Kongress zu Kinderschutz im Internet

Mehr als ein Viertel aller Internetnutzer weltweit sind Kinder – und oft sind sie im Netz Cyber-Bullying oder sexueller Erpressung ausgesetzt. Dagegen will das Kinderschutz-Zentrum an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom etwas tun. Vom 3. bis 6. Oktober richtet das vom deutschen Jesuiten Hans Zollner geleitete Zentrum in Rom einen internationalen Kongress zum Thema sexueller Kindesmissbrauch im Internet aus.

140 Experten und Entscheider aus der ganzen Welt sollen über die „Würde des Kindes in der digitalen Welt“ debattieren; auch religiöse Verantwortliche sind eingeladen. Partner des Kinderschutz-Zentrums ist die „WePROTECT Global Alliance“. Zollner spricht von einer „einzigartigen Plattform für einen intensiven Wissens- und Erfahrungsaustausch“.

Am letzten Tag des Kongresses soll eine Erklärung zum Kinderschutz in der digitalen Sphäre vorgestellt werden. Auch eine Audienz beim Papst ist geplant. (rv)

Nach „Spotlight“ und der Anhörung von Kardinal Pell: Der Umgang der Kirche mit Missbrauch

Kardinal PellROM – Weltweite Aufmerksamkeit hat die Anhörung von Kardinal George Pell vor der australischen Missbrauchskommission erregt. Professor Hans Zollner hat sich mit den dazu angereisten Opfern und Angehörigen getroffen. Der Leiter des Kinderschutzzentrums der Päpstlichen Universität Gregoriana sprach mit CNA über den Auftritt von Kardinal Pell und den weiteren Weg der Kirche im Umgang mit Missbrauch und Prävention.

CNA: Pater Zollner, wie bewerten Sie den Ausgang des Gesprächs von Kardinal Pell mit den Opfern und Angehörigen von Opfern sexuellen Missbrauchs?

ZOLLNER: Nach all dem, was ich gehört habe ist der Kontakt mit den Betroffenen aus seiner Heimatdiözese — aus dem Ort, aus dem er selber ja auch stammt — deutlich besser verlaufen, als zu erwarten gewesen war. Es war offensichtlich für beide Seiten ein sehr ehrliches, aber auch ein sehr schmerzliches Gespräch, wie es der Kardinal beschrieben hat. Aber es war auch ein sehr konstruktiver Moment, im Sinn einer Begegnung, welche die Würde, die Fragen, die Nöte und das Leid der Betroffenen präsent machen konnten — und gleichzeitig auch die Bereitschaft dieses Kardinals, eines der höchsten Repräsentanten der Kirche, zuzuhören und angemessen zu reagieren. Kardinal Pell hat anschließend eine Erklärung vorgetragen, dass er an einem Forschungs- oder Schulungszentrum in Ballarat beteiligt sein werde: Damit diese Stadt, wo so viel Leid und Unmenschliches geschehen ist, wieder ein Ort der Hoffnung werden kann.

CNA: Kann ein solches Programm funktionieren?

ZOLLNER: Das kann sicherlich funktionieren. Ich bin sehr interessiert daran, dass unser Kontakt mit den Betroffenen weitergeht, weil sie als Betroffene ein andere Dringlichkeit im Vorgehen und eine andere Perspektive einbringen. Sie können uns sagen, worauf man besonders achten muss, etwa bei den „dunklen Stellen“: d.h. den Abwehrmechanismen der kirchlichen Verwaltung etwa. So können sie uns helfen, das Augenmerk darauf zu legen, was wir tun müssen, damit Institutionen wie Schulen, Pfarreien oder Jugendgruppen wirklich sichere Orte für Kinder und Jugendliche sind.

CNA: Sie haben das Modell gesehen?

ZOLLNER: Ja, und ich bin sehr beeindruckt davon, was sie mir vorstellten und an zwei Schulen auch schon eingeführt haben. Das sind genaue jene beiden Schulen, an denen sie selbst missbraucht wurden. Ich finde, das ist eine unglaubliche Geste. Wie sie mir mehrfach gesagt haben, geht es ihnen darum, sicherzustellen, dass sie die Letzten sind, die missbraucht wurden.

