Vor 100 Jahren: Die erste Frau im Vatikan

Gudrun SailerEin bemerkenswerter Jahrestag: Vor 100 Jahren kam die erste reguläre weibliche Angestellte in den Papststaat. Die Geschichte der Frauen im Vatikan ist mithin länger, als oft angenommen wird. Radio Vatikan-Redakteurin Gudrun Sailer hat sich in einer Recherche mit dieser bisher unbeachteten Facette jüngerer Kirchengeschichte beschäftigt. Gudrun Sailer, wer war die erste Frau im Vatikan?

„Sie war Römerin, hieß Anna Pezzoli und fing am 1. Februar 1915 in der Floreria Apostolica an, dem päpstlichen Ausstattungsamt für Möbel und Geräte aller Art, auch Textilien, Tapeten undsoweiter. Anna Pezzoli hat augenscheinlich keine große Ausbildung gehabt, sie wurde als Hilfsarbeiterin geführt. Ihre Personalakte liegt im Archiv des vatikanischen Governatorates und sagt sonst nicht viel über Anna Pezzoli. Aber sie war nach allem, was herauszufinden ist, tatsächlich die erste Frau im Vatikan. Erst elf Jahre später kommen die nächsten."

Was waren das für welche?

„Das waren Teppich-Restauratorinnen. An den vatikanischen Museen gibt es ja viele kostbare alte Tapisserien, und 1926 werden die ersten Restauratorinnen geholt. Das sind teils Ordensfrauen, Franziskaner-Missionsschwestern Mariens, teils Laien. Allerdings bleiben diese Frauen in den Museen sozusagen unsichtbar, denn ihre Werkstatt liegt im „Industrieviertel" des Vatikanstaates (obwohl es den 1926 streng genommen noch nicht gibt, er entsteht erst 1929)."

Sie haben sich speziell mit Hermine Speier beschäftigt, die ebenfalls an den Vatikanischen Museen arbeitete. Was ist das Besondere an ihr?

„Hermine Speier war Jüdin. Eine der ersten Frauen im Vatikan – sie stieß 1934 dazu – war eine Nicht-Katholikin, das ist schon ein überraschender Befund. Hermine Speier stammte aus Frankfurt am Main, war promovierte Archäologin, sie hatte in Heidelberg studiert, und wenige Monate vor ihrem Engagement im Vatikan war sie – als Jüdin – vom Deutschen Archäologischen Institut in Rom entlassen worden. Dort hatte sie die Fotothek aufgebaut und geleitet. Genau dieselbe Arbeit erhielt sie im September 1934 im Vatikan."

Frau und Jüdin im Vatikan, gab es da nicht Widerstände?

„Doch, die gab es. Aber Papst Pius XI. hielt seine Hand über Hermine Speier. Er war mit dem Museumsdirektor Bartolomeo Nogara eng befreundet, und Nogara war derjenige, der Hermine Speier an die Museen holte. Das tat er aus „cristiana carità", aus christlicher Nächstenliebe, sie brauchte ja dringend einen Job und konnte nicht nach Deutschland zurück, aus dem damals schon viele Juden flüchteten; aber ihre Qualifikation half auf jeden Fall, ein so singuläres Beschäftigungsverhältnis wie ihres gegen Kritiker zu verteidigen. Sie konvertierte fünf Jahre später, überlebte die Nazi-Besetzung Roms 1943/44 versteckt in einem römischen Nonnenkloster, was ihr der Vatikan vermittelte, und blieb dann ihr ganzes Berufsleben den Päpsten als Arbeitgebern treu."

Mehr über die Geschichte der Frauen im Vatikan hören Sie in unserer Radio-Akademie im Februar, jeweils dienstags. Hier der dazu passende Buchtipp: Gudrun Sailer: Monsignorina. Die deutsche Jüdin Hermine Speier im Vatikan. Aschendorff 2015. (rv)

Synode: „Die Kirche muss Antworten geben“

Gudrun SailerVon allen Nicht-Priestern, die zur außerordentlichen Bischofssynode über Familienpastoral nach Rom kommen werden, ist aus dem deutschen Sprachraum genau einer vertreten. Eine, um präzise zu sein: Ute Eberl. Sie ist für die Familienseelsorge im Erzbistum Berlin verantwortlich. Gudrun Sailer fragte Ute Eberl nach ihren Erwartungen an die Synode.

„Ich erwarte, dass wir uns aufgrund der Fragebogenaktion, die in Deutschland deutliche Ergebnisse gezeigt hat, als Kirche und Weltkirche auf den Weg machen, um Antworten zu geben. Gläubige Menschen haben gesagt: so und so leben wir. Und das passt nicht zusammen mit dem, was die Kirche uns sagt. Jetzt ist die Kirche daran, Antworten zu geben. Meine große Erwartung ist, dass wir uns da gemeinsam auf den Weg machen um zu schauen, wie wir den Menschen, die in Ehe und Familie leben, dienen können, ich unterstreiche das: dienen können – bei allen ihren Herausforderungen in glücklichen und in ganz unglücklichen Tagen, die eben auch da sind.“ Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme in der katholischen Familienseelsorge? „Die sind weltweit sehr unterschiedlich, wenn man sich das Instrumentum Laboris durchliest. Für die deutsche Kirche ist, denke ich, wirklich die große Frage, wie gehen wir mit dem Thema Scheidung und Wiederheirat um; und wie gehen wir damit um, wenn gleichgeschlechtliche Paare sich einen Segen von der Kirche wünschen. Die große Frage ist, wie können wir den Menschen heute, den heutigen Menschen – und ich lebe in Berlin in einer Stadt, in der die katholische Kirche und die christliche Kirche überhaupt Minderheit ist, wie können wir in diese Situation hinein die gute Nachricht verkünden.“ Die Bischofssynode vom kommenden Oktober ist eine außerordentliche, ein Jahr darauf gibt es noch eine ordentliche Bischofssynode zum selben Thema. Die Erwartungen sind groß, schon für die außerordentliche Synode. Gleichzeitig heißt es, Vorsicht, es ist ein Prozess. Wie schätzen Sie diesen Prozess ein? „Ich denke, die außerordentliche Synode ist wirklich dazu da, die Fragen, die jetzt auf der Liste stehen müssen, zusammen herauszufinden. Entschieden wird wohl erst im Jahr darauf. Aber es ist eine pastorale Synode. Es geht darum, Wege aufzuzeigen. Und ich denke, da ist der Austausch untereinander sehr wichtig.“ (rv)

Islamfachmann: Koran-Rezitation bei Friedensgebeten ist legitim

KoranEine Begebenheit am Rand der Gebete um Frieden in den Vatikanischen Gärten mit den Präsidenten Israels und Palästinas sorgt im Nachhinein für Unruhe. Am Pfingstsonntag waren die beiden Spitzenpolitiker der miteinander verfeindeten Nachbarstaaten der Einladung von Papst Franziskus gefolgt; nacheinander erhoben sich Fürbittgebete, zunächst das jüdische, dann das christliche, schließlich das muslimische. Aus der islamischen Delegation rezitierte dann ein Imam – über das Programm hinausgehend – auf Arabisch die letzten drei Verse aus der zweiten Sure des Koran. Hier die letzten Sätze in einer Übertragung ins Deutsche: „Verzeih uns (Allah), vergib uns und erbarm dich unser! Du bist unser Schutzherr. Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!“

Diesen letzten Vers nun haben einige Beobachter als Angriff auf die beiden anderen Religionen gesehen, als „Unverschämtheit auf christlichem Boden“. Wie ist diese Stelle zu verstehen? Das fragte Gudrun Sailer den Islamwissenschaftler Pater Felix Körner, einen Jesuiten, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrt.

