Nochmal: Der Papst, das Vaterunser, die Versuchung

Führe uns nicht in Versuchung – aber da bin ich ihr schon erlegen. Der Versuchung nämlich, zu der ganzen Debatte um Papst Franziskus und die Vaterunser-Bitte „Führe uns nicht in Versuchung“ noch etwas nachzutragen. Immerhin rührt diese Debatte ans Wesentliche: Darf ein Papst einfach so das Vaterunser verändern? Und noch bohrender gefragt: Führt uns tatsächlich Gott in Versuchung, obwohl er doch der gute Gott ist?

Stefan von Kempis – Vatikanstadt.

Zu Franziskus gesprächsweise vorgebrachtem Vorschlag, diese Vaterunser-Bitte doch etwas anders zu übersetzen, haben sich viele Theologen zu Wort gemeldet. Tenor: eher ablehnend. Es stimmt auch, dass der Textbefund eindeutig ist: Sowohl die ältere Vaterunser-Fassung bei Lukas als auch die ausführlichere bei Matthäus lauten, korrekt übersetzt „Führe uns nicht in Versuchung“. So weit, so gut.

Da lässt es aufhorchen, dass der Exeget Klaus Berger, einer der besten und originellsten Kenner des Neuen Testaments im deutschen Sprachraum, in der „Tagespost“ dem Papst beispringt: Auch er, Berger, finde, diese „vieldiskutierte“ Bitte müsse eigentlich so übersetzt werden: „Und lass uns nicht in Versuchung geraten.“

Dabei rüttelt auch Berger nicht am oben genannten Textbefund. Er fragt aber: „Blickt man denn gar nicht darauf, was Menschen heute mit dieser Bitte assoziieren? Hat noch niemand gemerkt, dass die traditionelle deutsche Übersetzung viele in Zweifel und Ungewissheit führt, weil sie mit ihrem Gottesbild nicht mehr zurechtkommen?“

Im Lauf der Jahrhunderte seit Luthers großer Bibelübersetzung haben sich laut Berger „die Assoziationen geändert“. In Versuchung führen bedeute heute „an niedere Triebe appellieren“, „verführen wollen“. „Genau in diesem Sinne“, so Berger, „sagt der Jakobusbrief 1,13: Gott versucht keinen.“ Da helfe „alles Pochen auf eine wörtliche Übersetzung gar nichts, wenn normale Menschen daraus die falschen Schlüsse ziehen“.

“ Verschone uns vor Testsituationen ”

Nein, Gott versuche keinen. Er führe höchstens jemanden in eine Situation hinein, in der dieser dann vom Teufel versucht werden könnte – zum Beispiel Jesus selbst, der nach Angaben des Evangeliums nach seiner Taufe im Jordan vom Geist in die Wüste getrieben wurde, wo er dann den Versucher traf (vgl. Lk 4, 1-2). Und diese Vaterunser-Formulierung bitte nun einfach Gott darum, den Beter vor „Testsituationen“ zu verschonen. „Das passt genau zu der folgenden Bitte ‚Erlöse uns von dem Bösen‘, denn das heißt: Befreie uns von dem Teufel, statt uns ihm begegnen zu lassen.“

Berger weist noch darauf hin, dass Versuchung nicht dasselbe wie „Prüfung und Bewährung“ sei: „Prüfen will und wird uns Gott sehr wohl.“ Aber der Sinn solcher Prüfungen sei „nicht teuflisch“, er habe nichts Heimtückisches an sich. Vielmehr könne die Prüfung „nötig sein, um qualifiziert weiterzuleben – wie bei der Abiturprüfung“. (Da traut der Herr Professor dem deutschen Abitur vielleicht zuviel zu… aber das ist ein anderes Thema.)

“ Warum wurden wir vertrieben? ”

Eine Prüfung „hat eine Zukunft“, erläutert Berger, „die Versuchung nicht“. Er rät dazu, auf Prüfungen und Bewährungsproben mit dem Schrei Jesu am Kreuz zu antworten, nämlich mit der Frage „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wobei auch das „falsch übersetzt“ sei, denn wörtlich müsse es heißen „Wozu hast du mich verlassen?“

Berger dekliniert das dann an ganz konkreten Beispielen durch. „Warum wurden wir aus Schlesien vertrieben? Antwort im Sinne der Bibel: um etwas Neues beginnen zu können, das dann größer und schöner wurde als das Verlorene. Oder: Nicht fragen Warum verliert ein Mädchen ihren Freund? Sie sollte fragen: Wozu? Sonst könnte sie nicht jetzt nach einem Neuanfang glücklich sein.“

Die Bibel denke eben „immer adventlich, nämlich vom Ende her, von der Hoffnung und vom Ziel her“. Das ist das alte „cui bono“, christlich gewendet. In dieser Hinsicht darf man jetzt durchaus fragen: Wozu diese Aufregung um die Überlegungen des Papstes zum Vaterunser? (vatican news)

Zum Streit um die Versuchungsbitte im Vaterunser

Von VATICAN Magazin / Klaus Berger.

