„Im Licht der Tradition“: Regensburger Bischof legt Handreichung zu Amoris Laetitia vor

REGENSBURG – Mit einer „Handreichung für die Seelsorge mit wiederverheirateten Geschiedenen“ hat sich der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer an Betroffene und Seelsorger seiner Diözese gewandt.

Geschiedene Wiederverheiratete müssen im Bistum Regensburg auch weiterhin enthaltsam „wie Bruder und Schwester“ leben, wenn sie zur Kommunion zugelassen werden wollen. Doch auch sie werden nach wie vor somit nicht ausgeschlossen, sondern gehören zur Kirche, und sollten die Messe besuchen und sich gegebenenfalls segnen lassen, stellt Bischof Rudolf Voderholzer in seiner differenzierten Handreichung klar.

Auch an die päpstliche Absage jeder Form der Gender-Theorie in Amoris Laetitia erinnert der Regensburger Oberhirte.

CNA dokumentiert den Wortlaut der Textes, wie ihn das Bistum veröffentlicht hat:

Diözesane Handreichung für die Seelsorge mit wiederverheirateten Geschiedenen

Im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ (AL) stellt Papst Franziskus die Größe und den Reichtum des Ehesakramentes, das Christus der Kirche als Abbild seiner Liebe geschenkt hat, heraus und gibt zahlreiche Orientierungen und Anregungen für eine bessere Ehevorbereitung und Begleitung von Ehepaaren. In wahrhaft erfrischenden und werbenden Worten erneuert Papst Franziskus die katholische Ehelehre, wie sie im Zeugnis der Schrift und der Überlieferung grundgelegt ist. Dies schließt auch eine eindeutige Absage an diejenige Form der Gender-Theorie ein, die nicht das Anliegen verbindet, mehr Geschlechtergerechtigkeit anzustreben, sondern durch die Trennung von biologischem Geschlecht („sex“) und sozial erworbenen Geschlechterrollen („gender“) die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen in der Dualität von Mann und Frau in Frage stellt (vgl. AL 56).

Ebenso wichtig wird es sein, dass wir – so der Papst – „die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern“ (AL, Überschrift Kapitel 8). Auch wenn die Kapitel zur Ehevorbereitung und –begleitung alle Beachtung verdienen und in unserer Diözese auch Anlass zur kritischen Selbstreflexion sein werden, ist in Bezug auf das achte Kapitel von AL nicht nur in den Medien, sondern auch innerhalb der Kirche die Frage virulent diskutiert worden, ob – und wenn ja, unter welchen Bedingungen – wiederverheiratete Geschiedene die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie empfangen können. Der Papst betont dabei, „dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte. Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle“ (AL 300).

Die deutschen Bischöfe haben dazu vor kurzem einige allgemeine Erläuterungen gegeben („Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche“. Einladung zu einer erneuerten Ehe- und Familienpastoral, Wort der deutschen Bischöfe vom 01.02.2017). Die vorliegende diözesane Handreichung – AL spricht von notwendigen „Richtlinien des Bischofs“ (300) – soll nun den Priestern und allen, die in unserer Diözese mit der Seelsorge betraut sind, sowie den betroffenen Frauen und Männern eine solche Ermutigung und Orientierung sein, wie wir all diese Anregungen konkret und verantwortungsvoll umsetzen können. Dabei sind wir geleitet von der Überzeugung, dass in diesen für das Leben der Kirche so entscheidenden Feldern der Ehe, der Buße und der Eucharistie ein einheitliches Vorgehen unabdingbar ist für die Fruchtbarkeit dieser seelsorglichen Bemühungen.

Im Folgenden werden nun im Licht des Evangeliums und der Tradition der Kirche einige Weisungen zur Umsetzung von AL für die Seelsorge mit wiederverheirateten Geschiedenen gegeben.

1. Nachgehende Seelsorge

Die Seelsorge hat das Heil der Menschen im Blick und sucht sie in ihrem Lebensbereich auf, um sie liebevoll zur Nachfolge Christi einzuladen. Dies gilt in besonderer Weise für die Seelsorge mit Gläubigen, deren kirchlich geschlossene Ehe menschlich zerbrochen ist und die in einer neuen Verbindung leben. Wenn sie auch auf Grund des bestehenden Ehebundes keine neue Ehe kirchlich schließen können, sind sie als Getaufte lebendige Glieder der Kirche und dazu berufen, im persönlichen Glauben zu wachsen und sich in das Gemeindeleben einzubringen und das Reich Gottes zu bezeugen. So wandte sich auch Papst Benedikt XVI. an die Familien und bat um einen besonderen Blick auf die geschiedenen Wiederverheirateten: „Es scheint mir eine große Aufgabe einer Pfarrei, einer katholischen Gemeinde zu sein, wirklich alles nur Mögliche zu tun, damit sie sich geliebt und akzeptiert fühlen, damit sie spüren, dass sie keine ´Außenstehenden´ sind“ (Ansprache am 02.06.2012 in Mailand).

