katholiken treffen, die auf dem Boden der traditionellen Lehre stehen und in dem Lehramt von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ein Vermächtnis für die Zukunft sehen. Sie, so die Absicht der Gerüchtestreuer, sollen jetzt ganz verdattert dastehen angesichts eines lateinamerikanischen Jesuiten-Papstes, der Hand anlegt an die Alleinstellungsmerkmale des Katholischen. Die Agenda, die die „anonyme deutsche Quelle“ implizit aus den vermeintlichen Fragen des Papstes an Kardinal Müller ablesen lassen will, ist immerhin ganz beachtlich: Einführung des Frauendiakonats, Abschaffung des Zölibats, Weihe von Frauen zum Priesteramt.

Somit steigt die Verunsicherung, zumal es tatsächlich Initiativen von Papst Franziskus gibt, die selbst bei ganz gemäßigten Kurienprälaten eher ein Kopfschütteln als begeisterte Zustimmung hervorrufen. Am Sonntag ist das dritte Interview erschienen, das Franziskus mittlerweile dem Laizisten-Papst Eugenio Scalfari gegeben hat, wiederum erschienen in der links-liberalen „La Repubblica“. Und wieder hat der 93-jährige Gründer dieser Zeitung darauf verzichtet, bei dem Gespräch in Santa Marta ein Aufnahmegerät mitlaufen zu lassen.

Das Ergebnis ist eine krude Mischung von eigenen Gedanken Scalfaris und Äußerungen von Franziskus zum G20-Gipfel in Hamburg, zu internationalen Allianzen gegen Flüchtlinge und unheilvollen Beziehungen zwischen Putin und Trump, Russland und Syrien oder Nordkorea und China – mit dem vatikanischen Staatssekretariat dürften die Einschätzungen des Papstes wohl kaum abgesprochen gewesen sein. Für Scalfari habe der Papst Zeit, nicht aber für die vier Kardinäle, die wegen ihres Briefs mit den „dubia“ um eine Audienz beim Papst nachgesucht hatten – so der Kommentar in Kurienkreisen. Dass Franziskus etwa zur gleichen Zeit den soeben zum Kardinal erhobenen Weihbischof Gregorio Rosa Chavez aus El Salvador zu seinem Vermittler zwischen Nord- und Südkorea ernannt hat, obwohl dieser weder Koreanisch spricht noch über besondere Kontakte in dieser Region verfügt, machte ebenfalls stutzig. Mancher fragt sich, nach welchen Kriterien Franziskus – der auch in diesem Sommer auf eine Ferienzeit verzichtet – im Gästehaus Santa Marta agiert. Da gießen solche Falschmeldungen wie die von „One Peter Five“ und „Stilum curiae“ zu den vermeintlichen fünf Fragen von Franziskus an Kardinal Müller nur Öl ins Feuer. Die Absicht scheint zu sein, die Verunsicherung rund um die Person des Papstes weiter zu steigern. Der Sache dient das nicht.

Guido Horst ist Chefkorrespondent der Zeitung „Die Tagespost“ in Rom. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung. (CNA Deutsch)

Papst-Interview mit italienischer Zeitung

La RepubblicaMit Vorsicht zu genießen – und trotzdem interessant: Papst Franziskus hat der italienischen Tageszeitung La Repubblica wieder ein großes Interview gegeben. Es erschien in der Ausgabe von diesem Freitag. Allerdings hat sich herumgesprochen, dass der historische Repubblica-Herausgeber Eugenio Scalfari, ein Herr von mittlerweile 92 Jahren, bei solchen Interviews keine Aufnahmegeräte einsetzt – aus Prinzip nicht. Stattdessen rekonstruiert er sie hinterher aus seinem Kopf. Trotzdem: Interessant, was Scalfari Papst Franziskus diesmal sagen lässt.

Am letzten Montag habe er sich „über eine Stunde lang“ mit dem Papst unterhalten können, so Scalfari. Dabei habe ihm Franziskus anvertraut, er wolle über Donald Trump und generell über Politiker „kein Urteil abgeben“. „Ich will nur verstehen, welche Leiden ihr Vorgehen den Armen und Ausgeschlossenen bereiten kann.“ Wohlgemerkt: Zum Zeitpunkt des Interviews hatte Trump noch nicht die US-Präsidentenwahlen gewonnen.

Seine Hauptsorge gelte derzeit „den Flüchtlingen und Einwanderern“, so der Papst weiter. Leider gebe es gegen sie häufig „gesetzliche Maßnahmen“, weil „Bevölkerungen“ fürchteten, dass Migranten ihnen „ihren Arbeitsplatz wegnehmen und ihre Gehälter deswegen sinken“. „Das Geld ist gegen die Armen, und auch gegen die Einwanderer und Flüchtlinge, aber da sind auch die Armen in den reichen Ländern, denen die Aufnahme von Menschen in ähnlicher Lage aus armen Ländern Sorgen macht. Das ist ein perverser Kreislauf, der durchbrochen werden muss. Wir müssen die Mauern niederreißen, die spalten.“

Es seien „Ungleichheiten“, die dazu führten, dass „viele Völker von einem Land ins andere, von einem Kontinent zum anderen“ zögen. Diese Ungleichheiten gelte es zu bekämpfen, „das ist das größte Übel, das es auf der Welt gibt“. Und weiter: „Es ist das Geld, das sie herbeiführt.“ Einmal mehr wehrt sich Franziskus in dem Gespräch gegen den Vorwurf, im Grund seines Herzens Kommunist zu sein. Eher verhalte es sich so, „dass Kommunisten wie Christen denken“. „Christus hat von einer Gesellschaft gesprochen, in der die Armen, Schwachen und an den Rand Gedrängten die sind, die entscheiden. Nicht die Demagogen, sondern das Volk, die Armen… Ihnen müssen wir helfen, um Gleichheit und Freiheit zu erreichen.“

Der Papst bejaht die Frage Scalfaris, ob er wünsche, dass die Armen direkt „in die eigentliche Politik eintreten“ sollten: „Ja, so ist das. Nicht in die Machtkämpfe, den Egoismus, die Demagogie, das Geld, sondern in die hohe, kreative Politik, in die großen Visionen.“ Scalfari fragt nach: Ob Franziskus ein „wenn auch politischer Krieg“ vorschwebe, mit dem die Volksbewegungen die Macht ergreifen könnten? Antwort des Papstes: „Ich habe nie an Krieg und Waffen gedacht.“ Wenn Blut vergossen werde, dann seien das häufig „die Christen, die zu Märtyrern werden“ – ein Sprung zur katastrophalen Lage in Nahost.