CNA: Die australische „Royal Commission“ untersucht, wie kirchliche, aber auch weltliche Einrichtungen auf Missbrauch reagiert haben. Wäre so etwas für europäische Verhältnisse auch sinnvoll?

ZOLLNER: Diese Art von Kommission ist eine seit etwa 100 Jahren oft geübte Praxis in angelsächsischen Ländern. Auch und gerade für den Bereich des Missbrauchs wurde gerade eine Kommission in Großbritannien auf den Weg gebracht; in Irland gab es mehrere solcher Kommissionen. Das sind Länder des „Common Law“, eines Rechtssystems, das anders ist als das unsere. Diese Art von Kommission gibt es bei uns kaum – das vergleichbarste wären die Enquete-Kommissionen, aber die haben meist weniger Vollmachten. So eine Royal Commission ist eine sehr gut ausgestattete Einrichtung mit weitreichenden Mitteln, mit viel Geld und Personal – auch wenn sie keine echte juristische Vollmacht hat. Die australische Kommission hat eine Reihe von sehr interessanten Forschungs-Aufträgen vergeben, unter anderem an die Australian Catholic University. Eine andere Frage ist allerdings, ob so etwas im eigenen Land so bekannt ist.

CNA: Auch hier gibt es Kommunikationslücken?

ZOLLNER: Also was ich sehr interessant fand im Gespräch mit den Opfern und Angehörigen war, dass die – wie sie selber sagten – „keine Ahnung“ hatten, was die Kirche schon alles tut, und sogar davon, was in ihrem eigenen Land geleistet an „Aufarbeitung“ und an Präventionsarbeit wird. Das ist enorm viel. Auch was die Kirche in Deutschland und Österreich tut. Da ist tatsächlich eine große Kommunikationslücke: Es geht nicht nur darum, dass die Leute das nicht wahrnehmen wollen. Wir als Kirche schaffen es offenbar nicht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was alles Positives geschieht alleine im Bereich Präventionsschulungen, die in Deutschland für die Diözesen flächendeckend stattfinden.

CNA: Was muss aus Ihrer Sicht also noch geschehen?

ZOLLNER: Das ist ein sehr weites Feld. Ich war Anfang der Woche bei der österreichischen Bischofskonferenz eingeladen und habe dazu Kontakt auch mit der DBK und mit Präventionsbeauftragten aus Deutschland. Die größte Herausforderung für uns ist, dass wir an diesem Thema dran bleiben, und zwar in allen Präventionsbereichen, in den Schulen, der Jugendarbeit, den karitativen Berufen, bei den pastoralen Mitarbeitern. Dass wir darauf schauen, dass wir nicht locker lassen; dass wir alles tun, damit Aufmerksamkeit geweckt wird und keine Kinder und Jugendlichen in Gefahr geraten.

Ich bin überzeugt, dass wir uns auch durch diese tragischen und schrecklichen Dinge wieder neu besinnen müssen auf den Kern des Evangeliums, darauf dass, wie Jesus sagt, den Kindern das Reich Gottes gehört. Und dass dies uns als Kirche eine Chance bietet, uns so ehrlich und frei zu machen, wie Kinder es vor Gott sind.

CNA: Die Kirche hat hier also eine grundlegende Rolle zu spielen?

ZOLLNER: Ja. Ich glaube nicht, dass es bloßer Zufall ist, dass am gleichen Tag, an dem die Anhörung von Kardinal Pell stattfand ein Film einen Oscar gewonnen hat, der die Skandale von Boston von 2002 behandelt. Ein gut gemachter Film. Da ist offensichtlich ein Anruf, den Gott an uns gibt, und wo wir uns erstmal Rechenschaft geben müssen, dass Er uns zur Umkehr ruft und zu einem kohärenten Engagement. Es gibt viele zu lernen und zu tun im Umgang mit den Betroffenen. Oder auch im Blick auf eine Begleitung, die sicher stellt, dass Täter nicht wieder zu Tätern werden. Oder denken Sie an die Migrantenkinder, die ja höchst gefährdet sind… bei all diesen Fragen geht es darum: Wie kann die Kirche ihre Verantwortung wahrnehmen, eine prophetische Stimme haben und dabei mitarbeiten, dass Leid verhindert wird, und dass die verwundbarsten Menschen geschützt werden.

