„Wir müssen wieder missionarische Begeisterung finden“

Was ist Neuevangelisierung? Mit welchen Mitteln, über welche Kanäle erreicht die Frohe Botschaft Menschen, die mitten in einer säkularisierten Welt vage auf der Suche der Gott sind? Und wie ist jemand, dem es gelingen kann, andere für den Glauben zu interessieren? Darüber sprach Gudrun Sailer mit Nikolaus Buhlmann; der Augustiner Chorherr wirkt am Päpstlichen Rat für die Förderung der Neuevangelisierung. Am kommenden Samstag und Sonntag treffen sich im Vatikan 8.000 Menschen zu einer Begegnung im Sinn der Neuevangelisierung – ein echter Paukenschlag für eine neue Verkündigung.

„Der Rat besteht jetzt seit einem Jahr. Wir haben begonnen, uns selber zu organisieren, haben einige Fachtagungen veranstaltet, aber jetzt wird es dringend Zeit, dass wir hinausgehen und das, was unsere Aufgabe ist, die Neuevangelisierung, auch umsetzen und wenigstens damit beginnen. Dieses zweitägige Treffen soll ein Paukenschlag sein, der Beginn unserer öffentlichen Tätigkeit. Wir haben Personen und Gruppen eingeladen, die im Bereich der Neuevangelisierung tätig sind; insgesamt sind 115 Gruppen dieser Einladung gefolgt, sie kommen aus der ganzen Welt. Wir erwarten über 8000 Teilnehmer an diesen beiden Tage, darunter auch einige 100 aus Deutschland und Österreich. Wir wollen uns stärken, indem wir Zeugnisse anhören von solchen Personen und Vertretern von geistlichen Bewegungen, die auf diesem Gebiet schon lange tätig sind und Erfahrungen vorweisen können, wir wollen uns vor allem aber auch stärken in der Begegnung mit dem Nachfolger Petri, Papst Benedikt XVI., der am ersten Tag zu uns kommt und am Sonntag mit uns eine Heilige Messe im Petersdom feiert. Eine Messe, für die übrigens zum ersten Mal ein neues Messformular verwendet wird, „pro nova evangelisatione", die sind im Original immer auf Latein, es existiert aber auch schon in einer deutschen und in anderen Übersetzungen. Das Messformular soll dann auch regulär ins Messbuch aufgenommen werden."

115 Gruppen sind präsent, die sich, wie Sie sagen, bereits der Neuevangelisierung gewidmet haben. Da stellt sich die Frage nach der Geschichte dieser neuen „Disziplin", der Neuevangelisierung. Seit wann ist das Problem erkannt, dass es eine Neuevangelisierung braucht?

„Die Neuevangelisierung ist nicht so neu, wie man meinen könnte. Der Begriff ist von Papst Johannes Paul II. geprägt, aber zum ersten Mal gesprochen von der Aufgabe einer Neuevangelisierung hat eigentlich Papst Paul VI. in seinem apostolischen Schreiben „evangelium nuntiandi" von 1975. Er hat festgestellt, dass in den Ländern, die wir als christlich bezeichnen wollen und würden, allmählich die Menschen verlorengehen, dass immer weniger Prägekraft des christlichen Glaubens da ist, er hat all das schon vor 30, 35 Jahren festgestellt, aber noch nicht organisatorische Schlüsse daraus gezogen. Das hat auch Johannes Paul II. nicht, obwohl er eigentlich den Begriff der Neuevangelisierung ständig im Mund geführt hat. Es war Papst Benedikt, der dafür eine neue Kurienbehörde gegründet hat im Rang eines päpstlichen Rates, der eben jetzt seit einem Jahr arbeitet."

Welches ist Ihre Aufgabenstellung?

