„Die Barmherzigkeit ist kein flüchtiges Gefühl, sondern sie ist die Synthese der Frohen Botschaft.“ Papst Franziskus ging in seiner Weihnachtsansprache an die römische Kurie an diesem Montag auf das Thema des Heiligen Jahres ein, die Barmherzigkeit. Aber wie es sich bei einem Chef in einer Ansprache an die Mitarbeiter gehört, wurde er praktisch. Einen „Katalog der notwendigen Tugenden“ wollte der Papst der Kurie vorlegen, zur Anwendung und Vertiefung.
Zu Beginn seiner Ansprache ging der Papst zunächst noch einmal auf das vergangene Jahr ein, die Krankheiten, von denen er in der vorigen Jahres-Ansprache gesprochen habe – der „Katalog der kurialen Krankheiten“ – hätten sich im Verlauf des vergangenen Jahres gezeigt, schmerzhaft und die gesamte Kurie verletzend. „Ich halte es für meine Pflicht zu bekräftigen, dass dies ein Anlass zu aufrichtigen Überlegungen und entscheidenden Maßnahmen war und weiter sein wird. Die Reform wird mit Entschlossenheit, klarem Verstand und Tatkraft fortgeführt werden, denn Ecclesia semper reformanda.“
Die Skandale könnten aber nicht verdecken, was Gutes geleistet werde: „Es wäre eine große Ungerechtigkeit, gegenüber all den anständigen und gewissenhaften Personen, die in der Kurie mit uneingeschränktem Einsatz, mit Ergebenheit, Treue und Professionalität arbeiten, nicht einen tief empfundenen Dank und eine gebührende Ermutigung zum Ausdruck zu bringen – sie schenken der Kirche und dem Nachfolger Petri den Trost ihrer Solidarität und ihres Gehorsams, ganz zu schweigen von ihren großherzigen Gebeten“. Noch einmal auf die Skandale eingehend betonte der Papst, dass die „Widerstände” und das Scheitern einiger Lektionen Möglichkeiten zu Wachstum böten, aber nicht zur Entmutigung. „Es sind Gelegenheiten, zum Wesentlichen zurück zu kehren“ und sich selbst zu fragen, wie es mit dem eigenen ‚sensus ecclesiae’, dem Gefühl für die Kirche, und dem ‚sensus fidei’, dem Sinn für den Glauben, bestellt sei.
Von diesem Wesentlichen wolle er zu diesem Weihnachtsempfang sprechen, fuhr der Papst fort, anlässlich des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit, Anlass für „Dankbarkeit, Umkehr, Erneuerung, Buße und Versöhnung“. Er wolle in dieser Ansprache eine praktische Handreichung vorlegen, einen nicht erschöpften „Katalog der notwendigen Tugenden“, „ich lade die Leiter der Dikasterien und die Vorgesetzten ein, ihn anzureichern und zu vervollständigen.”
Es folgte eine Auflistung von zwölf solcher Tugenden, jeweils mit einer Erklärung versehen. Der Papst begann mit „Missionarietà e pastoralità“, also „Missionsgeist und pastorale Grundhaltung“. Dies seien die Dimensionen, welche auch die Arbeit der Kurie fruchtbar machten. Glaube sei ein Geschenk, aber das Maß des Glaubens zeige sich darin, ob und wie er weitergegeben würde. Die pastorale Haltung sei ein Muss, das „Maß der Arbeit der Kurie und aller Priester“. „Ohne diese beiden Flügel werden wir nie fliegen können und auch die Seligkeit des „treuen Knechtes“ (vgl. Mt 25,14-30) nicht erreichen.“
Der Papst sprach von der Eignung und dem Scharfsinn, dann von der Spiritualität und Menschlichkeit. Diese beiden Gruppen ergänzen sich in der Papstansprache, die zweite stellt sicher, dass aus der ersten kein Funktionalismus wird, sondern dass alles geistlich und menschlich bleibt.