Die Männer des „Islamischen Staates“ seien „furchtbare Schlächter“, und Christen seien ihre Opfer. Scalfari versetzt, dass viele Länder derzeit mit Waffengewalt gegen den IS vorgingen. Daraufhin Franziskus: „Nun, das ist nicht die Art von Konflikt, den christliche Volksbewegungen austragen. Wir Christen sind immer Märtyrer gewesen, und doch hat unser Glaube im Lauf der Jahrhunderte große Teile der Welt erobert.“ Leider sei es immer wieder zu Religionskriegen gekommen – „aber das geschah immer dann, wenn die einzelnen Religionen und auch unsere Religion die Macht über den Glauben und die Barmherzigkeit gestellt haben.“

Ohne Macht könne man nun aber nicht gewinnen, so Scalfari, ohne Macht könnten auch Arme und Ausgeschlossene ihre Stimme nicht in der Politik hörbar machen. Woraufhin Franziskus erklärt: „Jetzt vergessen Sie, dass es auch die Liebe gibt.“ Es lebten mittlerweile mehr als zweieinhalb Milliarden Christen auf der Welt – ob es dazu Waffen und Kriege gebraucht habe? Nein. Aber Märtyrer, „ja, und zwar viele“. „Wir haben den Glauben verbreitet, indem wir an Jesus Christus Mass genommen haben. Er war der Märtyrer der Märtyrer…“

Der Journalist schließt mit dem Eindruck, dass Papst Franziskus „viele Gegner“ in seiner eigenen Kirche habe. „Gegner würde ich nicht sagen“, antwortet der Papst: „Der Glaube eint uns alle. Natürlich sind wir Individuen und sehen dieselben Dinge jeder in einer anderen Weise…“

Ein etwas seltsames Gespräch: Schöne Papstzitate, gewiss, doch immer mit dem Verdacht des Fiktiven behaftet. (rv)

Ein McDonald’s im Vatikan? Aufruhr über „McVatican“-Filiale

cna_mcdonaldsVATIKANSTADT – Buchstäblich um die Ecke vom Petersplatz, auf vatikanischem Boden, eröffnet demnächst eine Filiale der amerikanischen Fastfood-Kette McDonald’s – sehr zum Missfallen einiger prominenter Kritiker, darunter Kardinäle, die im gleichen Gebäude leben.

Der „McVatican“, wie er bei manchen jetzt schon heißt, soll an der Ecke der Via del Mascherino und der Via Borgo Pio aufmachen, mit Blick auf Vatikan und Petersdom.

Zahlreiche Firmen hatten sich um die leerstehenden Räumlichkeiten beworben. Doch APSA, die Güterverwaltung des Heiligen Stuhls, entschied sich, diese an McDonald’s zu vermieten – für monatlich 30.000 Euro Miete.

In einem Interview mit der italienschen Zeitung „La Reppublica“ sagte der italienische Kardinal Elio Sgreccia, Präsident emeritus der Päpstlichen Akademie für das Leben, dies sei „eine umstrittene, eine perverse Entscheidung, um es gelinde auszudrücken“.

Die Anwesenheit einer Filiale der Fastfood-Kette, sagte er, sei ein Akt der Respektlosigkeit gegenüber den architektonischen und urbanen Traditionen eines einzigarten Platzes, der die Kolonnaden von St. Peter überblicke „und täglich von tausenden Pilgern und Touristen besucht wird“, so der Kardinal.

Die „Mega-Sandwiches“ der Fastfood-Kette seien, sagte Kardinal Sgreccia weiter, eine Gefahr für die Gesundheit; die „fragwürdige“ Aktivität hätte für ein vatikanisches Gebäude überhaupt nicht erst in Frage kommen dürfen.

Neben Sgreccia, der dem Papst einen Brief zum Thema geschrieben haben soll, haben auch andere Kardinäle, die im betroffenen Gebäude wohnen, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verliehen: Was werde etwa mit den Obdachlosen geschehen, die vor dem Gebäude leben, manche schon seit Jahren?

McDonald’s wäre nicht nur eine „Schande“, so Kardinal Sgreccia gegenüber „La Repubblica“; vielmehr hätten – statt einer Fastfood-Filiale zu dienen – die Räumlichkeiten besser der Versorgung Bedürftiger zur Verfügung gestellt werden sollen.

Doch der Kritik zum Trotz sagt der zuständige Präsident von APSA, Kardinal Domenico Calcagno, er verstehe die Aufregung nicht.

Alles sei juristisch einwandfrei, und nichts verstoße gegen das Recht, die Tradition und Interessen des Heiligen Stuhls, so Kardinal Calcagno gegenüber „La Repubblica“. Eine Umentscheidung käme nicht in Frage.

Von Briefen an den Papst wisse er nichts, so Kardinal Calcagno weiter. Er wisse zwar um die Meinung seiner Brüder, doch, wie er betonte: „Wir sind freie Menschen. Jeder hat das Recht, seine Meinung auszudrücken“. Man könne freilich nicht immer der gleichen Ansicht sein.

Als Präsident von APSA sehe er nichts Negatives an der Entscheidung. Das Angebot der amerikanischen Manager sei fair und gerecht gewesen: „Ich kann keinen Skandal erkennen“. (CNA Deutsch)

Italien: Verbeugung oder nicht Verbeugung vor dem Mafiaboss?