„Wir wenden uns nicht an die selbsterklärten Atheisten, die Agnostiker, wir wenden uns auch nicht an die Länder der Dritten Welt, für die weiterhin die Missionskongregation zuständig ist, sondern unsere Aufgabe betrifft die Regionen und Gebiete des Westens. Dazu treten mittlerweile auch schon einzelne Staaten Osteuropas, die Polen etwa, die ein lebhaftes Interesse an unserer Arbeit haben. Und wir müssen feststellen, dass zu uns auch indische Bischöfe kommen, einige sogar in letzter Zeit, und sagen, auch wir haben eine Neuevangelisierung nötig. Die Aufgabe präsentiert sich offenbar umfassender als von uns angenommen, und diese Abgrenzung, die ich eben vorgenommen haben, einerseits zu den Atheisten, andererseits zu den Aufgaben der Missionskongregation, ist in der Praxis schwerer vorzunehmen, weil die Grenzen sich etwas verwischen."

Gleich zweimal wird Papst Benedikt selbst den Teilnehmern des Kongresses begegnen, was ungewöhnlich ist. Wie kommt das?

„Wir dürfen davon ausgehen, dass Papst Benedikt ein ganz lebhaftes, ehrliches Interesse an unserer Arbeit hat. Das ist ihm ein Anliegen, die Neuevangelisierung voranzutreiben in den Ländern Europas, die er ja sehr gut kennt. Er hat ja auch schon einige Male über die Lage des Christentums gesprochen, zuletzt in Deutschland. Der Papst will, indem er zweimal zu uns kommt, zeigen, es ist mir ein wichtiges Anliegen, ich möchte, dass ihr Erfolg habt."

Es geht bei der Neuevangelisierung nicht darum, Glaubensinhalte zu schmälern, sondern es geht darum, eine neue Sensibilität für Glaubensferne und eine neue Sprache des Glaubens zu entwickeln. Welche Instrumente muss man dazu finden?

„Logischerweise kann es nicht darum gehen, neue Glaubensinhalte zu definieren, sondern Neuevangelisierung meint neue Formen der Vermittlung. Im 21. Jahrhundert sind die elektronischen Kommunikationsformen von größter Bedeutung, besonders das Internet. Der päpstliche Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel, mit dem wir zusammenarbeiten, hat in diesem Jahr ein erfolgreiches Bloggertreffen organisiert: Da geht eine Tür auf, von der wir meinen, dass wir sie entschlossen durchschreiten sollten, dass wir mit den neuen Möglichkeiten versuchen, über diesen Weg neu über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Am Ende geht es immer um ein persönliches glaubwürdiges Zeugnis eines Einzelnen. Wie das vermittelt wird, das hat seine Bedeutung, weil wir eben davon ausgehen müssen, dass viele Menschen etwa gar nicht mehr dazu in der Lage sind, an einem Gottesdienst teilzunehmen, sie wüssten gar nicht, was sie da tun sollten. Sie sind aber dazu bereit, sich mit Inhalten zu befassen, die in einer geeigneten Form an sie herangetragen werden. Also wird es unsere Aufgabe sein, und wir haben damit schon begonnen, mit Agenturen, mit kirchlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, die bereit sind, auf diesem Feld mitzuarbeiten und die technischen Möglichkeiten zu nutzen.

Sie sind also auf viel Mithilfe angewiesen?

So ist es. Unsere Behörde hat genau fünf Mitarbeiter auf der Arbeitsebene, daraus ergibt sich, dass wir selber die Neuevangelisierung nicht in eigener Person vorantreiben können. Wir brauchen Helfer und Partner, und das ist auch einer der Gründe, warum wir diese vielen Vereinigungen, Gruppen, Bewegungen eingeladen haben, nach Rom zu kommen. Wir wollen sie kennenlernen, wir wollen, dass sie uns kennenlernen, wir wollen untereinander Vernetzung schaffen. Es kommt durchaus vor, zB auch in Deutschland, dass Gruppen auch auf einem relativ begrenzten Raum in einer Region zusammenarbeiten, sich aber gar nicht kennen. Wenn wir dazu beitragen können, dass sie sich kennenlernen und dann vielleicht es schaffen, Dinge gemeinsam zu tun oder sich auch nur abzusprechen über das, was sie tun, haben wir, denke ich, schon einen Erfolg erzielt."

Die Verantwortung für die Neuevangelisierung liegt also auf den Schultern einzelner Menschen, besonders glaubwürdig auftretender Katholiken. Wie ist jemand, der als Neuevangelisator in Erscheinung treten kann? Was kann und wie ist der oder die?

