Kardinal Müller über den Mann, die Frau und die Familie

Kardinal Gerhard Ludwig MüllerEs braucht ein Nachdenken über das „Zueinander von Mann und Frau“ in der Kirche und in den öffentlichen Institutionen. Das hat der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, im Interview mit Radio Vatikan betont. Anne Preckel sprach mit ihm am Rande des interreligiösen Kolloquiums zum Thema „Die Komplementarität von Mann und Frau“ im Vatikan, das die vatikanische Glaubenskongregation in Zusammenarbeit mit drei päpstlichen Räten ausgerichtet hat. Die Leiblichkeit des Menschen und seine seelisch-geistige Ausrichtung seien nicht voneinander zu trennen, betonte der Kardinal mit Blick auf die sog. „Gender-Theorie“. Weiter sprach er sich für familienfreundlichere Verhältnisse in der Arbeitswelt aus.

Interreligiöser Konsens zur Ehe aus Mann und Frau
Als solide Grundlage des interreligiösen Austausches über die Geschlechter sieht der Kardinal die Ehe und Familie, basierend auf Mann und Frau. Ein Konsens hier könne auch den katholischen Glauben stärken.

„Wir wissen ja, dass das Ehesakrament in unserem katholischen Glauben aufbaut auf der natürlichen Ordnung der Schöpfung. Insofern ist es natürlich sehr wichtig, auch das Zeugnis der Religionen, der ganzen Menschheit, auf unserer Seite zu haben. Und das zeigt sich heute auch in einer ganz eindrücklichen Weise: Es sind hier 14 Weltreligionen versammelt, die ja den größten Teil der Menschheit repräsentieren und die auch die lange Geschichte der Menschheit vergegenwärtigen können. Und hier zeigt sich doch sehr einmütig die Grundüberzeugung, dass es zur Wesensgestalt des Menschen gehört, dass Gott ihn geschaffen hat als Mann und Frau. Und dass aus der Liebe von Mann und Frau sich die Persönlichkeit der beiden entwickelt, dass sie auch innerlich Anteil nehmen, aneinander über sich hinaus wachsen in eine höhere Gemeinschaft hinein: die Gemeinschaft der Liebe.“

Eine Frucht dieser Liebe seien Kinder, erläuterte der Kardinal. Elternschaft sei aber mitnichten nur biologisch zu verstehen – ein Kind sei „wesentlich mehr als nur die Zusammensetzung seiner biologischen Bestandteile und seiner Gefühle“, so Müller. Im familiären Umfeld müsse echte Entwicklung möglich werden, appellierte er:

„Als Person soll der Mensch wachsen und gedeihen. Und das ist nur möglich durch die Liebe der Eltern, des eigenen Vaters und der eigenen Mutter. Keine staatliche oder internationale Organisation kann das Kindeswohl gewährleisten, sie können nur subsidiär tätig sein. Die Hauptverantwortung, dass Menschen zu ihrer Identität kommen, sich selbst annehmen, fähig sind, Verantwortung für einen anderen geliebten Menschen zu übernehmen für die Kinder, die Gott schenkt aus dieser Liebe hinaus. Das ist eben nur möglich, wenn vom ersten Augenblick des Daseins an – der Zeugung, der Schwangerschaft, Geburt, dem Stillen, Zu-Essen-Geben, gemeinsamen Aufwachsen mit den Geschwistern, dem ganze Prozess der Erziehung und der Bildung – wenn das getragen wird von dem vorbehaltlosen Ja-Wort, das er, Gott, zu jedem von uns sagt. Und zwar durch die eigenen Eltern, die Mittler der Liebe Gottes.“

Einheit von Seele und Leib
Das interreligiöse Kolloquium wolle auch ein Zeichen setzen angesichts von Überzeugungen, die nicht mehr von einer Komplementarität von Mann und Frau ausgehen, so der Kardinal auf Anfrage weiter. Die sog. „Gender-Theorie“ etwa geht im Großen und Ganzen nicht mehr von der biologisch-sexuellen Prägung von Männern und Frauen aus, sondern vorrangig von deren sozial-kultureller Prägung. Dazu Kardinal Müller:

„Ja, Schwester Prudence Allen (Philosophieprofessorin aus Denver und seit Kurzem neues Mitglied in der Internationalen Theologischen Kommission, Vortragende auf dem aktuellen Kolloquium, Anm. d. Red.) hat sehr deutlich gesagt, dass wir, die Weltreligionen, uns dieses positive Wort ,Gender‘ nicht rauben lassen und dass es für eine ,Ideologie der Menschen‘ nicht hilft. Man kann die Leiblichkeit des Menschen, seine Sexualität im biologischen Sinne und die innere seelische Verfassung und geistige Ausrichtung, d. h. seine Seele und seinen Leib, nicht voneinander trennen! Sie bilden eine unlösbare Einheit. Und deshalb ist es, glaube ich, auch sehr wichtig, dass jeder Mensch von Anfang an lernt, sich mit dem Vater oder der Mutter zu identifizieren und somit zugleich sein eigenes Geschlecht anzunehmen – aber das eigene Geschlecht in der Bezogenheit auf das andere Geschlecht: also im Sinne von Komplementarität.“