La RepubblicaAusgerechnet Corleone! Da müht sich die sizilianische Kleinstadt seit Jahren, ihr Image als Mafia-Nest loszuwerden. Und jetzt das: Eine Heiligenprozession zieht letzte Woche feierlich durch eine Straße der Stadt – und bleibt vor dem Haus von Totò Riina stehen. Riina war von 1982 bis zu seiner Verhaftung 1993 Boss der „Cosa Nostra“, der berühmteste und gefürchtetste Mafiaboss Italiens. Seine Frau, Ninetta Bagarella, steht zur Prozession auf dem Balkon des Hauses, wartend. Von einem „Inchino“, einer Verbeugung der feierlich herumgeführten Heiligenstatue, vor der Frau des Mafiabosses spricht die Tageszeitung „La Repubblica“.

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft in Palermo. Und auch der Bischof von Monreale, Michele Pennisi, hat eine eigene Untersuchungskommission eingerichtet. „Ich bin am Sonntag gegen 22 Uhr informiert worden, dass es – nein, keinen „Inchino“, sondern einen unplanmäßigen Halt der Prozession in der Straße gegeben hat, wo die Frau von Totò Riina wohnt. Um 23 Uhr habe ich mit dem Pfarrer gesprochen und ihn um einen detaillierten Bericht geben, den er mir am nächsten Tag geschickt hat. Er beteuert, der Prozessionsweg sei derselbe wie immer und sei auch ordnungsgemäß mit der Polizei und den Carabinieri abgesprochen worden. Es gab einen Halt, der eigentlich nicht vorgesehen war, aber es gab keinerlei Verbeugung des Heiligenbildes (von Johannes dem Täufer). Das haben mir auch die Carabinieri bestätigt.“

Allerdings waren die Carabinieri aufgebracht über den Stopp vor dem Mafia-Haus. Wer sich diesen Stopp ausgedacht hat, wird im Moment untersucht. Im Verdacht steht ein Mitglied der Bruderschaft, die die Prozession alljährlich organisiert; er ist ein Cousin von Totò Riinas Frau.

Bischof Pennisi will, dass künftig keine Prozession mehr durch die betreffende Straße führt. Ansonsten wartet er die Ergebnisse seiner Untersuchungskommission ab. „Dann werde ich entscheiden. Wenn die Bruderschaft die Verantwortung trägt, dann wird sie entweder unter Aufsicht gestellt, oder die Mitglieder, die sich regelwidrig verhalten haben, werden bestraft. Ich habe schon vor zwei Jahren ein Dekret veröffentlicht, das festlegt: Wer Mitglied in einer Mafia ist, kann nicht gleichzeitig zu einer katholischen Bruderschaft gehören, denn Christus und gleichzeitig der Mafia zu dienen, ist unvereinbar. Mir wäre am liebsten, man würde es im ganzen Bistum machen wie hier in Monreale: Wir sprechen mit den Ordnungskräften nicht nur ab, welchen Weg unsere Kreuzprozession nimmt, sondern auch, wo Pausen eingelegt werden. Auf diese Weise kommt es zu keinerlei Missverständnissen.“

Firmpaten und Mafia-Paten

Bruderschaften – auf Italienisch „Confraternità“ – spielen eine große Rolle im sizilianischen Brauchtum. Umso strenger will die Kirche darüber wachen, dass ihre Mitglieder nichts mit der Mafia zu tun haben. Die Bürgermeisterin von Corleone, Leoluchina Savona, ist aufgebracht über die neuen Negativ-Schlagzeilen: Da werde der alte üble Ruf der Stadt wieder einmal von den Medien instrumentalisiert, und das beschädige alles bisher Erreichte im Einsatz für die „legalità“. Bischof Pennisi: „Sie ist auch deshalb verärgert, weil das Innenministerium gerade über eine mögliche Auflösung des Stadtrates (wegen mafiöser Unterwanderung) nachdenkt. Und sie hat das Gefühl, dass da jemand die Politiker in dieser Richtung beeinflussen will. Was jedenfalls die Kirche betrifft, kann ich nur sagen: Die Bruderschaften müssen Orte der „legalità“ sein, und es ist absolut nicht hinnehmbar, dass eine Prozession vor Personen, die mit der Mafia verbunden sind, einen Halt einlegt!“

In Pfarreien und Schulen sei in den letzten Jahren viel getan worden, um Kinder und Jugendliche gegen die Mafia zu sensibilisieren. „Jedesmal, wenn ich Firmungen spende – nicht nur in Corleone –, sage ich: Wir sollen die Freiheit der Kinder Gottes haben und uns keiner Mafia-Macht unterwerfen. Und ich sage immer: Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem christlichen Paten, der den Firmling auf seinem Glaubensweg begleitet, und dem Mafia-Paten, der seinem Schützling dabei hilft, eine mehr oder weniger kriminelle Karriere zu machen. Diese Unterscheidung muss klar sein!“ (rv)

Neues Papst-„Interview“ von Scalfari: Krise der Familie, Pädophilie und Mafia

La Repubblica Am Sonntag hat die italienische Zeitung „Repubblica“ einen Artikel des Gründers Eugenio Scalfari über ein Gespräch mit Papst Franziskus abgedruckt. In dem Beitrag geht es um die Krise der Familie, um Pädophilie und das Verhältnis der Kirche zur Mafia. Das „Interview“ fand am vergangenen Donnerstag in Santa Marta statt, ist aber – wie schon bei vorgehenden Interviews – nur aus dem Gedächtnis des 90-jährigen Journalisten rekonstruiert. Vatikansprecher Federico Lombardi betonte, dass die „Zitate“ nicht als authentisch gelten könnten, da sie nicht autorisiert worden sind. Dies gelte insbesondere für die Aussagen zum Thema Zölibat und Fällen von Pädophilie unter Kardinälen, die eine tendenziöse Berichterstattung erkennen ließen. Wie auch beim Interview im Oktober vergangenen Jahres setze Scalfari Aussagen des Papstes in Anführungszeichen und mache sie so als direkte Zitate kenntlich, obwohl er keine Aufzeichnungen gemacht habe. Ausdrücklich weist Lombardi gegenüber Radio Vatikan auf eine Merkwürdigkeit hin: Bei einigen Zitaten würden zwar die Anführungszeichen zu Beginn gesetzt, dann aber nicht zum Abschluss. Das lasse die Frage aufkommen, ob es sich nicht um bewusste Lesermanipulation handle.