Hans Zollner SJ, geboren 1966 in Regensburg, ist Professor am Institut für Psychologie der Päpstlichen Universität Gregoriana, seit 2010 akademischer Vizerektor der Gregoriana und Vorstand des Instituts für Psychologie. Im Jahr 2011/2012 war er Vorsitzender des Organisationskommittees des Symposiums „Auf dem Weg zu Erneuerung und Heilung”. Der Jesuit ist Präsident des „Centre for Child Protection” der Gregoriana und Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission. (CNA Deutsch)

Münchner Präventionsprojekt wird in Rom fortgeführt

EB_M_Erzbistum München und FreisingUmzug von München nach Rom: Das E-Learning-Projekt „Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch“ des Zentrums für Kinderschutz hat seine Pilotphase in München abgeschlossen; es wechselt an die Päpstliche Universität Gregoriana in Rom. Darüber informierten am Mittwoch in München Kardinal Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising, sowie Pater Hans Zollner. Der Jesuit ist Präsident des Zentrums für Kinderschutz und des Instituts für Psychologie der Päpstlichen Universität Gregoriana – und er ist sehr zufrieden mit dem bisher Geleisteten.

„Die Bilanz ist sehr gut! Wir haben ein E-Learning-Programm, eine Internet-gestützte Lernplattform, aufgesetzt mit Hilfe des Universitätsklinikums Ulm, und wir haben es mit 714 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus zehn Ländern mit elf Projektpartnern ausprobieren können. Die Rückmeldungen sind insgesamt sehr positiv, und deshalb geht es jetzt weiter! Wir übersiedeln also zum Ende dieses Jahres, vom 1. Januar an, nach Rom an die Gregoriana, wo wir dann das Projekt weiter ausdehnen und vertiefen wollen.“

Das Zentrum für Kinderschutz war vom Institut für Psychologie der Gregoriana in Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm und mit Unterstützung der Erzdiözese München und Freising Anfang 2012 in München eröffnet worden. Es soll durch internetgestützte Qualifizierungsangebote Priester, Diakone, pastorale Mitarbeiter, Religionslehrer sowie Ehrenamtliche und Katecheten weltweit für die Problematik sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und sexualisierter Gewalt zu sensibilisieren und in ihrer Handlungskompetenz zu stärken.

Pilotphase des Zentrums für Kinderschutz abgeschlossen

„Die einzelnen Lerneinheiten umfassen Dinge wie z.B.: Was muss ich tun, wenn ich merke, dass ein Kind komisch reagiert und ich vermuten kann, dass da eine Art von Missbrauch, auch ein sexueller Missbrauch, vorliegt? Wie soll ich mich dem Kind gegenüber verhalten? Was muss ich tun, um es zu schützen? Mit wem sollte ich sprechen, und was ist die Rechtslage dabei? Ein anderer Bereich ist das, was die Rechtslage in der Kirche betrifft: Welche kirchenrechtlichen Vorgehensweisen gibt es da? Dann der ganze Bereich der kindlichen bzw. jugendlichen Entwicklung, Emotionen, Sexualität; und schließlich Kultur und Kindheit. Wir arbeiten ja bewußt in vielen Ländern mit sehr vielen unterschiedlichen Kulturen und wollen da auch helfen, dass jeweils verstanden wird, was die Kultur für einen Einfluss darauf hat, wie ein Kind reagiert, wie es sich Nähe wünscht oder Distanz braucht, wo die Grenzen sind und wie man als Erwachsener damit umgehen kann.“

Auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch hat das Zentrum zertifizierte Online-Schulungen durchgeführt; an dem Projekt beteiligt sind Psychologen, Kinder- und Jugendpsychiater, Pädagogen, Philologen, Theologen und Mediendesigner. Unter den Teilnehmern waren bisher – das überrascht vielleicht auf den ersten Blick – viel mehr Frauen als Männer. Dazu Pater Zollner:

