Bischof Ackermann zur Neuausschreibung der Missbrauchsstudie: „Besser verstehen“

Die Deutsche Bischofskonferenz schreibt das Projekt der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals neu aus. Nachdem Anfang des Jahres der Versuch gescheitert war, gemeinsam mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer diese Aufarbeitung zu leisten, suchen die deutschen Bischöfe nun die Zusammenarbeit mit mehreren wissenschaftlichen Partnern verschiedener Disziplinen. Die Bischöfe zeigen sich lernwillig und bekräftigen den Willen, Missbrauch in Zukunft zu verhindern. Es gehe einerseits darum, verlässliche Daten zu sexuellem Missbrauch in deutschen Bistümern zu erheben, und andererseits um die Ausleuchtung systemischer Zusammenhänge, führt der Trierer Bischof Stefan Ackermann im Interview mit Pater Bernd Hagenkord aus. Ackermann ist in der Bischofskonferenz für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle zuständig.


„Wir haben natürlich aus den Vorgängen um Professor Pfeiffer und das Forschungsinstitut in Hannover gelernt. Man muss bedenken, dass sich für Professor Pfeiffer und auch für uns im Verlauf der Planung und Vorbereitung des Forschungsprojektes Fragen gezeigt haben, die man so nicht im Blick hatte. Ich denke da an die ganzen Fragen des Datenschutzes. Da haben wir wirklich daraus gelernt. Diese Erfahrung geht nun in den Neustart des Projektes ein.
Ich glaube, dass auch dadurch eine gute Voraussetzung geschaffen ist, dass wir uns ja entschlossen haben, ein Expertengremium zu berufen, das uns auch schon in der Ausschreibung beraten hat. Allein dass wir das Projekt jetzt ausschreiben ist auch dem Rat der Experten geschuldet, die uns geraten haben, das Vorgehen durch eine Ausschreibung transparenter und objektiv zu machen, so dass man wirklich nicht sagen kann, dass die Bischöfe nur mit einem Institut verhandelt hätten und dass da etwas hinter verschlossenen Türen gemacht würde. Jetzt ist das Ganze auf breitere Basis gestellt."

Eine Neuerung ist, dass Sie mehrere Verbundpartner haben wollen, also nicht nur ein Institut, sondern mehrere, und es soll interdisziplinär sein.

„Das war auch ein Rat der Experten: Wenn es darum geht, dass zum Beispiel auch mit Betroffenen gesprochen wird, aber auch mit Tätern, dass man dafür Qualifikationen braucht. Kriminologen sind nicht automatisch befähigt, in guter Weise mit Menschen zu sprechen, die traumatisiert sind. Oder wenn man daran denkt, dass es auch um Aspekte systemischer Art geht, das heißt: Was waren die Rahmenbedingungen, die von institutioneller Seite der Kirche her und von den Verantwortlichen her dazu beigetragen haben, dass bestimmte Dinge nicht entdeckt worden sind, dass man sie nicht systematisch angegangen ist. Da braucht man historisch-sozialwissenschaftliche Kompetenz und nicht unbedingt kriminologische.
Die Experten haben uns gesagt, dass es gut wäre, wenn es mehrere Fachrichtungen gäbe, die dann kooperieren, so dass man in breiterer Weise auf das Feld schauen kann."

Die Frage des Datenschutzes haben Sie bereits angesprochen. Es gab beim letzten Projekt Streit um die Frage der Verfügbarkeit von Personalakten. Ist diese Frage jetzt gelöst?