„Das ist nicht notwendigerweise ein Berufschrist, also ein Priester, eine Ordensfrau oder ein Ordensmann, sondern was wir eigentlich brauchen sind Menschen, die dort wo sie arbeiten und leben, in der Berufswelt, in ihrer familiären freundschaftlichen Welt, bereit sind, den Mund aufzutun und die Schweigespirale zu durchbrechen. Das heißt, Gott wieder ins Gespräch zu bringen. Dazu muss man möglicherweise gut ausgebildet sein, zunächst aber einmal muss man überzeugt sein. Man muss selber brennen, damit man andere mit diesem Feuer der Begeisterung anstecken kann. Naturgemäß wird man solche Menschen, Frauen und Männer, eher in den katholisch geprägten Vereinigungen finden, also in den Gruppen und neuen geistlichen Bewegungen. Denn in den Pfarren, die häufig ums Überleben kämpfen, ist es leider schwer geworden, diese ursprüngliche Begeisterung des Christentums zu finden und zu entdecken. Nichtsdestotrotz gibt es sie, es gibt viele Pfarreien, die hervorragende Arbeit leisten, und am Ende könnten wir auch erst sagen, dass wir mit dem neuen päpstlichen Rat die Arbeit getan haben, wenn es uns gelingt, über die Bewegungen wieder an die ganz normale Pfarrarbeit anzudocken und Möglichkeiten zu schaffen, dass von den Pfarreien aus wieder eine neue Welle des Christentums entfacht wird."

Was sind denn kalkulierbare Reaktionen auf eine Initiative wie diese zur Neuevangelisierung? Meinen Sie, diese Neuevangelisatoren werden Ablehnung erfahren oder eher Gleichgültigkeit?

„Ich halte alles für möglich, von Zustimmung bis zu echter Ablehnung. Denn im Augenblick geht es ja um nichts Geringeres als um eine regelrechte Mentalitätsänderung. Diese Mentalitätsänderung bedeutet, wir Christen in den westlichen Ländern müssen akzeptieren, dass wir zu Minderheit geworden sind oder zumindest dabei sind, zur Minderheit zu werden. Das heißt wir müssen des weiteren akzeptieren, dass wir, wenn wir überleben wollen, darauf setzen müssen zu wachsen. Wir müssen missionarische Züge entwickeln. Das lag bislang nicht im Wesen des europäischen Katholizismus. Das haben wir ein bisschen den Evangelikalen und den Freikirchen überlassen. Von denen können wir in der Tat einiges lernen, nämlich den Mut zum Zeugnis. Es geht nun ganz sicher nicht darum, die katholische Kirche evangelikal zu machen, aber wir müssen uns von den Methoden, die dort bei den Brüdern und Schwestern dieser kirchlichen Gemeinschaften seit langem schon im Schwange sind, etwas abschauen und lernen und es hinbekommen, dass wir eine missionarische Mentalität und Begeisterung bekommen. Wir müssen akzeptieren und bereit sein, etwas dafür zu tun, damit wir wieder wachsen. Zunächst müssen wir uns erst einmal zutrauen, dass wir wachsen können. Schon das scheint mir nicht einfach zu sein und deswegen braucht es stärkende Begegnungen, wie diese des kommenden Wochenendes es hoffentlich sein wird."

Wird man sich auch lächerlich machen als Neuevangelisator?

„Das ist denkbar, das ist möglich und wird da und dort vorkommen, besonders im großstädtischen Milieu. Und es wird eine harte Herausforderung sein für alle, die damit zu tun habe. Aber ich glaube, wir dürfen ihnen das zumuten, trotzdem diese Mission weiterzutragen, weil wir auch wissen – das ist uns zugesagt durch den Herrn der Kirche – dass er bei denen sein wird, die für ihn sprechen. Dass er die nicht verlassen wird und mit seinem Geist beschenken wird, die den Mut haben, ihm zu folgen."