Die deutsche Wendung „in Versuchung führen“ ist zumindest doppeldeutig. Daher gibt es auch bei uns dazu immer wieder Anfragen, die eine große Irritation verraten. Denn jede der beiden deutschen Bedeutungen führt zu theologischen und religiösen Unmöglichkeiten

Versteht man „in Versuchung führen“ als Versuchen, also als Bemühen zu Fall zu bringen, dann kann man sagen: Das tut Gott nicht. Und bestätigt wird das durch den Jakobusbrief 1,13 („Gott versucht keinen“). Und Jak 1,14 sagt auch, dass wir bei Versuchungen immer wieder über die eigene Schwäche stolpern, aber eben Gott dafür nicht verantwortlich machen dürfen. Nein, Gott versucht nicht, und wenn die Evangelien sagen, dass der Teufel in Versuchung führe, dann meinen sie zweifellos, das zu einer Versuchung, in die man hineinfällt, immer zwei gehören: der schwache Mensch und eine rätselhafte, zur Sucht führende Macht von außen.

Versteht man „in Versuchung führen“ als Hineinführen in eine Situation, in der dann der Teufel die Menschen versucht, dann widerspricht dem augenscheinlich wiederum die Schrift selbst. Denn nach Mk 1,12 heißt es: „Und sogleich trieb der Heilige Geist Jesus in die Wüste“; dort wird Jesus dann versucht. Gott selbst also führt Jesus in die Versuchung. Der Teufel versucht Jesus, aber Gottes Geist treibt Jesus förmlich in die Versuchung durch den Teufel hinein. Auch das sieht nach einer Unmöglichkeit aus. Denn Gott tut hier genau das mit Jesus, was er nach dem Vaterunser mit den Jüngern nicht tun soll. Geht es also auch hier um eine theologische Unmöglichkeit?

Ergebnis: Beide mögliche Bedeutungen führen zu Absurditäten. Doch wer so denkt, hat das Vaterunser nicht verstanden.

Denn es ist in der Tat so, dass Gott nach Mk 1,12 mit Jesus das tut, was er mit den betenden Jüngern nicht tun soll. Denn im Vaterunser bringt Jesus den Jüngern bei, wie sie beten sollen. Jesus hat das Vaterunser nicht mit den Jüngern zusammen gebetet, diese Annahme würde schon bei der Vergebungsbitte in neue Absurditäten führen. Denn Jesus, der ohne Sünde ist, kann nicht um Vergebung seiner Schuld bitten.

Die Versuchungsbitte macht vielmehr dann Sinn, wenn man sie übersetzt: Und lass uns nicht in Versuchung geraten.

Das versteht man besser, wenn man den Text Mk 14,35-42 (Versuchung in Gethsemane) hinzunimmt. Jesus lässt die Jünger schlafen, währender betet. Er weiß, dass er ihnen nicht zumuten kann, was ihm zugemutet wird. Denn er weiß, dass er Sohn Gottes ist (seit Mk 1,11), die Jünger aber sind das gerade nicht. Eine Versuchung, wie er sie überstanden hat, kann er den Jüngern gerade nicht zumuten.

Und wenn die Versuchung doch kommt (denn das könnte trotz allem Gottes Wille sein, vgl. Mk 14,36b), dann gibt er den Jüngern ein Mittel an die Hand, sie zu überstehen: Gott auf sein Vater-Sein hin ansprechen, wie Jesus es nach Mk 14,36 (und nur dort!) mit dem hebräischen Wort ABBA tut. Das ist ein Signal für die Einzigartigkeit der Sohnschaft Jesu.

In diesem und nur in diesem Sinne – unter Beachtung von Punkt 2.bis 4. meiner Argumente – kann ich übersetzen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Denn das könnte Gott tun, wie man an Jesus sieht. Doch er soll es lieber nicht tun (außer wenn er es dezidiert will, was auch Jesus sagt: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe) Denn das Vaterunser betont durchweg die Hilfsbedürftigkeit und Schwäche der Menschen, von der Brotbitte bis hin zur Vergebungsbitte. Und da passt die Bitte um Verschonung von Testsituationen gut hinein.

