Missio: „Das Urteil gegen Mor Gabriel ist nicht rechtsstaatlich“

Der Landbesitz des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien ist nach jahrelangem Rechtsstreit nun im Berufungsverfahren gegen das Schatzamt der Türkei den umliegenden Dörfern zugesprochen worden. Das hat der Anwalt des Klosters, Rudi Sümer, an diesem Dienstag bestätigt. Nach westlicher Einschätzung ist das Urteil zumindest zweifelhaft, denn wichtige Dokumente wurden vom Gericht nicht berücksichtigt. Andererseits wäre nun der Weg für eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte frei. Der Türkeiexperte und Leiter der Fachstelle Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk „missio" in Aachen, Otmar Oehring, zweifelt gar die Rechtsstaatlichkeit des Urteils an. (rv)

Türkei: Prozess um die Ermordung Padoveses kommt nicht weiter

Auch zwei Jahre nach dem Mord am Bischofsvikar von Anatolien, Luigi Padovese, kommt der Prozess gegen seinen mutmaßlichen Mörder nicht von der Stelle. Eine fünfte Anhörung wurde schon nach sieben Minuten wieder aufgehoben. Die erste Anhörung hatte letzten Oktober fünfzehn, die zweite im November sogar nur vier Minuten gedauert. Die Verteidigung will durch den Aufruf zahlreicher Zeugen belegen, dass der mutmaßliche Mörder, Padoveses Fahrer, geistig verwirrt und damit nicht schuldfähig sei. Die Mitra des italienischen Kapuziner-Bischofs ist derweil seit zwei Tagen in der römischen Kirche San Bartolomeo auf der Tiberinsel zu sehen; die Kirche dient dem Andenken von Märtyrern unserer Zeit. (rv)

Türkei: Katholische Bischöfe fordern Lösung

Die katholische Bischofskonferenz ruft die Regierung des Landes dazu auf, eine Lösung für die Eigentumsfrage kirchlicher Einrichtungen zu finden. Es gehe um die Rückgabe konfiszierter Güter, so die Bischöfe in einer Mitteilung vom Dienstag. Vertreter der Bischofskonferenz trafen sich am selben Tag mit anderen Religionsvertretern der Türkei. Die Zusammenkunft wurde vom türkischen Ministerium für Europafragen organisiert. Besonders die katholische Kirche habe es in der Türkei schwer, so der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Rinaldo Marmara, da sie im Gegensatz zu anderen Religionsgemeinschaften nicht juristisch anerkannt ist. Aus diesem Grund darf sie auch keine Güter und Immobilien besitzen. (rv)

Türkei: Rückgabe von Kircheneigentum – unser Dossier

Durchbruch in der Türkei: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will Kirchen zurückgeben. So und ähnlich rauscht es in diesen Tagen im Blätterwald. Was ist los in Ankara? Will Erdogan wirklich einen der vielen gordischen Knoten im Verhältnis zu den Nichtmoslems durchschlagen? Oder droht das neue Dekret gleich wieder im Behördendickicht zu verschwinden?

Türkei und Religionen – das ist ein kompliziertes Thema. Vor allem, wenn es um die nicht-islamischen Gruppen und Religionsgemeinschaften geht. Und wenn dazu noch Eigentumfragen ins Spiel kommen. Das hat historische Gründe.

Nur drei religiöse Minderheiten sind in der Türkei offiziell anerkannt: Orthodoxe Griechen, Juden und Armenier. Sie bekamen ihren Status 1936. Eine etwas breitere Definition von Minderheiten in der Türkei bot zuvor der Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923: Er zog auch Kurden oder Aramäer in Betracht. Aber nicht die „westlichen" Kirchen: die römisch-katholische, die Lutheraner, die Freikirchen. Sie haben bis heute keinen Rechtsstatus in der Türkei.

Nicht Kirchen sind in der Türkei im Besitz von Immobilien, sondern Stiftungen: Das ist eine Hinterlassenschaft des Osmanischen Reiches. Dort hatte das Prinzip geherrscht, dass alles Land Gott gehört und der Sultan es für diesen verwaltete. Privater Grundbesitz war unbekannt. Stattdessen wies der Sultan den religiösen Gruppen auf deren Anfrage hin Grund und Boden zu, wenn sie Kirchen oder Krankenhäuser errichten wollten. Der rechtliche Rahmen hierfür waren „Vafiks": Stiftungen. 1936 mussten die Religionsstiftungen dem Staat Listen mit ihrem Besitz vorlegen. Jahrzehnte später brach eine Welle von Enteignungen los, die bis zum heutigen Tag nicht ganz verebbt ist.