Der Seelsorger wird daher nicht müde, sie zu den vielfältigen Formen des gemeinschaftlichen Gebets und der Liturgie einzuladen und die Einbindung in das Gemeindeleben zu suchen und anzubieten, etwa in das Leben der Verbände und Gruppen, der Kirchenmusik und der caritativen Dienste. So soll bei dem Betroffenen die Überzeugung wachsen können, seinen Platz in der Kirche zu haben oder nach und nach wieder zu finden, „in der Weise, die seine eigene Initiative gemeinsam mit dem Unterscheidungsvermögen des Pfarrers nahelegt“ (AL 297), und so Hilfe für seinen Glauben und sein Leben erfahren zu können.

2. Das Gespräch

Für diese Seelsorge ist das Gespräch mit einem Seelsorger unabdingbar. Dies gilt in besonderer Weise, wenn die Frage nach dem Sakramentenempfang aufkommt. In dieser wichtigen Frage dürfen sie nicht alleine gelassen werden. Die Kirche schuldet ihnen diese Begleitung in dem Bewusstsein, „dass die Aufgabe der Kirche oftmals der eines Feldlazaretts gleicht“ (AL 291), und sie darf in allen nötigen Unterscheidungen weder eine übermäßige Strenge anwenden, noch darf sie jene begründeten Ziele und Orientierungen vorenthalten, die mühsamer und schwieriger zu leben sind.

3. Die Hilfe des kirchlichen Ehegerichts

Bei diesen Gesprächen sollte den Betroffenen die Möglichkeit angeboten werden, durch ein diözesanes kirchliches Ehegericht („forum externum“) die Gültigkeit der ersten Ehe prüfen zu lassen. Papst Franziskus hat vor kurzem diese Verfahren vereinfacht und beschleunigt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtung gehen diskret und einfühlsam mit den Betroffenen um und wissen sich als Mitarbeiter der obengenannten Seelsorge. Sollte die Prüfung die Ungültigkeit der ersten Ehe zum Ergebnis haben, können die Betroffenen kirchlich heiraten; einem Sakramentenempfang steht dann nichts mehr im Weg.

Um den betroffenen Menschen entgegenzukommen, wird das Konsistorium wenn nötig auch Sprechstunden vor Ort anbieten.

4. Die Grenzen des kirchlichen Ehegerichts und die moralische Gewissheit

Bei der Prüfung der ersten Ehe kommt das kirchenrechtliche Verfahren bisweilen an praktische Grenzen. Zwar hat Papst Franziskus bei der jüngsten

Eheprozessrechtsreform die Beweisregeln gemildert, so dass man jetzt auch auf dem gerichtlich-prozessualen Weg weniger schnell an Formalien scheitert, sondern eher zur moralischen Gewissheit der Nichtigkeit einer Ehe gelangen kann. Dennoch können wichtige Zeugen für die Ungültigkeit des Ehebandes verstorben sein oder aus Rache nicht aussagen wollen oder Beweise nicht mehr auffindbar sein.

Möglicherweise besteht aber trotz eines negativen Urteils des Ehegerichts eine hohe Plausibilität für die Ungültigkeit der ersten Ehe, die der Seelsorger zusammen mit den Betroffenen erwägt, in seinem Gewissen prüft und mit einem Mitarbeiter des Konsistoriums bespricht.

„Hier kann der Bischof oder Priester, denen von Christus die Binde- und Lösegewalt innerhalb des Bußsakramentes anvertraut worden ist, die Erlaubnis zum Kommunionempfang verantworten. (…) Gemeint sind die Grenzfälle, in denen die Ungültigkeit der ersten Eheschließung mit höchster moralischer Gewissheit feststeht, diese aber aus formalen Gründen des Prozessrechtes und ohne Schuld der betroffenen Person juristisch nicht bewiesen werden kann.“ (Bischof Gerhard Ludwig Müller, Zur Pastoral an wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen, Amtsblatt Nr. 5 vom 14.04.2003. Vgl. auch die Leitlinien der Erzdiözese Rom v. 19.09.2016: „´La letizia dell´amore´: il cammino delle famiglie a Roma“, Kap. 4, Abs. V)

Für den Seelsorger bedeutet dies, dass er sich über die kirchenrechtlichen Gründe einer möglichen Ungültigkeit einer Ehe kundig macht und über das Nichtvorhandensein einer Ehevoraussetzung bzw. über die bewusst erfolgte Ablehnung eines Wesenselementes oder einer Wesenseigenschaft der christlichen Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung mit hoher Gewissheit im Klaren ist – trotz gegenteiligem kirchenrechtlichen Urteil –. Die Gespräche über diese „Bedingtheiten“ (AL 305) erfordern ein gereiftes Gewissen und ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Wertschätzung gegenüber den Betroffenen. Jegliches Handeln „von oben herab“ (AL 305) ist hier fehl am Platz. Vielmehr geht es darum, im „forum internum“ „aufmerksam und fürsorglich [zu] begleiten und ihnen Vertrauen und Hoffnung [zu] geben wie das Licht eines Leuchtturms im Hafen“ (AL 291).

