Premiere: Eine ökumenische Doppel-Audienz

Es war ein besonderer Moment für die Ökumene: Eine Delegation der evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) war an diesem Montag bei Papst Franziskus zu Gast – und der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, nahm ebenfalls an der Papstaudienz teil. Eine Premiere und ein Highlight des Jahres, in dem an den Beginn der Reformation vor fünfhundert Jahren erinnert wird.

Franziskus würdigte in seiner Ansprache die „langjährige Zusammenarbeit“ und „gereifte ökumenische Beziehung“ der deutschen Kirchen. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie auf diesem segensreichen Weg des geschwisterlichen Miteinanders vorankommen und mutig und entschlossen auf eine immer vollkommenere Einheit hin fortschreiten. Wir haben die gleiche Taufe: Wir müssen zusammen gehen, ohne müde zu werden!“

Es sei „bedeutsam“, dass sich evangelische und katholische Christen im Jahr des Reformationsgedenkens vorgenommen hätten, „Christus erneut ins Zentrum ihrer Beziehungen zu stellen“, sagte der Papst. Martin Luthers Frage nach dem gnädigen Gott sei – damit zitierte er seinen Vorgänger Benedikt XVI. – „die tiefe Leidenschaft und Triebfeder“ von Luthers Denken und Handeln gewesen. „Was die Reformatoren beseelte und beunruhigte, war im Grunde der Wunsch, den Weg zu Christus zu weisen. Das muss uns auch heute am Herzen liegen, nachdem wir dank Gottes Hilfe wieder einen gemeinsamen Weg eingeschlagen haben.“

„Nicht grollend auf die Vergangenheit schauen“

Das Gedenkjahr biete die Chance, „einen weiteren Schritt vorwärts zu tun“, fuhr Franziskus fort. Statt „grollend auf die Vergangenheit zu schauen“, sollten die Kirchen „den Menschen unserer Zeit wieder die radikale Neuheit Jesu und die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes vor Augen stellen“. Das sei doch „genau das, was die Reformatoren in ihrer Zeit anregen wollten“.

„Dass ihr Ruf zur Erneuerung Entwicklungen auslöste, die zu Spaltungen unter den Christen führten, war wirklich tragisch. Die Gläubigen erlebten einander nicht mehr als Brüder und Schwestern im Glauben, sondern als Gegner und Konkurrenten. Allzu lange haben sie Feindseligkeiten gehegt und sich in Kämpfe verbissen, die durch politische Interessen und durch Machtstreben genährt wurden…“

Zum Glück sei das heute vorbei, urteilte Papst Franziskus. Allerdings müsse man die schmerzhafte Vergangenheit „in Demut und mit Freimut angehen“; darum sei es richtig, dass die Kirchen bald einen Buß- und Versöhnungsgottesdienst feiern wollten, um die „Erinnerung zu heilen“.

„So werden Sie – Katholiken und Protestanten in Deutschland – betend auf den starken Ruf antworten können, den Sie im Ursprungsland der Reformation gemeinsam vernehmen: in Gott das Gedächtnis zu reinigen, um innerlich erneuert und vom Heiligen Geist ausgesandt, dem Menschen von heute Jesus zu bringen.“

Der Papst lobte die gemeinsamen Initiativen von EKD und katholischer Kirche in Deutschland im Jahr des Reformationsgedenkens. Dabei erwähnte er u.a. die gemeinsame Pilgerreise von Bischöfen verschiedener Konfessionen ins Heilige Land. „Mögen die Wiederentdeckung der gemeinsamen Glaubensquellen, die Heilung der Erinnerung in Gebet und Nächstenliebe sowie die praktische Zusammenarbeit bei der Verbreitung des Evangeliums und dem Dienst an den Mitmenschen Impulse sein, um noch rascher auf dem Weg voranzukommen!“

