„Eine neue Dimension des politischen Aufstiegs des Papsttums“

VATIKANSTADT – „Der politische Aufstieg des Papsttums: Mobilisierung, Medien und die Macht der modernen Päpste“ war das nicht nur aus aktuellen Gründen spannende Thema einer Tagung am Campo Santo Teutonico.

Einer der Redner war der renommierte Autor und Vatikanist Ulrich Nersinger, bekannt auch aus mehreren Sendungen bei EWTN – Katholisches Fernsehen. Im Interview mit CNA sprach er über die Rolle von Papst Franziskus – und warum Eisenbahnen zeigen, dass die Kirche in Jahrhunderten denkt.

CNA: Herr Nersinger, leben wir in einem Zeitalter politischen Aufstiegs des Papsttums? Wie bewerten Sie das Motto der Tagung?

ULRICH NERSINGER: Zeitgleich zur Tagung fanden zwei Großereignisse statt: Das eine nur wenige Schritte von uns entfernt, das Zusammentreffen des Heiligen Vaters mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union; und einen Tag später der Besuch von Papst Franziskus in Mailand. Eine gelungenere Illustrierung und Aktualisierung des Themas, das der Tagung gegeben war, hätte man sich wahrhaftig nicht vorstellen können. In der Sala Regia des Apostolischen Palastes kam von sich aus – wohlgemerkt nicht geladen – die politische Führungsmanschaft unseres Kontinents mit dem Herrscher des kleinsten Staates der Erde zusammen, um von ihm Unterstützung für das Projekt Europa zu erhalten – man darf hier wohl zu Recht von einem fortdauernden, ja neue Dimensionen erreichenden politischen Aufstieg des Papsttums sprechen. Und in der vermutlich bedeutendsten Erzdiözese Norditaliens wurde der Welt – nicht nur der katholischen – überdeutlich vor Augen geführt, wie auch heute noch das Oberhaupt der Katholischen Kirche die Massen für sich zu mobilisieren vermag.

Wir haben es ja nicht nur mit „Soft Power“ zu tun – wie jüngst im Fall der Malteser geschehen. Wie sicher ist der Status des Vatikans, des Heiligen Stuhls auf dem internationalen Parkett heute?

Ihre Frage wurde mir auch auf der Tagung gestellt. So verwies man auf die Verletzbarkeit des neutralen Vatikanstaates im Zweiten Weltkrieg hin. Sowohl der Vatikanstaat wie auch der Heilige Stuhl – aus völkerrechtlicher Sicht sind dies zwei verschiedene Subjekte, wenn auch der „Chef“ beider derselbe, das heißt der Papst, ist – erfreuen sich heute der Anerkennung von so gut wie allen Staaten der Erde und pflegen mit diesen diplomatische Beziehungen. Doch die Geschichte lehrt uns, dass auf der Bühne der internationalen Politik nichts absolut gesichert und ewig ist. In unseren Tagen versuchen manche Strömungen, besonders glaubensfeindliche Ideologien der westlichen Hemisphäre, den Einfluss des Christentums und auch den anderer Religionen zurückzudrängen, ja sogar diese zu bekämpfen und zu eliminieren. Daher ist ein unentwegter Einsatz des Papsttums für die eigenen Gläubigen und alle Menschen guten Willens so wichtig und nötig. Dass heißt für den Papst, klar und deutlich Präsenz in der Welt zu zeigen.

Sie selber sprachen über Eisenbahnen nach Rom. Was können wir über diese „stählernen Pilgerwege“ im digitalen Zeitalter lernen?

Sehr viel! Sie vermitteln uns etwas von der Entschlossenheit, aber auch der Weitsicht des Papsttums. Pius IX. (1846-1878) schuf in den Päpstlichen Staaten „stählerne Pilgerwege“ um „den Gläubigen Gelegenheit zu bieten, zu den Gräbern der Apostelfürsten zu wallfahren und beim Statthalter Christi Trost und Erhebung zu suchen“. Als sich der Heilige Vater nach der Einnahme Roms in den Apostolischen Palast bei Sankt Peter als freiwilliger „Gefangener des Vatikans“ zurückzog, hinterließ er ein durch seine Person erwirktes und geschaffenes Eisenbahnnetz, das ihm und seinen Nachfolgern eine kaum zu überschätzende Grundlage gab, um mit den Katholiken in aller Welt persönlich, unmittelbar und dauerhaft bis in unsere Tage hinein in Kontakt zu treten und zu bleiben. Die Isolation durch den Verlust territorialer Souveränität im Jahre 1870 wurde durch das Strömen gewaltiger Pilgermassen nach Rom in beeindruckender Weise für jedermann sichtbar durchbrochen und zu einem wahren Triumph des Papsttums.

In den letzten Jahrzehnten mussten sich die Eisenbahnen vermehrt den Transport von Rompilgern mit Reisebussen und Fluggesellschaften teilen. Kurz vor der Jahrtausendwende bescherten Billigflieger all jenen, die eine Fahrt in die Ewige Stadt erwogen, eine beinahe konkurrenzlose, preislich nicht mehr zu unterbietende Alternative zum Verreisen auf Schienen. Romfahrten mit der Eisenbahn sind dennoch eine Option geblieben. Ihre (kirchen-)geschichtliche Dimension ist den meisten der außeritalienischen Bahnreisenden, Touristen wie Pilgern, verborgen. Dass Zugfahrten nach Rom nicht unwesentlich dem am 3. September 2000 von Johannes Paul II. (1978-2005) seliggesprochenen Pius IX. zu verdanken sind, entzieht sich leider in der Regel ihrer Kenntnis – ist aber eine unumstößliche Tatsache. Die „stählernen Pilgerwege“ nach Rom zeigen auch auf, dass die Kirche bekanntlich nicht in Jahren und Jahrzehnten denkt, sondern in Jahrhunderten. (CNA Deutsch)