Kardinal Capovilla: „Wir sind keine Museumswärter“

Kardinal CapovillaEs stimmt schon, allein durch die zeitliche Nähe, die wir noch zu Johannes Paul II. haben, rückt die Heiligsprechung von Johannes XXIII. etwas in den Hintergrund. Das ist noch ein Papst aus der Zeit der Schwarzweiß-Photographie, etwas entfernter vom Heute. Aber Franziskus wollte unbedingt auch Angelo Giuseppe Roncalli ins Buch der Heiligen schreiben, zeitgleich mit Johannes Paul – dafür hat er sogar auf den eigentlich nötigen Nachweis eines weiteren Wunders auf die Fürsprache von Johannes XXIII. verzichtet. Warum? Das fragten wir den Sekretär des neuen Heiligen, Loris Francesco Capovilla, schon weit über neunzig Jahre alt, und seit Februar Kardinal.

„Ich kann die Absicht des Heiligen Vaters nicht entschlüsseln. Ich weiß allerdings, dass der Heilige Vater an die Inspiration – nicht so sehr an die Worte, finde ich, aber an die Inspiration von Papst Johannes anknüpfen will, die dieser von oben bekam: alle Bischöfe, alle Ortskirchen der ganzen Welt zusammenzubringen, um sich gegenseitig zuzuhören, zu beten und nachzudenken, was wir für die Menschen unserer Zeit tun sollten. Benedikt XVI. hat das Zweite Vatikanische Konzil den „Polarstern des 21. Jahrhunderts“ genannt; er hat nicht gesagt: ‚Polarstern dieses Jahres oder des nächsten’, sondern ‚des 21. Jahrhunderts’. Das ist nicht nur ein – vergangenes – Ereignis, sondern ein Weg, und so sieht das auch Papst Franziskus, hier liegt der tiefste Berührungspunkt zu Papst Johannes. Die Kirche als Mutter, die dem Menschen von heute, Mann oder Frau, gute Ratschläge gibt, ihn aber zu nichts zwingt. Die überzeugen will, nicht drohen. Papst Franziskus kommt, wie einst Papst Johannes, im Namen Jesu – und spricht nur von Jesus.“

Capovilla, der ein gutes Dutzend Jahre an der Seite von Angelo Giuseppe Roncalli stand, nervt es noch Jahrzehnte später, wenn man Johannes XXIII. vor allem als den „papa buono“, als Papst der Güte, bezeichnet. Es gehe in Sachen Papst Johannes nicht um Nostalgie, sondern ums Vorwärtskommen.

„Ich will damit sagen: Wir sind doch nicht Wärter in einem Wallfahrtsort oder einem Museum! Das hat Papst Johannes übrigens selbst schon so gesehen. Wir sollen stattdessen einen Garten pflegen und das Anbrechen eines neuen Pfingsten vorbereiten, eines neuen Ostern, eines neuen Frühlings! Und nicht nur für unsere private Freude, sondern für die ganze Menschheit! Wir sind auf einem Weg und haben das Ziel noch lange nicht erreicht. Die Straße, die wir zurückzulegen haben, ist noch lang! Uns ist klar, dass wir einen Schatz haben – aber nicht, um ihn für uns zu behalten, sondern um ihn der ganzen Welt anzubieten. Evangelii Gaudium: das Evangelium ist eine Frohe Botschaft! Und was ist das Frohe daran? Dass ich ein Kind Gottes bin und Gott mich nicht alleinläßt.“

Wir versuchen, Kardinal Capovilla nochmal vorsichtig auf unser eigentliches Thema, nämlich auf Johannes XXIII., hinzulenken, und fragen: Wie würden Sie denn die zehn Jahre beschreiben, in denen Sie Mitarbeiter von Papst Johannes waren?