Im Folgenden die wichtigsten Aussagen laut Zeitunug:

Krise der Familie und Pädophilie

Der Papst sei erschüttert, dass die meisten Fälle von Pädophilie im familiären und verwandtschaftlichen Rahmen geschehen. Das sei besonders verwerflich, denn eigentlich sollte die Familie ein Schutzraum für die Erziehung der Kinder sein. Leider würden viele Eltern die Erziehung der Kinder vernachlässigen und andere Dinge in ihrem Leben als wichtiger ansehen. Das führe zu einer schleichenden Verwahrlosung der Kinder und zur Verbreitung anderer Laster wie zum Beispiel Drogensucht. Die Kirche kämpfe dagegen und setze sich dafür ein, dass Kinder wieder eine gute Erziehung erhielten.

Pädophilie und Kirche

Nach Kenntnis des Papstes seien im Klerus etwa 2 Prozent pädophil veranlagt, darunter auch Bischöfe und Kardinäle, eine Aussage, die Papstsprecher Pater Federico Lombardi bereits dementiert hat: Das habe der Papst nie gesagt.. Diese (geringe) Zahl beruhige den Papst aber keineswegs, so die Zeitung weiter, sondern sehe sie als äußerst schwerwiegend an. Unhaltbar sei auch das Schweigen der Mitwisser. Er habe die Absicht diese Probleme, wenn nötig, mit Strenge anzugehen.

Über die Barmherzigkeit

Ein weiteres Thema des Gesprächs war die absolute Freiheit des Menschen zur Sünde und die Frage nach der Reue „auf dem Sterbebett“. Scalfari fragt, ob die Aussicht auf Barmherzigkeit „in letzter Minute“ nicht dazu führen könne, sich die Hoffnung auf ein Jenseits zu bewahren ohne das eigene Leben im Jetzt zu ändern. Franziskus antwortet, dass nicht der Mensch richte, sondern der Herr, der schließlich allwissend sei. Die Barmherzigkeit Gottes sei unendlich und könne nicht in eine Falle gelockt werden. Wenn die Reue nicht ehrlich ist, könne auch die Barmherzigkeit ihre erlösendes Werk nicht ausüben. Das Gewissen sei frei, betont der Papst gegenüber dem bekennenden Atheisten Scalfaro. Diese Probleme seien Kernfragen der Theologie, und man müsse dazu vor allem die Weisheitsbücher der Bibel und das Buch Hiob studieren.

Kirche und Mafia

Der Papst gesteht, dass er nicht nachvollziehen könne, wie die Mafia funktioniere. In Argentinien gebe es auch Mörder und Verbrecher, aber keine Mafia. Er lese dazu viele Bücher. Scalfari schreibt, dass er dem Papst in dem Gespräch erklärt habe, dass die Mafia nach eigenen Regeln funktioniere und eine eigene Moral kenne. Es gebe sogar einen Gott der Mafia. Die Familien der Mafia seien regelmäßige Kirchgänger.

Papst Franziskus erinnert in dem Zusammenhang an die öffentliche Anklage Papst Johannes Paul II. Es sei gut, dass die Priester den Opfern der Mafia beistehen, aber es sei selten, dass sie die Mafia öffentlich ächten. Er selber habe nicht vor, es bei einem einmaligen Appell zu belassen, sondern werde die Probleme beständig anprangern: Pädophilie und Mafia: Dies seien, referiert Scalfari den Papst, zwei der wichtigsten Fragen für die Kirche.

Zölibat

Am Ende des Gesprächs fragt Scalfari, wann das Problem des Zölibats in der katholischen Kirche angegangen werde. Franziskus habe laut Scalfari geantwortet, dass das Problem kein großes Ausmaß habe. Es brauche Zeit, aber es gebe Lösungen, und er werde sie finden. (rv)

„Der Papst hat die Sünde nicht abgeschafft“

La RepubblicaPapst Franziskus hat die Sünde nicht abgeschafft. Das stellt Vatikansprecher Federico Lombardi klar. Er äußerte sich zu einem Editorial des italienischen Journalisten Eugenio Scalfari, der dies in der Zeitung „La Repubblica“ geschrieben hatte. Scalfari hatte vor einigen Wochen den Papst im Vatikan getroffen und daraus ein Interview geschrieben. Das Argument Scalfaris ist, dass Franziskus in der Apostolischen Exhortation „Evangelii Gaudium“ „von der Abschaffung der Sünde“ spreche. „Wer hingegen den Papst täglich verfolgt, weiß, dass der Heilige Vater immer wieder von Sünde und Sünder spricht, aber auch von Vergebung und Versöhnung“, so Lombardi. Der Papst habe auch mehrmals darauf hingewiesen, dass auch Päpste Sünder seien, fügte Jesuitenpater Lombardi an. (rv)
 

Überraschung: Papst-Interview in „La Repubblica“

La RepubblicaWieder einmal sorgt der neue Papst für eine Überraschung: Papst Franziskus hat mit dem bekannten italienischen Intellektuellen Eugenio Scalfari am 24. September im Vatikan ein langes Gespräch geführt. Ein Transkript dieses Dialogs veröffentlicht der Nichtglaubende Scalfari in der von ihm gegründeten Tageszeitung „La Repubblica" an diesem Dienstag. Erst unlängst war ein Briefwechsel zwischen Scalfari und Papst Franziskus zum Thema Glauben und Nichtglauben bekannt geworden. Wir veröffentlichen hier die wichtigsten Auszüge aus dem Papst-Interview in unserer eigenen Übersetzung. Hinzufügungen in Klammern stammen vom Übersetzer.

* Die größten Übel heute
„Die schlimmsten Übel, die die Welt in diesen Jahren heimsuchen, sind die Jugendarbeitslosigkeit und die Einsamkeit, der man die Alten überlässt. Die alten Menschen brauchen Pflege und Gesellschaft, die Jungen brauchen Arbeit und Hoffnung, doch sie haben weder das eine noch das andere und suchen deshalb noch nicht einmal mehr danach. Sie werden von der Gegenwart erdrückt. Sagen Sie mir: Kann man so leben, von der Gegenwart erdrückt? Ohne Erinnerung an das Vergangene und ohne den Wunsch, sich für die Zukunft etwas aufzubauen, eine Familie etwa? Kann man so weitermachen? Das ist aus meiner Sicht das dringendste Problem, das die Kirche vor sich sieht… Diese Situation verletzt nämlich nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen. Und für beides muss sich die Kirche verantwortlich fühlen."