„Ein Muslim versteht den Koran immer so, wie die ersten Hörer des Korans ihn vernommen haben. Und das heißt in dem Fall: Wir müssen uns hineinversetzen in die Frühzeit des Islam, hier sind wir vielleicht noch in Mekka oder in den ersten Jahren in Medina; der Islam ist eine kleine Gruppe, die sich noch zu Recht verfolgt sieht von Polytheisten, heidnischen Gruppen, welche Mohammed und seine Anhänger loswerden wollen. Ungläubig heißt in diesem Fall Menschen, die den einen Gott nicht anerkennen. Wenn also in dieser Koranstelle von den Ungläubigen die Rede ist, gegen die wir um Gottes Hilfe bitten, dann sind hier ganz klar nicht die Juden und auch nicht die Christen gemeint, die natürlich die Einheit Gottes anerkennen!“

„Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!“ Wenn wir diese Koranstelle aus unserer heutigen Perspektive als Christen – oder Juden – im Rahmen eines Treffens hören, bei dem es um Frieden geht, dann liegt es in unserem Kulturkreis nahe, das zu verstehen als Aufruf, andere zu missionieren oder gar zu besiegen. Ist das ein Missverständnis von unserer Seite?

„Dieser Vers, vielleicht spontan ausgesucht von jemandem, der dann auch auswendig den Koran vortrug, passte eigentlich sehr gut in den Gesamtzusammenhang des Friedensgebetes! Es gab immer drei Schritte bei den drei Religionen. Wir erkennen den Schöpfer an und preisen ihn, wir erkennen unsere Schuld an und bekennen sie, und wir bitten um das Geschenk des Friedens. Und all das kommt in diesen drei Koran-Versen sehr schön vor. Dir, Gott, gehört alles. Wir bereuen unsere Schuld und bitten um Vergebung. Und wir brauchen deine Hilfe, damit Frieden und Gerechtigkeit entstehen können. Das ist der Inhalt dieser drei Verse, und deshalb war das eine ganz nachvollziehbare Auswahl – vielleicht spontan getroffen, aber jedenfalls gut gewählt.“

Nun waren ja alle Elemente der Friedensgebete und der Ansprachen vorab zwischen den drei Seiten abgesprochen. Dieser eine Passus des Imam hingegen nicht, das war spontan. Denken Sie, die Rezitation wäre von der jüdischen und der christlichen Seiten gutgeheißen worden, hätte man sie vorher abgesprochen?

„Ich habe in der Gregoriana einmal eine für mich aufschlussreiche Szene erlebt. Ich hatte einen Koranexegeten, einen ganz vernünftigen, besonnenen, gemäßigten Menschen gebeten, einen Vortrag über den Koran zu halten, und er fragte mich, ob er die Koranverse, über die er spricht, auch rezitieren, nämlich melodisch vortragen also kantilieren dürfe. Ich sagte zu und merkte dann, dass im Publikum eine gewisse Unruhe entstand: Wenn der Koran auch in seiner ästhetischen Schönheit auf Arabisch vorgetragen wird, bevor er übersetzt wird, kann das bei Christen, aber genauso bei Muslimen eine gewisse Bewegtheit bis hin zur Unruhe auslösen. Es könnte also sein, dass das Problem, das man in Vorbesprechungen anmelden kann, gerade das ist, dass der Koran kantiliert, melodisch vorgetragen wird. Das hat einen besonderen Reiz, kann aber auch eben zu einer religiösen Intensität führen, die vielleicht manche Leute in einem solchen Gebetstreffen für nicht gerechtfertigt oder am Platze halten.

Wir haben uns aber klarzumachen: In den Vatikanischen Gärten kamen die Religionen nicht zusammen, um zusammen zu beten, sondern jeder hat in der eigenen Weise Gebetstexte vorgetragen. Die anderen blieben meditierend, still, hörend, aufmerksam dabei, aber sprachen nicht Gebete, die die anderen mitsprechen sollten. Insofern ist auch eine Koranrezitation bei einem solchen Treffen durchaus legitim, nachvollziehbar, verständlich und anzuerkennen!“

„Ein Koranvers, der Hochschätzung ausdrücken will“

Was unterscheidet uns Christen von Muslimen und Juden beim Gebet? Was für unterschiedliche Auffassungen vom Gebet haben wir?

„Wenn Muslime beten, vertrauen sie sich Gott an, weil er allmächtig ist. Wenn Juden beten – so könnte man es zusammenfassen -, vertrauen sie sich Gott an, weil er ihr Volk erwählt hat. Wenn wir Christen beten, dann vertrauen wir uns dem Vater an, weil er sich uns in Christus geschenkt hat. Da ist schon eine unterschiedliche Akzentuierung. Wir können aber das jeweils Andere verstehen und auch als Kontrast schätzen.“

Etwas von dem, was im Zusammenhang mit den Friedensgebeten in den Vatikanischen Gärten jetzt debattiert wird, erinnert frappierend an die Folgen der sogenannten Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. im September 2006. Wir erinnern uns: Der Papst brachte ein islamkritisches Zitat, das er sich inhaltlich nicht zu eigen machte und ausdrücklich als Zitat auswies. Dennoch hat es Muslime bestürzt und wütend gemacht. Sehen Sie diese Parallele auch?

