D: „Ohne Ratzinger keine gemeinsame Rechtfertigungslehre“

Ein katholischer Theologe, ein estnischer Musiker und ein evangelischer Theologe: Die drei diesjährigen Preisträger des Ratzinger-Preises sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich und doch verbindet ihre Arbeit und Tätigkeit dank des Theologen Joseph Ratzinger viel. Der Preisträger Theodor Dieter ist Leiter des Instituts für Ökumenische Forschung in Straßburg, ein Institut des Lutherischen Weltbundes, das für die ökumenischen Beziehungen der lutherischen Kirchen Sorge trägt und sie theologisch begleitet. Unser Kollege Mario Galgano hat ihn vor der Preisverleihung am Samstagmorgen im Vatikan getroffen.

RV: An diesem Samstag wird Ihnen Papst Franziskus einen besonderen Preis überreichen, und zwar den Ratzinger-Preis. Wie kommt es, dass Sie diesen Preis als lutherischer Theologe erhalten, und wie sind Sie zur Theologie Ratzingers gestoßen?

Dieter: „Der Preis wird mir mit Bezug auf meinen Einsatz für die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die 1999 in Augsburg von der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund unterzeichnet worden ist, verliehen. Das ist die eine Seite. Zur Frage, wie ich zur Theologie Ratzinger gekommen bin: Das war ein langer Weg. Das fing mit der Lektüre von Ratzingers „Einführung in das Christentum“ an. Ich habe im Lauf der Zeit viele weitere Schriften gelesen. Besonders interessiert hat mich seine Doktorarbeit, in der er als junger Theologe, anhand von Augustinus, die Grundlinien seines Kirchenverständnisses aufzeigte. Das kam dann auch im Zweiten Vatikanischen Konzil zum Tragen und ist bis heute maßgeblich für Ratzingers Denken. Dass jemand schon so früh eine so grundlegende Einsicht in das Kirchenverständnis gewinnen kann, hat mich außerordentlich beeindruckt.

Und im Blick auf das Offenbarungsverständnis bin ich auf den vor einigen Jahren veröffentlichten zweiten Teil seiner Habilitationsschrift gestoßen. Da geht es um das Offenbarungsverständnis bei Bonaventura. Da hat Ratzinger das traditionelle instruktionstheoretische Verständnis von Offenbarung in der Arbeit über Bonaventura überwunden. Offenbarung ist Begegnung, Offenbarung ist eine Person, und zwar Jesus Christus. Offenbarung braucht immer jemanden, der sie zur Kenntnis nimmt. Diese Grundlinien, die er in seiner Habilitation entwickelt hat, sind dann auch im Zweiten Vatikanischen Konzil zum Tragen gekommen. Dass jemand so früh Grundlinien entwickelt, die nicht nur für seine persönliche Theologie gültig sind, sondern auch in der Kirche fruchtbar werden, finde ich sehr bemerkenswert. In den Ratzinger-Studien habe ich einen Aufsatz über ,Die eucharistische Ekklesiologie Joseph Ratzingers´ veröffentlicht, und im Oxford Handbook of Ecclesiology wird von mir ein Artikel über die Ekklesiologie Joseph Ratzingers erscheinen.“

RV: Wie schätzen Sie die ökumenische Dimension in Ratzingers Theologie ein?