* Gut und Böse
„Proselytismus ist eine Riesendummheit, er hat gar keinen Sinn. Man muss sich kennenlernen, sich zuhören und das Wissen um die Welt um uns vermehren… Die Welt ist durchzogen von Straßen, die uns voneinander entfernen oder die uns näher zusammenbringen, aber das Entscheidende ist, dass sie uns zum Guten hinführen… Jeder von uns hat seine Sicht des Guten und auch des Bösen. Wir müssen ihn dazu anregen, sich auf das zuzubewegen, was er als das Gute erkannt hat… Das würde schon genügen, um die Welt zu verbessern… Die Liebe zum Anderen, die unser Herr gepredigt hat, ist kein Proselytismus, sondern Liebe. Liebe zum Nächsten, ein Sauerteig, der auch dem Gemeinwohl dient."

* Brüderlichkeit
„Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, um in den Seelen der Menschen das Gefühl der Brüderlichkeit zu wecken. Alle Brüder, alle Kinder Gottes. Abba, wie er den Vater anrief. Ich bahne euch den Weg, sagte er. Folgt mir, und ihr werdet den Vater finden und werdet alle seine Kinder sein…"

* Kurie
„Die Führer der Kirche waren oft narzisstisch, von Schmeichlern umgeben und von ihren Höflingen zum Üblen angestachelt. Der Hof ist die Lepra des Papsttums… An der Kurie gibt es manchmal Höflinge, aber insgesamt ist die Kurie etwas Anderes. Sie ist eine Art Intendanz, sie verwaltet die Dienste, die der Heilige Stuhl braucht. Aber sie hat einen Nachteil: Sie ist Vatikan-zentriert. Sie sieht und pflegt die Interessen des Vatikans, die immer noch zu großen Teilen weltliche Interessen sind. Diese Vatikan-zentrierte Sicht vernachlässigt die Welt, die uns umgibt. Ich teile diese Sicht nicht, und ich werde alles tun, um sie zu ändern. Die Kirche ist – oder sie sollte es wieder sein! – eine Gemeinschaft des Volkes Gottes, in der Priester, Pfarrer, Bischöfe als Hirten im Dienst am Volk Gottes stehen. Das ist die Kirche; nicht zufällig ist das ein anderes Wort als Heiliger Stuhl. Dieser hat eine wichtige Funktion, steht aber im Dienst der Kirche. Ich hätte nie vollen Glauben an Gott und an seinen Sohn haben können, wenn ich nicht in der Kirche aufgewachsen wäre, und ich hatte in Argentinien das Glück, mich in einer Gemeinschaft zu finden, ohne die ich nicht zum Bewusstsein meiner selbst und meines Glaubens gefunden hätte."

* Befreiungstheologie
„Viele ihrer Exponenten waren Argentinier… Sicher gaben sie ihrer Theologie politische Folgerungen, aber viele von ihnen waren Gläubige und hatten eine hohe Vorstellung von Menschlichkeit."

* Antiklerikale
„Das passiert mir auch: Wenn ich einen Klerikalen vor mir habe, werde ich schnurstracks antiklerikal. Klerikalismus sollte eigentlich nichts mit dem Christentum zu tun haben. Der heilige Paulus, der als Erster zu den Heiden und den Glaubenden anderer Religionen gesprochen hat, hat uns das als Erster gelehrt…"

* Lieblingsheilige
„Der heilige Paulus hat die Grundsteine unserer Religion und unseres Credo gelegt. Man kann ohne ihn kein bewusster Christ sein. Er übersetzte die Predigt Christi in eine Lehrstruktur, die auch … nach 2.000 Jahren noch aufrecht steht. Und dann Augustinus, Benedikt und Thomas (von Aquin) und Ignatius. Und natürlich Franziskus… Ignatius ist verständlicherweise der, den ich besser als die anderen kenne. Er gründete unseren Orden. Ich erinnere Sie daran, dass aus diesem Orden auch (Kardinal) Carlo Maria Martini kam, der mir und auch Ihnen sehr teuer war. Die Jesuiten waren und sind immer noch der Sauerteig … des Katholischen: Kultur, Lehre, missionarisches Zeugnis, Treue zum Papst. Aber Ignatius … war auch ein Erneuerer und ein Mystiker. Vor allem ein Mystiker… Ich liebe die Mystiker; auch Franziskus war es, in vielen Aspekten seines Lebens…"

* Konklave
„Als mich das Konklave zum Papst wählte, bat ich vor der Annahme (der Wahl) darum, mich für ein paar Minuten in ein Zimmer … zurückzuziehen. Mein Kopf war vollkommen leer, und eine große Furcht hatte mich überkommen. Um sie vorbeigehen zu lassen und mich zu entspannen, habe ich die Augen geschlossen, und jeder Gedanke verschwand – auch der, die Last abzulehnen, wie übrigens die liturgische Prozedur das auch erlaubt. Ich schloss die Augen, und alle Furcht oder Emotionalität war verschwunden. Auf einmal erfüllte mich ein großes Licht – das dauerte nur einen Moment, aber der kam mir sehr lang vor. Dann verlosch das Licht, ich erhob mich und ging in das Zimmer, wo die Kardinäle auf mich warteten und der Tisch, auf dem der Annahme-Akt lag. Ich unterschrieb…"

* Gnade
„Wer nicht von der Gnade berührt wird, kann eine Person ohne Fehl und Angst sein, wie man so sagt, aber er wird nie wie eine Person sein, die die Gnade berührt hat… – Zwischenfrage Scalfari: Fühlen Sie sich von der Gnade berührt? – So etwas kann keiner wissen. Die Gnade gehört nicht zum Bewusstsein, sie ist das Lichtquantum, das wir in der Seele haben… Auch Sie könnten ganz ohne Ihr Wissen von der Gnade berührt sein. – Frage Scalfari: Ohne Glauben? Als Nichtglaubender? – Die Gnade betrifft die Seele. – Scalfari: Ich glaube nicht an die Seele. – Sie glauben nicht daran, aber Sie haben eine. – Heiligkeit, Sie hatten doch gesagt, Sie wollten mich nicht bekehren, und ich glaube, es würde Ihnen auch nicht gelingen! – Das kann man nicht wissen, aber ich habe jedenfalls nicht die Absicht dazu."