„Das ist ganz einfach deshalb so, weil im kirchlichen Bereich – Schulen, Kindergärten, Altenheime – der Frauenanteil insgesamt deutlich höher ist. Vierzig Prozent Männeranteil bei der Beteiligung an diesem Kurs ist, ehrlich gesagt, schon ziemlich viel, wenn man bedenkt, dass Männer in diesen Bereichen deutlich weniger vertreten sind.“

Die Erzdiözese München und Freising hat das Zentrum für Kinderschutz in seiner dreijährigen Pilotphase mit insgesamt 651.000 Euro unterstützt. Das Projekt wird auch nach seiner Übersiedlung nach Rom weiterhin von der Erzdiözese mit 500.000 Euro auf fünf Jahre unterstützt, versprach Kardinal Marx an diesem Mittwoch. Pater Zollner schweben derweil schon ein paar Änderungen für die römische Zukunft vor:

„Das Programm ist so, wie es jetzt ist, ein gewissermaßen sehr deutsches Programm; es ist sehr akademisch aufgehängt, sehr anspruchsvoll. Es setzt etwa voraus, dass man Grundlagentexte von 25 Seiten liest, dazu kommen dann noch Einführen, Fragen, eine Auswertung usw. dazu. Das heißt: Wir merken, dass in einigen Ländern das akademische Niveau bzw. die intellektuelle Kapazität nicht gereicht hat, um an dem Programm auch wirklich dranzubleiben und es ganz durchzuführen, auch bis zum Ende: Sonst hätten wir auch deutlich mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehabt, die das Programm auch abschließen! Und es ist uns klar, dass wir auch eine andere Ebene von Emotionalität mit in das Programm bringen müssen, denn bei diesem Thema kann es nicht nur darum gehen, dass ich mich intellektuell schule, sondern dass ich tatsächlich auch gewissermaßen betroffen bin davon, emotional berührt – und deswegen auch die Geduld aufbringe, an dem Thema dranzubleiben, ohne es einfach wieder fallenzulassen.“ (rv

Islamfachmann: Koran-Rezitation bei Friedensgebeten ist legitim

KoranEine Begebenheit am Rand der Gebete um Frieden in den Vatikanischen Gärten mit den Präsidenten Israels und Palästinas sorgt im Nachhinein für Unruhe. Am Pfingstsonntag waren die beiden Spitzenpolitiker der miteinander verfeindeten Nachbarstaaten der Einladung von Papst Franziskus gefolgt; nacheinander erhoben sich Fürbittgebete, zunächst das jüdische, dann das christliche, schließlich das muslimische. Aus der islamischen Delegation rezitierte dann ein Imam – über das Programm hinausgehend – auf Arabisch die letzten drei Verse aus der zweiten Sure des Koran. Hier die letzten Sätze in einer Übertragung ins Deutsche: „Verzeih uns (Allah), vergib uns und erbarm dich unser! Du bist unser Schutzherr. Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!“

Diesen letzten Vers nun haben einige Beobachter als Angriff auf die beiden anderen Religionen gesehen, als „Unverschämtheit auf christlichem Boden“. Wie ist diese Stelle zu verstehen? Das fragte Gudrun Sailer den Islamwissenschaftler Pater Felix Körner, einen Jesuiten, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrt.

„Ein Muslim versteht den Koran immer so, wie die ersten Hörer des Korans ihn vernommen haben. Und das heißt in dem Fall: Wir müssen uns hineinversetzen in die Frühzeit des Islam, hier sind wir vielleicht noch in Mekka oder in den ersten Jahren in Medina; der Islam ist eine kleine Gruppe, die sich noch zu Recht verfolgt sieht von Polytheisten, heidnischen Gruppen, welche Mohammed und seine Anhänger loswerden wollen. Ungläubig heißt in diesem Fall Menschen, die den einen Gott nicht anerkennen. Wenn also in dieser Koranstelle von den Ungläubigen die Rede ist, gegen die wir um Gottes Hilfe bitten, dann sind hier ganz klar nicht die Juden und auch nicht die Christen gemeint, die natürlich die Einheit Gottes anerkennen!“

„Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!“ Wenn wir diese Koranstelle aus unserer heutigen Perspektive als Christen – oder Juden – im Rahmen eines Treffens hören, bei dem es um Frieden geht, dann liegt es in unserem Kulturkreis nahe, das zu verstehen als Aufruf, andere zu missionieren oder gar zu besiegen. Ist das ein Missverständnis von unserer Seite?