„Wir wissen die Gaben der Reformation zu schätzen“

Jahrzehnte des „ökumenischen Miteinanders“ in Deutschland haben nach Ansicht des Papstes eine „geistliche Verbundenheit gefestigt“. Das mache es heute möglich, „das beiderseitige Versagen an der Einheit im Kontext der Reformation und der nachfolgenden Entwicklungen heute gemeinsam zu beklagen“. „Zugleich wissen wir – in der Wirklichkeit der einen Taufe, die uns zu Brüdern und Schwestern macht, und im gemeinsamen Hören auf den Geist – in einer bereits versöhnten Verschiedenheit die geistlichen und theologischen Gaben zu schätzen, die wir von der Reformation empfangen haben.“

Versöhnte Verschiedenheit ist eine Formulierung des reformierten Theologen und Konzils-Beobachters Oscar Cullmann, die das Ziel einer christlichen Einheit beschreibt. Der Lutherische Weltbund hat sich die „versöhnte Verschiedenheit“ als ökumenisches Leitbild auf die Fahnen geschrieben, und Franziskus hat sich schon in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires dazu bekannt.

Der Papst erinnerte an seine Teilnahme am Start des offiziellen Reformations-Gedenkjahres im schwedischen Lund Ende Oktober letzten Jahres. Er habe dort „für die Vergangenheit um Vergebung gebeten“, erinnerte er. „Für die Zukunft möchte ich unsere unwiderrufliche Verpflichtung bekräftigen, gemeinsam das Evangelium zu bezeugen und auf dem Weg zur vollen Einheit voranzuschreiten. Indem wir dies gemeinsam tun, kommt auch der Wunsch auf, neue Wege einzuschlagen. Immer mehr lernen wir, uns zu fragen: Können wir diese Initiative mit unseren Brüdern und Schwestern in Christus teilen? Können wir zusammen eine weitere Wegstrecke zurücklegen?“

„Dialog und Zusammenarbeit intensivieren“

Auf den Wunsch vieler Christen, vor allem konfessionsverschiedener Ehepaare, nach einer eucharistischen Gastfreundschaft (Interkommunion) ging Franziskus nicht ausdrücklich ein. Er erwähnte aber die „weiter bestehenden Differenzen in Fragen des Glaubens und der Ethik“, die eine „sichtbare Einheit“ immer noch blockierten – zum Frust vieler Gläubiger.

„Der Schmerz wird besonders von den Eheleuten empfunden, die verschiedenen Konfessionen angehören. Besonnen müssen wir uns mit inständigem Gebet und all unseren Kräften darum bemühen, die noch bestehenden Hindernisse zu überwinden durch eine Intensivierung des theologischen Dialogs und durch eine Stärkung der praktischen Zusammenarbeit unter uns, vor allem im Dienst an denen, die am meisten leiden, und in der Fürsorge für die bedrohte Schöpfung.“

Zum Abschluss der Audienz betete der Papst mit seinen Besuchern aus Deutschland ein Vaterunser: auch das ein Zeichen dafür, was schon geht unter Christen verschiedener Konfessionen. (rv)

Der neue EKD-Ratsvorsitzende im Gespräch

EKDDer bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ist am Dienstag zum neuen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands gewählt worden. Im Wocheninterview von Radio Vatikan spricht er von seinem Fokus auf digitale Medien, worin er die Herausforderungen der Kirche sieht und was er sich unter Ökumene vorstellt:

„Für mich ist die Ökumene eine ganz zentrale Dimension des christlichen Glaubens und eben auch der Kirche. Paulus fragt im ersten Korintherbrief: ‚Ist Christus etwa zerteilt?‘ Und die Antwort auf diese Frag ist ganz klar. Nein, Christus ist nicht zerteilt! Deswegen ist für uns als Kirche natürlich auch immer der Horizont so, dass wir die eine Kirche Jesu Christu auch sichtbar machen sollen. Davon sind wir jetzt noch entfernt, und diese Wunde muss uns schmerzen. Deswegen ist Engagement für die Kirche auch immer Engagement für die Ökumene. Was heißt Ökumene? Für mich ist Ökumene geprägt von der Vorstellung der ‚versöhnten Verschiedenheit‘. Wir können als Kirchen unterschiedliche Profile haben, solange wir von dem einen Herren Jesus Christus geprägt werden. Deswegen muss nicht alles gleich sein. Wir müssen nicht eine Einheitskirche haben. Aber wir müssen klar um Christus herum geprägt sein. Das ist mein Kern! Ich freue mich sehr, dass der Papst in einigen Aussagen der jüngeren Vergangenheit auch selbst diese Vorstellung von der versöhnten Verschiedenheit erwähnt hat. Das macht mir Hoffnung, dass wir da vielleicht auch in der konkreten Umsetzung der Ökumene weiterkommen werden.“