* Franz von Assisi
„Er ist einer der Größten, weil er alles zugleich ist. Ein Mann der Tat, er gründet einen Orden und gibt ihm Regeln, er zieht umher und ist Missionar, er ist Dichter und Prophet, er ist Mystiker, … er liebt die Natur, die Tiere, die Grashalme auf der Wiese und die Vögel, die am Himmel fliegen, aber vor allem liebt er die Menschen, die Kinder, die Alten, die Frauen… Er träumte von einer armen Kirche, die sich um die anderen kümmern würde, ohne an sich selbst zu denken. Seither sind 800 Jahre vergangen, und die Zeiten haben sich sehr geändert, aber das Ideal einer missionarischen und armen Kirche bleibt mehr als gültig. Dies ist ja die Kirche, die Jesus und seine Jünger gepredigt haben."

* Die Kirche als Minderheit
„Persönlich denke ich, dass es sogar eine Stärke ist, eine Minderheit zu sein. Wir sollen ja ein Sauerteig des Lebens und der Liebe sein, und Sauerteig ist eine viel, viel kleinere Menge als die Masse der Früchte, Blumen und Bäume, die aus diesem Sauerteig entstehen. Unser Ziel ist nicht der Proselytismus, sondern das Hören auf die Bedürfnisse, Wünsche, Enttäuschungen, Verzweiflungen, auf die Hoffnung. Wir müssen den jungen Leuten Hoffnung wiedergeben, den Alten helfen, die Zukunft aufschließen, die Liebe verbreiten. Arm unter den Armen. Wir müssen die Ausgeschlossenen aufnehmen und den Frieden predigen. Das Zweite Vatikanische Konzil … hat beschlossen, der Zukunft mit einem modernen Geist ins Gesicht zu sehen und sich für die moderne Kultur zu öffnen. Die Konzilsväter wussten, dass Öffnung zur modernen Kultur religiöse Ökumene bedeutete und Dialog mit den Nichtglaubenden. Seitdem ist sehr wenig in diese Richtung getan worden. Ich habe die Demut und den Ehrgeiz, es tun zu wollen."

* Reformen
„Ich bin natürlich nicht Franz von Assisi, und ich habe weder seine Kraft noch seine Heiligkeit. Aber ich bin der Bischof von Rom und der Papst der katholischen Welt. Als erstes habe ich entschieden, eine Gruppe von acht Kardinälen zu ernennen, die meinen Rat bilden sollen. Keine Höflinge, sondern weise Personen, die von denselben Gefühlen bewegt werden wie ich. Das ist der Anfang dieser Kirche mit einer nicht nur vertikalen, sondern auch horizontalen Organisation. Wenn Kardinal Martini davon sprach, dann setzte er den Akzent auf die Konzilien und Synoden, wobei er genau wusste, wie lang und schwierig die Straße in dieser Richtung zu begehen ist."

* Politik
„Warum fragen Sie mich danach? Ich habe schon gesagt, dass sich die Kirche nicht um Politik kümmert… Ich glaube, dass die in der Politik engagierten Katholiken in sich die Werte der Religion haben, aber (auch) ihr reifes Gewissen und die Kompetenz zum Umsetzen. Die Kirche wird nie über die Aufgabe hinausgehen, ihre Werte auszudrücken und zu verbreiten – jedenfalls solange ich hier sein werde… Aber so war es fast nie (in der Geschichte). Sehr oft war die Kirche als Institution dominiert von zeitlichen Interessen, und viele Mitglieder und hohe Vertreter der katholischen Kirche haben noch diese Gefühlslage."

* Glauben und Nichtglauben
„Lassen Sie mich etwas fragen: Sie als nichtglaubender Laie, woran glauben Sie? Sie sind ein Schriftsteller und ein Mann des Denkens. Sie werden also an irgendetwas glauben, Sie werden einen Leitwert haben. Antworten Sie mir nicht mit Worten wie Ehrlichkeit, Suche, Sorge fürs Gemeinwohl… danach frage ich nicht. Ich frage Sie, was Sie von der Essenz der Welt, ja des Universums denken. Sie fragen sich doch sicher wie wir alle, wer wir sind, von woher wir kommen und wohin wir gehen. Selbst ein Kind fragt sich das. Und Sie? – Scalfari: Ich glaube an das Sein, also an das Gewebe, aus dem die Formen hervorkommen. – Und ich glaube an Gott. Nicht an einen katholischen Gott, den gibt es nicht. Gott existiert. Und ich glaube an Jesus Christus, seine Inkarnation… Das ist mein Sein. Kommt es Ihnen so vor, als wären wir weit auseinander?" (rv)

Papst schreibt an Nichtglaubende

La RepubblicaPapst Franziskus hat sich mit einem Offenen Brief an die Nichtglaubenden gewandt. Darin schreibt er, es sei an der Zeit, dass Gläubige und Nichtglaubende sich gemeinsam engagierten. Der Brief erschien in der Mittwochsausgabe der linksliberalen italienischen Tageszeitung „La Repubblica". Franziskus antwortete damit auf einen Beitrag des „Repubblica"-Gründungsherausgebers Eugenio Scalfari, der seit Jahrzehnten zu den führenden antiklerikalen Köpfen Italiens zählt. Scalfari hatte unter dem Titel „Fragen eines Nichtglaubenden an den Jesuitenpapst, der sich Franziskus nennt" seinerseits einen Offenen Brief an das Kirchenoberhaupt gerichtet. Dem Brief des Papstes hat die Zeitung die Überschrift „Wahrheit ist nie absolut" gegeben. Hier einige Auszüge aus dem Papstbrief in unserer eigenen Übersetzung.