„Dieser Vers, vielleicht spontan ausgesucht von jemandem, der dann auch auswendig den Koran vortrug, passte eigentlich sehr gut in den Gesamtzusammenhang des Friedensgebetes! Es gab immer drei Schritte bei den drei Religionen. Wir erkennen den Schöpfer an und preisen ihn, wir erkennen unsere Schuld an und bekennen sie, und wir bitten um das Geschenk des Friedens. Und all das kommt in diesen drei Koran-Versen sehr schön vor. Dir, Gott, gehört alles. Wir bereuen unsere Schuld und bitten um Vergebung. Und wir brauchen deine Hilfe, damit Frieden und Gerechtigkeit entstehen können. Das ist der Inhalt dieser drei Verse, und deshalb war das eine ganz nachvollziehbare Auswahl – vielleicht spontan getroffen, aber jedenfalls gut gewählt.“

Nun waren ja alle Elemente der Friedensgebete und der Ansprachen vorab zwischen den drei Seiten abgesprochen. Dieser eine Passus des Imam hingegen nicht, das war spontan. Denken Sie, die Rezitation wäre von der jüdischen und der christlichen Seiten gutgeheißen worden, hätte man sie vorher abgesprochen?

„Ich habe in der Gregoriana einmal eine für mich aufschlussreiche Szene erlebt. Ich hatte einen Koranexegeten, einen ganz vernünftigen, besonnenen, gemäßigten Menschen gebeten, einen Vortrag über den Koran zu halten, und er fragte mich, ob er die Koranverse, über die er spricht, auch rezitieren, nämlich melodisch vortragen also kantilieren dürfe. Ich sagte zu und merkte dann, dass im Publikum eine gewisse Unruhe entstand: Wenn der Koran auch in seiner ästhetischen Schönheit auf Arabisch vorgetragen wird, bevor er übersetzt wird, kann das bei Christen, aber genauso bei Muslimen eine gewisse Bewegtheit bis hin zur Unruhe auslösen. Es könnte also sein, dass das Problem, das man in Vorbesprechungen anmelden kann, gerade das ist, dass der Koran kantiliert, melodisch vorgetragen wird. Das hat einen besonderen Reiz, kann aber auch eben zu einer religiösen Intensität führen, die vielleicht manche Leute in einem solchen Gebetstreffen für nicht gerechtfertigt oder am Platze halten.

Wir haben uns aber klarzumachen: In den Vatikanischen Gärten kamen die Religionen nicht zusammen, um zusammen zu beten, sondern jeder hat in der eigenen Weise Gebetstexte vorgetragen. Die anderen blieben meditierend, still, hörend, aufmerksam dabei, aber sprachen nicht Gebete, die die anderen mitsprechen sollten. Insofern ist auch eine Koranrezitation bei einem solchen Treffen durchaus legitim, nachvollziehbar, verständlich und anzuerkennen!“

„Ein Koranvers, der Hochschätzung ausdrücken will“

Was unterscheidet uns Christen von Muslimen und Juden beim Gebet? Was für unterschiedliche Auffassungen vom Gebet haben wir?

„Wenn Muslime beten, vertrauen sie sich Gott an, weil er allmächtig ist. Wenn Juden beten – so könnte man es zusammenfassen -, vertrauen sie sich Gott an, weil er ihr Volk erwählt hat. Wenn wir Christen beten, dann vertrauen wir uns dem Vater an, weil er sich uns in Christus geschenkt hat. Da ist schon eine unterschiedliche Akzentuierung. Wir können aber das jeweils Andere verstehen und auch als Kontrast schätzen.“

Etwas von dem, was im Zusammenhang mit den Friedensgebeten in den Vatikanischen Gärten jetzt debattiert wird, erinnert frappierend an die Folgen der sogenannten Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. im September 2006. Wir erinnern uns: Der Papst brachte ein islamkritisches Zitat, das er sich inhaltlich nicht zu eigen machte und ausdrücklich als Zitat auswies. Dennoch hat es Muslime bestürzt und wütend gemacht. Sehen Sie diese Parallele auch?

