Kardinal Parolin: Istanbul-Weltgipfel muss Wirksamkeit noch beweisen

Kardinal ParolinDie zwei Tage des humanitären Weltgipfels der UNO in Istanbul müssen erst noch die Probe der Wirksamkeit überstehen. Darauf hat Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hingewiesen, der im Auftrag von Papst Franziskus eine dreiköpfige Vatikan-Delegation zum Gipfel begleitet hat. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagte Parolin, es habe ihn beeindruckt, wie viele Teilnehmer beim Gipfel formulierten, dass es zum Anliegen der humanitären Hilfe heute keine irrealen Höhenflüge bräuchte, sondern einfach konkrete Antworten. „Genau das wird natürlich die Herausforderung sein“, kommentierte der Kardinalstaatssekretär. „Wir können nicht sagen, ob es diese Antworten geben wird. Es gibt den Willen, und hoffen wir, dass er sich verwirklicht. Das ist die Probe der Wirksamkeit des Gipfels, seiner Stichhaltigkeit.“

Der Erste Weltgipfel der humanitären Hilfe verstand sich als globaler Aufruf zum Handeln an die Weltgemeinschaft. Staaten und Zivilgesellschaft kamen mit dem Ziel zusammen, innovative Wege zu finden, um die humanitären Bedürfnisse in einer sich schnell verändernden Welt zu bewältigen. Da ging es unter anderem um die Vorbeugung und Beendigung von Konflikten, die Einhaltung der Regeln bei Kriegsführung, die Bewältigung des Klimawandels und die Frage, wie in Zukunft weniger Menschen auf der Welt von Beihilfen und Notprogrammen abhängen können. Rund um den Erdball sind die humanitären Bedürfnisse heute so dringend wie seit Jahrzehnten nicht, selbst grundlegendste Hilfeleistungen erreichen längst nicht alle Notleidenden. 125 Millionen Menschen brauchen laut UNO Unterstützung zum Überleben. Allein 60 Millionen sind auf der Flucht, vor zehn Jahren waren es mit 37 Millionen deutlich weniger.

Der Heilige Stuhl habe sich in allen drei Gesprächszirkeln eingebracht, erklärte Parolin. Besonders hob er den zweiten hervor, der sich mit der Frage nach der Einhaltung internationaler Normen beschäftigte. „Ich denke, wenn es dem Gipfel wirklich gelingt, diese Vorstellung durchzusetzen, dass das humanitäre Völkerrecht respektiert werden muss, wäre das ein großer Schritt für alle: von seiten der staatlichen Akteure und von seiten der nichtstaatlichen Akteure.“

Zukunftsweisend auch der dritte Runde Tisch beim Gipfel: die Erziehung zu einer Kultur des Friedens. Die katholische Welt gebe da bereits sehr konkrete Antworten, hob Parolin hervor. „Oft sind die katholischen Institutionen, besonders auf örtlicher Ebene, die ersten und, wie ich gehört habe, auch die letzten, die vor Ort bleiben, um zu helfen.“

Zu sehr von rein politischer Stellungnahme belastet war der Gipfel aus seiner Sicht nicht, sagte uns Kardinalstaatssekretär Parolin. „Sicher, einige haben die Anwesenheit eines Mikrofons dazu benutzt, ihre Positionen herauszustreichen. Aber sehr viele andere haben genau diesen Aufruf lanciert: die Positionen und die politischen Gegenüberstellungen zu überwinden, mit dem Ziel, eine menschliche und solidarische Antwort zu geben auf die Bedürfnisse so vieler Männer und Frauen in Not.“ (rv)

UNO: Einigung in Libyen bald möglich

UNO-FahneGibt es bald Hoffnung für das Bürgerkriegsland Libyen? Der UNO-Sicherheitsrat sieht eine mögliche baldige Einigung zwischen den verfeindeten Parteien im Land. Die mehrmonatigen Verhandlungen steuerten auf ihr Ende zu und eine Machtteilung sei möglich, sagte der UNO-Sonderbeauftragte Bernardino León. Zugleich wies er auf die schlechte humanitäre Lage und das Erstarken der IS-Terrormiliz in dem Land hin. Außerdem warteten in Libyen rund 250.000 Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa. Vier Jahre nach dem Sturz von Diktator Gaddafi streiten zwei rivalisierenden Regierungen in Tobruk und Tripolis um die Macht. Gabriele Iacovino vom Zentrum für Studien der internationalen Politik schlägt eine Machtteilung im föderalen Stil vor, um der Lage Herr zu werden.

