Kardinal Müller: „Keinen Bruch zwischen den Päpsten herbeireden“

Kardinal MüllerKardinal Gerhard Ludwig Müller warnt davor, die beiden Päpste Benedikt XVI. und Franziskus gegeneinander auszuspielen. Man müsse „damit leben lernen, dass beide unterschiedliche Geschichten und Prägungen haben“. Der amtierende wie der emeritierte Papst stünden im Dienst des einen Christus, eine seriöse Interpretation müsse „den Zusammenhang sehen und nicht einen Bruch herbeireden“, sagte der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation im Gespräch mit Radio Vatikan. Müller hat zur Frage der beiden Päpste im vergangenen Jahr bei Herder eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Benedikt und Franziskus“ vorgelegt und äußerte sich nun anlässlich des Erscheinens der italienischen Übersetzung des Buches. Gudrun Sailer sprach mit dem deutschen Kurienkardinal.

Müller: „Wir haben zum ersten Mal in der Kirchengeschichte denn Fall, dass zwei legitime Päpste leben. Natürlich ist nur Papst Franziskus der Papst, aber Benedikt ist der emeritierte und insofern doch auch noch irgendwie verbunden mit dem Papsttum. Diese einzigartige Situation muss geistlich-theologisch bewältigt werden, wie, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich habe gezeigt, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Personen und Charaktere, die naturnotwendig gegeben ist, doch auch die innere Verbindung sichtbar zu machen ist.“

RV: Und worin besteht diese innere Verbindung der Päpste, aller Päpste eigentlich?

Müller: „Es geht immer um das Bekenntnis zu Jesus Christus, das ist die ratio essendi, der Grund überhaupt, warum es das Papsttum gibt, dass die Kirche in der Einheit in Christus zusammengehalten, zusammengeführt wird, aber beide tun das von ihrer Herkunft her. Papst Benedikt von der professionalen Laufbahn her und ist ein ganz außergewöhnlich talentierter Theologe, Papst Franziskus kommt von seiner südamerikanischen Erfahrung her, und bereichert dann unsere Sichtweise und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Armen, die an den Rändern stehen, an die Peripherien geht er, das war uns theoretisch alles klar – aber das von seiner eigenen Lebenserfahrung her ins Gesamtbewusstsein einzubringen, ist doch eine providentielle Fügung, ein Wink des Heiligen Geistes, den wir dankbar aufnehmen.“

RV: In diesem Jahr haben beide Päpste wiederholt öffentlich übereinander gesprochen. Nicht nur Franziskus über Benedikt, sondern auch umgekehrt: wir erinnern uns an die Feier des Priesterjubiläums von Benedikt oder sein Interviewbuch. Da kam viel gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck, und das schien auf etwas zu antworten. Was entgegnen Sie besorgten Katholiken, die am liebsten die Unterschiede zwischen den beiden Päpsten betont haben möchten?

Müller: „Es gibt da zwei extreme Interpretationsrichtungen. Die einen betonen den Unterschied fast bis zu einem Gegensatz hin, die anderen sagen, [es gebe keine Unterschiede]. Ich glaube, dass beide Extreme überziehen.

Für eine seriöse Interpretation ist es wichtig, den Zusammenhang zu sehen und nicht einen Bruch herbeizureden. Und eben auch damit leben lernen, dass beide unterschiedliche Geschichten und Prägungen haben, andere geistige Mentalitäten mit sich bringen. Viele neigen dazu, daraus Gegensätze abzuleiten. Es wird oft auch an mich die Frage herangetragen, was die beiden Päpste unterscheidet, und aus jeder Antwort von mir werden dann von beiden Extremen Argumente gesucht für ihre Seite. Aber in meiner Position muss ich solche extremen Positionen einfach zurückweisen. Wir sollen uns nicht darauf kaprizieren, hier Unterschiede und Gemeinsamkeiten [zwischen Benedikt und Franziskus] hervorzuheben, sondern sagen, beide stehen im Dienst des einen Christus.“

RV: Was schenken die beiden Päpste im Doppelpack der Kirche?

Müller: „Beide üben ein Amt aus, das sie sich nicht selber gegeben haben, das sie auch nicht selber definieren können, das ja schon „de-finiert“ ist, von Christus selber, auch so wie es sich ausgelegt hat im Glaubensbewusstsein der Kirche. Und jeder erfährt ja im päpstlichen Amt, so wie in jedem anderen kirchlichen Amt, dass es eine große Last ist, die man nur mithilfe der Gnade tragen kann.

Jeder Mensch ist überfordert, wenn er der Repräsentant Christi sein soll. Aber beide bringen auf ihre Weise, mit ihrer Persönlichkeit, mit ihrer Geschichte, ihr besonderes Charisma in den Petrusdienst ein. Man soll das nicht gegeneinander stellen und vergleichen, wer ist besser, wer hat mehr Besucher bei den Audienzen auf dem Petersplatz, das ist die falsche Herangehensweise. Man sollte hier von der Theologie der Charismen ausgehen.