„Es gibt eine gewisse Parallele insofern, als ein aus dem Zusammenhang herausgerissenes Zitat besonders leicht missverständlich ist. Und wenn man nur die Rede von den Ungläubigen herausnimmt, kann man sich leicht daran aufhängen und sagen, hier hat ein Übergriff stattgefunden. Andererseits haben wir hier eine Koranrezitation gehört von jemandem, der nicht nur zitiert, sondern rezitiert, der also sagt: Das, was ich hier vortrage, glaube ich auch. Und im selben Atemzug sagt er auch: Wir Muslime erkennen, so sagt es uns nämlich der Koran, die anderen Religionen mit ihren Prophetien an. Da war also von muslimischer Seite keineswegs die Abwertung oder Ausgrenzung gemeint oder ausgedrückt worden, sondern gesagt worden: Wir bringen hier eine religiöse Vorstellung, die euch aufgreift, aufnimmt und natürlich in gewisser koranischer Weise noch einmal richtigzustellen versucht. Aber hier war jetzt nichts Exklusives oder Zurückweisendes gemeint, sondern hier wird ein Koranvers zu Gehör gebracht, der Hochschätzung ausdrücken will und deshalb auch so aufgenommen werden kann.“

Gibt es denn umgekehrt in den Gebeten, die zu dem Anlass von jüdischer und christlicher Seite zu hören waren, Elemente, die eventuell für die beiden anderen missverständlich sein könnten?

Inspiration für ein neues Denken

„Man kann natürlich immer mit einem schiefen Ohr hören, übrigens ein Ausdruck von Goethe; also, wer mit schiefem Ohr hört, kann alles schräg verstehen. Zum Beispiel: Wir Christen beten immer im Namen Jesu, wir beten durch Christus unseren Herrn, und auch im Garten vor dem Hintergrund des Petersdoms haben wir natürlich durch Christus unsern Herrn gebetet. Jetzt kann ein Jude, jetzt kann ein Muslim – aber diese Kritik kam nicht – sagen: Wie könnt ihr hier etwas so spezifisch Christliches sagen, was wir doch von unseren Theologien her gar nicht nachvollziehen können? Nein: Wir beten so, und in einem Friedensgebet, wo man den anderen hochschätzt, schätzt man auch seine Andersheit hoch und seine Weise, zu glauben, zu beten und sich vor Gott und in Gott zu positionieren.

Wir haben auch aus dem Mund eines Rabbiners den Psalm 25 gehört. Darin heißt es, viele Christen kennen das ja auch auswendig: Lass meine Feinde nicht über mich triumphieren. Das ist ein ganz ähnlicher Vers wie der jetzt als so schwierig inkriminierte Koranvers. Wir Christen beten die Psalmen als die Gebete Jesu und ordnen sie deshalb von vornherein richtig ein. Wir wissen, dass wir von Gott Schutz brauchen und dass das Freund-Feind-Denken nicht weiter hilft, dürfen aber selbst solche Gefühle im Beten ausdrücken, damit Gott uns wandelt. Und deswegen haben wir hier kein Missverständnis, aber wenn man schräg hört, hört man etwas Missverständliches.“

Papst Franziskus hatte die beiden Präsidenten und den Patriarchen ursprünglich „in sein Haus“ zu diesem Gebetstreffen eingeladen – aber dann fand es stattdessen in den Vatikanischen Gärten statt. Warum?