Nun also das Dekret Erdogans: Es sieht die Rückgabe des seit 1936 enteigneten Besitzes an jüdische und christliche Stiftungen vor. Nicht an die Kirchen selbst, sondern an die Stiftungen:

„Die christlichen Kirchen in der Türkei existieren rechtlich gesehen überhaupt nicht, genausowenig wie die jüdische Gemeinschaft in der Türkei. Anstelle der christlichen Gemeinden, also der christlichen Kirchen, und auch der jüdischen Gemeinschaft sind`s eben diese Gemeindestiftungen, die eben die Eigner von Immobilien sind, die wir nun tatsächlich den christlichen Kirchen oder der jüdischen Gemeinschaft zuordnen würden – aber Faktum ist: Die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinschaft haben keine Rechtspersönlichkeit, sondern nur diese Gemeindestiftungen."

Das erklärt Otmar Oehring, der Menschenrechtsexperte des kirchlichen Hilfswerkes missio Aachen. Oehring ist in Ankara aufgewachsen; kaum einer im deutschen Sprachraum kennt sich mit dem Staat-Kirchen-Verhältnis in der Türkei so gut aus wie er. Oehring hat den Eindruck, dass 1936 viel schiefgelaufen ist – in dem Moment nämlich, als die religiösen Gruppen in Ankara eine Liste mit ihrem Eigentum einreichen sollten:

„Das ist damals nicht in der Weise kommuniziert worden, wie das heute wahrscheinlich der Fall wäre; viele haben überhaupt nicht gewußt, dass sie das tun wollten, und haben es dann eben auch nicht getan. Und 1974 hat der Oberste Gerichtshof der türkischen Republik dann entschieden, dass alles, was 1936 von diesen Gemeindestiftungen nicht als Eigentum registriert worden ist, an den türkischen Staat fällt."

Die Enteignungen begannen: Wohngebäude, Kirchenzentren, Garagen, Schuppen kamen – wie Oehring formuliert – „den Stiftungen auf einmal abhanden". Eines der enteigneten Gebäude ist heute übrigens ein Nachtklub. All das muss jetzt zurückgegeben werden – außer, wenn der Staat diese Immobilien in der Zwischenzeit an Dritte veräußert hat. In diesem Fall sind Entschädigungen zum Marktwert vorgesehen.

Istanbul, das frühere Byzanz, hat eine stolze Geschichte und ist immer noch Sitz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Doch in der Stadt am Bosporus und auf zwei Inseln in den Dardanellen leben mittlerweile nur noch ca. 2.500 Griechen. Was sollen die jetzt auf einmal mit all diesen Immobilien, darunter womöglich dem Nachtklub, machen?

„Gut – man kann sich natürlich fragen, ob das sinnvoll ist oder nicht. Aber die eigentliche Frage ist: Soll hier Recht geschehen oder eben nicht? Und die türkische Regierung hat sich überraschenderweise darauf geeinigt, dass hier tatsächlich Gerechtigkeit geschehen soll – dass also wirklich all das, was den Gemeindestiftungen seit 1936 weggenommen worden ist, an sie zurückübertragen werden muss. Der Vorsitzende eines Gremiums der Generaldirektion für Stiftungen – ein Grieche – hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es tatsächlich nicht die Frage sein kann, ob die Griechen das alles überhaupt benötigen heutzutage (natürlich benötigen sie das nicht, um ihre seelsorglichen Aufgaben oder die im Sozial- und Bildungsbereich erfüllen zu können!). Aber sie haben natürlich einen Rechtsanspruch darauf! Und darum ist es richtig, dass sie das zurückkriegen."

Sie, die Griechen – oder gleich Jesus Christus selbst. In vielen Fällen ist nämlich Jesus, oder auch mal der heilige Georg, als Gründer einer Stiftung angegeben. So dass bisher manchmal türkische Gerichte Jesus vorgeladen haben, damit er bezeuge, dass ihm die Stiftung wirklich gehöre.