Kann man denn zum jetzigen Zeitpunkt etwas wie eine erste Zielgruppe für die Neuevangelisierung ausmachen? Ist es sinnvoll, auf eine intellektuelle Zielgruppe oder andere Multiplikatoren zu setzen? Oder ist die Basis, die man ansprechen will, wirklich eine breitere Basis?

„Es ist eine breitere Basis, denn es ist durchaus legitim zu sagen, die Journalisten können eine Zielgruppe sein oder die Unternehmer können eine Zielgruppe sein. Nun sind das zwei Gruppen, mit denen wir uns auch im päpstlichen Rat für Neuevangelisierung beschäftigen, aber der Fokus dieses Treffens ist wirklich breiterer, allgemeiner Natur. Uns bricht ja, wenn Sie die soziologische Struktur der Pfarren anschauen, eine ganze Generation und mittlerweile schon mehrere Generationen weg, weil dann nämlich nach der Beendigung von Erstkommunion und Firmung im Grunde genommen ein großes Loch sich darbietet. Die Bevölkerungsgruppen in den 30er, 40er, 50er Jahren drohen zu verschwinden. Wir müssen tatsächlich den Anspruch haben, die insgesamt anzusprechen."

In der Fastenzeit nächstes Jahr kommt eine neue große Initiative des päpstlichen Rats für Neuevangelisierung und das ist die Stadtmission. Das ist eine Initiative, die bereits Vorgänger hat – etwa in Köln und in Wien – ist denn die Veranstaltung, die Sie jetzt am Wochenende haben, auch eine Vorbereitung darauf?

„Ganz sicher. Wir haben mit dieser Stadtmission vor allem folgendes vor: Wir wollen die Bischöfe, die ja die Beauftragten, die ersten Lehrer ihrer Diözesen sind, dazu bringen, die Initiative zu ergreifen und Katechesen anzubieten. Sie haben darauf hingewiesen, dass es dafür durchaus erfolgreiche Vorgänger gibt. Ich nenne insbesondere Christoph Kardinal Schönborn in Wien, der jetzt eine neue Reihe von Katechesen begonnen hat bzw. in den nächsten Tagen beginnen wird und der das schon seit Jahren mit großen Erfolg macht. Wir wollen die Bischöfe dazu bringen, sich zu besinnen und dieser Aufgabe nachzukommen. Die Kathedra, also ihren bischöflichen Stuhl in der Bischofskirche, als einen Ort der Verkündigung zu betrachten, natürlich aber mit dem Ziel, dass solche Aktivitäten – wenn nicht in allen, so doch in einen Pfarren der Bischofsstadt und darüber hinaus – auch fortgeführt werden von den jeweiligen Pfarrern. Wir schlagen vor, dass es eine kontinuierliche Bibellesung gibt, und wir wollen aus einem Buch vorlesen lassen und darüber auch die Diskussion ermöglichen, ein Buch, das uns in besonderer Weise geeignet scheint, auch der Situation des modernen Menschen gerecht zu werden, das sind die confessiones, die Bekenntnisse, des Heiligen Auigustinus."

Welche konkreten Erfolge hat denn die Stadtmission in Wien vorzuweisen? Warum kann das ein Modell für die Neuevangelisierung generell sein?

„Zunächst einmal ist es gelungen, die religiösen Inhalte im Gespräch zu halten in einer Ortskirche, die wie die deutsche auch in der letzten Zeit stark von dem Missbrauchsskandal befallen worden ist und darunter gelitten hat. Wir meinen, dass diese Katechesen der Bischöfe und der Pfarrer noch ergänzt werden sollten – wir werden das auch für das kommende Jahr vorschlagen – durch Hausbesuche. Dann erreichen wir noch eine größere Breitenwirkung, wenn wir mit solchen Aktivitäten in den Medien sind, das ist die eine Sache. Die andere Sache ist es, an möglichst viele Menschen unmittelbar heranzukommen. Also hoffen wir, dass es möglich sein wird, übrigens wieder mit Hilfe der Bewegung, denn andere Helferinnen und Helfer haben wir ja nicht, den Versuch zu unternehmen, möglichst viele Menschen zu Hause aufzusuchen." (rv)