„Bis jetzt wurde wenig gesprochen über eine Föderation im Inneren Libyens. Wir brauchen Zugang zur wichtigsten Region des Landes, nämlich dem Zugang zur Sahel-Zone, von wo aus die illegalen Waren wie Waffen und Drogen sowie Menschen eingeschleust werden. Sie bringen dem Land immer mehr Instabilität. Ein möglicher Weg ist die Föderalisierung, eine Machtteilung im Inneren des Landes unter den verschiedenen Gruppen. Das ist entscheidend, um mit ihnen in Verhandlung zu treten.“ (rv)

UNO: Kritik aus dem Vatikan am nuklearen Sicherheitsdenken

UNO-FahneDie bisherigen Schritte zur Abschaffung von Nuklearwaffen sind „beschränkt, ungenügend und in Raum und Zeit eingefroren“, so beurteilt für den Heiligen Stuhl dessen Ständiger Beobachter bei der UNO in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, die Anstrengungen der Weltgemeinschaft. Der Status Quo sei nicht aufrecht zu erhalten und auch nicht wünschenswert; wenn eine Welt undenkbar sei, in der alle Atomwaffen hätten, dann sei es nur vernünftig, sich eine Welt vorzustellen, in der keiner sie hat. „Die Institutionen, die dazu da sind, Lösungen und neue Wege zu finden, sind blockiert“, so Tomasi in einem Statement anlässlich einer Konferenz zum Nichtverbreitungsabkommen für Nuklearwaffen in Wien. Auch die Beziehungen der Nuklearmächte untereinander gäben keinen Grund für Optimismus.

Tomasi kritisierte auch die Neuinvestitionen in Nuklearwaffen, zum Beispiel in ihre Modernisierung. Auch habe jedes Land, nicht nur die Nuklearmächte, ein Recht auf nationale Sicherheit. „Wie kann es sein, dass die Sicherheit einiger nur mit einer bestimmten Art von Waffen aufrecht erhalten werden kann, während andere Staaten ihre Sicherheit ohne erreichen müssen?“, so Tomasi in seinem Statement. Es sei dringend notwendig, auf transparente Weise zu überprüfen, wie Staaten – vor allem solche mit Nuklearwaffen – ihre nationale Sicherheit definierten. (rv)

Kardinal Parolin: „Neue Völkermorde verhindern“

Kardinal Pietro ParolinZu Beginn der Nahost-Beratungen im Vatikan hielt Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin ein Referat. Dabei berichtete er über die Gespräche, die Päpstliche Nuntien aus der Region Anfang Oktober auf Geheiß des Papstes im Vatikan mit der Kurienspitze geführt hatten. Die derzeitige Lage von Christen und nicht-sunnitischen Minderheiten im Herrschaftsbereich des „Islamischen Staats“ sei „inakzeptabel“, urteilte Kardinal Parolin. Die Terrorgruppe trete elementarste Menschenrechte mit den Füßen.