„Das war sehr schön entschieden. Zum einen war es ein so schöner Frühsommerabend, wo die Vögel gerade noch ihre letzten Lieder zwitscherten. Es hatte so etwas Anregendes von Gottes Schöpfung, die ja in den Gebeten auch gepriesen wurde. Sinnvoll und schön war es auch deshalb, weil es hieß: Ihr sollt hier bei mir zusammenkommen dürfen, ohne dass wir uns jetzt unter unserem Glaubenszeichen versammeln, unter dem Kreuz, oder – das wäre noch unpassender gewesen – wir nehmen jetzt das Kreuz von der Wand, damit hier kein Ärgernis entsteht. Die Peterskuppel war im Hintergrund sehr schön zu sehen, aber die waren nicht in einem Raum versammelt, sondern unter freiem Himmel. Und dieses Versammeln unter freiem Himmel hatte noch eine sehr schöne weitere Dimension, auf die Papst Franziskus am Ende hinwies. Er sagte, die Spirale von Hass und Gewalt können wir nur mit einem Wort durchbrechen, und dieses Wort heißt Bruder. Dich als Bruder anerkennen kann ich aber nur, wenn ich zum Himmel schaue und unseren gemeinsamen Vater anerkenne.“

Inwiefern kann dieses Treffen zum Gebet um Frieden, das in dieser Form etwas unerhört Neues war, wirklich etwas bewirken? Was war richtig gut und neu daran?

„Man konnte sich so wunderbar an diesem Gebet klar machen, was Gebet überhaupt ist. Ich möchte das Inspiration nennen. Inspiration erst einmal auf einer horizontal-weltlichen Ebene. Jemand kommt da ins Schweigen, ins Zuhören, lässt sich von den Texten, auch den Klängen des anderen beschenken und empfängt so Inspiration für ein neues Denken. Aber Inspiration natürlich auch in einem wörtlicheren und geistlichen Sinn gemeint: Ich gestehe ein und habe es in den letzten Jahren gemerkt, ohne Dich, ohne Deinen Geist, Gott, kann ich keinen Frieden schaffen. Ich kann überhaupt nur zum Friedensstifter werden in Deiner Kraft, in Deinem Spiritus, und deswegen ist Inspiration Gebet in dem Sinn, als ich mich dort öffne für Deinen Geist, mit dessen Kraft ich Dich, Gott, als Vater anerkennen kann – und den Mut habe, dich nicht mehr als Feind anzuerkennen, du Mitmensch, sondern als Bruder, mit dem ich zusammen eine neue Welt schaffe.“ (rv)

Synoden-Sekretär: „Kirche braucht Familienkongresse“

Kardinal BaldisseriNeben der vatikanischen Familienumfrage sind auch Kongresse wichtig, damit die Synodenteilnehmer sich ein besseres Bild von der Familie in der heutigen Zeit machen können. Das sagt im Gespräch mit uns der Sekretär der Bischofssynode, Kurienkardinal Lorenzo Baldisseri. Er nahm am Wochenende an einem Familienforum an der Päpstlichen Universität Gregoriana teil.

„Solche Veranstaltungen sind wichtig, und je mehr es davon gibt, desto mehr wissen wir über die derzeitige Lage der Familie. Es geht da um das Evangelium des Lebens, wie es Papst Franziskus nennt. Wir wollen bei der Synode die pastoralen Herausforderungen erarbeiten. Wer unsere Umfrage genau gelesen hat, wird sicherlich bemerkt haben, dass in der Einleitung vor allem vom Evangelium gesprochen wurde, und das wollen wir auch gerne betonen.“

Das Forum an der Gregoriana war keine trockene Uni-Vorlesungsveranstaltung, sondern vor allem eine mehrtägige Gesprächsrunde zwischen Theologen, Priestern und Familien. In den Vorlesungsaula waren also nicht nur Studenten anwesend.

„Da haben wir ganz spannende Zeugnisse gehört. Ich denke da nicht nur an Eheleute, sondern auch an Psychotherapeuten, die über die konkreten Eheproblemen sprachen. Klar, es gab viele Experten, die wissenschaftliche Resultate vortrugen. Aber das Ganze war doch sehr praxisorientiert und mit der Einbeziehung von Eheleuten.“

Es wäre schön und wünschenswert, wenn auch die Familiensynode so praxisorientiert wäre – das sagt uns der Hauptorganisator des Familienforums an der Gregoriana und Bergoglio-Schüler, Jesuitenpater Manuel Yanez.