„Das Problem wird sich natürlich jetzt wieder stellen. Die türkischen Behörden und die Gerichte haben sich natürlich lange Jahre den Spaß gemacht, etwa nach dem heiligen Georg fahnden zu lassen. Und wenn er dann nicht aufgetaucht ist, haben sie dann mit der Begründung, dieser heilige Georg bzw. seine Erben seien nicht aufzufinden, eine Immobilie enteignet. Es scheint so, dass die türkische Regierung verstanden hat (oder verstehen wollte), dass das natürlich ein böses Spiel war – und auch wäre, wenn man das fortführen würde."

Die Fahndung nach Jesus oder dem heiligen Georg hat Erdogan jetzt offenbar eingestellt: Ihm ist es, glaubt Oehring, ernst mit der Rückgabe. Allerdings will der mit allen Wassern gewaschene Premier mit seiner Initiative auch keine schlafenden Hunde wecken. Darum wurde das Dekret eher versteckt veröffentlicht – in einem Text über die Arbeit des Ministeriums für Nahrungsmittel.

„Denn es hat in der Vergangenheit Streit gegeben über die Frage der Entschädigungen der nichtmuslimischen Gemeindestiftungen im Fall von Liegenschaften, die an gutgläubige Dritte veräußert worden waren. Da ist im Parlament von Abgeordneten argumentiert worden, dass man diesen schmutzigen Nichtmuslimen, diesen Ungläubigen, doch kein Geld nachwerfen sollte. Das tut jetzt die Regierung – und das muss man doch durchaus als einen sehr mutigen Schritt ansehen. Zumal eigentlich nicht klar zu sehen ist, aus welchem Grund sie das tun."

Wirklich nicht? Ist Erdogans Schachzug nicht in Wirklichkeit ein Signal an die Europäische Union, der die Türkei doch, wie wir in den letzten Jahren immer wieder gehört haben, beitreten will? Nein, das sieht Otmar Oehring nicht so.

„Sie scheinen das wirklich aus der Überzeugung heraus zu tun, dass das eigentlich getan werden muss."

Die Hoffnung auf die EU – die hat die türkische Regierung im stillen schon fast fahren lassen, das zumindest ist der Eindruck des Türkei-Experten von missio.

„Es ist natürlich immer von der EU gefordert worden, dass diese ganze Frage geklärt wird, das ist schon richtig. Aber im Grund genommen muss man klar sagen, dass der Wind des Beitritts zur EU total abgeflaut ist. In der Türkei geht eigentlich kaum noch jemand davon aus, dass es wirklich zu einem Beitritt zur EU kommen kann."

Und auch auf EU-Seite gibt es „Indizien, dass das zumindest mittelfristig nicht geschehen wird", etwa in der mittelfristigen Finanzplanung der EU. Auch kirchliche Partner in der Türkei, mit denen Oehring in Kontakt ist, haben das Gefühl: Die Regierung Erdogan tut jetzt einfach für das Verhältnis zu den Nichtmuslimen das, was sie schon seit Jahren angekündigt hat, ganz unabhängig von einem EU-Beitritt.

„Ganz klar gesagt: Es ist ein wichtiger, ein mutiger Schritt, ein überraschender Schritt. Aber es ist noch nicht das, was eigentlich von der Türkei erwartet wird, nämlich dass sie vollständige Religionsfreiheit im Sinne der internationalen Konventionen (u.a. auch der Europäischen Menschenrechtskonvention) umsetzen würde. Das muss durch eine neue Verfassung geschehen, und es gibt zwar schon eine Diskussion und auch Streit über die Erarbeitung einer neuen Verfassung, aber es ist in keinster Weise klar, wie es mit diesem Verfassungsprozess weitergehen wird."

Ein Sprung zurück, ins Jahr 2008: Da war die gleiche Frage wie jetzt eigentlich schon einmal gelöst worden. Reform des Stiftungsrechts, guter Wille der Regierung, lobende Schlagzeilen, religiöse Gruppen stellen über 2.000 Anträge auf Rückerstattung von Immobilien usw. Und dann war dasselbe passiert wie oft: Das meiste versandet im Apparat, scheitert an bürokratischen Hindernissen.