5. Ein Zeugnis im Verborgenen

Wenn die Ehe jedoch nach all diesen Einschätzungen gültig geschlossen wurde, besteht nach dem Wort Jesu (Mt 19,6) diese Ehe vor Gott fort. Wie können dann die Betroffenen mit ihrer Sehnsucht nach den Sakramenten umgehen?

Papst Franziskus hat in seinem Schreiben eine Möglichkeit erwähnt, die Papst Johannes Paul II. mehrfach ausgeführt hat, die aber derzeit leicht aus dem Blick gerät und eine Prüfung verdient (AL Anm. 329, vgl. Familiaris consortio 84). Auf Grund der großen Bedeutung, die die Kirche in der ehelichen Sexualität erkennt, können Wiederverheiratete, die beide bereit sind, „wie Geschwister“ enthaltsam zu leben, und dadurch indirekt das erste Eheband achten, zu den Sakramenten zugelassen werden.

Der Seelsorger, der im vertraulichen Gespräch die Betroffenen begleitet, sollte diese Möglichkeit nicht verschweigen, die in der Vergangenheit auch immer wieder großherzig angenommen wurde. Dazu sollte auch der grundsätzliche Hinweis gehören, „dass die Vorhersehbarkeit eines neuen Fallens der Echtheit des Vorsatzes keinen Abbruch tut“ (AL Anm. 364).

6. Viele Wege der Gnade und der Liebe Gottes

Gott bietet jedem Menschen viele Möglichkeiten der Begegnung und der Stärkung an: im persönlichen und gemeinsamen Gebet, in der Mitfeier der vielfältigen Liturgie- und Andachtsformen, im Dienst und Zeugnis der Mitmenschen, in der Erfahrung der kirchlichen Gemeinschaft, im Lesen und Hören der Bibel. Auch wenn jemand wegen einer neuen Verbindung bei bestehendem Eheband nicht zur Beichte und zur Kommunion gehen kann, reicht ihm Gott in vielen Gesten die Hand und schenkt ihm seine Gnade und Liebe. Dies zu entdecken, sollte nicht nur das Ziel des persönlichen Seelsorger-Gespräches, sondern auch der allgemeinen Katechese sein, damit die Gläubigen leichter diesem Reichtum der vielfältigen Gnade nachgehen können und das Wort Christi erfahren: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28)

Gerade die „aktive und tätige Teilnahme“ an der sonntäglichen Eucharistiefeier ist dazu eine Hilfe. Hier versammelt sich die Gemeinde mit ihren unterschiedlichen Lebenssituationen und Nöten, hier betet und singt sie, hier hört sie gemeinsam auf Gottes Wort und gibt Antwort, sie nimmt die Worte der Predigt auf; und hier feiert sie am Altar Tod und Auferstehung Jesu und betet durch die Worte des Priesters im Hochgebet für die ganze Welt. Wer diese Eucharistie innerlich und mit gläubigem Herzen mitfeiert, wird reich beschenkt mit der Gemeinschaft („Kommunion“) Gottes, auch wenn er nicht die Kommunion im Sakrament empfängt.

Ein schöner Brauch ist es auch, wenn Gläubige, die aus verschiedenen Gründen nicht das Sakrament empfangen können, bei der Kommunion nach vorne gehen, durch ein Zeichen – etwa durch gekreuzte Arme vor der Brust – um den Segen bitten und dann vom Kommunionspender den Segen in Zeichen und Wort empfangen. Es spricht einiges dafür, diesem Brauch – der beispielsweise in unserem Dom gut angenommen wird – in unseren Pfarreien mehr Raum zu geben und ihn auch für geschiedene Wiederverheiratete offen anzubieten.

7. Das Gewissen auf dem Weg

Für ein rechtes Vorgehen in diesen schwierigen Fragen ist die Bildung des Gewissens eine große Aufgabe. Im Gewissen, der verborgensten Mitte des Menschen und seinem Heiligtum, ist der Mensch nicht autark, sondern hört in seinem Innern die Stimme Gottes (vgl. Gaudium et spes, 16). Doch läuft das Gewissen auch immer wieder Gefahr, irrig zu werden oder gar in Willkür zu fallen. Daher braucht jedes Gewissen eine entsprechende Bildung und Reifung, die sich am Evangelium und an der Verkündigung der Kirche ausrichtet und die hilft, in der jeweiligen Lebenssituation zum rechten Urteil zu kommen.

Die oben angesprochenen Fragen fordern das Gewissen der Seelsorger wie der Betroffenen heraus. Und sie machen eine umfassende Gewissensbildung nötig. Freilich ist es auch Teil der kirchlichen Lehre, dass auch ein objektiv irriges Gewissen nicht seine Würde verliert und respektiert werden muss (ebd.). Dies in Erinnerung zu rufen, gehört auch zu einer nötigen Katechese über diese Fragen.