Heißt das, Sie wollen die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Konfessionen sehen und nicht die Unterschiede?

„Ich glaube in der Tat, dass es nicht darum gehen kann, dass wir den Konfessionalismus verstärken, dass wir die Profilierung so verstehen, dass sie auf Kosten der anderen gehen muss, also eine Identität durch Abgrenzung gewinnen. Sondern Identität kommt immer von der Quelle der Identität, und die ist glasklar, die Quelle der Identität ist Christus – und Christus ist die Quelle der Identität aller Konfessionen! Wenn wir also wirklich auf Christus hören, dann wird uns das zusammenführen, davon bin ich fest überzeugt. Und in der konkreten Umsetzung heißt es, dass wir überlegen müssen: Wie verstehen wir die jeweiligen Dinge, und warum verstehen wir sie unterschiedlich? Und vor allem auch: Ist das, was uns da an unterschiedlichem Verständnis mitprägt, etwas Kirchentrennendes oder eben nicht? Ein Beispiel dafür, wie wir da wirklich vorangekommen sind, ist die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999. Das war ein Riesenschritt, denn wir haben als Lutherischer Weltbund und als Vatikan erklären können, dass die unterschiedlichen Verständnisse der Rechtfertigungslehre nicht mehr kirchentrennend sind. Und wir haben die Taufe wechselseitig anerkannt! Also, wir sind da schon wichtige Schritte gegangen, und insofern ist meine Hoffnung, dass wir auf diesem Weg weitergehen können. Natürlich ist meine große Hoffnung, dass wir am Tisch des Herren zusammen Abendmahl feiern können.“

Wenn wir in die Zukunft sehen, dann sehen wir das Reformationsjubiläumsjahr 2017. Wie wollen Sie nun die Katholiken von dieser Feierlichkeit überzeugen?

„Für mich ist das ein wunderbares Fest, das große Reformationsjubiläum 2017. 500 Jahre Reformation: ein weltgeschichtliches Ereignis, das man nur einmal im Leben erlebt. Wir wollen es als großes Glaubensfest, als großes Christusfest feiern. Und wenn ich es so einführe, dann ist damit schon ganz klargestellt, dass wir das in einem ökumenischen Horizont feiern wollen. Nicht als lutherisches Heldengedenken oder als protestantische Selbstbeweihräucherung, sondern als großes Christusfest – und der Grund dafür, warum ich davon überzeugt bin, dass wir es auf diese Weise am besten feiern können, ist Martin Luther selbst. Denn Martin Luther wollte mit seiner Reformation neu auf Christus hinweisen, um nichts anderes ist es ihm gegangen! Und wenn Katholiken lieber von Reformationsgedenken sprechen, habe ich kein Problem damit. Denn es ist beides. Es ist ein Jubiläum, um eine Tradition zu feiern, die nicht nur den Evangelischen viel neuen Schwung gebracht hat, sondern auch die katholische Kirche verändert hat. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch verbunden mit Konfessionskriegen, die auf beiden Seiten ungeheure Opfer gefordert haben und die barbarische Gewalt haben walten lassen, und da müssen wir auch Buße tun, als unterschiedliche Konfessionen, und müssen ausdrücklich auch die Kraft der Versöhnung sprechen lassen. Und das wollen wir auch mit einem entsprechenden Gottesdienst tun.“

Sie haben auch schon in einem Statement angekündigt, dass Sie sich vor allem dem Schwerpunkthema „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“ widmen wollen. Wie stellen Sie sich diese Kommunikation konkret vor?