„Nein, ich war kein Mitarbeiter von Papst Johannes! Ich war nur ein kleines Rädchen, wie viele andere. Aber ich habe ihn ihm einen Mann erkannt, der von Gott gesandt war. Ich habe mich nie zu seinem Mitarbeiter aufgeworfen, erst recht nicht ihm irgendwas eingeflüstert, das wäre für mich skandalös gewesen! Ich freue mich einfach, an der Seite eines Mannes gestanden zu haben, der mit Sicherheit von Gott geführt worden ist. Das ist es. Er hat den guten Samen gesät. Er konnte nicht alles vollenden, was er in der Seele trug, aber er hat den Samen ausgestreut.“

Wie ist das für Sie, dass „Ihr“ Papst jetzt als Heiliger anerkannt ist? Was bedeutet Ihnen dieser Sonntag, 27. April?

„Das ist ein Tag im Kalender. Alle Tage im christlichen Kalender sind Feiertage. Wer glaubt, für den ist immer Feiertag, ist immer Ostern, ist immer Auferstehung. Einfach die Augen zum Himmel heben, oder sich an die Brust schlagen, nachdem man die heilige Kommunion empfangen hat, das ist schon ein großes Geschenk, ein Schatz, ein Geheimnis aus Gnade und Licht. Für uns ist immer Feiertag!“ (rv)

Heiligsprechung: Nicht nostalgisch werden!

Papst Johannes XXIII.Bald ist er heilig gesprochen: Angelo Giuseppe Roncalli, Papst Johannes XXIII. Sein Leben war von Milde und Güte gezeichnet, die Italiener nannten ihn den „Papa Buono“, den guten Papst. Kirchengeschichtlich bedeutend waren seine Initiativen zur Reform der Kirche. Dazu zählt vor allem die historische Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das 1962 bis1965 tagte und eine Veränderung und Annäherung der kirchlichen Vision an die damalige Welt zur Folge hatte.

Das betont auch Kardinal Loris Francesco Capovilla. Der heute 98-jährige Kardinal war langjähriger Privatsekretär von Papst Johannes XXIII. In einem Interview mit Radio Vatikan erklärt er, dass es Gemeinsamkeiten gibt, zwischen Papst Franziskus und Papst Johannes XXIII. Beide wollen die Kirche verändern. Papst Franziskus bringe uns die Nachricht von Jesus durch sein „Evangelii Gaudium“.

„Papst Franziskus nähert sich uns an, nimmt uns an die Hand. Er zwingt uns nicht mit ihm zu gehen – er überzeugt uns.“

Das schaffe er dank seiner Erfahrungen als Jesuit und durch seine argentinischen Wurzeln, seine Herkunft, seine Kultur. In Bezug auf die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. meint der Kardinal, es sei wichtig, nicht nostalgisch zu werden, sondern nach vorne zu blicken – auf etwas Neues, auf eine Veränderung.

„Ich meine, dass wir nicht von Heiligen, Reliquien oder Museen beschützt werden. So hat es auch Papst Johannes gesagt. Wir sind dazu berufen, einen Garten zu hüten, wo die Samen des Wortes, des fleischgewordenen Wortes wachsen. Wir sollen diesen Garten bepflanzen, die Erneuerung von Pfingsten und Ostern ermöglichen. Ein neuer Frühling. Und nicht zum eigenen Vergnügen, aber zum Vergnügen der ganzen Menschheit. Wir sind noch auf dem Weg, wir sind noch nicht auf der Hälfte des Weges angekommen. Die Straße ist noch lang.“

Das Evangelium helfe, seiner Meinung nach, die Straße zu gehen unter der Führung des neuen Papstes.

„Wie schön ist es den Papst jeden Tag zu hören, fast jeden Tag, dass Jesus niemanden zurückweist, und auf alle wartet.“

Zehn Jahre arbeitete er für Papst Johannes XXIII. und es war Capovilla immer eine Freude und Ehre. Er war ein Mann, der von Gott geführt wurde, so der Kardinal. Der Tag der Heiligsprechung am 27. April ist für ihn ein normaler Tag – aber auch ein Feiertag.

„Ein Tag in unserem Kalender, da jeder Tag im christlichen Kalender ein Feiertag ist. Für denjenigen, der glaubt ist immer Feiertag, immer Ostern, immer Auferstehung.“ (rv)