Daher ist es in unserer Diözese eine gut begründete Praxis, dass Gläubige, die in der Messe zur Kommunion treten, nicht beim konkreten Kommunionempfang abgewiesen werden. Vielmehr sollte der Seelsorger bei Zweifeln der Rechtmäßigkeit versuchen, auf die Betroffenen zuzugehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen und Hilfen zu suchen, wie sie oben beschrieben sind.

8. Der Blick Jesu – die Leitlinie der Pastoral

Papst Franziskus kommt in seiner Verkündigung immer wieder darauf zu sprechen, wie Jesus den Menschen – jeden Menschen – anblickt, und wie dies auch unser Handeln prägen soll. So betont er in AL: „Erleuchtet durch den Blick Jesu Christi wendet sich die Kirche liebevoll jenen zu, die auf unvollendete Weise an ihrem Leben teilnehmen. Sie erkennt an, dass Gottes Gnade auch in ihrem Leben wirkt, und ihnen den Mut schenkt, das Gute zu tun, um liebevoll füreinander zu sorgen und ihren Dienst für die Gemeinschaft, in der sie leben und arbeiten, zu erfüllen“ (AL 291). Der heiligmäßige Bischof von Regensburg am Anfang des 19. Jahrhunderts, Bischof Johann Michael Sailer (1829 – 32), hat von seinen Seelsorgern auch einen besonderen, zweifachen Blick verlangt: mit einem Auge auf Christus, mit dem anderen Auge auf den Menschen zu schauen. Möge er uns helfen, mit dem rechten Blick des Glaubens und des Herzens das Gute in jedem Menschen zu stützen und den zerbrechlichen Weg des Menschen zu begleiten.

Regensburg, 14. März 2017, Gedenktag der heiligen Mathilde + Rudolf Bischof von Regensburg

Hinweis: In nächster Zeit wird noch ein konkreter Gesprächsleitfaden für Seelsorger und eine Liste von seelsorgerischen Ansprechpartnern erstellt. (CNA Deutsch)

Vortrag von Kardinal Kasper zu Ehe und Familie veröffentlicht

Kardinal Walter Kasper„Bibel, Eros und Familie“: Unter diesem Titel veröffentlicht die italienische Tageszeitung Il Foglio an diesem Samstag den kompletten Konsistoriums-Text von Kardinal Walter Kasper. Der deutsche Kurienkardinal hatte am Donnerstag letzter Woche bei Kardinalsberatungen mit dem Papst hinter verschlossenen Türen die Auftakt-Rede gehalten; bei den Beratungen ging es um einen Neuentwurf der kirchlichen Ehe- und Familienseelsorge. Während Papst Franziskus Kaspers Text lobte, rief der Vortrag unter den Kardinälen dem Vernehmen nach zahlreiche Wortmeldungen, auch Widerspruch hervor. Am Montag will die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine deutsche Fassung von Kardinal Kaspers Referat publizieren. Es ist sozusagen der Grundlagentext (Kasper selbst spricht von „Ouvertüre“) für die Debatte über Ehe und Familie, die auf vatikanischen Bischofssynoden im Herbst 2014 sowie 2015 geführt werden soll. Was hat Kasper eigentlich gesagt? Unsere Übersicht dazu geht von der italienischen Fassung der Zeitung Il Foglio aus.

„Die Familie macht eine tiefe kulturelle Krise durch“ – dieses Zitat aus dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ (Nr. 66) von Papst Franziskus steht am Anfang von Kaspers Überlegungen. „Individualismus und Konsumismus stellen die traditionelle Kultur der Familie in Frage, die wirtschaftlichen und Arbeitsbedingungen machen Zusammenleben und Zusammenhalten innerhalb der Familie oft schwierig.“ Darum steige die Zahl derer, „die Angst davor haben, eine Familie zu gründen, oder bei diesem Projekt scheitern, dramatisch an, ebenso wie die Zahl der Kinder, die nicht das Glück haben, in einer geregelten Familie aufzuwachsen“.

„Wir müssen ehrlich sein“

Diese Lage fordere die Kirche, welche Freud und Leid der Menschen teile, heraus. Die Familie sei, wie Johannes Paul II. formuliert habe, „der Weg der Kirche“, und „in allen Kulturen der Geschichte der Menschheit ist die Familie der normale Weg des Menschen“, so Kardinal Kasper. „Auch heute suchen viele junge Leute das Glück in einer stabilen Familie. Wir müssen allerdings ehrlich sein und zugeben, dass sich zwischen der Lehre der Kirche zu Ehe und Familie und den gelebten Überzeugungen vieler Christen ein Abgrund aufgetan hat. Die Lehre der Kirche scheint heute vielen Christen weit von der Realität und weit vom Leben entfernt.“ Und das, obwohl viele Familien („eine Minderheit, doch eine bemerkenswerte Minderheit“) durchaus ihr Bestes gäben, „um den Glauben der Kirche zu leben“.

Schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Ära sei die Kirche „Ehe- und Familiemodellen konfrontiert gewesen, die sehr anders waren als die, welche Jesus predigte“. Heute könne es der Kirche nicht um „ein liberales Anpassen an den Status quo“ gehen, sondern um eine „radikale Position, die an die Wurzeln geht, also an das Evangelium, und von dort aus nach vorne sieht“. Die kirchliche Lehre zu Ehe und Familie sei nicht statisch, sondern werde immer wieder neu vom Evangelium und der „Glaubenserfahrung des Volkes Gottes aller Jahrhunderte“ am Leben gehalten. „Sie ist eine lebendige Tradition, die heute, wie schon viele andere Male im Lauf der Geschichte, an einen kritischen Punkt gekommen ist und die … fortgeschrieben und vertieft werden sollte.“ Das Evangelium sei „kein juridischer Kodex“, und dementsprechend wolle auch das „Evangelium der Familie keine Belastung sein“, sondern „eine frohe Botschaft, Licht und Kraft des Lebens in der Familie“.

Gretchenfrage: „Wie steht es um den Glauben?“

Kardinal Kasper betont, dass die Sakramente „Sakramente des Glaubens“ seien, das bedeute: „Auch das Ehesakrament kann nur im Glauben wirksam werden und gelebt werden.“ „Die entscheidende Frage lautet: Wie steht es um den Glauben der zukünftigen Eheleute und Ehepartner? In den Ländern alter christlicher Kultur beobachten wir heute den Zusammenbruch dessen, was über Jahrhunderte hinweg Selbstverständlichkeiten des christlichen Glaubens und des natürlichen Verständnisses von Ehe und Familie waren. Viele Personen sind getauft, aber nicht evangelisiert… In dieser Lage können wir nicht von einer Liste von Lehren und Geboten ausgehen oder uns auf die sogenannten brennenden Fragen fixieren.“ Damit zielt Kardinal Kasper unter anderem auf die Frage des kirchlichen Umgangs mit Geschiedenen, die wieder geheiratet haben.

„Wir wollen und können diese Fragen nicht umgehen, aber wir müssen … von der Wurzel des Glaubens ausgehen … und Schritt für Schritt einen Weg des Glaubens zurücklegen. Gott ist ein Gott des Weges; in der Heilsgeschichte hat er einen Weg mit uns zurückgelegt; auch die Kirche hat in ihrer Geschichte einen Weg zurückgelegt. Heute muss sie ihn von neuem zurücklegen, zusammen mit den Menschen der Gegenwart. Sie will den Glauben niemandem aufzwingen. Sie kann ihn nur als Weg zum Glück darstellen und anbieten. Das Evangelium kann nur durch sich selbst und seine tiefe Schönheit überzeugen.“

Nach diesen einleitenden Überlegungen denkt Kasper über „die Familie in der Schöpfungsordnung“ nach. Die Einrichtung der Familie sei „trotz aller Unterschiede“ in verschiedenen kulturellen Kontexten doch „die ursprüngliche Ordnung der Kultur der Menschheit“. Versuchen, heute eine „neue Definition der Familie zu liefern“, könne „kein Erfolg beschieden“ sein, wenn diese Definition „der kulturellen Tradition der ganzen Menschheitsgeschichte widerspricht oder sie ändert“. Die sogenannte Goldene Regel der Bergpredigt (Mt 7,12), die es so ähnlich in nahezu allen Religionen und Kulturen gebe, biete ein „gutes Kriterium“, um Realitäten wie Zwangsheirat oder Prostitution zu beurteilen. „Die entscheidende Frage lautet immer: Was entspricht in der Beziehung zwischen Mann, Frau und Kindern dem Respekt vor der Würde des anderen?“

„Der Mensch ist nicht als Single geschaffen“

Das erste Kapitel des Buches Genesis treffe einige grundlegende Aussagen zum „ursprünglichen Plan Gottes für die Familie“: Die erste sei, dass Mann und Frau „Bild und Gleichnis“ Gottes seien. Der Mensch sei also „nicht als Single geschaffen“, so Kasper; Mann und Frau hätten „die gleiche Würde“, seien deswegen aber „nicht einfach gleich“. „Man wird nicht Mann oder Frau durch die entsprechende Kultur, wie einige neuere Meinungen behaupten. Das Mann- und das Frausein sind ontologisch in der Schöpfung begründet. Die gleiche Würde ihrer Verschiedenheit erklärt die Anziehungskraft zwischen beiden…; sie aus ideologischen Gründen gleichmachen zu wollen, zerstört die erotische Liebe.“

Kasper fährt fort: „Die menschliche Liebe ist etwas Großes und Schönes, aber sie ist nicht von sich aus göttlich.“ Viele Ehen scheiterten heute an „überzogenen Erwartungen“, wenn ein Partner den anderen zunächst überhöhe. „Die Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau mit ihren Kindern zusammen kann nur glücklich sein, wenn sie sich gegenseitig als ein Geschenk verstehen, das sie übersteigt.“