„Massenhinrichtungen, Enthauptungen von Andersdenkenden, Verkauf von Frauen auf dem Markt, Kindersoldaten, Zerstörung von Kultorten – das alles hat Hunderttausende zur Flucht gezwungen. Wir verurteilen klar diese Verletzungen nicht nur des humanitären Völkerrechts, sondern der grundlegendsten Rechte überhaupt, und fordern ein Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr und auf ein Leben in Würde und Sicherheit im eigenen Land und in der eigenen Nachbarschaft. Das ist ein Recht, das von der internationalen Gemeinschaft wie von den Staaten garantiert werden muss!“

Die Konflikte im Nahen Osten stellen sich nach der Analyse von Kardinal Parolin „immer deutlicher als eine der ernsthaftesten Bedrohungen internationaler Stabilität“ heraus. Friede lasse sich im Nahen Osten allerdings nicht „unilateral“ herstellen, sondern nur mit einer „umfassenden regionalen Lösung“. Für eine „Stabilisierung der ganzen Region“ wäre eigentlich ein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts „dringend nötig“; entsprechende „diplomatische Bemühungen“ müssten jetzt forciert werden. Und auch der Iran sollte an einer Lösung für die Probleme im Nahen Osten beteiligt werden, so der Kardinalstaatssekretär. Mit den US-Luftschlägen auf Stellungen des „Islamischen Staats“ zeigte er sich nicht ganz zufrieden – und zwar, weil US-Präsident Barack Obama sich nicht um ein Mandat der Vereinten Nationen bemüht hat.

„Es ist legitim, den ungerechten Aggressor zu stoppen – aber immer unter Einhaltung des Völkerrechts, wie auch der Heilige Vater betont hat! Es hat sich ja auch klar gezeigt, dass man die Lösung des Problems nicht nur von der militärischen Antwort erwarten kann. Tiefer würde ein Lösungsweg gehen, der von den Ursachen ausgeht, die von der fundamentalistischen Ideologie ausgenutzt werden. Was den sogenannten „Islamischen Staat“ betrifft, sollte man endlich alle Quellen austrocknen, mit denen er seine Terroraktivitäten speist, etwa den illegalen Erdölexport und die Lieferung von Waffen und Technologie.“

Zum Exodus von Christen aus dem Nahen Osten meinte Parolin vorsichtig, das sei „ein komplexes Problem“. Wer – wie die meisten Kirchenführer der Region – wirklich einen Verbleib der Christen in der Region wolle, der müsse allerdings auch dafür sorgen, dass sie dort „adäquate Lebens-, Sicherheits- und Arbeitsbedingungen sowie Zukunftsperspektiven vorfinden“.

„Was kann die Kirche angesichts dieser Herausforderungen tun? Sie kann jedenfalls nicht schweigen angesichts der Verfolgungen ihrer Kinder und so vieler Unschuldiger. Es ist immer dringender, das herzzerreißende humanitäre Drama im Nahen Osten anzugehen; in Syrien zum Beispiel braucht mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung humanitäre Hilfe, um erst gar nicht vom Drama der Flüchtlinge zu sprechen, die man nach Millionen zählt. Die Christen in der Region sollten nicht der Versuchung nachgeben, sich von politischen oder militärischen Kräften beschützen zu lassen, sondern sollten einen Beitrag zu ihren Gesellschaften leisten, damit diese sich zur Moderne, zur Demokratie, zum Rechtsstaat und zum Pluralismus hin entwickeln. Im konkreten Fall des sogenannten „Islamischen Staats“ haben muslimische Führer eine besondere Verantwortung – nicht nur, sich von diesem zu distanzieren, sondern auch allgemeiner das Töten von Menschen aus religiösen Gründen und jede Art von Diskriminierung klar zu verurteilen.“

Die internationale Staatengemeinschaft sollte nach Ansicht von Kardinal Parolin „aus Fehlern der Vergangenheit lernen“ und jetzt in der Krise nicht (nur) auf Krieg setzen. Die UNO habe die Pflicht, „neue Völkermorde zu verhindern“. (rv)

Vatikan fordert „mehr Einsatz“ der UNO für Nahost und Ukraine

UNO-FahneDie Krisenherde im Nahen Osten und in der Ukraine zeigen, dass die UNO „frischen Wind“ braucht. Das betonte der vatikanische Kardinalstaatssekretär, Pietro Parolin, vor der UNO. Er sprach am Montag in New York bei der 69. Generalversammlung der Vereinten Nationen. In seinem Redebeitrag unterstrich der für die vatikanische Diplomatie zuständige Kardinal, dass der Schutz der Menschen Vorrang vor jedweden Interessen habe. Angesichts der blutigen Verfolgung der Christen im Irak und Syrien müssten „jegliche Mittel zu ihrem Schutz“ angewandt werden.