„Unser Ziel ist ja, dass dieses Material , was wir haben und was natürlich auch zu einem großen Teil in den letzten Jahren zu Tage gekommen ist, auszuwerten. Das heißt, dass all das Material, das relevant ist, auch ausgewertet werden kann. Wir wollen ja besser verstehen, wir wollen ja – soweit das geht – der Wahrheit ins Gesicht schauen. Da muss ja das Ziel sein, das auch zur Verfügung zu stellen, was an Material für ein Forschungsprojekt interessant und relevant ist und was uns zur Verfügung steht.
Es geht aber auch darum, das zu tun, ohne Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Es muss sichergestellt werden, dass die staatlichen Datenschutzrichtlinien beachtet sind und auch die kirchlichen, so dass die Forscher mit gutem Gewissen forschen können, wir aber als Bischöfe unserer Verantwortung als Dienstgeber gerecht werden – all die Dinge, die abzuwägen sind, sind also bedacht."

Die Debatte läuft jetzt schon eine ganze Zeit; was für neue Erkenntnisse erwarten Sie sich oder was für ein Ziel strebt diese Studie jetzt an?

„Aus meiner Sicht sind das vor allem zwei Aspekte. Zunächst geht es noch einmal darum, verlässliches Zahlenmaterial zu bekommen. Wir sind ja immer wieder gefragt worden, wie das jetzt eigentlich in den Bistümern aussieht. Wenn man nicht vergleichbare Parameter hat, also Bedingungen, nach denen man das in Kategorien einteilen kann, (kann man nicht arbeiten, Anm. d. Red.). Es gibt ja Grenzverletzungen, die nicht gleich zu setzen sind mit Pädophilie. Wir haben auch negative Erfahrungen gemacht, wenn Bistümer und Ordensgemeinschaften Zahlen nennen und die dann falsch interpretiert werden. Es geht darum: Worüber sprechen wir? Und das muss vergleichbar und belastbar sein. Das ist der eine, quantitative Gesichtspunkt, der wichtig ist.
Dann ist es aber auch noch einmal wichtig zu schauen, was die institutionellen Aspekte sind. Wo ist man verantwortlich mit der Problematik umgegangen, auch in zurückliegenden Jahrzehnten, und wo waren Schwachstellen, auch systemischer Art, bei den Verantwortlichen? Gibt es Rahmenbedingungen, die Missbrauch begünstigt haben? Die Studie hat auch einen präventiven Aspekt: Wir wollen lernen, damit das in der Zukunft nicht wieder passiert." (rv)

Pater Zollner: Aufklärungswille steht „überhaupt nicht in Frage“

Mit dem vorläufigen Scheitern des Forschungsprojektes zu Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland ist „schwerer Schaden“ entstanden. Das in den letzten zweieinhalb Jahren mühsam wieder aufgebaute Vertrauen in die Kirche ist erschüttert worden. So beurteilt Pater Hans Zollner SJ, Leiter des Institutes für Psychologie und akademische Vizerektor der päpstlichen Universität Gregoriana, im Gespräch mit Radio Vatikan die Situation.

„Es muss festgestellt werden, dass leider jetzt all die guten Dinge, die in den letzten zwei Jahren im Bereich der Aufarbeitung und im Bereich der Prävention geschehen sind, mit einem Fragezeichen versehen werden. Und deshalb kann ich Opfer, die zutiefst enttäuscht sind, die wütend sind, auch vollkommen verstehen. Ich kann auch die verstehen, die jetzt wieder fragen: Ja, was ist denn innerhalb der Kirche los? Wie gehen sie denn um mit Missbrauch und mit all den Fragen, die damit zusammenhängen?“

Dennoch stand für den Jesuiten der Aufklärungswille der Kirche zu keinem Zeitpunkt in Frage. Der ernsthafte Wille der Bischofskonferenz zur wissenschaftlichen Aufarbeitung werde auch durch eine im Auftrag der Konferenz durchgeführte Untersuchung gezeigt, deren Ergebnisse Ende vergangenen Jahres vorgestellt wurden, so Zollner. Bei der Untersuchung von Professor Norbert Leygraf war ein kausaler Zusammenhang zwischen Missbrauchswahrscheinlichkeit und Zölibat ausgeschlossen worden.