„Das gleiche Problem wird sich diesmal wieder zeigen, dass unter Umständen die zuständigen Behörden, bei denen jetzt Rückgabe bzw. Entschädigung beantragt werden muss, natürlich wieder spielen werden. Das ist eine alte Geschichte in der Türkei, dass die Behörden nicht immer das tun, was die Regierungen wollen, und umgekehrt. Ein Problem, das es hier ebenfalls geben wird, ist, dass natürlich in dieser Regelung drinsteht, dass die interessierten rechtmäßigen Eigentümer, also die Gemeindestiftungen, erstens die Rückgabe oder Entschädigung beantragen müssen – und dass zweitens diese Einzelfälle auch dem Parlament vorgelegt werden müssen. Und das Parlament wird dann praktisch über Rückgabe bzw. Entschädigung entscheiden."

Hier liegt eine Schwäche des Dekrets: Schließlich hat es auch bei den letzten Änderungen des Stiftungsrechts immer wieder heftigen Streit unter den Abgeordneten gegeben. Das könnte auch diesmal dafür sorgen, „dass das Ganze doch wieder ins Hängen kommt", wie Oehring formuliert. Er hoffe allerdings, dass Erdogan als Parteivorsitzender der islamischen AKP sein Gewicht bei dieser Frage in die Waagschale werfen wird.

Profitieren werden von Erdogans Dekret alle religiösen Minderheiten oder Gruppen, die Gemeindestiftungen haben: Dazu zählen auch die katholischen Armenier und Syrer – alle, die als Minderheiten entsprechend dem Vertrag von Lausanne von 1923 gelten. Aber eben nicht die Bahai, evangelische Kirchen, freikirchliche Gruppen – oder die römisch-katholische Kirche. Die hat keine Gemeindestiftungen, sondern nur ganz normale Grundbuchauszüge für einige ihrer Liegenschaften. Für andere hat sie gar nichts.

„Und das zeigt, dass es eben doch noch ein weiter Weg ist, bis die Türkei wirklich zu voller Religionsfreiheit kommt. Denn die römisch-katholische Kirche hat größte Probleme im Hinblick auf ihre Existenz: Sie hat keinen Rechtsstatus in der Türkei, existiert offiziell nicht, kann sich eigentlich rechtlich gesehen gar nicht organisieren im Land, kann auch kein Eigentum haben."

Es bleiben also auch nach Erdogans neuestem Schritt „viele Widersprüche": Die Gemeindestiftungen haben zwar Rechtspersönlichkeit, gleichzeitig existieren ihre Bezugskirchen und –gemeinschaften rechtlich gesehen in der Türkei überhaupt nicht. Heiliger Georg, hilf!

In osmanischer Zeit hielten Schutzmächte aus dem Westen, etwa Frankreich oder Italien, ihre Fittiche über die römisch-katholische Kirche in der Türkei. Das fiel ersatzlos weg, als sich nach dem Ersten Weltkrieg die türkische Republik gründete. Trotzdem hält die rechtlich nicht existente Kirche weiterhin viele ihrer Liegenschaften – sie nutzt zum Beispiel Kirchen, als deren Eigentümer im Grundbuch längst der türkische Staat eingetragen ist. Da gibt`s noch viele Fragen zu klären, sagt Türkei-Experte Oehring.

„Es hat von seiten der katholischen Ortskirche und auch von vatikanischer Seite immer wieder die Idee gegeben, dass man nach dem Modell des modus vivendi mit Tunesien einen entsprechenden modus vivendi auch mit der Türkei aushandeln sollte: dass also das Kircheneigentum der römisch-katholischen Kirche gesichert wird, ausgehend von einem Status quo an einem bestimmten Bezugstag. Meines Erachtens wäre das der falsche Weg, weil wir klar sehen, dass es in der Türkei seit geraumer Zeit – mindestens seit 2002 – Bewegung in der Frage gibt hin auf mehr Religionsfreiheit. Es wäre meines Erachtens außerordentlich ungünstig, wenn die katholische Kirche hier vorpreschen würde und sich einen anderen Status zuzueignen versuchen würde, als er dann für alle anderen Kirchen am Ende möglicherweise herauskommen wird…"

Istanbul. Die armenische Gemeinde in der Stadt ist seit dem Völkermord von 1915 bis 1917 stark geschrumpft – im ganzen Land soll es nur noch 60.000 Armenier geben. Istanbuls christliche Armenier feiern ihren Gottesdienst jeden Sonntag in einer anderen Kirche der Stadt: aus Angst, dass wieder einmal eine Immobilie vom Direktorat für Religionsstiftungen eingezogen wird. Unter dem Vorwand, die Kirche werde ja gar nicht mehr genutzt.

