Unruhen in Libyen: Ein Gespräch mit dem Bischof von Tripolis

 Mindestens zweihundert Menschen sollen bei den Unruhen in Libyen in den letzten Tagen ums Leben gekommen sein. Zum ersten Mal schwappte die Protest- und Gewaltwelle an diesem Montag auch auf die Hauptstadt Tripolis über; dort brennt das Parlamentsgebäude, und Soldaten sollen sich den Demonstranten angeschlossen haben. Das Regime denkt aber nicht ans Aufgeben. Wir sprachen an diesem Montag Vormittag mit dem aus Italien stammenden Bischof von Tripolis, Giovanni Martinelli.
„Libyen ist kein armes Land wie Ägypten oder Tunesien; natürlich gibt es gerechtfertigte Forderungen, die das Volk erhebt, aber jedenfalls herrscht kein Elend. Die Art und Weise, wie diese Forderungen vorgebracht werden, ist bestimmt falsch: mit Gewalt nämlich. Die Antwort konnte nämlich nur Gegengewalt sein, um eine gewisse Ordnung wiederherzustellen."
Die Kirche in Libyen ist zu ihren größten Teilen nicht einheimisch, sondern wird von Missionaren und Gastarbeitern aus anderen Ländern gestellt. Darum bleibt sie derzeit vor allem Zuschauerin:
„Die Kirche hat keine besonderen Probleme: Wir konnten am Freitag ohne Schwierigkeiten die Messe feiern. Das ist ein Tag, in dem viele in die Kirche kommen: Koreaner, Filippinos, Afrikaner usw. Am Sonntag kamen aber spürbar weniger, das hängt natürlich mit der derzeitigen Lage zusammen. Aber in Tripolis haben wir derzeit keine Probleme mit den Behörden oder mit den Leuten."
Anders ist das nach Darstellung von Bischof Martinelli in der Stadt Bengasi, die mittlerweile nach Angaben einiger Nachrichtenagenturen in der Hand der Aufständischen sein soll.
„In Bengasi blieb die Kirche zu; wir haben in ihrem Innern auf Bitten hin viele Gastarbeiter, vor allem von den Phillipinen, aufgenommen. Sie warten auf ihre Evakuierung. Wir haben in Bengasi drei Gemeinschaften von Ordensfrauen, auch in anderen Landesteilen wie Baida oder Tobruk: Die Schwestern arbeiten in den Krankenhäusern und wollen auch in der jetzigen Lage dort bleiben und weiterarbeiten. Bisher hat keine Ordensfrau gesagt: Ich würde gerne evakuiert werden."
Das Volk sei den Ordensfrauen nahe, „weil sie voller Hingabe in den Krankenhäusern arbeiten". Auch die Priester, die in Libyen arbeiten, wollen nach Informationen des Bischofs im Land ausharren und weiterarbeiten. Auffallend, wie wenig Verständnis Bischof Martinelli für die Demonstranten hat:
„Wir wünschen dem libyschen Volk aus ganzem Herzen eine interne Versöhnung und Gerechtigkeit. Aus meiner Sicht ist diese Krise eine Generationen-Krise: Die jungen Leute brauchen Arbeitsplätze, Wohnungen… und die Behörden scheinen mir auch guten Willens zu sein, aber vielleicht haben die jungen Leute oder das Volk jetzt einen Weg der Gewalt eingeschlagen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen – das scheint mir nicht opportun. Mir scheint, Libyen braucht jetzt einen Dialog, um zu einem Frieden zu finden. Wir als Kirche sind den Menschen nahe und beten, dass die Herausforderungen gelöst werden."
Das Internet funktioniere im Moment nicht in Libyen – darum hat auch Bischof Martinelli nur lückenhafte Informationen über seine Kirche.
„Leider versuche ich seit zwei Tagen vergeblich, aus Baida – zweihundert Kilometer von Bengasi entfernt – etwas von den zwei Gemeinschaften von Ordensfrauen, die dort arbeiten, und ihrem aus Polen stammenden Priester zu hören. Weder per Telefon noch per Internet konnten wir einen Kontakt herstellen, darum haben wir den „Roten Halbmond" und ein Büro der „Islamic Call Society" gebeten, uns zu helfen, dass wir etwas über ihre Lage herausfinden."
Nicht nur die Religionsführer in Libyen riefen derzeit eindringlich zum Frieden auf, sondern auch die größten Teile der Bevölkerung, sagt Bischof Martinelli. Vor allem die vielen Gastarbeiter von den Philippinen beteten jetzt um den Frieden. (rv)