„Was Bischof Ackermann, die Bischöfe insgesamt und auch die Leute betrifft, mit denen wir direkt zu tun haben – da ist der Aufklärungswille überhaupt nicht in Frage gestellt.“

Sorgfaltspflicht und Fürsorgepflicht

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte dem Kriminologen Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) den Forschungsauftrag entzogen. Ein Grund waren laut Bischofskonferenz „offene datenschutzrelevante Fragen“. Beim Einsehen und Veröffentlichen von Personenakten müssen Personenrechte geschützt werden, vor allem in Zusammenhang mit dem Thema Missbrauch, erinnert P. Zollner. Das sei ein Schwachpunkt in Pfeiffers Konzept gewesen:

„Der Herr Pfeiffer hätte sich, wenn er ein den Gesetzen konformes Konzept vorgelegt hätte, natürlich an Vieles halten müssen, was jetzt so dargestellt wird, als ob die Kirche da ausgesprochene Sonderwünsche hätte. Das ist überhaupt nicht der Fall! Es ging um die normale arbeitsrechtliche, dienstrechtliche Vorschrift. Und jeder, der solche Akten von sich angelegt weiß, wird sich hüten zu wollen, dass die in aller Öffentlichkeit vorgestellt werden. Also hier ist die Frage tatsächlich die der Sorgfaltspflicht und der Fürsorgepflicht, die er offensichtlich in seinem Konzept nicht genügend gut klären konnte. Deshalb gab es von vielen Seiten dazu Anregungen, Kommentare und Vorschläge, wie man das besser hätte regeln können. Er hat diese Vorschläge dann letztlich nicht angenommen.“

Pfeiffer hatte der katholischen Kirche vorgeworfen, die Ergebnisse der Untersuchung nachträglich steuern zu wollen. Er bezog sich dabei auf den Wunsch des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) vom Mai 2012, die im Rahmen des Forschungsprojektes entstehenden Texte vor der Veröffentlichung genehmigen zu können. Nach Ablehnung der Forderung durch das KFN hatte der VDD einen neuen Vertragsentwurf vorgelegt, in dem die Forderung abgeschwächt wurde. Mit „Zensurwünschen der Kirche“, wie es Pfeiffer nennt, hat dies nichts zu tun, so Zollner – es sei „absolut normal“, dass im Forschungsbereich entsprechende Absprachen getroffen würden:

„Das kommt in jedem Bereich vor, in der Medizinforschung, in der Psychologieforschung… Das ist vollkommen normal, dass der Arbeitgeber oder der Auftraggeber – in diesem Fall – sich die Sachen vorlegen lassen will. Dass er aber dabei nicht eingreift und keine Zensur ausübt, ist auch normal. Es muss eben nur klar sein, was und wann veröffentlicht wird und vor allem, wie persönliche Daten gehändelt werden. Und hier konnte der Herr Pfeiffer nichts Schlüssiges vorlegen.“

Ein fatales Signal

Dass das Scheitern des Projektes – unabhängig von den Gründen – dennoch ein fatales Signal in der öffentlichen Wahrnehmung der Kirche setzt, weiß Zollner freilich auch. Umso dringlicher ist nun die Fortsetzung der Forschung zum Thema:

„Also ich hoffe, dass es im Bereich der Bischofskonferenz gelingt, und zwar schnell gelingt, klar sichtbar zu machen und es auch in die Tat umzusetzen, dass die Untersuchung – die ja geplant war und die von allen Bischöfen auch abgesegnet war – durchgeführt werden kann. Mit klaren Datenschutzbedingungen, mit klaren Verträgen, auch was die Veröffentlichung von Daten angeht, die Persönlichkeitsrechte betreffen. Und dass damit das Vertrauen, dass jetzt wieder fragwürdig geworden ist, wieder gefestigt werden kann.“

Und das will die Bischofskonferenz tun: So bekräftigte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, am Samstag in einem Interview, dass es eine neue wissenschaftliche Studie zur Erforschung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche geben soll. Die Suche nach in Frage kommenden Forschungseinrichtungen und Wissenschaftlern läuft. (rv)