Des weiteren ergebe sich aus dem Ehe- und Familienbild der Genesis, dass Ehe „nicht etwas in sich selbst Verschlossenes“, sondern auf Fruchtbarkeit hin angelegt sei. „Die Ehe zwischen Mann und Frau und die Weitergabe des Lebens sind nicht voneinander zu trennen. Das gilt nicht nur für den Zeugungsakt, sondern weist darüber hinaus. Die erste Geburt setzt sich in der zweiten, der sozialen und kulturellen, fort.“ Aus biblischer Sicht seien Kinder „eine Frucht des Segens Gottes“; Gott lege „die Zukunft des Volkes und die Existenz der Menschheit in die Hände von Mann und Frau“. Darum bedeute „verantwortliche Elternschaft“ sehr viel mehr als das, wofür der Begriff gemeinhin eingesetzt werde. „Es bedeutet, dass Gott das Wertvollste, was er geben kann, nämlich das menschliche Leben, der Verantwortung von Mann und Frau anvertraut.“ Daraus ergebe sich eine große Verantwortung von Eheleuten und Eltern auch der Gesellschaft gegenüber. „Ihrer Sorge und Verantwortung ist nicht nur das menschliche Leben, sondern auch die Erde allgemein anvertraut.“

„Die Familie ist nicht nur eine persönliche, private Gemeinschaft. Sie ist die grundlegende und lebendige Zelle der Gesellschaft, die Schule der Menschlichkeit und der sozialen Tugenden… Ohne sie wird die Gesellschaft zu einer anonymen Masse… Sie ist auch grundlegendes Modell des Staates und der Menschheit als Familie… Das Evangelium vom Leben ist (darum) gleichzeitig ein Evangelium für das Wohl und den Frieden der Menschheit.“

Ehe und Familie nicht romantisieren

Im zweiten Kapitel seines Vortrags kommt Kardinal Kasper dann auf „Strukturen der Sünde im Leben der Familie“ zu sprechen. Das bisher Ausgeführte sei das „Ideal, aber nicht die Wirklichkeit der Familien“, das illustriere auch das Buch Genesis mit seiner Erzählung vom Sündenfall, der Vertreibung aus dem Paradies und dem Brudermord an Abel. „Die Entfremdung des Menschen von Gott“ führe zur Entfremdung der Menschen untereinander. Etwas sei grundlegend gestört im Verhältnis von Mann und Frau; Frauen müssten unter Schmerzen gebären, zwischen Brüdern brächen schwere Konflikte auf, und auch in der Beziehung des Menschen zur Natur und zur Welt stimme etwas Wesentliches nicht mehr. „Wenn wir von der Familie, von der Schönheit der Familie sprechen, können wir nicht von einem unrealistischen, romantischen Bild ausgehen. Wir müssen auch die harten Realitäten sehen und an der Trauer, den Sorgen und Tränen vieler Familien Anteil nehmen… Wir dürfen nicht der Versuchung nachgeben, die Vergangenheit zu idealisieren und … die Gegenwart als bloße Geschichte des Niedergangs wahrzunehmen.“

Das dritte Kapitel des Kasper-Vortrags gehört dann dem Platz der Familie „in der christlichen Heilsordnung“. Jesus sei „in eine Familiengeschichte eingetreten“, er habe zu Beginn seines Wirkens nach Angaben des Johannesevangeliums an einer Hochzeit teilgenommen und damit „sein ganzes Wirken unter das Zeichen der Ehe und der Hochzeitsfreude gestellt“. Ausführlich beschäftigt sich Kardinal Kasper mit den berühmten Jesusworten gegen die Ehescheidung in Matthäus 19, 3-9; man dürfe sie „nicht isoliert verstehen, sondern im Kontext seiner ganzen Botschaft vom Gottesreich“. Der Bund zweier Eheleute werde in Jesus` Verkündigung „umarmt und gestützt vom Bund Gottes, der wegen Gottes Treue auch dann weitergeht, wenn das schwache menschliche Band der Liebe schwach wird oder sogar reißt“. „Das endgültige Bundes- und Treueversprechen Gottes nimmt der menschlichen Verbindung das Beliebige; es verleiht ihm Solidität und Stabilität.“

„Unauflöslichkeit der Ehe ist Evangelium“

Augustinus habe daraus die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe entwickelt. „Viele haben heute Schwierigkeiten, diese Lehre zu begreifen“, so Kardinal Kasper. Sie sei aber nichts der Liebe zweier Eheleute „Übergestülptes“, sondern „Evangelium, also endgültiges Wort und Vesprechen, das ewig gültig bleibt. Als solches nimmt sie den Menschen und seine Freiheit ernst. Es ist ein Kennzeichen der menschlichen Würde, endgültige Entscheidungen treffen zu können.“ Wer solche Entschiedungen wieder abstreife, schlage eine „tiefe Wunde“. „Wunden können heilen, aber die Narbe bleibt und schmerzt weiter; man kann und muss aber weiterleben, selbst wenn das Mühe bereitet. Dementsprechend ist die frohe Botschaft Jesu, dass für den, der sich bekehrt, dank der göttlichen Barmherzigkeit Vergebung, Heilung und ein neuer Anfang möglich sind.“

