„Nicht herumreden, sondern in See stechen und die Netze auswerfen“

Papst Franziskus predigt vor einer Million Menschen in Bogota – Klare Absage an Abtreibung, Diskriminierung und Ungerechtigkeit – Appell an Nächstenliebe und Zusammenhalt.

BOGOTÁ – Vor über einer Million Gläubigen hat Papst Franziskus an seinem ersten vollen Tag in Kolumbien im „Simon Bolivar“-Park die heilige Messe gefeiert.

Angesichts der Menschenmenge erinnerte Franziskus an das Bild des Meeres. Der Papst griff damit die Stelle in der Bibel auf, in der Jesus am See Gennesaret – dem Galiläischen Meer – predigt.

So wie das fruchtbare Meer den Fischern auch Enttäuschung bedeuten kann, so könne auch das so reiche und fruchtbare Kolumbien seinen Menschen „dichte Finsternis“ bedeuten, so Franziskus weiter, „die Finsternis der Ungerechtigkeit und der sozialen Ungleichheit; die korrumpierende Finsternis von Einzel- oder Gruppeninteressen, die auf egoistische und hemmungslose Weise aufbrauchen, was für das Wohlergehen aller bestimmt ist; die Finsternis der Missachtung des menschlichen Lebens, die täglich der Existenz so vieler Unschuldiger ein Ende setzt, deren Blut zum Himmel schreit; die Finsternis des Rachedurstes und des Hasses, welche die Hände derer mit menschlichem Blut besudelt, die sich selbst Recht verschaffen wollen; die Finsternis derer, die angesichts des Schmerzes so vieler Opfer gefühllos werden.“ Der Papst betonte:

All diese Finsternisse vertreibt und vernichtet Jesus mit seinem Befehl auf dem Schiff Petri: »Fahr hinaus auf den See« (vgl. Lk 5,4).

Was daraus zu lernen sei? Für Christen gehe es darum, nicht herumzudiskutieren, wenn Versuche scheitern, erklärte Franziskus.

Wir können uns mit endlosen Diskussionen aufhalten, gescheiterte Versuche aufzählen und eine Liste der Bemühungen erstellen, die zu nichts geführt haben; so wie Petrus wissen wir, was es heißt, ohne jeglichen Erfolg zu arbeiten.

Statt des Herumredens müsse ein Christ jedoch wieder hinaus auf das Meer fahren und seine Netze auswerfen.

In Bogotá und in ganz Kolumbien, so der Papst, sei eine sehr große Gemeinschaft unterwegs, die gerufen sei, ein robustes Netz zu werden, das alle in der Einheit versammelt. Franziskus mahnte:

Dabei soll sie sich für den Schutz und die Achtung des menschlichen Lebens einsetzen, insbesondere dann, wenn es am schwächsten und ganz verwundbar ist: im Mutterschoß, im Kindesalter, im Alter, im Fall von Behinderung und in Situationen sozialer Ausgrenzung.

Auch den vielen Menschen, die in Bogotá und Kolumbien leben, kann es gelingen, eine wahrhaft lebendige, gerechte und solidarische Gemeinschaft zu werden, wenn sie das Wort Gottes hören und annehmen, so Franziskus weiter. Aus dieser Schar von evangelisierten Menschen wiederum würden dann viele Männer und Frauen hervorgehen, die zu Jüngern geworden sind und mit einem wahrhaft freien Herzen Jesus folgen; Männer und Frauen, die fähig seien, das Leben in all seinen Abschnitten zu lieben, zu achten und zu fördern.

Wir müssen uns gegenseitig zurufen und uns Zeichen geben wie die Fischer; wir müssen uns wieder als Brüder, als Weggefährten und Teilhaber dieses gemeinsamen Unternehmens, das die Heimat darstellt, betrachten. Bogotá und Kolumbien sind Ufer, See, offenes Meer und Stadt zugleich, wo Jesus hingekommen ist und hinkommt, um seine Gegenwart und sein fruchtbares Wort zu schenken, um uns der Finsternis zu entreißen und uns zum Licht und Leben zu führen. Wir müssen die anderen, alle rufen, damit niemand der Willkür der Unwetter ausgeliefert bleibt; um alle Familien, die das Heiligtum des Lebens sind, ins Boot steigen zu lassen; um das Gemeinwohl über kleinliche oder Sonderinteressen zu stellen; sich um die Schwächsten kümmern und ihre Rechte zu fördern. (CNA Deutsch)

Papst in Kolumbien angekommen: „Eine etwas besondere Reise“

„Eine etwas besondere Reise“: so hatte Papst Franziskus während seines zwölfstündigen Fluges die kommenden Tage in Kolumbien bezeichnet. Gegen 23 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit ist er in der Hauptstadt Bogotá gelandet und hat sein Besuchsprogramm dort begonnen.

