Hat Papst Franziskus 2015 einen Brief mit Vorwürfen gegen Barros erhalten?

VATIKANSTADT – Ein chilenisches Opfer sexuellen Missbrauchs hat nach eigenen Angaben im Jahr 2015 dem Papst einen Brief geschrieben, in dem er Bischof Juan Barros vorwirft, Zeuge von Missbrauch durch seinen Freund, den Priester Fernando Karadima, gewesen zu sein. Franziskus habe jedoch nichts unternommen.

Im April 2015 traf sich Marie Collins, damals Mitglied der Päpstlichen Kommission für Minderjährige des Vatikan (PCMP), zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der Kommission mit Kardinal Sean O’Malley, dem Spitzenmann des Papstes für sexuellen Missbrauch. Sie übergab dem Kardinal einen Brief von einem Opfer von Karadima, damit dieser ihm dem Papst gebe, berichtet die „Associated Press“ (AP).

Das Treffen fand nach der umstrittenen Ernennung von Barros zum Bischof von Osorno (Chile) durch Franziskus im Januar 2015 statt.

Collins sagte gegenüber der Agentur AP, O’Malley habe ihr versichert, den Brief an Papst Franziskus zu übergeben. Und der mittlerweile in den USA lebende Autor des Briefes, Juan Carlos Cruz, sagte der AP zufolge, dass O’Malley ihm 2015 zusagte: Der Brief sei Franziskus zugestellt worden.

Der achtseitige Brief – den die BBC in weiten Teilen veröffentlicht hat – teilt mit, dass Barros als junger Priester Zeuge des sexuellen Missbrauchs anderer junger Priester und Teenager durch Karadima gewesen sei, einschließlich des Küssens und Berührens von Genitalien über „unzählige Male“ – und dass er „alles vertuscht“ habe.

Cruz schreibt auch, dass Barros selbst mit Karadima sexuelle Handlungen verübt haben soll.

Karadima wurde 2011 in einem vatikanischen Prozess des sexuellen und psychischen Missbrauchs von Minderjährigen für schuldig befunden und im Alter von 84 Jahren zu einem Leben in Gebet und Einsamkeit verurteilt.

Vor wenigen Tagen erst hatte Papst Franziskus einen Experten für Kirchenrecht und Missbrauchsbekämpfung, Erzbischof Charles J. Scicluna von Malta, zum vatikanischen Delegierten ernannt, der Anschuldigungen gegen Barros untersuchen soll.

Franziskus hat Barros mehrfach vehement verteidigt, darunter beim Rückflug aus Chile am 21. Januar, als er gegenüber Journalisten erklärte, er habe keine Beweise gegen Barros gesehen. Er sagte auch:

„Wenn eine Person kommt und mir Beweise gibt, bin ich der Erste, der auf ihn hört. Wir sollten gerecht sein.“

In einer offiziellen Erklärung vom 30. Januar teilte der Vatikan mit, dass „der Papst nach einigen Informationen, die er kürzlich über den Fall von Juan de la Cruz Barros Madrid erhalten hat, Scicluna gebeten hat, nach Santiago zu reisen“, um diejenigen anzuhören, die den Wunsch geäußert haben, Informationen, die sin in ihrem Besitz haben, mitzuteilen.“

Zusätzlich zur Leitung der Diözese von Malta wurde Scicluna 2015 vom Papst dazu ernannt, das Team zu beaufsichtigen, das mit Beschwerden von Geistlichen befasst ist, die in der Kongregation für die Glaubenslehre des Missbrauchs angeklagt worden sind.

Robert Gahl, Professor für Ethik an der Päpstlichen Universität des Heiligen Kreuzes in Rom, sagte gegenüber CNA am 5. Februar, es sei nicht bekannt, ob Papst Franziskus den Brief von Cruz auch wirklich gelesen habe.