„Wir wissen alle, dass der Papst sehr besorgt ist, wie die heutige Familie lebt. Ihm ist bewusst, dass es heutzutage nicht einfach ist, eine Familie zu gründen und das zu leben. Da wir Kardinal Baldisseri bei uns hatten, sind wir zuversichtlich, dass die Familiensynode Ähnlichkeit mit unserem Forum haben könnte.“

Wie praxisorientiert die Familiensynode werden kann, ist derzeit noch unklar – Details zu Programm und Gestaltung sind der Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Für Pater Yanez wäre es durchaus denkbar, dass Eheleute oder Familien vor und mit den Synodenteilnehmern sprechen.

„Ja klar, das wäre eine tolle Idee. Aber ich würde dafür plädieren, dass in jedem Bistum auf der Welt vor der Synode solche Familienkongresse stattfinden sollten. Das wäre eine Basis für den Dialog zwischen den Synodenvätern und den Familienvätern und –müttern. Das wäre eine große Bereicherung!“

Die Weltbischofssynode zum Thema Familie findet im Oktober 2014 im Vatikan statt. Ein Jahr später werden die dort angesprochenen Themen auf einer Ordentlichen Synode im Vatikan vertieft.  (rv)

Kard. Becker: „Glaube und Kultur gehören zusammen“

Die katholische Kirche hat bei der Verkündigung der Frohen Botschaft auch auf die verschiedenen Kulturen zu achten. Das war eine der Schlussfolgerungen einer Konferenz an der päpstlichen Universität „Gregoriana" am Wochenende. Die Fakultät für Missiologie würdigte in ihrer Konferenz das 50-jährige Bestehen der Konzilstexte, die wichtige „Leitfaden" für die Missionierung darstellen. Ein besonderer Gast der Versammlung war der deutsche Kardinal und Jesuitenpater Karl Josef Becker. Er hielt eine Lectio magistralis. Sein Fazit:

„Glaube und Kultur gehören zusammen. Glaube ist immer unabhängig von Kultur, aber muss sich ausdrücken in der Kultur. Aus diesem Grund – so sehr ich die scharfe Trennung vollziehe – bestehe ich auf diese große Verbindung." (rv)

Vatikan: „Interreligiöser Dialog ist ein Gebet“

Der interreligiöse Dialog wird oft falsch verstanden. So lautet das Fazit des französischen Kardinals Jean-Louis Tauran, Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog. Er sprach am Dienstagabend an der Päpstlichen Universität Gregoriana anlässlich der Konferenz „Identität und Religionen“. Dabei verwies er darauf, dass das Gespräch zwischen den Religionen von Vielen als eine Art „Psychologiespiel“ angesehen werde. Tauran hingegen erachtet diesen Dialog als einen Reichtum für die Menschheit.
„Der interreligiöse Dialog ist nach meiner persönlichen Erfahrung vielmehr als Gebet zu verstehen. Dieses Gespräch ist eine persönliche spirituelle Reise. Das merkt man vor allem dann, wenn man versucht, seinen Mitmenschen die eigene Spiritualität zu erklären. Da sieht man, wie schwer dies uns Christen mittlerweile fällt, unseren Glauben öffentlich zu bekunden. Wichtig ist dabei, dass man den eigenen Glauben gut kennt. Das ist die Basis eines jeden interreligiösen Dialogs.“
Die katholische Kirche kann vom interreligiösen Austausch viel weitergeben und gleichzeitig auch viel erhalten, fügt der Vatikanverantwortliche für den Dialog mit anderen Religionen an.
„Jede Religion hat eine Besonderheit. Der Islam zum Beispiel hat eine außergewöhnliche Beziehung zum Gebet. Man denke hierbei an ihre Treue zum täglichen Gebet. Wir Katholiken hingegen sind manchmal nicht in der Lage, in der Öffentlichkeit ein Kreuzzeichen zu machen.“
Die Konferenz an der Gregoriana wurde vom interdisziplinären Institut der Religionen und Kulturen organisiert. Leiter ist u.a. der deutsche Jesuitenpater Felix Körner. (rv)