Wir sind im Glauben davon überzeugt, dass Franziskus vom Heiligen Geist eingesetzt ist, zwar von den Kardinälen gewählt, aber das Konklave ist nur das Instrument der Wahl. Letztlich ist er von Christus selber eingesetzt, und zwar so, wie er ist, mit seiner Herkunft von Lateinamerika, mit den politischen und sozialen Verwerfungen, mit der Erfahrung der Armut von riesigen Bevölkerungsschichten, und war verbunden mit der ganzen Entwicklung der Kirche in Lateinamerika der letzten 50 Jahre, Medellin, Puebla, Aparecida, die geistigen, intellektuellen, spirituellen Aufbrüche und Bewegungen, das prägt jeden, und das ist das Besondere – dass er die Kirche durch seine Persönlichkeit in das Gesamtleben der universalen Kirche einbringen kann. Deshalb wäre es wichtiger darauf zu schauen, was beide uns zu sagen haben und wie beide der Kirche gedient haben bzw. dienen, statt das vergleichend, auf- und abwertend gegeneinander zu stellen.

Wenn ich dazu gefragt werde, muss ich natürlich sagen, dass Benedikt in besonderer Weise ein Theologe ist, das aber nicht in Abgrenzung zu anderen, sondern um ihn zu charakterisieren, das ist eine Tatsache, die niemand leugnen kann, dieser Gabe ist ihm nicht gegeben worden von Gott, um auf Kosten anderer groß herauskommen, sondern sie demütig einzubringen, und ähnlich macht es Papst Franziskus, dass er seine Gaben demütig einbringt für die Kirche und nicht sich selber auf Kosten anderer heraushebt, das wäre kontraproduktiv zu jedem kirchlichen Dienst. Paulus hat uns das Bild geschenkt vom einen Leib mit den vielen Gliedern, und dass die Vielheit die Ganzheit nicht zerstört, sondern aufbaut.“

RV: Wir haben in Franziskus erstmals einen Papst mit vielen Zuschreibungen. Johannes Paul II. war im „Nebenberuf“ Dichter, Benedikt Theologe, Franziskus ist neben seinem Papstamt aber anscheinend noch viel mehr: Beichtvater, Dorfpfarrer, Gewerkschaftsredner, Sozialarbeiter, Diplomat, und so fort. Teilen Sie die Einschätzung, dass diese Vielfalt, das gewissermaßen Unpäpstliche an diesem Papst, nicht wenige Katholiken überfordert?

Müller: „Jeder Papst muss auch versuchen, die Einseitigkeit seiner persönlichen Lebensgeschichte zu überwinden. Benedikt hat nicht nur dogmatische Themen angegangen, in „Deus Caritas erst“ wendet er sich auch der Caritas als Einrichtung zu und hat sie doch sehr auch gefördert. Aber Franziskus lässt sich bis jetzt noch nicht auf ein einziges Etikett festlegen. Das ist vielleicht gut so, denn sonst würde er durch ein solches Klischee eingeengt. Vielleicht macht er das auch gezielt, dass er diesen Etikettierungen entkommt und sich nicht in eine Schublade drängen lässt.“ (rv)

Vatikansprecher: Bombenfund beeinflusst Papstbesuch nicht

Pater Lombardi PressekonferenzIm brasilianischen Aparecida wurde eine Bombe gefunden, doch dieser Fund habe „keinerlei Auswirkungen auf die Papstreise". Das sagte Vatikansprecher Federico Lombardi vor Journalisten in Brasilien am Montagabend (Ortszeit). Es bestehe kein Anlass zu großer Sorge, fügte er an. Nach Medienberichten wurde in einer öffentlichen Toilette in der Nähe der Wallfahrtskirche von Aparecida am Montag ein Sprengsatz gefunden. Dies habe jedoch nichts mit dem für Mittwoch geplanten Besuch von Franziskus dort zu tun, sagte Lombardi unter Berufung auf die brasilianische Polizei.

Zugleich wies der Vatikansprecher Behauptungen zurück, die Sicherheitslage sei während der Fahrt des Papstes vom Flughafen in die Innenstadt von Rio vorübergehend außer Kontrolle geraten. Franziskus war in seinem kleinen Fiat Idea von einer Menschenmenge umringt worden, so dass die Fahrt vorübergehend gestoppt werden musste. Diese Szene sei eine „einzigartige Erfahrung" des großen Enthusiasmus der Bevölkerung gewesen, so Lombardi.

Der Papst sei „sehr zufrieden" mit seinem Empfang in Rio. Die einzige kurzfristige Programmänderung, die man aus Sicherheitserwägungen vorgenommen habe, sei der Flug mit dem Hubschrauber auf dem letzten Teil der Strecke zum Gouverneurspalast gewesen. Der Flug sei auf Wunsch der brasilianischen Behörden erfolgt, um ein Zusammentreffen mit Demonstranten in der Nähe des Gebäudes zu verhindern, erläuterte der Vatikansprecher.

Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Staatspräsidentin Dilma Rousseff standen nach Lombardis Angaben die Lage von Jugendlichen sowie das Thema Flüchtlinge. Rousseff sei sehr beeindruckt vom Besuch des Papstes auf Lampedusa gewesen, hieß es. (rv)

Benedikt XVI. in León: „Tragt Geist von Aparecida weiter“

Geistlicher Höhepunkt am zweiten Tag des Papstes in Mexiko: die große Freiluftmesse mit mehreren Hunderttausend Gläubigen im Parco Bicentenario. Mit dem Papst konzelebrierten rund 250 Kardinäle und Bischöfe sowie rund 3.000 Priester, die mexikanischen Bischöfe sowie die Vorsitzenden der 22 lateinamerikanischen und karibischen Bischofskonferenzen. Ebenso waren Bischöfe vom gesamten amerikanischen Kontinent vertreten. Christine Seuß berichtet.

Die summende Erwartung, die sich unter den teilweise seit gestern Abend schon versammelten Gläubigen ausgebreitet hatte, wich froher Ehrfurcht, als der Papst am Sonntagmorgen Ortszeit in León seine Messe begann. 60 Musiker und 200 Chorsänger untermalten die Liturgie. Gläubige, die keines der heiß begehrten Tickets für die Messe mehr ergattern konnten, verfolgten alles auf großen Bildschirmen. Mit den Worten „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz" aus Psalm 51,12 blickte der Papst in seiner Predigt auf das kommende Osterfest voraus.

„Dieser Ausruf macht uns die Intensität deutlich, mit der wir uns vorbereiten müssen, um nächste Woche das große Geheimnis des Leidens, des Todes und der Auferstehung des Herrn zu feiern. Das Wort führt uns auch dazu, tief in das menschliche Herz zu schauen, besonders in den Zeiten, in denen Schmerz und Hoffnung beieinander liegen, wie sie das mexikanische Volk und auch die anderen Völker Lateinamerikas gerade durchleben."
Bei seiner Ankunft habe er „ganz nah" das Christkönigsmonument auf dem Gipfel des Cubilete gesehen, erzählte der Papst, der bei dieser Reise ein Mosaik mit einem Christkönig-Motiv für den Wallfahrtsort stiftet. Der Papst erinnert in dem Kontext an seinen Vorgänger auf dem Stuhl Petri, der Mexiko mehrmals besuchte:
„Der selige Papst Johannes Paul II. konnte auf seinen Reisen in euer Heimatland diesen für den Glauben des mexikanischen Volkes symbolträchtigen Ort nicht besuchen, obwohl er es sich sehnlichst gewünscht hatte. Sicher wird er sich heute vom Himmel aus freuen, dass mir der Herr die Gnade gewährt hat, jetzt mit euch zusammen zu sein, so wie er auch die vielen Millionen Mexikaner gesegnet hat, die kürzlich seine Reliquien in allen Regionen des Landes verehrt haben."
Im Bicentenario-Park würdigte Papst Benedikt XVI. weiter die Unabhängigkeit, die das Land vor 200 Jahren erlang. Die mexikanische Nation habe „viele verschiedene Elemente in einem doch gemeinsamen Ziel und Streben geeint", so der Papst:
„Wollen wir auch heute Christus um ein reines Herz bitten, wo er Wohnung nehmen kann als Fürst des Friedens dank der Macht Gottes, die die Macht des Guten ist, die Macht der Liebe."

„Die Müdigkeit des Glaubens überwinden"

Mit Blick auf das historische Bischofstreffen von 2007, das Benedikt XVI. selbst eröffnet hatte, rief der Papst zu einer erneuten Evangelisierung des Kontinents auf. Auch in Lateinamerika gelte es dem Glauben neuen Schwung zu verleihen, so der Papst:

„Die Misión Continental, die jetzt von Diözese zu Diözese auf diesem Kontinent durchgeführt wird, hat genau das Ziel, diese Überzeugung zu allen Christen und kirchlichen Gemeinschaften zu bringen, damit sie der Versuchung eines oberflächlichen und gewohnheitsmäßigen, manchmal bruchstückhaften und unzusammenhängenden Glaubens widerstehen. Auch hier muss man die Müdigkeit des Glaubens überwinden und die Freudigkeit des Christseins, des Getragenseins von dem inneren Glück, Christus zu kennen und seiner Kirche zuzugehören, wiedererkennen‘".
Das kommende „Jahr des Glaubens", das Benedikt selbst initiierte, sei für die gesamte Kirche Aufforderung zu einer „echten und erneuerten Umkehr zum Herrn", so der Papst. Das Glück des Glaubens verleihe auch die nötige Kraft, die es brauche, um Christus auch „in bedrängenden Situationen menschlichen Leidens" zu dienen, so der Papst weiter.

Abschließend bat Benedikt XVI. die Jungfrau Maria um Schutz und Fürsprache für „ihre geliebten Söhne und Töchter in Mexiko und Lateinamerika,…

„… damit Christus in ihrem Leben herrsche und ihnen helfe, mutig den Frieden, die Eintracht, die Gerechtigkeit und die Solidarität zu fördern. Amen." (rv)