„Es ist sowohl berechtigt als auch nötig, jegliche Aggressionen zu stoppen! Dies soll aber durch eine multilaterale Koalition sowie durch einen nicht unverhältnismäßigen Einsatz von Waffen geschehen. Der Heilige Stuhl hofft, dass die internationale Staatengemeinschaft ihre Verantwortung wahrnimmt und alles Mögliche unternimmt, um Angriffe auf Minderheiten zu stoppen. Dies scheint uns wichtig, damit keine weiteren und schlimmeren Ungerechtigkeiten mehr stattfinden.“

Kardinal Parolin fügte an, dass der bisherige Umgang der internationalen Staatengemeinschaft mit den Krisenherden Syrien und Irak „nicht gut gewesen“ sei. Die Rüge des Kardinals galt wohl in erster Linie dem blockierten UNO-Sicherheitsrat: Statt einer einheitlichen Stimme, um den Opfern zu helfen, sei es nur zu Blockaden gekommen.

„Vor zehn Jahren hat ein UNO-Weltgipfel beteuert, dass die gesamte internationale Staatengemeinschaft unbedingt in einem Geist der Solidarität gegen jegliche kriminelle Handlungen wie Genozid, ethnische Säuberungen und religiös motivierte Verfolgungen vorgehen sollte!“

Würden sich alle Mitgliedstaaten der UNO – beziehungsweise des Sicherheitsrates – auf diesen Grundsatz besinnen, so gäbe es in der Tat „frischen Wind in den Vereinten Nationen“, meinte Parolin. Der Vatikan unterstützt eine Reform der UNO; Papst Franziskus wird womöglich im nächsten Jahr vor der Vollversammlung in New York sprechen. (rv)

Vatikan/UNO: Terroristen von Geld- und Waffenfluss abschneiden

 Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) muss nach Auffassung des Heiligen Stuhles von Geld- und Waffenflüssen abgeschnitten werden. Der Organisation sei der Zugang zum Erdöl-Markt und die politische Unterstützung zu entziehen, und niemand solle das billige Öl des „Islamischen Staates“ kaufen. Das forderte der ständige Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi. Er äußerte sich bei einer Sondersitzung des Menschenrechtsrates und sagte im Anschluss zu Radio Vatikan:

„Leute, die diesen Fanatikern, diesen Terroristen Waffen verschaffen, oder Mäzene, sie kommen aus verschiedenen Ländern der Welt, haben eine direkte Verantwortung für die begangenen Gewalttaten. Dasselbe gilt für jene, die das billige Öl kaufen, das der „Islamische Staat“ anbietet und diesem Phantomstaat pro Tag drei Millionen Dollar Einnahmen verschafft. Davon werden mehr Waffen angeschafft, und das Ergebnis ist noch mehr Gewalt.“

Zugleich erinnerte der Vatikan-Vertreter die Internationale Gemeinschaft an ihre Verantwortung, die Verfolgten zu schützen. Den Begriff der „Schutzverantwortung“ habe die UNO selbst in den vergangenen Jahren entwickelt, und er habe auch Eingang gefunden in die Soziallehre der katholischen Kirche. Die Kernaussage des Begriffs „Schutzverantwortung“ erklärt Tomasi folgendermaßen:

„Das bedeutet, wenn ein Staat nicht dazu in der Lage ist, seine eigenen Bürger zu schützen, und die unmittelbare Gefahr eines Völkermordes oder Ähnliches besteht, dann hat die internationale Gemeinschaft die Verantwortung einzugreifen. Aber es darf kein Eingriff sein, der mehr Schaden anrichtet als das Übel, das ihn auslöste. Er ist dazu da, den ungerechten Aggressor zu entwaffnen, sodass dieser nicht mehr dazu in der Lage ist, Schaden anzurichten.“