Wegen des Hurrikans Irma über der Karibik hatte die Papst-Maschine einen Umweg nehmen müssen. Zum Empfang am Militärflughafen hatte die kolumbianische Regierung unter anderem Teilnehmer der Friedensverhandlungen mit den Guerilla-Organisationen FARC und ELN, Vertreter der indigenen Verbände und sozialer Stiftungen, Künstler, Sportler, Gouverneure und Bürgermeister eingeladen. Offizieller Vertreter des Staates war Präsident Juan Manuel Santos, dem Papst Franziskus bei seinen Friedensbemühungen zwischen Regierung und Rebellen nach eigener Auskunft sehr geholfen hatte.

Besonders sei die Reise, weil sie weiterhin Kolumbien „helfen solle, auf seinem Weg des Friedens weiter zu gehen“, hatte der Papst im Flugzeug zu den mitreisenden Journalisten gesagt. Damit ist eines der Themen für die kommenden Tage gesetzt. (rv)

Papstbesuch in Kolumbien: „Botschaft wird sehr tief gehen“

In Kolumbien ist in den letzten Jahren mehr soziales Bewusstsein herangewachsen, sodass die Worte von Papst Franziskus dort auf fruchtbaren Boden fallen können. Das sagt Kardinal Rubén Salazar Gómez, Erzbischof von Bogotà und Präsident des lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM. Die Visite des Papstes steht in wenigen Wochen bevor, von 6. bis 11. September besucht Franziskus Bogotà, Villavicencio, Medellìn und Cartagena.

Im Gespräch mit Radio Vatikan sagt der kolumbianische Kardinal, er halte es für „eine echte Revolution“, dass die Botschaft von Franziskus weit über die Kirche hinausgehe und alle anspreche. Bei seinem Kolumbienbesuch werde der Papst im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern Paul VI. und Johannes Paul II., die ebenfalls nach Kolumbien kamen, ein Land sehen, das sich in vielerlei Hinsicht gut entwickelt habe.

Kardinal Salazar: „Der wichtigste Aspekt dessen, was besser wurde, ist, dass es heute ein viel größeres Problembewusstsein gibt über die Herausforderungen des Landes. Es sind Probleme, zu deren Lösung wir Kolumbianer uns alle zusammentun müssen, um voranzugehen, sodass wir den ungeheuren Anforderungen des Volkes genügen können. Langsam ist im Land ein soziales Bewusstsein gewachsen: dass wir eine tiefverankerte soziale Gerechtigkeit brauchen, dass wir in vielen Bereichen unsere Mentalität ändern müssen, damit wir inklusiver werden, toleranter, solidarischer, geschwisterlicher – das ist der große Unterschied im Land heute. Und deshalb habe ich die Hoffnung, dass die Botschaft des Papstes sehr tief gehen wird im kolumbianischen Volk.“

RV: In der Tat erlebt Kolumbien im Augenblick einen einmaligen Übergangsprozess auf dem Weg zum Frieden, ein Prozess, der zerbrechlich ist, aber eben auch große Chancen bietet. Enttäuschung gab es mancherorts, weil die Bischöfe vor einem Jahr bei der Volksabstimmung über das Friedensabkommen zwischen Regierung und FARC-Guerilla nicht zum „Ja“ aufriefen, sondern zu einer Gewissensentscheidung, was manche als mangelnde Zustimmung der Bischöfe zum Abkommen deuteten. Sehen Sie mit Blick auf den Übergangsprozess zum Frieden auch eine Entwicklung bei den kolumbianischen Bischöfen?