Kommt der heilige Wanderzirkus der Armenier von Istanbul jetzt an ein Ende? Das Dekret der türkischen Regierung macht zumindest Hoffnung darauf. Doch der Weg hin zu voller Religionsfreiheit in der Türkei ist noch lang – auch weil das Osmanische Reich sehr komplizierte Verhältnisse an seine Nachfolger vererbt hat. Ein religiöses Knäuel, das nicht leicht zu entwirren ist. (rv)

Türkei: Keine Neuigkeiten im Mordfall Padovese

Im Fall des ermordeten Bischofs Luigi Padovese gibt es keine Neuigkeiten. Das sagt der italienische Priester Domenico Bertogli, der als Pfarrer in der Türkei arbeitet, in einem Gespräch mit der italienischen Nachrichtenagentur SIR an diesem Montag. Derzeit würden weitere Untersuchungen zu dem Mord durchgeführt. Der mutmaßliche Täter sei nach Istanbul überführt worden. Man müsse nun abwarten. Der Vorsitzende der türkischen Bischofskonferenz Luigi Padovese war am 3. Juni letzten Jahres in seinem Wohnhaus im türkischen Iskenderun von seinem Chauffeur Murat Altun erstochen worden.
 Am 5. Februar jährt sich derweil zum fünften Mal der Mord am italienischen Priester Andrea Santoro in Trabzon am Schwarzen Meer. In Rom wird an diesem Tag mit einer Messfeier in der Basilika Santa Croce in Gerusalemme an Santoro erinnert werden. Wie im Fall Padovese wird auch der Mörder von Santoro von der türkischen Justiz als nicht voll zurechnungsfähig dargestellt. In diesen Fällen wie bei anderen Morden an Christen in der Türkei hatten die Täter aber offenbar Kontakt zu Polizei- und Sicherheitskreisen. (rv)

Türkei: Urteil gegen Mor Gabriel

Das Oberste Gericht der Türkei hat Ländereien des christlichen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien dem türkischen Staat zugesprochen. In einem seit Jahren andauernden Rechtsstreit entschieden die Richter in Ankara zugunsten des türkischen Schatzamtes. Das wurde am Donnerstag in Mor Gabriel bekannt. Mit der Klage hatte das türkische Schatzamt seinen Anspruch auf einige Felder in der Umgebung des im vierten Jahrhundert gegründeten Klosters durchsetzen wollen. Im Juni 2009 wies ein Gericht in der südosttürkischen Kreisstadt Midyat die Klage des Schatzamtes zurück. Daraufhin ging der Fall an das Berufungsgericht in Ankara. Der Türkei-Experte Otmar Oehring vom kirchlichen Hilfswerk missio fürchtet, dass diesem Urteil bald ähnliche folgen werden:
 Es gibt einen zweiten Prozess, bei dem es auch um einen Streit zwischen dem Kloster und dem Staatsschatz geht – von daher ist im Grunde genommen anzunehmen, dass am Ende das Urteil das gleiche sein wird. Und es gibt einen dritten Prozess, bei dem es um ein Landstück geht, das über viele Jahre nach dem Exodus großer Zahlen von syrisch-orthodoxen Christen aus der Region vom Kloster nicht mehr bearbeitet oder bewirtschaftet worden ist, und in diesem Fall behauptet das türkische Forstministerium, dieses Landstück sei Wald. Wald kann in der Türkei nicht Privateigentum sein, und deshalb müsse auch dieses Stück Land eigentlich Staatseigentum sein!
Landvermessungsarbeiten zur Erstellung von Grundbüchern nach den Vorgaben der Europäischen Union hatten vor drei Jahren eine ganze Reihe von Streitigkeiten zwischen dem Kloster, den umliegenden Dörfern und den türkischen Behörden ausgelöst. In einigen Verfahren obsiegte das Kloster, in anderen unterlag es. Die Prozesse sorgten auch in Deutschland für Aufsehen; Unterstützergruppen des Klosters und Politiker äußern sich besorgt über die Religionsfreiheit für Christen in der Türkei. Oehring weist darauf hin, dass das Kloster gegen das jüngste Urteil in Berufung gehen kann. Aber was tun, wenn es vor türkischen Gerichten verliert?
Sollte das alles so passieren, hätte das Kloster Mor Gabriel natürlich immer noch die Möglichkeit, zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu gehen. Wie der Ausgang eines Verfahrens dort sein würde, läßt sich vorab nicht einschätzen – denn dann würde es natürlich auch darum gehen, welche Beweise die beiden Streitparteien für ihre jeweilige Position vorlegen können.
Nur eine Fußnote: Ausgerechnet an dem Tag, an dem das Urteil in Ankara gegen Mor Gabriel bekannt wurde, hat der türkische Präsident die Diskriminierung von Christen durch die Behörden seines Landes angeprangert. Das sei eine „Schande", meinte Abdullah Gül am Rand eines Besuchs in Straßburg. Aber der Staatschef sieht Hoffnung: Bald werde jeder türkische Staatsbürger unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit die gleichen Berufs- und Zugangschancen haben, sagte er. Einzelheiten nannte er allerdings nicht. (rv)