Der Vatikandiplomat warnte vor den Folgen eines weiteren „globalen Schweigens“. Eine zögerliche Antwort auf die Gewalt im Irak werde eine weitere Eskalation zur Folge haben. „Was heute im Irak passiert, ist schon in der Vergangenheit passiert und kann morgen an anderen Orten passieren“, sagte Tomasi vor dem Menschenrechtsrat. In der internationalen Gemeinschaft wächst aber seiner Wahrnehmung nach das Bewusstsein, dass im Nordirak „etwas getan werden muss“, berichtete Tomasi im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Aber Schutz muss praktisch sein, wenn er wirksam sein will. In meiner Rede habe ich mehrere konkrete Schritte vorgeschlagen. Beginnen müssen wir mit Überzeugungsarbeit: Wir müssen alle Staaten davon überzeugen, dass das, was in Nordirak und Syrien geschieht, brutal, barbarisch und unzivilisiert ist. Und deshalb müssen nicht nur den Westen oder Christen, Sunniten oder Schiiten diese Vorgänge verurteilen, sondern jeder.“

Die konkreten Empfehlungen des Heiligen Stuhles für die Staatengemeinschaft mit Blick auf den „Islamischen Staat“ gehen aber noch weiter. Tomasi:

„Ich habe empfohlen, dass nicht nur humanitäre Hilfe erfolgt, sondern dass auch das Recht der Menschen geschützt wird, nach Hause zurück zu kehren und ihr Eigentum wieder in Besitz zu nehmen. Sie sollen mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft wieder aufbauen können, was zerstört wurde, etwa auch ihre Kirchen und Gebetsstätten, sodass diese Menschen wieder dort leben können, wo sie fast 2000 Jahre lang gelebt haben. Sie haben ein unleugbares Recht darauf, dort zu leben.“ (rv)

Vatikanvertreter bei der UNO erinnert an Schutzverantwortung

UNO-Fahne „Schutz ist kein Schutz, wenn er nicht effektiv ist.“ Das hat der Vatikanvertreter bei der UNO in Genf, Erzbischof Silvano Tomasi, an diesem Montag mit Blick auf die dramatische Situation der Minderheiten im Irak betont. Bei einer Sondersitzung des Menschenrechtsrates erinnerte der Vatikanvertreter die Staatengemeinschaft an ihre Schutzverantwortung – „vor allem, wenn eine Regierung nicht in der Lage ist, die Sicherheit der Opfer zu garantieren“, so Tomasi. Dringend müssten konkrete Schritte unternommen werden, um den „ungerechten Aggressor“ zu stoppen, alle „verletzlichen Gruppen der Gesellschaft zu schützen“ und einen „gerechten Frieden“ im Land wiederherzustellen, so der Erzbischof mit Blick auf die Gräueltaten der Vertreter des „Islamischen Staates“ im Irak. „Die Erfahrung lehrt uns, dass eine ungenügende Antwort – oder schlimmer noch totale Inaktivität – oft in eine weitere Eskalation der Gewalt führen“, so der Ständige Vertreter bei der UNO weiter. Ein Versagen beim Schutz der irakischen Zivilbevölkerung werde auch tragische Konsequenzen für die Nachbarländer haben, warnte Tomasi. (rv)

Nigeria: Boko Haram will ebenfalls einen „Islamischem Staat“

Kardinal Onaiyekan Seit eineinhalb Jahren sind in Nigeria über 650.000 Menschen vor der Gewalt der islamistischen Sekte Boko Haram geflüchtet. Das teilte nun die UNO mit. Allein an diesem Freitag habe die Terrorgruppe im Nordosten des Landes ein Dorf eingenommen und etwa 11.000 Bewohner vertrieben. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Erzbischof von Abuja, Kardinal John Olorunfemi Onaiyekan.