„Natürlich ist das nur einer der vielen Punkten, die wichtig sind, wenn wir darüber nachdenken, wie wir das Evangelium kraftvoll zur Geltung bringen können. Aber ich denke schon, dass es ein wichtiger Punkt ist. Die Lebenswelt hat sich verändert. Immer mehr Menschen verbringen mehr Zeit im Internet, in der digitalen Welt. Ich möchte, dass wir als Kirche dort dabei sind. Ich möchte, dass wir in der Lebenswelt der Menschen präsent sind, und da gibt es praktische Mittel. Wir können uns in den sozialen Medien beteiligen. Das ist so ein Punkt, den ich persönlich auch eingegangen bin. Also Facebook, Twitter – wo die Menschen im Internet miteinander in Kontakt kommen.“

Welche Aufgabe ist die größte Herausforderung der Kirche, welche Hindernisse muss sie überwinden?

„Ich glaube, die größte Herausforderung ist die junge Generation. Wir haben gerade eine große Kirchenmitgliedschaft-Umfrage gemacht, und was mich am meisten alarmiert hat, war der Befund, dass das Glaubenswissen nur noch zu einem recht geringen Teil weitergegeben wird. Die Frage ist: Wie können wir es schaffen, junge Leute für das Evangelium zu begeistern? Ich bin überzeugt davon, dass das Potenzial groß ist, weil junge Leute solche Fragen haben. Das kann man im Religionsunterricht tun, in der Trägerschaft für Kindertagesstätten oder eben auch in den Medien, die junge Menschen am meisten nutzen. Das ist eben auch ein Grund, warum ich selbst als Landesbischof auf Facebook bin.“ (rv)

D: Delegation der EKD in Rom auf den Spuren von Martin Luther

Im Rahmen der Gebetswoche für die Einheit der Christen begibt sich eine Delegation der Evangelischen Kirche Deutschlands in Rom auf die Spuren Martin Luthers. Sie erinnert damit an das 500. Jubiläum des Besuchs des Reformators, der Rom im Winter 1510/11 besuchte. Die neunzehnköpfige Delegation wird angeführt vom lutherischen Bischof von Bayern, Johannes Friedrich, und vom lutherischen Bischof von Braunschweig, Friedrich Weber, der für die Beziehungen zur katholischen Kirche zuständig ist. Am Abend des 23. Januars findet in der Basilika Paul vor den Mauern eine Zeremonie statt, an der auch der neue Ökumene-Verantwortliche des Vatikans, Kardinal Kurt Koch, teilnimmt. Als Zeichen der Bruderschaft mit der lutherischen Wirkungsstätte Wittenberg soll bei dieser Gelegenheit soll ein Baum gepflanzt werden. Danach folgt ein Wortgottesdienst in der Basilika. Für den 24. Januar ist eine Audienz bei Papst Benedikt XVI. vorgesehen. (rv)