„Es gibt eine gewisse Parallele insofern, als ein aus dem Zusammenhang herausgerissenes Zitat besonders leicht missverständlich ist. Und wenn man nur die Rede von den Ungläubigen herausnimmt, kann man sich leicht daran aufhängen und sagen, hier hat ein Übergriff stattgefunden. Andererseits haben wir hier eine Koranrezitation gehört von jemandem, der nicht nur zitiert, sondern rezitiert, der also sagt: Das, was ich hier vortrage, glaube ich auch. Und im selben Atemzug sagt er auch: Wir Muslime erkennen, so sagt es uns nämlich der Koran, die anderen Religionen mit ihren Prophetien an. Da war also von muslimischer Seite keineswegs die Abwertung oder Ausgrenzung gemeint oder ausgedrückt worden, sondern gesagt worden: Wir bringen hier eine religiöse Vorstellung, die euch aufgreift, aufnimmt und natürlich in gewisser koranischer Weise noch einmal richtigzustellen versucht. Aber hier war jetzt nichts Exklusives oder Zurückweisendes gemeint, sondern hier wird ein Koranvers zu Gehör gebracht, der Hochschätzung ausdrücken will und deshalb auch so aufgenommen werden kann.“

Gibt es denn umgekehrt in den Gebeten, die zu dem Anlass von jüdischer und christlicher Seite zu hören waren, Elemente, die eventuell für die beiden anderen missverständlich sein könnten?

Inspiration für ein neues Denken

„Man kann natürlich immer mit einem schiefen Ohr hören, übrigens ein Ausdruck von Goethe; also, wer mit schiefem Ohr hört, kann alles schräg verstehen. Zum Beispiel: Wir Christen beten immer im Namen Jesu, wir beten durch Christus unseren Herrn, und auch im Garten vor dem Hintergrund des Petersdoms haben wir natürlich durch Christus unsern Herrn gebetet. Jetzt kann ein Jude, jetzt kann ein Muslim – aber diese Kritik kam nicht – sagen: Wie könnt ihr hier etwas so spezifisch Christliches sagen, was wir doch von unseren Theologien her gar nicht nachvollziehen können? Nein: Wir beten so, und in einem Friedensgebet, wo man den anderen hochschätzt, schätzt man auch seine Andersheit hoch und seine Weise, zu glauben, zu beten und sich vor Gott und in Gott zu positionieren.

Wir haben auch aus dem Mund eines Rabbiners den Psalm 25 gehört. Darin heißt es, viele Christen kennen das ja auch auswendig: Lass meine Feinde nicht über mich triumphieren. Das ist ein ganz ähnlicher Vers wie der jetzt als so schwierig inkriminierte Koranvers. Wir Christen beten die Psalmen als die Gebete Jesu und ordnen sie deshalb von vornherein richtig ein. Wir wissen, dass wir von Gott Schutz brauchen und dass das Freund-Feind-Denken nicht weiter hilft, dürfen aber selbst solche Gefühle im Beten ausdrücken, damit Gott uns wandelt. Und deswegen haben wir hier kein Missverständnis, aber wenn man schräg hört, hört man etwas Missverständliches.“

Papst Franziskus hatte die beiden Präsidenten und den Patriarchen ursprünglich „in sein Haus“ zu diesem Gebetstreffen eingeladen – aber dann fand es stattdessen in den Vatikanischen Gärten statt. Warum?

„Das war sehr schön entschieden. Zum einen war es ein so schöner Frühsommerabend, wo die Vögel gerade noch ihre letzten Lieder zwitscherten. Es hatte so etwas Anregendes von Gottes Schöpfung, die ja in den Gebeten auch gepriesen wurde. Sinnvoll und schön war es auch deshalb, weil es hieß: Ihr sollt hier bei mir zusammenkommen dürfen, ohne dass wir uns jetzt unter unserem Glaubenszeichen versammeln, unter dem Kreuz, oder – das wäre noch unpassender gewesen – wir nehmen jetzt das Kreuz von der Wand, damit hier kein Ärgernis entsteht. Die Peterskuppel war im Hintergrund sehr schön zu sehen, aber die waren nicht in einem Raum versammelt, sondern unter freiem Himmel. Und dieses Versammeln unter freiem Himmel hatte noch eine sehr schöne weitere Dimension, auf die Papst Franziskus am Ende hinwies. Er sagte, die Spirale von Hass und Gewalt können wir nur mit einem Wort durchbrechen, und dieses Wort heißt Bruder. Dich als Bruder anerkennen kann ich aber nur, wenn ich zum Himmel schaue und unseren gemeinsamen Vater anerkenne.“

Inwiefern kann dieses Treffen zum Gebet um Frieden, das in dieser Form etwas unerhört Neues war, wirklich etwas bewirken? Was war richtig gut und neu daran?

„Man konnte sich so wunderbar an diesem Gebet klar machen, was Gebet überhaupt ist. Ich möchte das Inspiration nennen. Inspiration erst einmal auf einer horizontal-weltlichen Ebene. Jemand kommt da ins Schweigen, ins Zuhören, lässt sich von den Texten, auch den Klängen des anderen beschenken und empfängt so Inspiration für ein neues Denken. Aber Inspiration natürlich auch in einem wörtlicheren und geistlichen Sinn gemeint: Ich gestehe ein und habe es in den letzten Jahren gemerkt, ohne Dich, ohne Deinen Geist, Gott, kann ich keinen Frieden schaffen. Ich kann überhaupt nur zum Friedensstifter werden in Deiner Kraft, in Deinem Spiritus, und deswegen ist Inspiration Gebet in dem Sinn, als ich mich dort öffne für Deinen Geist, mit dessen Kraft ich Dich, Gott, als Vater anerkennen kann – und den Mut habe, dich nicht mehr als Feind anzuerkennen, du Mitmensch, sondern als Bruder, mit dem ich zusammen eine neue Welt schaffe.“ (rv)

D/Vatikan: Kardinal Lehmann spricht mit Papst Franziskus über Limburg

Gudrun SailerDer Fall Limburg braucht eine rasche Klärung. Das hat der Mainzer Kardinal Karl Lehmann an diesem Samstag bei einer Audienz Papst Franziskus anvertraut. Ende des Monats sei mit dem Abschlussbericht der Kommission zu rechnen, die von der Bischofskonferenz eingesetzt worden war, um zu den Fakten des Limburger Bauvorhabens und anderer Vorgänge im Bistum an der Lahn vorzudringen. Radio Vatikan bat den Kardinal nach der Unterredung mit dem Papst zu einem Interview. Dabei ging es auch um die Frage der Familienseelsorge. Gudrun Sailer führte das Gespräch.

„Zunächst habe ich mich einmal sehr herzlich bedankt für den großen Aufbruch, den er nach der Wahl geschaffen hat. Es sind schon zehn Monate vergangen. Wir sind beide gleich alt – also im selben Jahr geboren. Wir sind miteinander 2001 Kardinäle geworden. Ich habe dann ihm ein paar Sätze gesagt zur Kurienreform, weil ich ja während der 30 Jahren, die ich als Bischof verbracht habe und davon 21 Jahre als Vorsitzender der Bischofskonferenz, das Funktionieren und Nicht-Funktionieren der Kurie kenne. Die Auswahl der Leute ist sehr viel wichtiger als manche Strukturfragen oder rechtlichen Änderungen der Zuständigkeiten. Das ist ihm sehr bewusst.“

Sie haben mit dem Papst auch über Limburg gesprochen. Was hatten Sie dem Heiligen Vater mitzuteilen?