„Boko Haram scheint immer mehr Erfolge zu verzeichnen und erobert ein Dorf nach dem anderen, zum Teil handelt es sich sogar um Kleinstädte. Wir verstehen nicht, weshalb die Armee, die dort präsent sein sollte, jedes Mal abzieht, kurz bevor Boko Haram kommt. Wir warten auf Erläuterungen der Regierung. Mir scheint das sehr peinlich für die unsere Politiker zu sein.“

Noch vor einigen Monaten sorgte eine internationale Kampagne zur Befreiung von entführten Schulmädchen für Schlagzeilen und vor allem für viele Solidaritätsbekundungen für Nigeria. Nun seien vergangene Woche nochmals hunderte Mädchen verschleppt worden, doch die internationale Aufmerksamkeit scheint sich auf andere Krisengebiete verlagert zu haben, so der nigerianische Kardinal.

„Wir wissen nicht weiter. Hinzu kommt, dass in Nigeria selber die Entführungen für politische Zwecke missbraucht werden. Nächstes Jahr finden wichtige Wahlen statt, und die Politiker denken lieber daran, diese schrecklichen Vorkommnisse für ihre Zwecke zu benutzen. Fakt ist, Boko Haram hat eine tiefe Kluft zwischen den Muslimen und den Christen in Nigeria geschaffen, und das beunruhigt mich sehr.“

Boko Haram habe auch einen Bezug zum „Islamischen Staat“ im Irak, so Kardinal Onaiyekan.

„Wenn wir hier in Nigeria hören, was im Irak geschieht, dann sind wir erstaunt und beängstigt, denn dort entsteht das, was Boko Haram seit Jahren versucht ebenfalls einzuführen: ein Islamistischer Staat. Das haben sie bisher bei uns nicht geschafft, aber wir befürchten, dass die Methode dieselbe sein wird: all jene töten, die nicht zu ihnen passen, egal ob Christen oder Muslime.“ (rv)

Papstbrief an Ban Ki-moon: Systematische Gewalt gegen Christen stoppen

UNO-Fahne In einem Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, ruft der Papst die Staatengemeinschaft dazu auf, die systematische Gewalt gegen Christen und andere religiöse Minderheiten im Irak zu stoppen. Der Brief ist auf den 9. August 2014 datiert. Lesen Sie hier das Schreiben, das an diesem Mittwoch bekannt wurde, in einer Arbeitsübersetzung.

Ich habe mit schwerem und schmerzendem Herzen die dramatischen Ereignisse der vergangenen Tage im Nordirak verfolgt, wo Christen und andere religiöse Minderheiten gezwungen wurden, aus ihren Häusern zu fliehen und der Zerstörung ihrer Kultstätten und ihres religiösen Erbes zusehen mussten. Bewegt durch ihre Notlage habe ich Kardinal Fernando Filoni, den Präfekten der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, der als Vertreter meiner Vorgänger Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. den Menschen im Irak diente, gebeten, meine spirituelle Nähe und meine Sorge sowie die der gesamten Katholischen Kirche auszudrücken – angesichts des unerträglichen Leids jener, die lediglich in Frieden, Harmonie und Freiheit im Land ihrer Ahnen leben möchten.

Im selben Geiste schreibe ich Ihnen, Herr Generalsekretär, und führe Ihnen die Tränen, das Leiden und die innigen Verzweiflungsschreie der Christen und anderer religiöser Minderheiten des geliebten Irak vor Augen. Ich erneuere meinen dringenden Appell an die Internationale Gemeinschaft zu handeln, um die gegenwärtig sich vollziehende humanitäre Katastrophe zu beenden. Ich ermutige alle zuständigen Organe der Vereinten Nationen, insbesondere die für Sicherheit, Frieden, humanitäres Recht und Flüchtlingshilfe zuständigen, ihre Anstrengungen in Übereinstimmung mit der Präambel und den entsprechenden Artikeln der Charta der Vereinten Nationen fortzuführen.