Kardinal Salazar: „Nun, wir haben über das Thema Frieden mit viel Konsens gesprochen. Denn wir sind überzeugt, jenseits des Abkommens mit der Guerilla liegt der Bau der Gerechtigkeit und der Solidarität und der Geschwisterlichkeit, der Inklusion aller Kolumbianer, sodass es keine Regionen des Landes gibt, wo der Staat nicht hinkommt, wo die Gesundheitsversorgung nicht hinkommt, die Bildung undsoweiter. Wir sind uns also der sozialen Auswirkungen sehr bewusst, die das Evangelium und die Evangelisierung haben. In diesem Feld denke ich auch, dass der Heilige Vater uns ein gewichtiges Wort mitteilen wird, damit wir mit diesem Vorhaben vorankommen.“

RV: Die Visite von Franziskus in Kolumbien ist ein Pastoralbesuch, aber alle reden von seinen politischen Aspekten. Ist das recht?

Kardinal Salazar: „Ich denke immer, die Politik ist die Kunst, das Gemeinwohl zu erzielen. In diesem Sinn wird der Besuch von Papst Franziskus notwendigerweise politische Auswirkungen haben, weil er Auswirkungen auf den Friedensprozess haben wird. Ich bin auch komplett sicher, dass es da nichts geben wird, was man politisch verdrehen kann, das heißt zugunsten einer Partei oder einer Meinungsgruppe. Denn die Botschaft des Evangeliums ist immer eine Botschaft, die über die Partikularitäten hinausgeht, die manchmal spalten und zu Konflikten führen.“

RV: Katholiken glauben ja, dass der jeweilige Papst immer der richtige Papst für die richtige Zeit ist, schließlich hat ihn der Heilige Geist bestimmt. Warum ist aus Ihrer Sicht Franziskus der rechte Papst für unsere Zeit?

Kardinal Salazar: „Weil wir jenseits der katholischen Kirche eine erschütterte Welt haben. Weltweit sehen wir derzeit einen Moment voller Verwirrungen und Perplexitäten, was tiefgehende Fragen der Gerechtigkeit betrifft, wir sehen sehr ernste Konflikte. Und Papst Franziskus weiß alle diese Problematiken mit großer Weisheit anzugehen, sodass seine Worte über die Kirche hinausgehen. Die Botschaften von Franziskus richten sich an alle Nationen und an alle Menschen. Und in diesem Sinn meine ich, da entsteht eine echte Revolution.“ (rv)

Frieden in Kolumbien „eine nahezu unmögliche Aufgabe

Der neue Kardinal aus Kolumbien, Rubén Salazar Gómez, ist nicht sehr optimistisch über die Friedensgespräche zwischen Regierung und FARC-Rebellen. Der blutige Konflikt, in dem sich seit einem halben Jahrhundert marxistische Rebellen, Armee und Paramilitärs gegenüberstehen, sei letztlich nur ein Symptom der vielen ungelösten Probleme in Kolumbien, vor allem der sozialen Ungleichheit, sagte Salazar Gómez im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Kolumbien ist ein Land, das einen in sozialer Hinsicht sehr ernsten Konflikt durchmacht. Ein Land, dem das innere Ungleichgewicht praktisch schon von Geburt an mitgegeben worden ist und wo es – aus einer Vielzahl von Gründen – eine enorme Kluft gibt zwischen Reichen und Armen, Gebildeten und Analphabeten, zwischen Leuten, die am sozialen Leben teilnehmen können, und denen, die am Rand stehen. Auch das hat zu dem bewaffneten Konflikt geführt, der vielleicht der älteste noch anhaltende Konflikt in der Welt ist. Millionen von Menschen sind ihm in etwa fünfzig Jahren schon zum Opfer gefallen."

Nirgendwo in Lateinamerika hat sich die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet wie in Kolumbien. Am letzten Dienstag trafen sich in der kubanischen Hauptstadt Havanna Unterhändler von Kolumbiens Regierung und FARC-Rebellen zu einer neuen Gesprächsrunde. Die Verhandlungen scheinen zwar gut voranzugehen, doch stellt die Regierung auch während der Gespräche ihre Armee-Operationen gegen die FARC keineswegs ein. Die FARC haben einen einseitigen Waffenstillstand für zwei Monate Dauer erklärt (ihr erster in mehr als zehn Jahren) und ließen vor ein paar Tagen auch drei entführte Chinesen frei – womit sie ihre Beteuerungen, sie hätten keine Entführten mehr in ihrer Gewalt, selbst Lügen straften. Mitte Dezember wollen beide Seiten in Bogotà über eine Landreform sprechen, das wohl dornigste Problem.