An den Epheserbrief angelehnt schildert Kasper „das Band zwischen Mann und Frau“ als „konkretes Symbol des Bundes Gottes mit den Menschen, der sich in Jesus Christus erfüllt hat“. Das Konzil von Trient habe das auf den sakramentalen Charakter der Ehe bezogen. „Durch sein Eintreten in die Geschichte einer Familie hat Jesus die Familie geheilt und geheiligt; die Heilsordnung umarmt die Schöpfungsordnung. Sie ist nicht körper- und sexualitätsfeindlich, sie schließt Sex, Eros und menschliche Freundschaft ein, reinigt und vervollkommnet sie. So wie die Heiligkeit der Kirche ist auch die Heiligkeit der Familie keine statische Größe, sondern ständig bedroht durch die Hartherzigkeit. Sie muss weitergehen auf dem Weg der Umkehr, der Erneuerung und des Reifens.“ Wie der Zölibat sei auch die Ehe eine „freie Wahl“, beide stützten sich gegenseitig bzw. gerieten gleichzeitig in die Krise, „wie wir das leider derzeit erleben“.

„Das ist die Krise, die wir erleben. Das Evangelium von der Ehe und der Familie ist für viele nicht mehr verständlich, es ist in eine tiefe Krise geraten. Was tun? Schöne Worte allein nützen wenig. Jesus zeigt uns einen realistischeren Weg. Er sagt uns, dass kein Christ allein oder verlassen ist, auch wenn er vom eigenen Partner verlassen wird oder als Kind bzw. Jugendlicher ohne Kontakt zur eigenen Familie aufwächst. Das Evangelium vom Leben konkretisiert sich in der Hauskirche: In ihr kann es von neuem lebbar werden.“

„Seelsorge endet nicht nach dem Scheitern einer Ehe“

Im vierten Redeteil führt Kardinal Kasper dementsprechend aus, was unter der Familie als „Hauskirche“ zu verstehen ist. Hauskirchen hätten schon im frühen Christentum eine wichtige Rolle gespielt, auch das Zweite Vatikanische Konzil habe die Idee von der Hauskirche wieder aufgegriffen. Es gelte nun, der Kernfamilie, die sich seit dem 18. Jahrhundert herausgebildet habe und die heute eine große Strukturkrise durchmache, „im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn neue Häuser zu bauen“. Kasper wörtlich: „Wir brauchen Großfamilien neuen Typs.“ Damit Kernfamilien überleben könnten, bräuchten sie einen „größeren familiären Zusammenhang“: generationenübergreifend, von geistlichen Gemeinschaften geprägt, die ein günstiges Klima und Lebensumfeld für Familien schaffen könnten. Darum müssten Basisgemeinschaften und geistliche Bewegungen in der Kirche gestärkt werden; das hülfe dann auch der Familie.

Das fünfte Kapitel in Kardinal Kaspers Vortrag beschäftigt sich dann mit dem Problem von Geschiedenen, die wiederverheiratet sind: „ein komplexes und dorniges Problem“. „Man kann es nicht auf die Frage der Zulassung zur Kommunion reduzieren. Es betrifft die ganze Ehe- und Familienpastoral. Es beginnt schon mit der Ehevorbereitung, … geht dann weiter mit der pastoralen Begleitung von Eheleuten und Familien und wird aktuell, wenn Ehe und Familie in eine Krise geraten. In dieser Lage werden die Seelsorger alles nur Mögliche tun, um zur Heilung und Versöhnung in der kriselnden Ehe beizutragen. Ihre Sorge endet nicht nach einem Scheitern der Ehe; sie müssen den Geschiedenen nahe bleiben und sie einladen, am Leben der Kirche teilzunehmen.“

„Alle wissen auch“, so Kasper weiter, „dass es Situationen gibt, in denen jeder vernünftige Versuch, eine Ehe zu retten, dennoch umsonst bleibt. Der Heroismus eines verlassenen Partners, der alleinbleibt und alleine weitergeht, verdient unsere Bewunderung und Unterstützung. Aber viele verlassene Partner hängen um des Wohles der Kinder willen von einer neuen Beziehung und einer zivilen Heirat ab, auf die sie nicht verzichten können, ohne neue Schuld auf sich zu laden. Oft lasen diese Beziehungen sie nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit neue Freude spüren…“

Keine „Barmherzigkeit zu herabgesetztem Preis“

Die Kirche könne in einer solchen Lage „keine Lösung anbieten, die den Worten Jesu entgegengesetzt ist“. Unauflöslichkeit der Ehe und „die Unmöglichkeit einer Wiederheirat, solange der andere Partner noch lebt“, gehörten nun mal zum „bindenden Glaubensgut der Kirche“, das nicht um einer „Barmherzigkeit zu herabgesetztem Preis“ willen aufgegeben werden könne. Gleichzeitig gelte aber auch, dass es wegen Gottes „barmherziger Treue“ keine menschliche Lage gebe, die „ganz ohne Hoffnung und Lösung“ sei. „So tief der Mensch auch fallen kann, er wird nie unter die Barmherzigkeit Gottes fallen.“