Erläutert, umgesetzt ins Gebet heißt demnach die Übersetzung „Lass uns nicht in Versuchung geraten“: Mute uns das nicht zu, was Jesus siegreich überstehen konnte. Er ist auf einzigartige Weise dein geliebter Sohn, voll des Heiligen Geistes; so konnte er nach seiner Taufe dem bösen teuflischen Geist widerstehen. Wir aber sind schwache, sündige Menschen, schwache Lichter. Verschone uns, Herr. Verschone uns von Situationen, denen wir nicht gewachsen sind. Nimm dieses als unser demütiges Eingeständnis. Die Rolle stolzer Glaubenskrieger können wir nicht wahrnehmen. Wir sehen es in Mk 14 an den Jüngern, die selbst dazu nicht in der Lage waren, mit Jesus wach zu bleiben.

Im Alten Testament heißt es: Gott versuchte Abraham (Gen 22,1). Doch das hebräische Verb heißt an dieser Stelle „erproben“, „auf die Probe stellen“, „prüfen“. nicht aber: heimtückisch, listig und mit dem Ziel des Absturzes in die Irre leiten. Wenn die Seelsorge von „Prüfungen“ spricht, dann meint sie so etwas. Wir kennen das auch von Führerscheinprüfung, Abiturprüfung usw. Prüfungen müssen sein, sie gehören zu jedem Beruf. Im Falle Abrahams, dessen Beruf war, „Muster aller Glaubenden“ zu sein, hat die jüdische Tradition Abrahams Prüfungen dann im Sinne von Schicksalsschlägen gedeutet, z.B. den Tod Saras. Und von den Schicksalsschlägen wissen wir, dass sie jeden treffen können und immer wieder treffen werden. Abraham übersteht das alles, weil er durch seinen Glauben gestärkt Gottes Freund ist. Die Opferung Isaaks ist ein Sonderfall, auf den ich an anderer Stelle gerne eingehe. Hier könnte gelten: Es kann geschehen, dass einer mehr geprüft wird je nach der Größe und Verantwortung seines Amtes bzw. seiner Rolle in der Heilsgeschichte oder in der Kirche. Beim Vaterunser geht es darum nicht. Denn wir wollen uns ja bewähren. Aber dem Teufel oder der Kreuzigung leibhaftig ausgeliefert sein wie es Jesus geschah, da bitten wir um Schonung.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von VATICAN Magazin.

Hinweis: Kommentare spiegeln die Meinung des Autors wider – nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch. (CNA Deutsch)

Ist die Bitte „führe uns nicht in Versuchung“ keine gute Übersetzung des Vaterunser?

Franziskus lobt neue Vaterunser-Version auf Französisch – Es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um zu sehen, wie er falle, so Franziskus.

VATIKANSTADT – Ist die Bitte „führe uns nicht in Versuchung“ keine gute Übersetzung des Vaterunser? In Frankreich heißt es seit dem ersten Adventssonntag: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“.

Im Interview mit „TV 2000“ am gestrigen Mittwoch hat Papst Franziskus die Änderung gelobt und die bisherige Zeile kritisiert. „Keine gute Übersetzung“ sei das bislang gewesen, so der Pontifex gegenüber dem italienischen Sender.

„Ich bin derjenige, der fällt, aber es ist nicht Er, der mich in Versuchung treibt zu sehen, wie ich gefallen bin. Ein Vater tut das nicht, ein Vater hilft schnell aufzustehen.“

In diesem Sinne warnte der Heilige Vater, dass „was dich verführt, Satan ist. Es ist das Werk des Teufels“.

Am 3. Dezember – dem ersten Adventssonntag – trat in Frankreich die neue Übersetzung der sechsten Linie des Vaterunsers in Kraft. Bis dahin rezitierten die Gläubigen „führe uns nicht in Versuchung“; nun wird gesagt: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“.

Die Ankündigung wurde von der französischen Bischofskonferenz am 30. November gemacht. Weiter hieß es, dass die Änderung auch bei allen ökumenischen Feiern, wie vom Rat der christlichen Kirchen in Frankreich empfohlen, zum Einsatz kommen wird.

In der lateinischen Fassung heißt die Zeile:

et ne nos inducas in tentationem

Auf Französisch wird nun gebetet:

Vor dem Hintergrund der französischen Vorgänge hatten Stimmen im deutschen Sprachraum eine Änderung erwägt.

Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer warnte jedoch vergangene Woche vor einer

„Verfälschung der Worte Jesu“.

Diese müssten nur richtig erklärt und verstanden werden, betonte der ehemalige Professor für Dogmatik. (© CNA Deutsch)