„Hoffen wir auf ein Wunder"
„Jetzt hat es die Regierung endlich geschafft, sich mit Vertretern zumindest einer der Guerillas an einen Tisch zu setzen; die FARC sind womöglich die wichtigste Guerilla-Gruppe. Da müssen wir Christen wirklich hartnäckig darum beten, dass uns der Herr den Frieden schenkt! Die Lage ist ausgesprochen komplex und schwierig; es scheint eine nahezu unmögliche Aufgabe, zwischen Regierung und Guerilla zu einer Abmachung zu kommen. Hoffen wir also, dass der Herr ein Wunder wirkt und die Verhandelnden zu einem Einverständnis bringt, damit endlich der bewaffnete Konflikt aufhört."

In seiner ersten Botschaft als Kardinal hat Salazar Gómez zu mehr Wertschätzung für das menschliche Leben aufgerufen. Ihm scheint das eine der dringendsten Fragen für sein Land derzeit.

„Das liegt daran, dass sich in Kolumbien – vielleicht unter dem Eindruck des Konflikts, bei dem soviel Blut vergossen wurde – eine Mentalität herausgebildet hat, als ob das Leben nichts wert wäre. Dabei haben wir seit 1991 eine Verfassung, die völlig auf dem Prinzip der Grundrechte jeder menschlichen Person aufbaut. Tatsächlich wird in Kolumbien viel von den Rechten gesprochen, die es zum Beispiel für Minderheiten zu sichern gälte; dabei werden aber gleichzeitig Menschenrechte angegriffen, etwa durch einen Gesetzesvorstoß, der Abtreibung völlig liberalisieren möchte."

Der Gesetzesvorstoß stützt sich auf ein Urteil des Verfassungsgerichts in Bogotà von 2006. Danach wäre Abtreibung straffrei bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter, bei schwerer Missbildung des Fötus oder nach einer Vergewaltigung. Ursprünglich galt auch der Erzbischof von Bogotà als Befürworter einer vorsichtigen Liberalisierung beim Abtreibungsverbot, vor allem nach einem Zeitungsinterview Mitte November. Doch auf Bitten aus dem Vatikan präzisierte Salazar Gómez seine Haltung: Er halte Abtreibung für ein „abscheuliches Verbrechen", und ihre Straffreiheit sei keineswegs „als ein Recht zu betrachten". Ähnlich klar ist seine Stellungnahme gegen einen Gesetzesvorschlag zur Sterbehilfe, über den der Kongress von Bogotà debattiert:

„Christliches Volk, aber antichristliche Gesellschaft"
„Ein umfassendes und ausgesprochen gefährliches Euthanasie-Gesetz! Denn es öffnet die Türe dahin, dass praktisch jeder über das Leben von anderen bestimmen kann, über das Leben von Kranken. Auch gegen die Familien werden sehr gefährliche Türen geöffnet. Ich würde sagen: Wir erleben einen Moment, wo das grundlegende, absolute Recht auf Leben aufs Spiel gesetzt wird. Und darum ist es so wichtig, dass wir in Kolumbien eine neue Mentalität entwickeln, die das Leben verteidigt und fördert."

Wie kommt es eigentlich, dass gerade Kolumbien so stark von Gewalt, inneren Konflikten und Ungleichheit geprägt ist? Das Land ist doch christlich: 86 Prozent der Bevölkerung gehören zur katholischen Kirche, die hier schon im frühen 16. Jahrhundert ihre ersten Bistümer gründete. Kardinal Salazar Gómez erklärt:

„Eines der großen Dramen, die wir in Kolumbien – aber auch allgemeiner in Lateinamerika überhaupt – haben, ist dass der Glaube fast immer als eine Privatsache angesehen wird, die im sozialen Leben null Auswirkungen hat. Das hat es überhaupt möglich gemacht, dass wir eine völlig ungerechte Gesellschaft aufgebaut haben, eine antichristliche Gesellschaft – obwohl doch das Volk im wesentlichen aus Christen besteht!"

Rubén Salazar Gómez ist seit vier Jahren Vorsitzender der Bischofskonferenz von Kolumbien, seit zwei Jahren Erzbischof der Hauptstadt Bogotà – und seit ein paar Tagen Kardinal. (rv)