„Sehr geehrter Dr. Scalfari, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, mit der Sie die Enzyklika ,Lumen fidei‘ gelesen haben, denn sie will ja einen ehrlichen und klaren Dialog anstoßen mit Menschen, die sich – wie Sie – als ,Nichtglaubende‘ sehen, ,die aber fasziniert sind von der Predigt des Jesus von Nazareth‘. Es scheint mir auch für die Gesellschaft, in der wir leben, sehr positiv, wenn wir über eine so wichtige Realität wie den Glauben sprechen, der sich ja auf die Predigt und Figur Jesu beruft.

Dialog ist kein Accessoire

In der Moderne erleben wir ein Paradox: Der christliche Glaube, dessen Neuheit für den Menschen oft mit dem Symbol des Lichtes ausgedrückt wurde, ist oft als Dunkel des Aberglaubens beschrieben worden, der sich dem Licht der Vernunft entgegenstelle. Dadurch ist das Gespräch zwischen der Kirche und einer christlich inspirierten Kultur auf der einen und der modernen, aufklärerisch geprägten Kultur auf der anderen Seite verstummt. Jetzt ist die Zeit gekommen für einen offenen Dialog ohne Vorurteile, der uns die Türen für eine ernsthafte und fruchtbare Begegnung wieder öffnet. Dieser Dialog ist nicht nur ein nebensächliches Accessoire für das Leben eines Gläubigen, sondern ganz im Gegenteil sein unverzichtbarer Ausdruck!

Für mich entsteht der Glaube aus der Begegnung mit Jesus. Einer persönlichen Begegnung, die mein Herz angerührt hat und meinem Leben eine Richtung und einen neuen Sinn gegeben hat. Aber gleichzeitig eine Begegnung, die möglich wurde durch die Gemeinschaft des Glaubens, in der ich lebe und die mir erlaubt hat, die Heilige Schrift zu verstehen; zum neuen Leben aus den Sakramenten Zugang zu haben; Zugang zu finden zur Brüderlichkeit mit allen und zum Dienst an den Armen, die das wahre Bild des Herrn sind. Glauben Sie mir: Ohne die Kirche hätte ich Jesus nicht begegnen können.

Kirche bemüht sich nicht um Hegemonie

Der Christ glaubt, dass Jesus Sohn Gottes ist, gekommen, um sein Leben hinzugeben, damit allen der Weg der Liebe offenstehe. Sie haben darum recht, verehrter Dr. Scalfari, wenn Sie in der Menschwerdung des Gottessohnes den Angelpunkt des christlichen Glaubens ausmachen. Diese Menschwerdung, also die Tatsache, dass der Sohn Gottes unsere Freuden und Schmerzen, Siege und Niederlagen bis zum letzten Schrei am Kreuz geteilt hat, belegt die unglaubliche Liebe, die Gott zu jedem Menschen hat, und den unermesslichen Wert, den er ihm beimisst. Darum ist jeder von uns aufgerufen, sich Jesu Blick und seine Wahl der Liebe zu eigen zu machen, seine Art zu sein, zu denken und zu handeln. Das ist der Glaube.

Sie fragen mich nach der Originalität des christlichen Glaubens im Vergleich zu anderen Bekenntnissen, die vor allem die absolute Transzendenz Gottes betonen. Nun, sie liegt darin, dass uns der Glaube in Jesus an seiner Beziehung zu Gott als Vater teilhaben lässt – und im Lichte dessen an seiner Beziehung zu allen Menschen, auch zu seinen Feinden. Die Sohnschaft Jesu zieht nicht eine Mauer zwischen ihn und die anderen, sondern in ihm sind wir alle dazu aufgerufen, Söhne des einen Vaters und untereinander Brüder zu sein. Die Einzigartigkeit Jesu dient der Kommunikation, nicht dem Ausschluss. Natürlich – und das ist nicht wenig – ergibt sich daraus auch diese Unterscheidung zwischen der religiösen und der politischen Sphäre, die sich aus dem Satz ergibt: Gott geben, was Gottes ist, und dem Cäsar, was dem Cäsar gehört. Hierauf ist die Geschichte des Westens aufgebaut. Wer den Glauben lebt, flüchtet nicht aus der Welt oder sucht irgendeine Hegemonie, sondern es geht ihm um den Dienst am Menschen: dem ganzen Menschen und allen Menschen.

Sie fragen mich auch, was man den jüdischen Brüdern über den Bund sagen kann, den Gott mit ihnen geschlossen hat: Ist er denn ganz ins Leere gegangen? Glauben Sie mir: Das ist eine Frage, die uns als Christen radikal bewegt, weil wir vor allem vom Konzil ausgehend wiederentdeckt haben, dass das jüdische Volk für uns immer noch die heilige Wurzel ist, aus der Jesus kam. Gott ist dem Bund mit Israel immer treu geblieben, und die Juden haben trotz aller furchtbaren Geschehnisse dieser Jahrhunderte ihren Glauben an Gott bewahrt. Dafür werden wir ihnen als Kirche, aber auch als Menschheit, niemals genug danken können. Und in ihrem Glauben drängen sie alle, auch uns Christen, immer Wartende auf die Rückkehr des Herrn zu bleiben (wie Pilger), und dass wir uns nie im schon Erreichten einrichten dürfen.

Wahrheit ist nicht „absolut"

Sie fragen, welche Haltung die Kirche gegenüber den nicht an Jesus Glaubenden hat, und ob der Gott der Christen denen, die nicht glauben und sich auch nicht um den Glauben bemühen, verzeiht. Ich sage dazu, dass die Barmherzigkeit Gottes keine Grenzen hat, wenn sich jemand ehrlichen, zerknirschten Herzens an ihn wendet. Das ist fundamental. Bei der Frage der Nichtglaubenden geht es um das Hören auf das eigene Gewissen. Sünde ist auch beim Nichtglaubenden, wenn er gegen sein Gewissen handelt. Auf es zu hören und ihm zu gehorchen bedeutet, sich angesichts des für gut oder für böse Erkannten zu entscheiden. Und an dieser Entscheidung hängt Güte oder Schlechtigkeit unseres Handelns.

