Prozess gegen Paolo Gabriele: Hintergründe zum Gerichtsverfahren

Drei Monate bis vier Jahre für schweren Diebstahl – dieses Strafmaß im Fall eines Schuldspruches wartet auf Paolo Gabriele in dem Prozess um die Affäre „Vatileaks", der an diesem Samstag beginnen wird. Giovanni Giacobbe, Staatsanwalt beim vatikanischen Berufungsgericht und damit nicht im aktuellen Prozess involviert, führte in einer Pressekonferenz an diesem Donnerstag in das vatikanische Prozessrecht und den technischen Ablauf des Prozesses ein. Was das Strafmaß betrifft, war in früheren vatikanischen Pressebriefings stets von sechs Jahren, in besonders schweren Fällen acht Jahren Haft für schweren Diebstahl die Rede gewesen.

Der Ablauf werde von der Strafprozessordnung des Vatikan geregelt. So seien etwa die Prozesse am Vatikan-Tribunal öffentlich. Im Unterschied zu anderen Prozessordnungen aber gebe es keine direkte Befragung: Verteidigung und Staatsanwaltschaft richten ihre Fragen vielmehr an den vorsitzenden Richter, der sie dann an den Angeklagten richtet. Ebensowenig muss sich der Angeklagte zu Beginn schuldig oder nicht schuldig bekennen, und er muss auch keinen Eid ablegen, die Wahrheit zu sagen, im Unterschied zu den Zeugen, die diesen Eid leisten müssen. Der Angeklagte muss nicht bei allen Sitzungen anwesend sein, hat aber das Recht auf einen Anwalt, der ihm gegebenenfalls auch gestellt wird. Bei den Statements hat der Angeklagte außerdem das Recht auf das letzte Wort.

Das Strafmaß wird in einem eigenen Prozess verhandelt, nachdem der Schuldspruch gefällt ist. Danach können beide Parteien in die Berufung gehen. Sollten eine Verurteilung und eine Haftstrafe rechtskräftig werden, dann würde der Verurteilte diese in Italien absitzen, so sehen es die Verträge zwischen Italien und dem Vatikan vor.

Die Zeugen, die der Ermittlungsrichter während der vorausgehenden Untersuchung gehört hat und deren Aussage in die Anklageerhebung eingegangen ist, können auf Veranlassung von Staatsanwaltschaft oder Verteidigung erneut vom Gericht vorgeladen werden. Es können aber auch weitere Zeugen, die bisher nicht ausgesagt haben, geladen werden. Bei alldem geht es darum, die Anklage zu belegen oder zu widerlegen, was auch für das Geständnis der Angeklagten gelte.

Angeklagter muss keinen Eid ablegen

Der Prozess finde weitgehend nach dem Recht des Staates Italien statt, erklärte Giovanni Giacobbe. Durch das Konkordat, das 1929 den Staat der Vatikanstadt errichtete, ging dieses Recht in vatikanisches Recht ein. Darüber hinaus hat der Vatikan selber Prozessvorschriften und Gesetze erlassen. Vor allem gelten aber die Rechte des Papstes. Dieser könne nicht direkt in den Prozess eingreifen in dem Sinn, dass er ihm eine bestimmte Richtung gebe, er habe aber alle Rechte, die einem Staatsoberhaupt zukommen, wie etwa das der Begnadigung.

Der Prozess findet im Staat der Vatikanstadt statt, die Richter sind Laien: Sie sind nicht Teil der Hierarchie der Kirche und damit von der Leitung der Kirche unabhängig. Nie sei es ihm selber in seiner Praxis begegnet, dass Druck ausgeübt worden sei, so der Staatsanwalt des vatikanischen Berufungsgerichtes.

Ergebnisse der Kardinalskommission spielen im Prozess keine Rolle

Die interne Untersuchung im Vatikan, die von drei Kardinälen durchgeführt wurde, könne nicht Gegenstand der Verhandlungen werden, erklärte Giacobbe; hier werde die Trennung zwischen Leitung der Weltkirche – dem Heiligen Stuhl – einerseits und Staat der Vatikanstadt andererseits wirksam. Das Tribunal habe also nicht die Autorität, von der Weltkirche die Vorlage von Dokumenten zu verlangen. Die Kardinalskommission hat das Ergebnis ihrer internen Untersuchung dem Papst übergeben, veröffentlicht wurde ihr Bericht aber bisher nicht.

Durchschnittlich fänden etwa 30 Prozesse pro Jahr im Vatikan statt; bei den meisten handele es sich um kleinere Delikte wie etwa Diebstähle auf dem Petersplatz. Der letzte aufsehenerregende Prozess wäre der gegen den mutmaßlichen Mörder des Kommandanten der Schweizergarde Alois Estermann und seiner Frau 1998 gewesen, er fand allerdings nicht statt, weil sich der Tatverdächtige offenbar unmittelbar nach dem Mord selbst das Leben nahm, weswegen es zwar zu einer Untersuchung, aber nicht zu einer Anklageerhebung kam. Auch der Fall einer Schweizerin, die 2009 bei der Christmette im Petersdom den Papst attackierte, wurde vor dem Vatikangericht verhandelt. Das Verfahren kam zum Erliegen, weil die Frau einem Gutachten zufolge unzurechnungsfähig war.

Vor dem Vatikan-Tribunal müssen sich ab diesem Samstag zwei italienische Laien-Bedienstete verantworten, der frühere päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele und der Informatiker Claudio Sciarpelletti. Der erstere ist des schweren Diebstahls angeklagt, der zweitere der Begünstigung. Gabriele soll Dutzende vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan gestohlen, kopiert und nach außen getragen haben. Sciarpelletti, der nach bisherigem Erkenntnissstand nicht als „Komplize" gelten kann, hatte sich bei Angaben über die Herkunft eines Umschlags mit solchen Dokumenten in Widersprüche verstrickt. (rv)