Vatikan/Türkei: Kardinal Koch beim Andreasfest

Kardinal Kurt Koch leitet in diesem Jahr erstmals die vatikanische Delegation, die zum orthodoxen Andreasfest am 30. November nach Istanbul reist. Koch, der seit Sommer den Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen leitet, wird mit der Delegation an der Göttlichen Liturgie im Fanar teilnehmen, dem Sitz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Im Anschluss sind Gespräche mit Patriarch Bartholomaios I. sowie mit der Kommission geplant, die für die Beziehungen zur Katholischen Kirche zuständig ist. Außer Kardinal Koch gehören der vatikanischen Delegation Bischof Brian Farrell, der Sekretär des Rates, sowie der für die Ökumene mit der Orthodoxie zuständige Mitarbeiter an. In Istanbul stößt der Apostolische Nuntius in der Türkei dazu, Erzbischof Antonio Lucibello. Heiliger Stuhl und Ökumenisches Patriarchat schicken zum Patronatsfest der jeweils anderen Seite wechselseitig eine Delegation. (rv) 

Türkei: Neue Hoffnung für Christen in Tarsus

Wieder einmal eine hoffnungsvolle Nachricht aus dem Geburtsort des Völkerapostels Paulus: Die Kirche in Tarsus im Süden der Türkei soll der Christlichen Minderheit des Landes wieder als Kirche zur Verfügung stehen. Das regte der Leiter der türkischen Religionsbehörde, Ali Bardakoglu, in der vergangenen Woche an. Bisher dient die Kirche im Geburtsort des großen Theologen der frühen Christenheit nur als Museum und steht für religiöse Veranstaltungen nicht zur Verfügung. Allemal ein wichtiges Signal für die christliche Minderheit in Kleinasien, sei dieser Vorstoß, meint der Kölner Kardinal Joachim Meisner im Gespräch mit dem Domradio. Es ist jedoch nicht das erste Mal, das ein solcher Vorschlag aus dem türkischen Religionsamt kommt – kein Grund zu allzu großer Euphorie also:
 „Ich bin schon mehrfach durch Versprechungen hoher türkischer Autoritäten mit Hoffnung erfüllt worden, die sich dann als trügerisch erwiesen. Ich bleibe aber bei dem urchristlichen Grundsatz: „sperare contra spem", also „gegen die Hoffnung zu hoffen", auf dass die mittelalterliche Kirche in Tarsus uns Christen zurückgegeben wird."
Interessanter als die Forderung selbst ist vielleicht die Begründung, mit der Bardakoglu sich für eine Wiedereröffnung der Kirche einsetzt: Gerade im Zusammenhang mit dem Schweizer Minarettverbot sollte die Türkei ein Zeichen setzen und allen religiösen Minderheiten die Freiheit in der Ausübung ihres Glaubens gewährleisten, so der Chef der Religionsbehörde.
Doch auch hinter dieser Begründung steckt ein wenig politisches Kalkül – das meint jedenfalls der Türkei-Experte des katholischen Hilfswerkes missio, Otmar Oehring. Für ihn steht der erneute Vorstoß im Zusammenhang mit den Beitragsverhandlungen der Türkei zur EU. Doch wie ist überhaupt die Lage der Christen in der Türkei? Das fragten unsere Kollegen vom domradio den Türkei-Spezialisten Oehring:
„Die Lage der Christen ist insgesamt natürlich viel besser, als sie noch vor zehn oder zwanzig Jahren war. Da gibt es überhaupt keinen Vergleich. Aber verglichen mit den islamischen Ländern in der Umgebung der Türkei, insbesondere in der arabischen Welt, in Syrien, im Libanon und auch anderen Ländern, ist die Lage der Christen in der Türkei weiterhin sehr angespannt. Es gibt einerseits natürlich Möglichkeiten wie in der westlichen Welt, z.B. Religionswechsel, aber das ist eine mehr theoretische Möglichkeit. Auf der anderen Seite, wenn es um die Religionsausübung der Christen und insbesondere auch die Organisation, die Selbstverwaltung der Kirchen in der Türkei geht, muss man ganz klar sagen: Von Religionsfreiheit in der Türkei kann sicher keine Rede sein."