„Ich bin ja sozusagen seit 30 Jahren ein Nachbar Limburgs. Ich habe Franz-Peter Tebartz-van Elst schon vorher als Theologen gekannt und in den beiden Male, in denen ich mich öffentlich über ihn geäußert habe, habe ich gesagt, dass er ein hochintelligenter, höflicher und kommunikativer Mensch sei. Ich kann also nicht feststellen von Protz und Verschwenderischem. Da war doch eine üble Kampagne in Medien festzustellen. Aber es hatte seine Gründe gehabt: ich glaube, es ist nicht nur das viele Geld, das verbraucht wurde, das Problem sondern auch diese Geheimhaltungspolitik, die gemacht worden ist. Dazu kommt noch, dass er selber nie eine Zahl der Kosten genannt hat. Das ist schon sehr problematisch.“

Hat sich denn Papst Franziskus selbst geäußert zum Fall Limburg? Wie gut meinen Sie war er darüber informiert?

„Ich habe den Eindruck, dass er sehr authentisch informiert ist und auch verschiedene Quellen hat. Da habe ich den Eindruck, dass er sich ein eigenes Urteil bildet. Ich habe ihm gesagt, dass wir abwarten sollten bis die entsprechende Kommission den Bericht abliefert. Das sollte angeblich Ende des Monats der Fall sein. Auf jeden Fall darf es nicht mehr solange gehen, weil es die Limburger auch physisch und nervlich schon sehr verwundet sind. Ich habe auf jeden Fall den Eindruck, dass der Papst gut informiert und behutsam, schonungsvoll gegenüber den beteiligten Menschen wissend umgeht. Er betrachtet das Ganze mit relativer Gelassenheit. Ich habe dem Papst auch klar gesagt, dass ich Sorge habe, wenn wir das nicht bald klären. Dass die Aufbruchsstimmung, die der Papst hervorgerufen hat, so auch wieder in Spannung und Widerspruch zurückversetzt werden kann. Ich habe den Eindruck, dass er das sehr klar sieht.“

Was braucht denn die deutsche Kirche vor diesem Hintergrund besonders an Input vom Papst? Welche Stellungnahmen und Wortmeldungen sind da gefragt?

„Ich denke, dass der Papst durch die Umfrage zur Familienpastoral und die Ergebnisse auch weiß, was die Themen sind, die er mit Ernsthaftigkeit angeht. Da setzt er sehr auf die Bischofssynoden – sei es außerordentlichen als auch die ordentlichen Synoden.“

Erwarten Sie, dass es inhaltliche Änderungen in dem Thema geben wird wie beispielsweise die Sakramente für wiederverheiratete Geschiedene?

„Die Frage kann man nicht umgehen, aber die darf man nicht zuerst angehen. Ich kämpfe seit 1971 zu dem Thema und es war mir immer klar, dass die Sache wiederkommen wird. Das ist nicht etwas, das mit einem schnellen Verbot regelt. Ich habe dem Papst auch gesagt, dass es äußerste Zeit ist, darüber zu befinden. Die Praxis in den Gemeinden ist sehr unterschiedlich. Ich denke, dass das Erste, was gesagt werden muss, lautet: Menschen aus zerstörten oder gestörten Beziehungen und wiederverheiratete Geschiedene haben in der Kirche einen Platz. Das sagt ja schon ,Familiaris consortio´ sehr deutlich. Das ist aber längst nicht überall bekannt. Die Leute meinen immer noch, jeder sei automatisch exkommuniziert. Es ist aber auch klar, dass die Situationen klar unterschieden werden müssen. Ich kann nicht einfach grundsätzlich von Barmherzigkeit überall predigen, es gibt auch Situationen, wo Leute böswillig verlassen werden. Zur Barmherzigkeit gehört auch die Gerechtigkeit. Ich kann nicht von Barmherzigkeit reden, ohne das Verhältnis zur Gerechtigkeit zu klären. Deswegen ist vieles im Augenblick weniger tief reflektiert als das eigentlich schon der Fall gewesen ist. Ich denke, die Chance liegt darin und das habe ich dem Papst auch gesagt. Wir werden ein Jahr lang Zeit haben, um darüber nachzudenken. Mir scheint, der Papst ist sehr fest entschlossen, weil er weiß, dass dies auch ein Stück weit ein Test ist.“

Papst Franziskus hat in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ unter vielen anderen Dingen davon gesprochen, dass er sich vorstellen kann, den Bischofskonferenzen eine wirkliche Teilhabe an dem ordentlichen Lehramt einzuräumen. Was bedeutet das?

„Man sieht in ,Evangelii gaudium´, wie viel ortskirchliche und kontinentale Aussagen von Bischofskonferenzen zitiert werden. Er realisiert bereits eine Ernstnahme der relativ existierenden Lehrautoritäten der Bischofskonferenzen. Wenn aber bis vor einiger Zeit noch gesagt wurde, dass Bischofskonferenzen überhaupt keine Lehrautorität ausüben und nur der Papst und der Bischof sind göttlichen Rechts und alles was dazwischen ist, ist im Grunde genommen auch entbehrlich, dann ist das jetzt schon eine wichtige Aussage. Da muss man sehr klug und vorsichtig damit umgehen. Bischofskonferenzen sind genauso wenig unfehlbar wie jedes andere Organ in der Kirche.“ (rv)

Papst an Priester: Pastoraler Blick auf die zweite Ehe

Papst Franziskus lässt sich beraten in der Frage, wie die katholische Kirche in Zukunft mit wiederverheirateten Geschiedenen umgeht. Die nächste Weltbischofssynode im Vatikan werde diesem Thema gelten, sagte Franziskus am Montag vor Priestern seiner Diözese Rom. Auch die neuartige Kardinalskommission, die sich Anfang Oktober erstmals im Vatikan trifft, werde das Thema behandeln, bekräftigte der Papst; dies hatte er bereits Ende Juli auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio angekündigt. Das Treffen mit dem römischen Klerus war thematisch allerdings sehr viel breiter aufgestellt. Es dauerte volle zwei Stunden und war von Herzlichkeit, viel Applaus und einem Hin und Her von Frage und Antwort geprägt. Eine Zusammenfassung von Gudrun Sailer.

Mühsam ist es, wahrhaft mühsam, ein Priester zu ein. Franziskus unterschied zwei Arten von Müdigkeit: eine, die abends von der täglichen Arbeit herrührt, die andere, die am Ende des Priesterlebens auftritt, eine „Müdigkeit des Herzens", die dann aufkomme, wenn sich der Priester Fragen stelle über seine Existenz und zurückblicke auf den Weg und an all den Verzicht denke, an die Kinder, die er nicht hatte – und sich frage, ob er etwas falsch gemacht hat, ob sein Leben „gescheitert" ist. Franziskus sprach als Bischof, als IHR Bischof zu den Priestern:

„Wir Bischöfe müssen den Priestern nah sein, wir müssen Nächstenliebe üben, und die Nächsten sind für den Bischof die Priester. Das gilt auch umgekehrt, nicht wahr? … Er ist schön, dieser Austausch, nicht? Und das, denke ich, ist der wichtigste Moment der Nähe zwischen Bischof und Priestern: dieser Augenblick ohne Worte, denn für diese Mühe gibt es keine Worte."