Dieter: „Ökumenisch ist mir Joseph Ratzinger zunächst aufgefallen in der Doktorarbeit von Vinzenz Pfnür ,Einig in der Rechtfertigungslehre?´. Sie stammte aus einem Seminar über das Augsburger Bekenntnis, das Joseph Ratzinger bereits als junger Theologe in Freising gehalten hat. 1980 hat er sich sehr intensiv mit der Frage einer katholischen Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses beschäftigt. Er hat also nicht nur die lutherische Theologie, sondern auch die lutherische Kirchenlehre zur Kenntnis genommen. Das ist ökumenisch von großer Bedeutung. Ganz konkret ökumenisch aktiv ist Joseph Ratzinger dann gewesen, als es um die Erklärung zur Rechtfertigungslehre ging. Der Prozess, in dem diese Erklärung von lutherischen Kirchen und auch von der römisch-katholischen Kirche angenommen werden sollte, ist gegen Ende in eine Krise geraten, und Joseph Ratzinger hat sich außerordentlich intensiv und konstruktiv im Gespräch mit dem damaligen Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Johannes Hanselmann, und anderen um eine Lösung bemüht. Diese findet sich nun im Annex zur Gemeinsamen Erklärung. Joseph Ratzinger hat große Verdienste erworben für diese Gemeinsame Erklärung. Man kann sagen: Ohne ihn würde es diese Erklärung nicht geben.“

RV: Am Freitagmorgen haben Sie den emeritierten Papst getroffen. Wie geht es ihm?

Dieter: „Ich bin beeindruckt von der geistigen Wachheit, Heiterkeit und Freundlichkeit, mit der Papst emeritus Benedikt uns begegnet ist. Er hat sich für viele Dinge interessiert und mit einer Leichtigkeit über die verschiedensten Fragen gesprochen, mit einem unglaublich lebendigen Gedächtnis. Er hat sich an Kollegen aus der Tübinger Zeit vor 50 Jahren erinnert. Wir haben über verschiedene theologische Fragen gesprochen, daneben haben wir auch über die Musik von Arvo Pärt geredet. Es war ein weites Spektrum von Themen, die Gegenstand unseres Gesprächs waren.“

RV: Auch Arvo Pärt und Professor Karl-Heinz Menke haben auch den Ratzinger-Preis erhalten. Hatten Sie schon Gelegenheit mit diesen beiden Herren über die Theologie Ratzingers zu sprechen?

Dieter: „Wir haben uns erst am Freitag beim Frühstück persönlich zum ersten Mal getroffen. Natürlich habe ich einige Bücher des Kollegen Menke gelesen und auch die Musik von Arvo Pärt gehört. Wir haben über theologische Fragen im Allgemeinen gesprochen.“

RV: Was liegt Ihnen besonders am Herzen im Rahmen dieser Preisverleihung?

Dieter: „Was für mich an der Preisverleihung wichtig ist, ist natürlich neben der Freude, dass auch meine eigene Arbeit auf diese Weise gewürdigt wird, vor allem die Tatsache, dass mit dieser Preisverleihung und mit dem Bezug auf die Gemeinsame Erklärung, die vor fast 20 Jahren unterzeichnet worden ist, noch einmal von höchster katholischer Seite – also von Papst emeritus Benedikt und auch von Papst Franziskus – anerkannt wird, dass dieser Weg der Ökumene, den wir damals mit der Gemeinsamen Erklärung gegangen sind, aus katholischer Hinsicht sinnvoll, fruchtbar und wegweisend ist. Diese Anerkennung und Ermutigung, aber auch die Verpflichtung, diesen Weg weiterzugehen, das ist für mich das eigentlich Wichtige bei dieser Preisverleihung. Es ist ein großes ökumenisches Zeichen im 500. Jahr der Reformation.“ (rv)

Vatikan: Ratzinger-Preis-Verleihung am 20.Oktober

Papst Benedikt XVI. verleiht am 20. Oktober den „Ratzinger-Preis" für herausragende wissenschaftliche Leistungen an Theologen. Die diesjährigen Preisträger sollen bereits am kommenden Freitag bekanntgegeben werden, teilte der Vatikan am Dienstag mit. Der mit insgesamt 50.000 Euro dotierte Preis war erstmals im Juni 2011 verliehen worden. Er wurde von der 2010 gegründeten „vatikanischen Stiftung Joseph Ratzinger – Benedikt XVI." ausgelobt. Die ersten Preisträger waren der aus Bayern stammende Abt des österreichischen Zisterzienserklosters Stift Heiligenkreuz, Maximilian Heim, der italienische Kirchenhistoriker Manlio Simonetti und der spanische Theologe Olegario Gonzalez de Cardedal. Nach Vorstellung des italienischen Kardinals Camillo Ruini soll sich der Ratzinger-Preis in Zukunft zu „einer Art Nobelpreis für Theologie" entwickeln. Ruini leitet den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung. (rv)

