Griechenland: „Die werden uns erst helfen, wenn wir tot sind“

Die Griechenland-Krise geht in eine neue Etappe: mit neuen europäischen Sparforderungen an die Athener Regierung, weil sie sonst nicht an die nächste Tranche von Hilfen kommt. Die Finanzminister der Eurogruppe und der Internationale Währungsfonds geben noch kein grünes Licht für ein neues Hilfsprogramm, das Griechenland aber dringend braucht.

Zwar haben die Euro-Grüppler ihre „austerity“-Rhetorik deutlich heruntergedimmt, aber viele Griechen fühlen sich am Ende. „Der Staat hat kein Geld mehr, und wir werden jetzt alle Bettler“, sagt uns der katholische Erzbischof von Athen, Sevastianos Rossolatos, in einem Interview.

„Der Staat schuldet den Privaten und den Unternehmen viel Geld, das er gar nicht hat: Milliarden. So kommt die Wirtschaft nirgendwohin, und der Handel auch nicht. Die Geschäfte schließen, eines nach dem anderen. Unseren Staat erleben wir nur noch als Blutsauger; wir wissen nicht, was wir machen sollen. Natürlich wären Reformen nötig. Aber allmählich haben wir den Eindruck: Die machen beim Staat erst dann Reformen, wenn sie uns an Entkräftung haben sterben lassen.“

In den nächsten Tagen soll in Athen ein neues Reformprogramm geschnürt werden, das mehr auf strukturelle Reformen setzt. In den vergangenen Monaten hatten Reformen vor allem Rentenkürzungen bedeutet. Dabei leben von einer Rente in Griechenland mittlerweile ganze Familien, die kein anderes Einkommen mehr haben. „Viele Großeltern helfen ihren arbeitslosen Kindern mit ihrer Rente aus, aber die Renten schrumpfen und schrumpfen. Die Gehälter übrigens auch. Dabei sind die Versicherungsbeiträge, die ein Arbeiter leisten muss, gestiegen. Es ist eine Verrücktheit! Wenn ich aus dem Haus gehe, nehme ich immer Geld mit, denn mittlerweile sieht man überall Obdachlose, und ich kann da nicht einfach auf die andere Seite gucken.“

„Auch wir Bischöfe sind zu Bettlern geworden“

Das Land Homers ist ein Land der Armen und Verzweifelten geworden. „In den Jahren der Krise haben 450.000 junge Leute Griechenland verlassen. Wir bilden also hier Wissenschaftler aus und schicken die dann ins Ausland, damit sie dort die Wirtschaft anderer Länder in Gang halten…“

Die katholische Kirche versucht, den Ärmsten besonders beizustehen. „Wir sind ihnen nahe, weil viele uns dabei helfen. Denn die griechische Caritas hat kein eigenes Geld mehr, und auch die Bischöfe und die Bischofskonferenz können kaum noch Geld für pastorale Dinge oder für den Unterhalt des Klerus aufbringen. Die, die uns helfen, sind vor allem die Bischofskonferenzen aus ärmeren Ländern – das ist beeindruckend. Nur wer selbst in Schwierigkeiten ist, kann den anderen verstehen, der dasselbe durchmacht. Auch wir Bischöfe sind zu Bettlern geworden. Uns sind die Hände gebunden, wir können nichts machen.“

Innensicht, Außensicht: Es ist ein Unterschied, ob man einen Griechen von der Lage in seinem Land erzählen hört oder etwa Jeroen Dijsselbloem, den Präsidenten der Eurogruppe. Im Wirtschaftsteil der Zeitungen kann man lesen, die EU sei „nicht pessimistisch“ mit Blick auf Griechenland, man verzeichne zarte Keime der Hoffnung. Aber für den katholischen Erzbischof von Athen haben solche Worte mit der wirklichen Lage im Land nicht viel zu tun. „Darum sage ich ja: Erst töten sie uns, und dann kommen sie, um unserer Wirtschaft wieder auf die Füße zu helfen. Fragt sich nur, für wen eigentlich. Für die Toten? Sie sollten sich erst ganz auf die Wirtschaft konzentrieren und ihr Denken ändern. Wir haben hier Leute, die hatten ein Unternehmen oder gutgehende Geschäfte, und jetzt stehen sie auf der Straße, schlafen in irgendeinem Hauseingang – ohne dass sie irgendeine Schuld träfe. Sie sind zum Müll der Gesellschaft geworden, aber ganz ohne eigene Schuld! Die Wirtschaft hat sich verändert, und niemand ist schuld daran.“

Welche Reformen schlagen Sie denn vor, Herr Erzbischof? Da muss Sevastianos Rossolatos passen – er sei kein Wirtschaftsexperte, sagt er. Wenn man nur, so findet er, irgendwie die Produktion und den Handel wieder in Gang bekäme! „Wir (Kirchenleute) versuchen zu hoffen, dass die Lage sich wieder ändern kann. Die Leute kommen nicht zu uns, weil sie von uns eine Lösung erwarten, sondern weil sie um Hilfe bitten. Was die Wirtschaft betrifft, dazu können wir nichts sagen.“

Die Aufgabe seiner kleinen Minderheitskirche besteht nach Ansicht des Erzbischofs darin, bei den Menschen zu sein und ihr Los zu teilen. „Wir stehen ja alle vor derselben Situation.“ Dann hat er aber doch noch einen Satz für die Wirtschaftspolitiker: „Die versuchen, die Währung zu stützen, die sogenannte Währungspolitik. Aber sie denken nicht an die Menschen. Dabei sind es doch die Menschen, die eine Wirtschaft zum Wachsen bringen!“ (rv)