Nach dieser Eröffnung lud der Papst die Priester ein, ihm ihre Fragen zu stellen. In seiner ersten Antwort ermunterte der Papst zu Kreativität im seelsorgerlichen Dienst. Kreativität bedeute „nicht einfach, Dinge zu ändern". Sie komme vom Heiligen Geist und verwirkliche sich im Gebet und im Gespräch „mit den Gläubigen, mit den Leuten". Franziskus mit einem Beispiel aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires:

„Nun, wenn da so viele Leute vorbeikommen, wäre es vielleicht schön, die Kirche stünde den ganzen Tag offen … gute Idee! Es wäre auch schön, wenn da immer eine Beichtgelegenheit wäre… Gute Idee! Und so haben wir es gemacht."

Anderes Beispiel: die Elternkurse zur Vorbereitung auf die Taufe ihrer Kinder. Der Papst brachte Verständnis auf für die Väter und Mütter, die von Montag bis Samstag arbeiten und sich am Sonntag gerne mit ihren Kindern ausruhen. Da könne man neue Wege suchen wie eine von Laien getragene „Stadtteilmission". Die Kirche, „auch das Kirchenrecht gibt uns so viele Möglichkeiten, so viel Freiheit, um diese Dinge zu suchen." Die Priester sollten im richtigen Moment bereitstehen und für eine gute Aufnahme sorgen, wenn die Gläubigen aus irgendeinem Grund in die Pfarrei kämen. Franziskus kritisierte jene Priseter, die sich mehr um die Gebühr für ein auszustellendes Dokument als um das Sakrament sorgten, denn das „lässt die Leute wieder weggehen". Stattdessen sei, wer immer hereinkomme, herzlich aufzunehmen: „Wer in die Kirche kommt, soll sich zu Hause fühlen. Er soll sich nicht ausgenommen fühlen."

Über die Barmherzigkeit des Priesters befragt, wartne der Papst vor „rigoristischen" und vor „laxen" Geistlichen gleichermaßen. Der barmherzige Priester sei jener, der die Wahrheit sage, aber hinzufüge: „Erschrick nicht, der gute Gott wartet auf uns. Wir gehen gemeinsam." Dieses gemeinsame Gehen müsse der Priester überhaupt immer im Blick haben: „Begleiten. Weggefährten sein." Bekehrung erfolge „immer auf diese Weise: unterwegs, nicht im Labor".

„Die Wahrheit Gottes ist diese Wahrheit, nennen wir sie „dogmatisch" … oder "moralisch", aber immer begleitet von der Liebe und der Geduld Gottes. Immer auf diese Weise."

Ein hohes Lob für die Arbeit in der Familie flocht der Papst in seine Ausführungen vor den Priestern ein. In der Kirche gebe es zwar viele Skandale, aber auch viel Heiligkeit, und die sei größer als die Skandale. Und dann gebe es da noch eine versteckte „Alltagsheiligkeit", „die Heiligkeit so vieler Mütter und so vieler Frauen und Männer, die den ganzen Tag für die Familie arbeiten".

Überhaupt, die Familie: Die Frage der Ehe-Annullierung und der wiederverheirateten Geschiedenen sei heikel, sagte der Papst seinen Seelsorgern. Ein Problem, das schon Benedikt XVI. sehr am Herzen lag, erinnerte Franziskus. „Das Problem lässt sich nicht einengen auf die Frage, ob man zur Kommunion darf oder nicht, denn wer das Problem nur in dieser Optik sieht, versteht das wahre Problem nicht." Es sei ein „schwieriges Problem" der „Verantwortung der Kirche in bezug auf die Familien, die in dieser Situation leben". Die Kirche „muss in diesem Moment etwas tun, um das Problem der Ehenichtigkeit zu lösen". Der Papst bestätigte, er werde darüber mit den acht Kardinälen sprechen, jener Beratungskommission, die Franziskus für die dringendsten anstehenden Probleme der Kirche ins Leben gerufen hat; die erste Sitzung wird Anfang Oktober im Vatikan stattfinden, und das Anliegen der wiederverheirateten Geschiedenen werde unter den erörterten Fragen sein. Auch die nächste Bischofssynode über die „anthropologische Beziehung" des Evangeliums mit der Person und der Familie werde die Frage in den Blick nehmen.

Den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen empfinden viele Priester und Laien heute als Nagelprobe einer „Seelsorge der Barmherzigkeit". Wer nach einer kirchlich geschlossenen und zivil geschiedenen Ehe eine neue Verbindung eingeht, ist nach dem derzeit geltenden Kirchenrecht vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Seit längerem gibt es innerhalb der katholischen Kirche Stimmen, die ein Überdenken dieser Praxis fordern. Eine gültig geschlossene Ehe ist nach katholischer Lehre unauflöslich; anders als im zivilen Recht gibt es für die Kirche keine Scheidung. Allerdings können Kirchengerichte eine Ehe aus einer Reihe von Gründen für nichtig erklären. Das bedeutet, die betreffende Ehe hat nie bestanden. (rv)

Postsynodales Schreiben „Africae Munus“: Im Detail

Ein Dokument mit weitem Horizont – das ist die Apostolische Exhortation „Africae Munus", der Auftrag Afrikas. Es handelt sich um Papst Benedikts abschließende Überlegungen zur Afrika-Synode von 2009 zum Thema Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden. Samstagmittag hat Benedikt XVI. das Schreiben in Benin feierlich unterzeichnet, und zwar in der Basilika von Oudiah, der ersten Kathedrale Westafrikas.
Gudrun Sailer hat das Dokument gelesen. Was ist die Essenz daraus?

„Man könnte diese Botschaft an Afrika vielleicht so auf den kürzesten Nenner bringen: Afrika ist ein Kontinent der Hoffnung und damit der Zukunft. Aber es bleibt noch viel zu tun, damit Versöhnung und Gerechtigkeit eines Tages zu Frieden in allen afrikanischen Ländern führen können."

Welche „Baustellen" macht der Papst für die Kirche in Afrika aus, damit dieses Ziel irgendwann erreicht werden kann?