Deutscher bekommt „Theologie-Nobelpreis“

Der erste „Nobelpreis" für Theologie geht unter anderem an einen Deutschen: Es ist der neue Abt des österreichischen Zisterzienserklosters Heiligenkreuz, Maximilian Heim. Er wird zusammen mit zwei weiteren Theologen mit dem neugeschaffenen „Ratzinger-Preis" der Vatikanstiftung „Joseph Ratzinger-Benedikt XVI." ausgezeichnet. Das wurde an diesem Dienstag auf einer Pressekonferenz im Vatikan bekanntgegeben. Überreicht werden soll der Preis am kommenden 30. Juni – und zwar vom Papst hochpersönlich.

Es war der italienische Kardinal Camillo Ruini, früherer Generalvikar des Bistums Rom, der an diesem Dienstag vor der Presse im Vatikanischen Pressesaal mit sichtlichem Vergnügen Konklave spielte:

„Ich freue mich, Ihnen die drei Wissenschaftler vorzustellen, die als erste am kommenden 30. Juni aus den Händen des Heiligen Vaters den Ratzinger-Preis entgegennehmen werden, für ihre Verdienste bei der Arbeit auf dem Gebiet der Theologie."

Die Preisträger sind der italienische Professor Manlio Simonetti, ein Experte für antike christliche Literatur und Kirchenväter; dann der spanische Priester und Fundamentaltheologe Olegario González de Cardedal – und eben der aus Bayern stammende Zisterzienserabt Maximilian Heim, Fundamentaltheologe und Dogmatiker. Er ist der jüngste der Preisträger, wie Kardinal Ruini unterstrich.

„Heim ist erst fünfzig Jahre alt, und auch wenn er schon eine ziemlich wichtige Arbeit über das Kirchenverständnis Joseph Ratzingers veröffentlicht hat, steht er doch noch am Anfang seiner akademischen Karriere, die er jetzt mit seiner Aufgabe als Abt von Heiligenkreuz vereinbaren muss. Ansonsten aber ist seine ganze Existenz durch eine starke Teilnahme am Leben seiner Zisterzienser-Gemeinschaft geprägt. Seit 2009 gehört er zum Neuen Ratzinger-Schülerkreis und zum wissenschaftlichen Beirat des Regensburger Benedikt-XVI.-Instituts; er hilft bei der Herausgabe der Gesammelten Werke Joseph Ratzingers. Mit Sicherheit ist er einer der brillantesten Vertreter der jungen Theologen-Generation, die sich vom Denken Benedikts XVI. inspirieren lassen."

Also „zwei ziemlich etablierte und ein noch relativ junger, aber vielversprechender Preisträger", resümierte der Kardinal. Und nicht jeder der Preisträger habe „eine besondere Beziehung zum Denken Joseph Ratzingers", merkte Kardinal Ruini weiter an.

„Das Ziel der Vatikanstiftung ist nämlich umfassender: Wir wollen allgemein die theologische Forschung fördern. Dabei lehnen wir uns an das Denken Benedikt XVI. an, beschränken uns aber nicht nur auf Wissenschaftler, die etwas mit Joseph Ratzinger zu tun haben."

Für alle, die diesmal leer ausgegangen sind, gab es einen Trost von „Don Camillo": Nächstes Jahr, bei der zweiten Runde, wolle die Jury auch einen Bibelwissenschaftler auszeichnen. (rv)