„Die Frage ist also, wie die Kirche dieser unauflöslichen Verbindung von Treue und Barmherzigkeit Gottes in ihrer Seelsorge an geschiedenen Wiederverheirateten entsprechen kann. Es ist ein relativ neues Problem, das es … erst seit der Einführung der Zivilehe durch den Code Napoléon von 1804 gibt.“ Wie das letzte Konzil zu neuen Problemfeldern, etwa der Ökumene, Türen geöffnet habe, „ohne die bindende dogmatische Tradition zu verletzen“, könne man sich heute fragen: „Ist nicht auch in dieser Frage eine Weiterentwicklung möglich, die nicht an die bindende Glaubenstradition rührt…?“ Die Antwort könne nur „differenziert“ ausfallen, weil die gegebenen Situationen „sehr unterschiedlich“ seien. „Eine allgemeine Lösung für alle Fälle kann es nicht geben.“

Kardinal Kasper beschäftigt sich etwas ausführlicher mit zwei Fällen, für die er Lösungsmöglichkeiten skizziert. Bei Geschiedenen und Wiederverheirateten, die vor ihrem Gewissen überzeugt seien, dass ihre vorige Ehe eigentlich nicht gültig gewesen sei, frage er sich manchmal, „ob der gerichtliche Weg wirklich der einzige zur Lösung des Problems sein muss und ob nicht mehr seelsorgliche und geistliche Prozeduren möglich wären“. Man könne daran denken, „dass der Bischof diese Aufgabe einem Priester mit geistlicher und seelsorgerischer Erfahrung überträgt“. Kasper wörtlich: „Ist es wirklich möglich, dass man über Wohl und Wehe der Personen in zweiter und dritter Instanz nur auf der Basis von Akten, also von Papier, entscheidet, aber ohne die Person und ihre Situation zu kennen?“

Fünf mögliche Bedingungen für Sakramentenempfang

Der zweite Fall, auf den Kasper eingeht, ist die Frage des Sakramentenempfangs für geschiedene Wiederverheiratete. Er erinnert daran, dass die frühe Kirche für Christen, die dem Glauben in der Verfolgung öffentlich abgeschworen hatten, eine „kanonische Busspraxis als zweite Taufe“ eingeführt hatte, „nicht mit Wasser, sondern mit den Tränen der Reue“. „Für den, der umkehrt, ist Vergebung immer möglich. Wenn sie es für den Mörder ist, dann auch für den Ehebrecher.“ Dementsprechend müsse auch die heutige Kirche „einen Weg jenseits von Rigorismus und Laxismus“ suchen. Reue und Busssakrament hätten die Treue zu Gottes Geboten und Barmherzigkeit Gottes zusammengebracht: „In diesem Sinn war und ist die göttliche Barmherzigkeit keine preisgünstige Gnade, die von der Umkehr dispensiert, und umgekehrt sind die Sakramente nicht ein Preis für jemanden, der sich gut benimmt“.

„Die Frage ist: Ist dieser Weg der Umkehr, der ins Sakrament der Barmherzigkeit, der Busse mündet, auch der Weg, den wir in dieser Frage gehen können? Wenn ein wiederverheirateter Geschiedener 1. das Scheitern seiner ersten Ehe bereut, 2. den Verpflichtungen, die aus der ersten Ehe noch erwachsen, nachkommt, 3. die neue Zivilehe nicht aufgeben kann, ohne neue Schuld auf sich zu laden, 4. sich aber bemüht, seine zweite Ehe im Glauben zu leben und seine Kinder im Glauben zu erziehen, und 5. nach den Sakramenten als Kraftquelle in seiner Lage verlangt – müssen oder können wir ihm nach einer Zeit der neuen Orientierung das Sakrament der Busse und dann der Kommunion verweigern?“

Kasper ermuntert die Kirche zu „geistlicher Unterscheidung, Weisheit und seelsorglichem Augenmass“. Er hoffe, „dass wir im Lauf des synodalen Prozesses eine gemeinsame Antwort finden, um glaubwürdig das Wort Gottes in menschlich schwierigen Situationen zu bezeugen“.

In einer kurzen Schlußfolgerung betont Kardinal Kasper, man dürfe die Debatte über das „Evangelium der Familie“ nicht auf die Frage der wiederverheirateten Geschiedenen oder ähnliche Streitfälle verengen. „Wir brauchen einen positiven Ausgangspunkt…“ In den Familien treffe die Kirche auf „die Lebensrealität“, sie seien „der Prüfstein der Pastoral“. Kasper wörtlich: „Die Familie ist die Zukunft. Auch für die Kirche ist sie der Weg der Zukunft.“ (rv)