„Zunächst einmal: Die Kirche mischt sich nicht ein in politische Belange, schreibt der Papst. Sie hat aber den Auftrag, die Gewissen der Männer und Frauen zu formen und so – quasi über den Umweg der Bildung, auch der Bewusstseinsbildung – für gerechtere Verhältnisse zu sorgen. Die afrikanischen Christen werden aber nur dann einen nachhaltigen Beitrag leisten können, wenn ihre, so schreibt der Papst wörtlich, „Intelligenz des Glaubens" an ihre „Intelligenz der Realität" heranreicht. Deshalb betont der Papst sehr die Frage der religiösen Ausbildung und der Katechese. Nur gebildete Christen sind dazu imstande, ein neues Afrika zu bilden, das wäre ein Afrika, in dem die von Gott vorgesehene Gerechtigkeit herrscht."

Der Papst wird teilweise sehr konkret, wenn er Ungerechtigkeiten in afrikanischen Gesellschaften benennt. Welche sind die Missstände, die er aus dem christlichen Blickwinkel besonders hervorhebt?

„Konkret nennt er die Ausbeutung von Rohstoffen, ohne dass die Bevölkerung etwas davon hätte, das bezeichnet der Papst als „inakzeptabel und amoralisch", und da dürfen sich auch westliche Konzerne mitgemeint fühlen. Gerecht ist auch, und das wiederum ist ein Appell an alle, die in Afrika politische Verantwortung haben, z.B. Wasser und Boden allen zur Verfügung zu stellen und nicht an Private zu verkaufen, außerdem nicht eigensüchtig und nicht korrupt zu sein, sondern im politischen Amt mehr Diener als Herrscher zu sein. Das alles ist recht konkret und reflektiert auch deutlich Aussagen, die in der Afrika-Synode 2009 oft und oft gefallen sind."

Was schreibt der Papst in seinem Afrika-Dokument über die traditionellen Religionen?

„Benedikt hebt klar und wiederholt den Wert traditioneller afrikanischer Religionen und Kulturen hervor. Was Gutes in ihnen ist, das muss vom Inneren her quasi erleuchtet werden. Der Papst bringt auch Wertschätzung für traditionelle afrikanische Ältestenräte zum Ausdruck, die können viel zum Frieden zwischen den Stämmen beitragen. Er ruft aber z.B. die Männer als Ehemänner und Väter dazu auf, bestimmte rituelle Praktiken abzulehnen, die insbesondere die Frau unterdrücken, da kann man z.B. an Genitalverstümmelung denken. Männer und Frauen sind gleich an Würde, leider aber, schreibt der Papst, setzt sich dieses Bewusstsein in Afrika zu langsam durch. Und er benennt auch als bleibendes Problem eine „doppelte Religionszugehörigkeit", also Synkretismus, Christen, die auch an Hexerei-Zeremonien und ähnlichem sich beteiligen."

Was sagt der Papst über die Beziehungen mit Muslimen?

„In einigen Ländern Afrikas, nicht in allen, gibt es Schwierigkeiten mit aggressiven Formen muslimischer Religiosität. In anderen, wie beispielsweise in Benin, ist es ein friedliches und respektvolles Zusammenleben. Der Papst hebt hervor, dass Katholiken in jedem Fall und auch mit Hartnäckigkeit muslimischen Gläubigen ihre Wertschätzung zeigen sollen."

Benedikt beschreibt auch Schritt für Schritt die verschiedenen Ordnungen von Berufungen innerhalb der Kirche: Bischöfe, Ordensleute, Priester, Seminaristen, Katecheten und schließlich Laien. Welchen Stellenwert räumt der Papst den Laien in Afrika ein?

„Eine hohe, etwa was ihre Rolle in der Gesellschaft betrifft. Die katholischen Laien müssen ihrer Verantwortung aber auch gerecht werden, indem sie die Soziallehre der Kirche gründlich studieren. Der Papst ruft die Laien dazu auf, sich aktiv in Wirtschaft, Politik, Bildung, Kultur einzubringen und dort ihre Werte weiterzugeben. Ganz besonders muss die Kirche in den afrikanischen Medien aktiver als bisher sein, schreibt der Papst. Das versteht man gut, wenn man an die Unzahl kleiner afrikanischer Radiostationen denkt, die in der Steppe senden und von Menschen gehört werden, die selten Zeitungen sehen und die gegebenenfalls nicht lesen können. Diese Buschradios haben eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf ihrer Hörer, sie können sie zu Versöhnung und Frieden aufrufen." (rv)

Text des Orignaldokuments:   > > Africae Munus

„Wir müssen wieder missionarische Begeisterung finden“

Was ist Neuevangelisierung? Mit welchen Mitteln, über welche Kanäle erreicht die Frohe Botschaft Menschen, die mitten in einer säkularisierten Welt vage auf der Suche der Gott sind? Und wie ist jemand, dem es gelingen kann, andere für den Glauben zu interessieren? Darüber sprach Gudrun Sailer mit Nikolaus Buhlmann; der Augustiner Chorherr wirkt am Päpstlichen Rat für die Förderung der Neuevangelisierung. Am kommenden Samstag und Sonntag treffen sich im Vatikan 8.000 Menschen zu einer Begegnung im Sinn der Neuevangelisierung – ein echter Paukenschlag für eine neue Verkündigung.

„Der Rat besteht jetzt seit einem Jahr. Wir haben begonnen, uns selber zu organisieren, haben einige Fachtagungen veranstaltet, aber jetzt wird es dringend Zeit, dass wir hinausgehen und das, was unsere Aufgabe ist, die Neuevangelisierung, auch umsetzen und wenigstens damit beginnen. Dieses zweitägige Treffen soll ein Paukenschlag sein, der Beginn unserer öffentlichen Tätigkeit. Wir haben Personen und Gruppen eingeladen, die im Bereich der Neuevangelisierung tätig sind; insgesamt sind 115 Gruppen dieser Einladung gefolgt, sie kommen aus der ganzen Welt. Wir erwarten über 8000 Teilnehmer an diesen beiden Tage, darunter auch einige 100 aus Deutschland und Österreich. Wir wollen uns stärken, indem wir Zeugnisse anhören von solchen Personen und Vertretern von geistlichen Bewegungen, die auf diesem Gebiet schon lange tätig sind und Erfahrungen vorweisen können, wir wollen uns vor allem aber auch stärken in der Begegnung mit dem Nachfolger Petri, Papst Benedikt XVI., der am ersten Tag zu uns kommt und am Sonntag mit uns eine Heilige Messe im Petersdom feiert. Eine Messe, für die übrigens zum ersten Mal ein neues Messformular verwendet wird, „pro nova evangelisatione", die sind im Original immer auf Latein, es existiert aber auch schon in einer deutschen und in anderen Übersetzungen. Das Messformular soll dann auch regulär ins Messbuch aufgenommen werden."

115 Gruppen sind präsent, die sich, wie Sie sagen, bereits der Neuevangelisierung gewidmet haben. Da stellt sich die Frage nach der Geschichte dieser neuen „Disziplin", der Neuevangelisierung. Seit wann ist das Problem erkannt, dass es eine Neuevangelisierung braucht?