„Der selige Papst Paul VI. erinnerte die Römische Kurie an ‚ihre Berufung zur Vorbildlichkeit’”, fuhr Papst Franziskus fort. „Vorbildlichkeit, um die Skandale zu vermeiden, die die Menschen innerlich verletzen und die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses bedrohen.“ Der Papst zitierte verschiedene Schriftstellen „’Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen’ (Lk 16,10) und ‚Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde. Wehe der Welt mit ihrer Verführung! Es muss zwar Verführung geben; doch wehe dem Menschen, der sie verschuldet!’ (Mt 18,6-7).“
Vernünftigkeit und Liebenswürdigkeit bilden zusammen eine weitere Tugend, auf die der Papst einging. „Die Vernünftigkeit dient dazu, übermäßige Gefühlsbetontheit zu vermeiden, und die Liebenswürdigkeit dazu, Übertreibungen in der Bürokratie sowie beim Erstellen von Programmen und Plänen zu vermeiden.” Auch hier beschrieb der Papst sich ergänzende und sich gegenseitig korrigierende Tugend-Paare. Das gleiche gilt für das Paar „wohlwollende Besonnenheit und Entschiedenheit“ und für die „untrennbaren Werte“ „Liebe und Wahrheit“: „Die Liebe ohne Wahrheit wird nämlich zur Ideologie des destruktiven ‚Alles-Gutheißens’, und die Wahrheit ohne Liebe zur blinden ‚Buchstaben-Justiz’.“
Das achte Tugend-Paar: Ehrlichkeit und Reife. „Ehrlichkeit ist die Rechtschaffenheit, die Kohärenz und das Handeln in absoluter Aufrichtigkeit gegenüber uns selbst und gegenüber Gott. Wer ehrlich ist, handelt redlich nicht nur unter dem Blick des Aufsehers oder des Vorgesetzten; der Ehrliche fürchtet nicht, überrascht zu werden, denn er hintergeht niemals den, der ihm vertraut. Der Ehrliche spielt sich niemals als Herr auf über die Menschen oder über die Dinge, die ihm zur Verwaltung anvertraut sind, wie es der „schlechte Knecht“ (vgl. Mt 24,48) tut. Die Ehrlichkeit ist das Fundament, auf dem all die anderen Eigenschaften aufruhen. Reife ist das Bemühen, zur Harmonie zwischen unseren physischen, psychischen und spirituellen Fähigkeiten zu gelangen. Sie ist das Ziel und das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, der nie endet und der nicht von unserem Alter abhängt.”
Achtung und Demut, das neunte Paar, spricht dagegen vom Umgang mit den Anderen, Mitarbeitern, Oberen und Untergebenen, aber auch mit den anvertrauten Aufgaben, der Papst geht auf Schweigepflicht und Vertraulichkeit ein.
Großherzigkeit und Aufmerksamkeit: Je mehr man auf Gott und die Vorsehung vertraue, desto erfüllter sei man und bereiter, zu geben, wissend dass man umso mehr erhält, desto mehr man gebe. „In der Tat ist es nutzlos, alle Heiligen Pforten sämtlicher Basiliken der Welt zu öffnen, wenn die Tür unseres Herzens für die Liebe verschlossen ist, wenn unsere Hände sich dem Geben verschließen, wenn unsere Häuser der Gastfreundschaft verschlossen sind und wenn unsere Kirchen sich der Aufnahme verschließen.” Angewandt auf die Arbeit in der Kurie bedeute dies „auf die Details zu achten, unser Bestes zu geben und in Bezug auf unsere Laster und Verfehlungen niemals die Zügel schleifen zu lassen“.
Unerschrockenheit und Regsamkeit folgten als elftes Tugendpaar, „ es bedeutet, wagemutig und entschlossen und ohne Lauheit zu handeln” und „die Fähigkeit, mit innerer Freiheit und Beweglichkeit zu handeln, ohne sich an die materiellen Dinge zu klammern, die vergänglich sind”. Es heiße, immer auf dem Weg zu sein, ohne Dinge zu sammeln und sich in den eigene Projekten „einzuschließen”.
Vertrauenswürdigkeit und Nüchternheit schlossen die vom Papst selbst als noch nicht ausgeschöpft bezeichnete Liste ab, es bedeute, sich nicht ablenken zu lassen. Zuverlässige Mitarbeiter seien dies auch ohne Aufsicht, und nüchterne ließen sich nicht von Überflüssigem oder der „Logik des Konsums“ ablenken. In diesem letzten Punkt kam noch einmal ein wesentliches Element der Lehre des Papstes zum Vorschein: „Nüchternheit bedeutet, die Welt mit den Augen Gottes zu betrachten – mit dem Blick der Armen und auf der Seite der Armen. Die Nüchternheit ist ein Lebensstil, der auf die Vorrangstellung des anderen als hierarchisches Prinzip hinweist und das Leben als Fürsorglichkeit und Dienst gegenüber den anderen zum Ausdruck bringt.“
Dieser „Katalog der notwendigen Tugenden“ solle Anleitung sein für die Arbeit der Kurie, ganz praktisch. „So möge also die Barmherzigkeit unsere Schritte lenken, unsere Reformen inspirieren und unsere Entscheidungen erleuchten. Möge sie die tragende Säule unseres Wirkens sein. Möge sie uns lehren, wann wir vorangehen und wann wir einen Schritt zurück tun müssen.“ (rv)
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