ÖKT: Appell an Geist der Ökumene

Einen Tag vor Beginn des Ökumenischen Kirchentages (ÖKT) haben die Spitzen von Staat und Kirchen in Deutschland die Nähe der christlichen Konfessionen hervorgehoben. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bezeichnete den „Weg des ökumenischen Miteinanders“ als „unumkehrbar“. Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, würdigte den ÖKT, der in München stattfinden wird, als wichtigen Impuls für das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken. Bundespräsident Horst Köhler appellierte an den Willen der Kirchen zu weiterer Annäherung in der Abendmahlfrage.
In der Münchner Innenstadt findet am Mittwochabend nach dem Eröffnungsgottesdienst auf der Theresienwiese der „Abend der Begegnung“ statt. Dazu erhofft sich der Ordinariatsrat und ÖKT-Beauftragte des Erzbistums München-Freising, Armin Wouters, einen wichtigen Impuls für die kommenden Tage.
„Ich glaube, der Impuls kann von diesem Begegnungsabend dahin ausgehen, dass Christen tatkräftig in unseren Orten mithelfen. Wir brauchen aktive Menschen, die etwas anpacken wollen. Der Kirchentag insgesamt wird zeigen, dass Christen Menschen sind, die mit Verstand und Herz etwas bedenken und durchdenken. Sie tragen dazu bei, dass die Gesellschaft menschwürdig gestaltet wird.“
Das Mitglied der Projektkommission „Abend der Begegnung“ äußerte sich uns gegenüber auch über die Abendmahlspolemik, die bereits beim ersten ÖKT in Berlin ein Thema gewesen war.
„Wir müssen festhalten, dass beim ersten ÖKT kein offizielles gemeinsames Abendmahl stattfand – und das wird auch hier in München nicht der Fall sein. Wir wissen aber, dass ein Wunsch und Bedürfnis dazu durchaus da ist. Ein zu beachtender Aspekt ist beispielsweise das orthodoxe Fest am Freitagabend… Und es ist erlebbar in den Gottesdiensten. Wenn man die geistlichen Angebote des ÖKT wahrnimmt, dann gibt es eine ganze Bandbreite davon.“
Linn Rother, Projektleiterin des „Abends der Begegnung“ in der Geschäftsstelle des 2. ÖKT, stellt uns das Treffen genauer vor.
„Die Besucher können an diesem Begegnungsabend mit einem ganz bunten Programm rechnen. Es soll nicht nur die Verpflegung im Vordergrund stehen, sondern vor allem das Vorstellen der eigenen Arbeit und Region. Die Jugendverbände präsentieren sich mit Mitmachaktionen. Der Besucher kann ganz lebensnah erfahren, wie kirchliche Arbeit heute aussehen kann.“ (rv)