„Die Neuevangelisierung ist nicht so neu, wie man meinen könnte. Der Begriff ist von Papst Johannes Paul II. geprägt, aber zum ersten Mal gesprochen von der Aufgabe einer Neuevangelisierung hat eigentlich Papst Paul VI. in seinem apostolischen Schreiben „evangelium nuntiandi" von 1975. Er hat festgestellt, dass in den Ländern, die wir als christlich bezeichnen wollen und würden, allmählich die Menschen verlorengehen, dass immer weniger Prägekraft des christlichen Glaubens da ist, er hat all das schon vor 30, 35 Jahren festgestellt, aber noch nicht organisatorische Schlüsse daraus gezogen. Das hat auch Johannes Paul II. nicht, obwohl er eigentlich den Begriff der Neuevangelisierung ständig im Mund geführt hat. Es war Papst Benedikt, der dafür eine neue Kurienbehörde gegründet hat im Rang eines päpstlichen Rates, der eben jetzt seit einem Jahr arbeitet."

Welches ist Ihre Aufgabenstellung?

„Wir wenden uns nicht an die selbsterklärten Atheisten, die Agnostiker, wir wenden uns auch nicht an die Länder der Dritten Welt, für die weiterhin die Missionskongregation zuständig ist, sondern unsere Aufgabe betrifft die Regionen und Gebiete des Westens. Dazu treten mittlerweile auch schon einzelne Staaten Osteuropas, die Polen etwa, die ein lebhaftes Interesse an unserer Arbeit haben. Und wir müssen feststellen, dass zu uns auch indische Bischöfe kommen, einige sogar in letzter Zeit, und sagen, auch wir haben eine Neuevangelisierung nötig. Die Aufgabe präsentiert sich offenbar umfassender als von uns angenommen, und diese Abgrenzung, die ich eben vorgenommen haben, einerseits zu den Atheisten, andererseits zu den Aufgaben der Missionskongregation, ist in der Praxis schwerer vorzunehmen, weil die Grenzen sich etwas verwischen."

Gleich zweimal wird Papst Benedikt selbst den Teilnehmern des Kongresses begegnen, was ungewöhnlich ist. Wie kommt das?

„Wir dürfen davon ausgehen, dass Papst Benedikt ein ganz lebhaftes, ehrliches Interesse an unserer Arbeit hat. Das ist ihm ein Anliegen, die Neuevangelisierung voranzutreiben in den Ländern Europas, die er ja sehr gut kennt. Er hat ja auch schon einige Male über die Lage des Christentums gesprochen, zuletzt in Deutschland. Der Papst will, indem er zweimal zu uns kommt, zeigen, es ist mir ein wichtiges Anliegen, ich möchte, dass ihr Erfolg habt."

Es geht bei der Neuevangelisierung nicht darum, Glaubensinhalte zu schmälern, sondern es geht darum, eine neue Sensibilität für Glaubensferne und eine neue Sprache des Glaubens zu entwickeln. Welche Instrumente muss man dazu finden?

„Logischerweise kann es nicht darum gehen, neue Glaubensinhalte zu definieren, sondern Neuevangelisierung meint neue Formen der Vermittlung. Im 21. Jahrhundert sind die elektronischen Kommunikationsformen von größter Bedeutung, besonders das Internet. Der päpstliche Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel, mit dem wir zusammenarbeiten, hat in diesem Jahr ein erfolgreiches Bloggertreffen organisiert: Da geht eine Tür auf, von der wir meinen, dass wir sie entschlossen durchschreiten sollten, dass wir mit den neuen Möglichkeiten versuchen, über diesen Weg neu über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Am Ende geht es immer um ein persönliches glaubwürdiges Zeugnis eines Einzelnen. Wie das vermittelt wird, das hat seine Bedeutung, weil wir eben davon ausgehen müssen, dass viele Menschen etwa gar nicht mehr dazu in der Lage sind, an einem Gottesdienst teilzunehmen, sie wüssten gar nicht, was sie da tun sollten. Sie sind aber dazu bereit, sich mit Inhalten zu befassen, die in einer geeigneten Form an sie herangetragen werden. Also wird es unsere Aufgabe sein, und wir haben damit schon begonnen, mit Agenturen, mit kirchlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, die bereit sind, auf diesem Feld mitzuarbeiten und die technischen Möglichkeiten zu nutzen.

Sie sind also auf viel Mithilfe angewiesen?

So ist es. Unsere Behörde hat genau fünf Mitarbeiter auf der Arbeitsebene, daraus ergibt sich, dass wir selber die Neuevangelisierung nicht in eigener Person vorantreiben können. Wir brauchen Helfer und Partner, und das ist auch einer der Gründe, warum wir diese vielen Vereinigungen, Gruppen, Bewegungen eingeladen haben, nach Rom zu kommen. Wir wollen sie kennenlernen, wir wollen, dass sie uns kennenlernen, wir wollen untereinander Vernetzung schaffen. Es kommt durchaus vor, zB auch in Deutschland, dass Gruppen auch auf einem relativ begrenzten Raum in einer Region zusammenarbeiten, sich aber gar nicht kennen. Wenn wir dazu beitragen können, dass sie sich kennenlernen und dann vielleicht es schaffen, Dinge gemeinsam zu tun oder sich auch nur abzusprechen über das, was sie tun, haben wir, denke ich, schon einen Erfolg erzielt."

Die Verantwortung für die Neuevangelisierung liegt also auf den Schultern einzelner Menschen, besonders glaubwürdig auftretender Katholiken. Wie ist jemand, der als Neuevangelisator in Erscheinung treten kann? Was kann und wie ist der oder die?

„Das ist nicht notwendigerweise ein Berufschrist, also ein Priester, eine Ordensfrau oder ein Ordensmann, sondern was wir eigentlich brauchen sind Menschen, die dort wo sie arbeiten und leben, in der Berufswelt, in ihrer familiären freundschaftlichen Welt, bereit sind, den Mund aufzutun und die Schweigespirale zu durchbrechen. Das heißt, Gott wieder ins Gespräch zu bringen. Dazu muss man möglicherweise gut ausgebildet sein, zunächst aber einmal muss man überzeugt sein. Man muss selber brennen, damit man andere mit diesem Feuer der Begeisterung anstecken kann. Naturgemäß wird man solche Menschen, Frauen und Männer, eher in den katholisch geprägten Vereinigungen finden, also in den Gruppen und neuen geistlichen Bewegungen. Denn in den Pfarren, die häufig ums Überleben kämpfen, ist es leider schwer geworden, diese ursprüngliche Begeisterung des Christentums zu finden und zu entdecken. Nichtsdestotrotz gibt es sie, es gibt viele Pfarreien, die hervorragende Arbeit leisten, und am Ende könnten wir auch erst sagen, dass wir mit dem neuen päpstlichen Rat die Arbeit getan haben, wenn es uns gelingt, über die Bewegungen wieder an die ganz normale Pfarrarbeit anzudocken und Möglichkeiten zu schaffen, dass von den Pfarreien aus wieder eine neue Welle des Christentums entfacht wird."