Beunruhigt über hohe Zahlen Alleinerziehender
Beunruhigt zeigte sich der Präfekt der Glaubenskongregation über die hohe Zahl alleinerziehender Frauen. Ohne einen Vater aufzuwachsen, stelle für ein Kind einen schwerwiegenden Mangel dar – und ebenso für die Mutter:

„Es wurden (auf dem Kolloquium, Anm.) alarmierende Zahlen genannt. Etwa am Beispiel England, was ja dann für viele andere Länder auch zutrifft: Wenn eine Million Kinder ohne einen meist männlichen Elternteil aufwachsen, ist das nicht gut für sie selbst und natürlich auch nicht für die Mutter, die allein die ganze Aufgabe bewältigen muss. Der Mensch ist so verfasst, dass es eine große Freude macht, wenn Vater und Mutter sich aufeinander verlassen können, miteinander die ganze Begleitung, Entfaltung und Erziehung ihrer Kinder mittragen und sich dabei auch selber ihrer eigenen Liebe versichern.“

Auch zum Thema „Komplementarität von Männern und Frauen innerhalb der Kirche“ hatte der Kardinal Einiges zu sagen. Papst Franziskus hatte mehrfach betont, es brauche einen „spezifisch weiblichen Beitrag“ für die Kirche. Die Hälfte der Kirchenmitglieder – „vielleicht sogar noch mehr“ – sei weiblich, hielt Kardinal Müller hier zunächst grundsätzlich fest. Und es gebe „eine spezifisch männliche und weibliche Prägung des Menschseins und auch des Christseins“, fügte er an. Müller griff in die Heilsgeschichte zurück, um dies zu erläutern:

„Es ist ja doch interessant auch zu sehen, dass sich Gott in der Heilsgeschichte entweder an Männer oder an Frauen wendet – an die Patriarchen-Frauen, an männliche, weibliche Heilige – dass aber am Höhepunkt des Heilsgeschehens in unserem christlichen Verständnis nicht ein abstrakter Mensch hervortritt, sondern zunächst einmal Maria, eine Frau, ganz eindeutig eine Frau. Nicht nur Repräsentation des Weiblichen, sondern eine konkrete individuelle Frau, die ,ja‘ sagt zu diesem großen Projekt Gottes. Dass sie die Mutter des Herrn werden soll, dass Gott selbst aus ihr in seinem ewigen Sohn heraus das Menschsein annehmen will, dass aber der Mensch geworden ist, das Fleisch gewordene Wort, der Logos, dass er nicht ein abstrakter Mensch ist, sondern dass er das Menschsein in Form des Mann-seins angenommen hat. Jesus war nicht nur männlich, sondern war ein konkreter, einzelner, individueller Mann. Insofern haben wir von Anfang an Adam und Eva in der Schöpfung, aber dann auch den besonderen Anteil des Weiblichen und des Männlichen in der Schöpfung. Dadurch haben wir im Heilsgeschehen diese besondere Zuordnung, die beiden Geschlechtern zukommt.“

Die gesamte Kirche sei eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, keine abstrakte Masse, erinnerte der Kardinal weiter. Unser Verständnis der Kirche sei wesentlich weiblich geprägt, fügte er an.

„Jesus ist der Bräutigam, die Kirche ist die Braut. Da zeigt sich bis in die Kirche hinein, dass die Kirche nicht einfach nur Religionsorganisation ist, sondern eine Person, und dass wir alle in diesem Sinn auf Christus, auf Gott bezogen sind. Wir alle, die wir dazugehören, Männer und Frauen natürlich, haben eine weibliche Beziehung zu Gott in Jesus Christus. Und das entfaltet sich ja dann auch in den vielen Charismen, die in Männern und Frauen zugegen sind. (…) Die ganzen personalen, familiären Konstellationen spielen in der Heilsgeschichte, aber auch in unserem kirchlichen Leben, in unserem persönlichen Leben, eine große Rolle… Die vielen weiblichen Heiligen mit der ganz spezifischen Spiritualität und die vielen namentlich nicht bekannten Frauen in der Kirchengeschichte, die vielen Mütter, Ordensschwestern, Jungfrauen – sie spielen doch eine große Rolle für unser Gesamtverständnis von dem, was Kirche ist.“