D: Bedauern über Käßmanns Rücktritt

Mit Bedauern und Respekt haben katholische und evangelische Kirchenvertreter den Rücktritt von Margot Käßmann aufgenommen. Die 51-jährige Theologin trat am Mittwochnachmittag mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurück. Zugleich legte sie mit sofortiger Wirkung ihr Amt als hannoversche Landesbischöfin nieder. In der Pressekonferenz in Hannover sagte Käßmann:
„Ich war mehr als 10 Jahre mit Leib und Seele Bischöfin und habe all meine Kraft in diese Aufgabe gegeben. Ich bleibe Pastorin der hannoverschen Landeskirche. Ich habe 25 Jahre nach meiner Ordination vielfältige Erfahrungen gesammelt, die ich gern an anderer Stelle einbringen werde."
Die Spitzen der evangelischen Kirche hatten sich noch am Mittwochmorgen hinter Käßmann gestellt. Darunter auch Nikolaus Schneider, der Präses der rheinischen Landeskirche. Er wird als Käßmanns Stellvertreter die Amtsgeschäfte zunächst kommissarisch weiterführen, wie die evangelische Kirche mitteilte. Im Interview mit dem Kölner Domradio sagte er:
„Ich bin wirklich betroffen, denn wir haben eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in dieser beginnenden Amtsperiode von Frau Käßmann und mit mir als ihrem Stellvertreter entwickelt. Einmütig hatte wir ihr gesagt: Wir sprechen dir das Vertrauen aus und du wirst die richtige Entscheidung treffen. Weit überwiegend haben wir gesagt: Wir wollen und können mit dir auch weiterarbeiten als Ratsvorsitzende."
Auch der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, drückte am Mittwochnachmittag sein Bedauern über Käßmanns Rücktritt aus. Ihn erreichte die Nachricht auf der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Oberhirten in Freiburg.
„Ich kenne Frau Käßmann als einen Menschen, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und der sich seiner Aufgabe stets gestellt hat. Ich kann ihre Gründe verstehen, respektiere ihre Entscheidung und wünsche Ihr in dieser ganz und gar nicht leichten Situation viel Kraft und Gottes Segen."
Ein Nachfolger für die zurückgetretene EKD-Ratsvorsitzende wird voraussichtlich auf einer Synode im November gewählt. Ob der 62-jährige Schneider für die gesamte sechsjährige Amtsperiode als Ratsvorsitzender in Frage kommt, ist noch unklar. Er geht in drei Jahren in Ruhestand. Zollitsch erhofft sich von der neuen EKD-Führung eine Fortsetzung der bisherigen Linie:
„Es ist ja nun Sache des Rates, die neue oder den neuen Vorsitzende/n zu wählen. Ich gehe davon aus, dass der oder die Neue wie Frau Käßmann auch interessiert ist an der ökumenischen Zusammenarbeit. Und ich bin natürlich auch gespannt, wer mein neuer Gesprächspartner sein wird – wir werden diese Linie fortsetzen."
Überzeugungskraft eingebüßt
Margot Käßmann weiß, was sie tut. Die hohen Ansprüche, die sie in unbequemen und oftmals kontroversen Stellungsnahmen immer wieder öffentlich vorbrachte, stellt sie auch an sich selbst. Nach eigenem Verständnis ist ihr Rücktritt deshalb konsequent. Auf der Pressekonferenz erklärte Käßmann:
„Mir geht es neben dem Amt auch um Respekt und Achtung vor mir selbst und um meine Gradlinigkeit, die mir viel bedeutet. – Am vergangenen Samstagabend habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Aber auch wenn ich ihn bereue, und mir alle Vorwürfe, die in dieser Situation berechtigterweise zu machen sind, immer wieder selbst gemacht habe, kann und will ich nicht darüber hinweg sehen, dass das Amt und meine Autorität als Landesbischöfin sowie als Ratsvorsitzende beschädigt sind. Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so wie ich sie hatte. Die harsche Kritik etwa an einem Predigtzitat wie ‚Nichts ist gut in Afghanistan‛ ist nur durchzuhalten, wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird."
Wo es manch ein Verantwortlicher nach Fehlverhalten mit einem formellen Rücktritt hätte gut sein lassen, ging Margot Käßmann mit sich selber öffentlich ins Gericht. Dazu ihr Stellvertreter, Präses Nikolas Schneider:
„In der von ihr bekannten Klarheit und Direktheit und Geradlinigkeit Stellung zu nehmen, auch manchmal zu provozieren, auch Leute mit harscher Kritik zu bedenken, diese Freiheit hat sie nicht mehr für sich gesehen und das war wohl der Grund."
Öffentlicher Druck
„Antiökumenische Untertöne" hatte der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Stefan Vesper, in der Debatte um die Alkoholfahrt der ehemaligen evangelischen Landesbischöfin kritisiert. Käßmann war am Samstagabend in Hannover mit 1,54 Promille Alkohol im Blut von Polizisten am Steuer ihres Dienstwagens gestoppt worden. „Schadenfreude und Häme treffen uns alle", sagte Vesper am Mittwoch in Passau. Zollitsch ging in seiner Stellungnahme auch auf die Kritik an der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden ein.
„Ich habe den Eindruck, dass das, was tatsächlich darüber geschrieben und gesagt wurde, sie dazu bewogen hat, zu sagen: Also das geht über meine Kräfte hinaus, dann gebe ich lieber diese Aufgabe auf. Denn sie wäre wahrscheinlich nie davon weggekommen, dass Menschen immer wieder versucht hätten, sie daran zu erinnern. Und das bedaure ich."
Präses Schneider wertet den Umgang der Öffentlichkeit mit den Vorfällen im Großen und Ganzen als „fair". Seiner Meinung nach hätte Käßmann trotz ihrer Alkoholfahrt weitermachen können. Er selbst habe ihr dies in einem persönlichen Gespräch auch unterbreitet, sagte Präses Schneider dem Kölner Domradio.
„Eine Bischöfin und eine Ratsvorsitzende sind eine sehr herausgehobene Position. Sie redet mit einem hohen ethischen Anspruch und wird natürlich an diesem hohen ethischen Anspruch auch gemessen. Und wenn man sich das klar macht, dann ist die Öffentlichkeit weit überwiegend ausgesprochen fair mit ihr umgegangen und hat ihr angedeutet, dass sie diese Chancen für sie sieht." (rv)