Was sind denn kalkulierbare Reaktionen auf eine Initiative wie diese zur Neuevangelisierung? Meinen Sie, diese Neuevangelisatoren werden Ablehnung erfahren oder eher Gleichgültigkeit?

„Ich halte alles für möglich, von Zustimmung bis zu echter Ablehnung. Denn im Augenblick geht es ja um nichts Geringeres als um eine regelrechte Mentalitätsänderung. Diese Mentalitätsänderung bedeutet, wir Christen in den westlichen Ländern müssen akzeptieren, dass wir zu Minderheit geworden sind oder zumindest dabei sind, zur Minderheit zu werden. Das heißt wir müssen des weiteren akzeptieren, dass wir, wenn wir überleben wollen, darauf setzen müssen zu wachsen. Wir müssen missionarische Züge entwickeln. Das lag bislang nicht im Wesen des europäischen Katholizismus. Das haben wir ein bisschen den Evangelikalen und den Freikirchen überlassen. Von denen können wir in der Tat einiges lernen, nämlich den Mut zum Zeugnis. Es geht nun ganz sicher nicht darum, die katholische Kirche evangelikal zu machen, aber wir müssen uns von den Methoden, die dort bei den Brüdern und Schwestern dieser kirchlichen Gemeinschaften seit langem schon im Schwange sind, etwas abschauen und lernen und es hinbekommen, dass wir eine missionarische Mentalität und Begeisterung bekommen. Wir müssen akzeptieren und bereit sein, etwas dafür zu tun, damit wir wieder wachsen. Zunächst müssen wir uns erst einmal zutrauen, dass wir wachsen können. Schon das scheint mir nicht einfach zu sein und deswegen braucht es stärkende Begegnungen, wie diese des kommenden Wochenendes es hoffentlich sein wird."

Wird man sich auch lächerlich machen als Neuevangelisator?

„Das ist denkbar, das ist möglich und wird da und dort vorkommen, besonders im großstädtischen Milieu. Und es wird eine harte Herausforderung sein für alle, die damit zu tun habe. Aber ich glaube, wir dürfen ihnen das zumuten, trotzdem diese Mission weiterzutragen, weil wir auch wissen – das ist uns zugesagt durch den Herrn der Kirche – dass er bei denen sein wird, die für ihn sprechen. Dass er die nicht verlassen wird und mit seinem Geist beschenken wird, die den Mut haben, ihm zu folgen."

Kann man denn zum jetzigen Zeitpunkt etwas wie eine erste Zielgruppe für die Neuevangelisierung ausmachen? Ist es sinnvoll, auf eine intellektuelle Zielgruppe oder andere Multiplikatoren zu setzen? Oder ist die Basis, die man ansprechen will, wirklich eine breitere Basis?

„Es ist eine breitere Basis, denn es ist durchaus legitim zu sagen, die Journalisten können eine Zielgruppe sein oder die Unternehmer können eine Zielgruppe sein. Nun sind das zwei Gruppen, mit denen wir uns auch im päpstlichen Rat für Neuevangelisierung beschäftigen, aber der Fokus dieses Treffens ist wirklich breiterer, allgemeiner Natur. Uns bricht ja, wenn Sie die soziologische Struktur der Pfarren anschauen, eine ganze Generation und mittlerweile schon mehrere Generationen weg, weil dann nämlich nach der Beendigung von Erstkommunion und Firmung im Grunde genommen ein großes Loch sich darbietet. Die Bevölkerungsgruppen in den 30er, 40er, 50er Jahren drohen zu verschwinden. Wir müssen tatsächlich den Anspruch haben, die insgesamt anzusprechen."

In der Fastenzeit nächstes Jahr kommt eine neue große Initiative des päpstlichen Rats für Neuevangelisierung und das ist die Stadtmission. Das ist eine Initiative, die bereits Vorgänger hat – etwa in Köln und in Wien – ist denn die Veranstaltung, die Sie jetzt am Wochenende haben, auch eine Vorbereitung darauf?

„Ganz sicher. Wir haben mit dieser Stadtmission vor allem folgendes vor: Wir wollen die Bischöfe, die ja die Beauftragten, die ersten Lehrer ihrer Diözesen sind, dazu bringen, die Initiative zu ergreifen und Katechesen anzubieten. Sie haben darauf hingewiesen, dass es dafür durchaus erfolgreiche Vorgänger gibt. Ich nenne insbesondere Christoph Kardinal Schönborn in Wien, der jetzt eine neue Reihe von Katechesen begonnen hat bzw. in den nächsten Tagen beginnen wird und der das schon seit Jahren mit großen Erfolg macht. Wir wollen die Bischöfe dazu bringen, sich zu besinnen und dieser Aufgabe nachzukommen. Die Kathedra, also ihren bischöflichen Stuhl in der Bischofskirche, als einen Ort der Verkündigung zu betrachten, natürlich aber mit dem Ziel, dass solche Aktivitäten – wenn nicht in allen, so doch in einen Pfarren der Bischofsstadt und darüber hinaus – auch fortgeführt werden von den jeweiligen Pfarrern. Wir schlagen vor, dass es eine kontinuierliche Bibellesung gibt, und wir wollen aus einem Buch vorlesen lassen und darüber auch die Diskussion ermöglichen, ein Buch, das uns in besonderer Weise geeignet scheint, auch der Situation des modernen Menschen gerecht zu werden, das sind die confessiones, die Bekenntnisse, des Heiligen Auigustinus."

Welche konkreten Erfolge hat denn die Stadtmission in Wien vorzuweisen? Warum kann das ein Modell für die Neuevangelisierung generell sein?

„Zunächst einmal ist es gelungen, die religiösen Inhalte im Gespräch zu halten in einer Ortskirche, die wie die deutsche auch in der letzten Zeit stark von dem Missbrauchsskandal befallen worden ist und darunter gelitten hat. Wir meinen, dass diese Katechesen der Bischöfe und der Pfarrer noch ergänzt werden sollten – wir werden das auch für das kommende Jahr vorschlagen – durch Hausbesuche. Dann erreichen wir noch eine größere Breitenwirkung, wenn wir mit solchen Aktivitäten in den Medien sind, das ist die eine Sache. Die andere Sache ist es, an möglichst viele Menschen unmittelbar heranzukommen. Also hoffen wir, dass es möglich sein wird, übrigens wieder mit Hilfe der Bewegung, denn andere Helferinnen und Helfer haben wir ja nicht, den Versuch zu unternehmen, möglichst viele Menschen zu Hause aufzusuchen." (rv)