Rollen der Geschlechter haben sich verändert
Über die Frauen in der Kirche hat freilich nicht erst Franziskus gesprochen. Auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben viel zum Thema gesagt und geschrieben. Was aber ist mit den Männern? Was kann ihr „spezifisch männlicher Auftrag“ innerhalb der Kirche sein, wollte Radio Vatikan von Müller wissen. Auf diese Frage räumte der Kardinal zunächst ein, dass sich die Rollen der Geschlechter im Vergleich zur vorindustriellen Gesellschaft bis heute stark verändert habe – dies herauszuarbeiten, sei im Übrigen ein Verdienst der Reflexion von Frauen, so Müller:

„Durch feministische Theologie und vorher die Frauenbewegung ist natürlich zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich durch die ganze industrielle Revolution, die soziologische Ordnung unserer Arbeitsverhältnisse, die klassische Rolle der Geschlechter geändert hat. Die (damalige, Anm.) Situation einer anders arbeitsteiligen Gesellschaft, die mehr von Landwirtschaft geprägt ist, hat sich natürlich auch dramatisch geändert, unser ganzes Verhältnis zu den neuen Berufen, den technischen Berufen, zur Wissenschaft…“

Auf der Suche nach einer Gleichberechtigung der Geschlechter in diesem Umbruchskontext dürfe allerdings nicht das Bild der vermeintlich starken Seite einfach übergestülpt werden, warnte der Kardinal. Auch Papst Franziskus hatte vor einer „Vermännlichung“ weiblicher Kompetenzen gewarnt. Zum Thema sagte Müller:

„So sehr es wichtig ist, dass man eben auch die gleiche Würde und Gleichberechtigung der Frau betont, darf man eben doch nicht das Ganze unter einer männlichen Schablone sehen und sagen: ,Die Gleichberechtigung wird erreicht, wenn sie so werden, wie die Männer sind.‘ (…) Es muss, glaube ich, gemeinsam überlegt werden, wie das Zueinander von Mann und Frau in der Kirche und in den öffentlichen Institutionen ist.“

Theologie gemeinsame Aufgabe
Papst Franziskus hatte jüngst neue Mitglieder in die Internationale Theologische Kommission berufen, darunter fünf Frauen. Diese neuen weiblichen Mitglieder seien „keine Quotenfrauen“, so der Kardinal scherzhaft. Sie seien „qualifizierte Theologinnen“. Insgesamt sei es „für die Theologie und die Kirche gut, solche qualifizierten Männer und Frauen in dieser internationalen Kommission (zu) haben“, so Müller.

„Auch wenn so ein Thema dann als solches angegangen wird, Theologie der Frau, Theologie des Mannes, ist das etwas, was sicher auch alle angeht. Man kann ja nicht nur sagen ,Theologie der Frau‘ – das ist sozusagen kein Gruppeninteresse, wenn die Gesellschaft aus Männern und Frauen besteht. Das ist natürlich auch ein Interesse für alle.“
Das interreligiöse Treffen zur Komplementarität der Geschlechter hatte die Glaubenskongregation schon länger geplant, berichtete der Kardinal. Auch wenn es organisatorisch nicht mit den beiden Vatikansynoden zur Ehe- und Familienpastoral verbunden sei, passe es doch gut zu dem „großen Thema“ Ehe und Familie, welches der Papst „uns allen aufgegeben hat in der Kirche“.

Familiäres Leben muss „real“ möglich sein
Dazu gehöre auch ein Nachdenken über die jetzigen gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere die Arbeitsbedingungen, so Müller. Familiäres Leben müsse „real“ möglich sein:

„Hier hat unsere Soziallehre viel zu sagen. Es muss viel entwickelt werden, zum Teil müssen wir auch prophetisch und auch kritisch den Politikern und Wirtschaftlern zur Seite stehen. (Wir müssen ihnen, Anm.) zum Teil auch in die Flanke fahren. Denn es kann auch nicht sein, dass die Arbeitsverhältnisse so gestaltet sind: ,Die Mutter verlässt, sagen wir, morgens um acht Uhr das Haus, kommt um sechs Uhr abends wieder, und der Mann ähnlich. Das ist unmöglich! Da müssen auch die Arbeitsverhältnisse so gestaltet werden, dass ein Familienleben auch möglich ist. Als Bischof von Regensburg (2002-2012) habe ich Betriebe besucht. Und da gab es auch Betriebe, wo es möglich war, so was wie einen Betriebskindergarten (einzurichten), so dass die Eltern oder die Mutter tatsächlich auch erreichbar und die Kinder in Sichtweite waren.“

Wäre eine solch organisierte Kinderbetreuung auch eine Option für den Vatikan und die Kinder der dort angestellten Laien? Das wollte Radio Vatikan an dieser Stelle noch von dem Kardinal wissen.

„Na gut … ich weiß nicht, ob das aus praktischen Gründen jetzt notwendig ist, denn viele unserer Laien, die verheiratet sind, haben sicher auch andere Möglichkeiten, die wohnen ja auch nicht hier. (…) Das müsste man überlegen. Jetzt kann ich nichts dazu sagen. Aber es ist nicht ausgeschlossen.“ (rv)