Sie fragen mich auch, ob es ein Irrtum oder eine Sünde sei zu glauben, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Ich würde zunächst auch für einen Glaubenden nicht von ,absoluter‘ Wahrheit sprechen – für den Christen ist die Wahrheit die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus, also eine Beziehung! Und jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahrheit aufnimmt und ausdrückt: von seiner Geschichte, Kultur, seiner Lage usw. Das heißt nicht, dass Wahrheit subjektiv oder veränderlich wäre, im Gegenteil. Aber sie gibt sich uns immer nur als Weg und als Leben. Hat nicht Jesus selbst gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben?

Und schließlich fragen Sie, ob mit dem letzten Menschen von der Erde auch der Gedanke an Gott verschwinden wird. Natürlich: Die Größe des Menschen besteht darin, Gott denken zu können, also eine bewusste und verantwortliche Beziehung zu ihm zu haben. Aber das ist eine Beziehung zwischen zwei Realitäten. Gott ist keine Idee, Gott ist kein Ergebnis menschlichen Denkens. Gott ist eine Realität mit großem R. Jesus zeigt ihn uns als Vater voller Güte und Barmherzigkeit. Gott hängt also nicht von unserem Denken ab.

Verehrter Dr. Scalfari, ich hoffe, Sie sehen in meiner provisorischen, aber ehrlichen Antwort eine Antwort auf Ihre Einladung, einen Teil des Weges gemeinsam zu gehen. Glauben Sie mir: So langsam, untreu und voller Irrtümern und Sünden die Menschen, die die Kirche bilden, auch waren und noch sind – die Kirche hat doch keinen anderen Sinn und kein anderes Ziel als das, Jesus zu leben und zu bezeugen. In brüderlicher Nähe,

Franziskus" (rv)

Vatikan: Dialogkreis mit Atheisten und Ungläubigen eingerichtet

 

Es ist ein unerwarteter, aber sehr lebensnaher Vorstoß, von dem der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, Erzbischof Gianfranco Ravasi, nun spricht: Katholische Christen sollen verstärkt mit Nichtglaubenden und Atheisten in Dialog treten, aber nicht irgendwie oder einfach so: Der Vatikan habe, im Dunstkreis des Kulturrats, bereits eine eigene Stiftung für das Gespräch mit den Atheisten und Nichtglaubenden ins Leben gerufen. Das berichtet der Erzbischof in der Mittwochausgabe der italienischen Tageszeitung „La Repubblica". Die Idee zur Einrichtung der Stiftung sei von Papst Benedikt selbst gekommen; ihr Name, „Vorhof der Heiden", knüpfe an die Tradition des antiken Tempels von Jerusalem an – auch dort habe es einen Ort der Begegnung gegeben zwischen gläubigen Juden, Andersgläubigen und Agnostikern, so Ravasi. Die Idee habe folglich schon eine erste Form angenommen, auch wenn organisatorische Details noch geklärt werden müssten. Eigene Statuten etwa besitze der Gesprächszirkel noch nicht. Ein erster Sitzungstermin ist allerdings schon fixiert: Am 24. und 25. März 2011 wird in Paris – der Symbolstadt der Laizität, wohlgemerkt – getagt, und zwar an der Sorbonne, der Unesco und der Französischen Akademie. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein – betont der Erzbischof doch, dass auch über nicht-verhandelbare Positionen des Vatikans gesprochen werden könne, wie etwa zum Lebensschutz, zur strikten Ablehnung von Abtreibungen, zu Ehe und Homosexualität. Vorerst sollen sich die ganz unterschiedlich profilierten Dialogpartner allerdings zu ihren unterschiedlichen Standpunkten zum Glauben austauschen, so der Kulturratspräsident. Das allein dürfte schon genug Gesprächs-, wenn nicht Zündstoff, weit über die erste Sitzung des Gremiums hinaus liefern. (rv)

Vatikan: Welches Wunder?

Der Postulator der Seligsprechung von Johannes Paul II. weist Behauptungen zurück, dass es Schwierigkeiten beim Verfahren gebe. Das Büro von Slawomir Oder weist darauf hin, dass „nichts bekannt“ sei, ob die Ordensschwester Marie-Simon-Pierre wieder an Parkinson leide. Eine polnische Zeitung berichtet, dass die auf Fürsprache des Papstes geheilte Ordensfrau erneut an Parkinson erkrankt sei.
Bei dem Seligsprechungsverfahren von Papst Johannes Paul II. gibt es nach Informationen der Zeitung „ La Repubblica“ unerwartete Probleme. Ein angebliches Heilungswunder sei in der Ärztekommission der römischen Heiligsprechungskongregation „durchgefallen“, meldete das Blatt in seiner Onlineausgabe am Donnerstag. Für den Nachweis eines Wunders hatte sich das Verfahren auf den Fall einer französischen Ordensfrau gestützt, die nach Gebeten zu Johannes Paul II. angeblich von Parkinson geheilt worden war. Nach dem Urteil der Mediziner sei die ursprüngliche Diagnose jedoch nicht sicher, berichtete „La Repubblica“. Außerdem gebe es Formen dieser Krankheit, die tatsächlich heilbar seien. Das Ärztekomitee habe daher den Postulator der Seligsprechung gebeten, einen anderen der bislang 271 dokumentierten Wunderberichte vorzulegen.
Nach den Verfahrensregeln muss ein neues Wunder allerdings zuerst in der Diözese untersucht werden, in der es sich ereignete. Erst dann kann der Fall den vatikanischen Experten zur Prüfung vorgelegt werden. Nach Darstellung der „Repubblica“ könnte dies bis zum Frühsommer geschehen.
Das Seligsprechungsverfahren für den im April 2005 verstorbenen polnischen Papst wurde im Juni desselben Jahres in Rom eröffnet. Nach der Zuerkennung des „Heroischen Tugendgrades“ durch Benedikt XVI. im Dezember 2009 ist nur noch der Nachweis eines Heilungswunders auf Fürsprache des „Dieners Gottes“ notwendig. (rv)