Gegen die Mafia: Es darf keine Kirche des Schweigens geben

MafiaMafia-Killer, die sich vor Heiligenbildchen bekreuzen. Mafia-Paten, die in sizilianischen Dorfkirchen auch den Tauf-Paten machen. Mafia und Kirche, das wird gern zusammengesehen, als gehe da eines ins andere über. Dabei passen die beiden Bereiche keineswegs zueinander: „Die Mafia ist das Anti-Evangelium“, titelt ein Buch, das die Bischöfe von Kalabrien jetzt veröffentlicht haben. Es präsentiert kirchliche Stellungnahmen aus hundert Jahren gegen die ’ndrangheta (wie die Mafia in dieser süditalienischen Provinz heißt). „Wir wollen unsere Religiösität reinigen“, schreibt der Erzbischof von Catanzaro, Vincenzo Bertolone, im Vorwort durchaus selbstkritisch; doch zugleich schlägt er auch einen selbstbewussten Ton an: „Die Kirche hat das Gegengift zum Gift der Mafia! Es reicht nicht, anzuzeigen oder zu bestrafen, wir müssen das Evangelium noch mal von vorne verkünden.“

„Die Männer und Frauen der Mafia, der Camorra oder ’ndrangheta stehen außerhalb der Kirche“, erklärt Bertolone, der auch Vorsitzender der Kalabrischen Bischofskonferenz ist, im Radio Vatikan Interview. „Aber gleichzeitig nehmen sie doch am Leben der christlichen Gemeinde teil, gehen bei Prozessionen mit, wollen Taufpaten sein, bitten für ihre Kinder um die Sakramente. Dadurch äffen sie den wahren Glauben nach und wirken innerhalb der Kirche wie ein Gift – wie Unkraut mitten im Weizenfeld… Die Kirche muss den Christen helfen, den Ansprüchen und Forderungen der Mafia niemals nachzugeben, sondern eher ihre Pseudoreligiösität und ihr heidnisches Handeln zu demaskieren.“

Es dürfe jetzt keine Kirche des Schweigens mehr geben, sondern nur noch eine Kirche, die den Mund aufmache. Und dazu gehöre das neue Handbuch. „Hundert Jahre Dokumente! Vor der Wende des Zweiten Vatikanums sprachen viele noch davon, dass die Kirche bestimmte Phänomene ignoriere. Aber nach dem Konzil lud die Kirche in aller Deutlichkeit zum Einhalten der menschlichen und göttlichen Gesetze ein, um das Evangelium leben zu können. 1991 forderte ein sehr schönes, starkes Dokument die „Erziehung zur Legalität“; das war ein Alarmschrei für Italien, und kurz darauf zeigte Tangentopoli, dass dieser Text recht hatte.“ Tangentopoli: Dieser italienische Begriff steht für die Aufdeckung eines parteiübergreifenden Geflechts von Schmiergeld und Korruption, die der jahrzehntelangen Vorherrschaft der Christdemokraten in Italiens Politik Mitte der neunziger Jahre ein Ende machte (und dem Aufsteiger Silvio Berlusconi den Weg freimachte).

Aus der Fastenzeit 1916 stammt das erste Dokument, welches das neue Buch anführt. „Dieser gemeinsame Hirtenbrief der Bischöfe Kalabriens ist genau hundert Jahre alt und legte die Grundlage für eine Katechese der Reinigung der Volksfrömmigkeit. Als Schwachpunkte wurden die Prozessionen, die Rolle der Paten, aber auch die unzureichende Ausbildung des Klerus benannt – Themen, die auch in den späteren Texten immer wieder auftauchen… Es ist interessant, zu sehen, wie die Geschichte dieses Einsatzes der Bischöfe uns die Herausbildung eines eigenen sozialen Lehramts der Bischöfe miterleben lässt. Natürlich – so viel ist gesagt und geschrieben worden, aber viel bleibt auch noch zu tun. Um Priesteramtskandidaten auszubilden, hat die Bischofskonferenz eigene Kurse eingerichtet, auch für den Klerus und die Gläubigen. Uns geht es um Menschen, die wirklich Zeugen Christi sind: gläubig, kohärent, glaubwürdig.“

Ein gewisses „mafiöses System“ hat es in Kalabrien „immer schon gegeben“, zumindest von den Jahren der italienischen Einigung an, sagt Don Giovanni Scarpino; der Geistliche leitet das Kultur- und Medienreferat der kalabrischen Bischöfe und hat die Texte des Buches mit ausgesucht. Die mafiösen Strukturen – „eine traurige, bittere Realität“ – bemühten sich immer um Anerkennung aus der Gesellschaft, darum bedienten sie sich gern kirchlicher Ereignisse und Feste. Die Antwort der Kirche darauf werde immer entschlossener: Auch das lasse sich im neuen Buch detailliert nachvollziehen. (rv)