Die Welle der brutalen Angriffe im Nordirak muss die Gewissen aller Männer und Frauen guten Willens wachrütteln und sie zu konkreten Handlungen der Solidarität bewegen: Diejenigen müssen geschützt werden, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind, und den vielen Vertriebenen muss die notwendige und dringende Hilfe gewährt werden. Auch muss ihnen einen sichere Heimkehr in ihre Städte und Häuser garantiert werden. Die tragischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und das grundlegendste Verständnis der menschlichen Würde zwingen die Internationale Gemeinschaft insbesondere durch die Normen und Mechanismen des internationalen Rechtes dazu, alles ihr Mögliche zu tun, um weitere systematische Gewalt gegen ethnische und religiöse Minderheiten zu stoppen und zu unterbinden.

In dem Vertrauen, dass mein Appell, den ich mit denen der Orientalischen Patriarchen und anderer religiöser Führer vereine, eine positive Antwort haben wird, nutze ich die Gelegenheit, Ihnen meine größte Hochachtung auszusprechen.

Papst Franziskus (rv)

Vatikan-Diplomat sieht langsames Erwachen des Westens in der Causa Irak

UNO-Fahne Einen militärischen Eingriff im Nordirak, sofortige humanitäre Hilfe und einen Stopp für Waffenlieferungen an Islamisten: das hält Erzbischof Silvano Maria Tomasi für die geeignete Strategie, um die blutige Krise des „Islamischen Staates“ einzudämmen. Erzbischof Tomasi ist ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles bei der UNO in Genf. Er sagte uns:

„Die Notwendigkeit, die Christen im Nordirak auch physisch zu schützen, ist evident. Man muss humanitäre Hilfe leisten, Wasser und Nahrung liefern, denn Kinder und Alte sterben dort bereits aus Mangel an Nahrung. Sie mussten gehen ohne irgendetwas, nur in ihrer Kleidung. Man muss sofort helfen, ehe es zu spät ist. Eine Militäraktion ist vielleicht in diesem Moment nötig, es scheint mir aber auch dringend, dass alle jene, die Fundamentalisten mit Geld und Waffen versorgen – einschließlich der Länder, die sie stillschweigend unterstützen – aus der Deckung kommen und diese Unterstützung einstellen, denn sie ist weder für Christen noch für Muslime gut.“

Tomasi sprach von einer „neuen Tragödie im Mittleren Osten“: die grundlegendsten Menschenrechte Zehntausender Menschen und ganzer Gemeinschaften seien verletzt. Die Tatsache, dass es sich bei vielen Opfern um Christen handle, mache die Sache in der westlichen Öffentlichkeit ambivalent.

„Wir stehen vor einer komplizierten Lage. Einerseits sind da die Fundamentalisten, die im Namen eines Kalifates, das sie errichten wollen, zerstören und erbarmungslos morden. Auf der anderen Seite sehen wir eine gewisse Gleichgültigkeit der westlichen Welt. Wenn es Christen sind, deren Rechte es zu verteidigen gilt, gibt es da eine falsche Scham. Es ist ein Moment, in dem die Stimme des Gewissens klar und laut sprechen muss.“

Tomasi beobachtet aber auch eine langsam einsetzende Haltungsänderung bei der internationalen Gemeinschaft. Der Generalsekretär der UNO habe endlich von „inakzeptablen Verbrechen“ durch den „Islamischen Staat“ gesprochen und ausdrücklich als Opfer die Christen benannt. Auch der UN-Sicherheitsrat habe über die Minderheiten im Mittleren Osten gesprochen, besonders die christlichen.

„Neu scheint mir zu sein, dass einige Muslime – etwa der Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit – sich ziemlich deutlich ausgedrückt haben, als sie die Christenverfolgung im Irak verurteilten. So wurde von islamischer Seite nicht nur das Recht der Christen auf Leben verteidigt, sondern auch ihr Recht, zu Hause zu leben wie alle anderen Bürger des Irak oder etwa Syriens. Ein Mittlerer Osten ohne Christen wäre eine Verarmung nicht nur für die Kirche, sondern auch für den Islam, dem dann ein Antrieb für Demokratie und ein Sinn für den Dialog mit dem Rest der Welt fehlen würde.“ (rv)