Der Fall von Karadima und Barros sei zudem insofern „etwas besonders“, da Barros zum Zeitpunkt des Missbrauchs noch kein Bischof war – daher „war seine angebliche Nichtberichterstattung keine bischöfliche Fahrlässigkeit. Trotzdem wäre eine Beihilfe, in welcher Form auch immer, ein fahrlässiges Verhalten seitens einer Person, die jetzt Bischof ist“, so der Priester und Ethik-Experte zu CNA.

Im Jahr 2015, dem gleichen Jahr, in dem der Brief an Papst Franziskus weitergegeben wurde, traf der Vatikan Maßnahmen gegen andere Kirchenbehörden, denen vorgeworfen wurde, sexuellen Missbrauch des Klerus in ihren Diözesen zu verschleiern oder nicht zu melden. Mehrere Bischöfe mussten zurückgetreten, weil sie Vorwürfe sexuellen Missbrauchs durch Geistliche nicht gemeldet oder anderweitig fahrlässig behandelt hatten. (CNA Deutsch)

(Ergänzt um 11:10 Uhr mit direkter Quellenangabe zum Briefinhalt.)

Vatikan: Papst legt hohes Tempo bei Missbrauchsbekämpfung vor

Papst FranziskusFranziskus legt in Punkto Missbrauchsbekämpfung ein schnelles Tempo vor. So kommentiert der Jesuit Pater Hans Zollner, Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, die jüngste Entscheidung des Papstes, in der Glaubenskongregation ein Tribunal einzurichten, das sich mit der Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Verantwortliche in der Kirche befassen soll. Franziskus hatte Anfang Juni einen entsprechenden Vorschlag der Kinderschutzkommission angenommen.

Der Vorschlag sei von der Kommission erst vor vier Monaten eingereicht worden, so Zollner am Mittwoch gegenüber Radio Vatikan. Dass er so schnell vom Papst abgesegnet worden sei, entspreche „nach römischer Zeitmessung Lichtgeschwindigkeit“. Die Kinderschutzkommission, die den Papst in Fragen der Missbrauchsbekämpfung berät, sei „sehr froh“ über den Vorstoß: „Das zeigt, dass Franziskus auch in diese Richtung tatsächlich dazu steht, dass er sagt, wir wollen alles tun, damit die Kirche zu einem sicheren Ort wird für Kinder und Jugendliche und für alle, die eines besonderen Schutzes bedürfen.“

Mit der Einrichtung eines solchen Tribunals sieht Zollner eine klarere Bestimmung von Unterlassungstaten im Kontext kirchlichen Missbrauchs gewährleistet, wenn auch „die Definitionen sicherlich noch verdeutlicht und schärfer gefasst werden“ müssten. Begriffe wie „Amtsmissbrauch“, „Missbrauch von Macht“ und „Gewissensmissbrauch“ seien im kirchenrechtlichen Sprachgebrauch zwar schon in Gebrauch, so der Jesuit. Insofern sei eine Ahndung solchen Fehlverhaltens auch heute schon möglich. „De facto aber ist es kaum oder gar nicht geschehen“, so Zollner. Das Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission hofft, dass der Vatikan Strafbestände im Bereich der bischöflichen Mitverantwortung noch klarer fasst: „Wir haben gute Hoffnung, dass die Dinge, die wir vorgeschlagen haben, auch weitergehen werden, und dass wir über die Definitionen dessen, was jetzt genau solche Straftaten oder Unterlassungstaten ausmacht, vielleicht schon im Herbst oder etwas später Bescheid bekommen.“

Das neue Justiztribunal soll sich laut Vatikanangaben mit der Mitverantwortlichkeit kirchlicher Verantwortungsträger bei kirchlichen Missbrauchsfällen und der Vertuschung von Missbrauchsfällen befassen und entsprechende Strafen verhängen. Dabei sollen die Fälle zunächst von der Bischofs-, der Missions- und der Ostkirchenkongregation untersucht und Verdachtsfälle bestätigt werden, bevor es zur Gerichtsverhandlung in der Glaubenskongregation kommt. Ein Zeitpunkt für die Einrichtung der Stelle ist noch nicht bekannt gemacht worden. (rv)