Vor knapp drei Monaten wurde der Vorsitzende der türkischen Bischofskonferenz, Luigi Padovese, ermordet. Hinter dem Mord standen zwar keine politischen oder religiösen Motive, aber trotzdem: Für die rund 100.000 Christen wäre es ein bedeutender Schritt, meint der Kölner Erzbischof Meisner:
„Nach den sehr traurigen Nachrichten der letzten Jahre über die Situation der Christen in der Türkei ist die jüngste Meldung wie ein Silberstreif am Himmel. Es wäre ein Signal für die ganze Welt! Da Paulus in Tarsus geboren wurde, ist der Ort mit der Person des Völkerapostels unauflöslich verbunden. Damit würde ein positives Zeichen auch an unsere Gesellschaft in Deutschland gesendet, wo den türkischstämmigen Mitbürgern muslimischen Glaubens immer wieder nahegelegt wird, sie mögen sich für dieselben Rechte der Religionsfreiheit in ihrem Ursprungsland einsetzen, wie sie in Deutschland und in Europa allgemein gelten."
Andererseits: Wenn sich die Lage der türkischen Christen in ihrer Gesamtheit nicht verändert, dann bleibt auch die Wiedereröffnung der Paulus-Kirche nichts als ein Tropfen auf den heißen Stein, erklärt Otmar Oehring von missio:
„Im Grunde genommen ist das eine kleine Angelegenheit im Vergleich mit dem, was die Kirchen und die nicht-muslimischen Minderheit in der Türkei eigentlich vom Staat erwarten. Sie erwarten, dass sie anerkannt werden, dass sie als Kirchen oder Religionsgemeinschaften so funktionieren können, wie das bei uns auch möglich ist und in der Türkei auch möglich sein müsste, weil die Türkei, wie die BRD, die europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnet, sie ist also dort auch Gesetz geworden. Damit müsste im Grunde genommen den Christen, Juden und allen anderen Religionsgemeinschaften, natürlich auch dem Islam, volle Religionsfreiheit zugebilligt werden. Das ist nicht der Fall. Wenn man jetzt hergeht und sagt: „Öffne doch eine Kirche", welche auch immer das sein mag. Dann ist es zwar schön, wenn diese Kirche geöffnet wird, das kann auch aus historischen, kirchengeschichtlichen Gründen von ganz großer Bedeutung sein, insbesondere natürlich im Fall der Pauluskirche in Tarsus. Es ändert aber an der grundsätzlichen Problematik nichts." (rv)

Türkei: Trippelschritte in Tarsus

Für den Vorsitzenden der türkischen Bischofskonferenz, Bischof Luigi Padovese, war es eines der großen Anliegen: Die Pauluskirche in Tarsus, also am Geburtsort des Völkerapostels, sollte wieder eine richtige Kirche sein. Auch der deutsche Kardinal Joachim Meisner unterstützte Padovese – der vor kurzem ermordet wurde – deutlich in diesem Wunsch. Nun hat das Drängen der Kirche bei der Regierung in Ankara nur wenig Erfolg gehabt, meint Otmar Oehring, missio-Menschenrechtsexperte und Türkei-Kenner:
„Es ist tatsächlich nicht so, dass die Kirche an die katholische oder überhaupt an eine christliche Kirche zurückgegeben worden ist. Allerdings – und das ist für türkische Verhältnisse durchaus schon ein Erfolg – kann die Kirche von Pilgergruppen auch ohne Voranmeldung genutzt werden; das war ja auch immer ein großes Problem. Doch müssen die Gruppen natürlich weiterhin Eintritt zahlen für das Museum, das die Kirche nun mal ist; dann können sie aber ihre Gottesdienste dort auch abhalten.“
Ähnlich zäh wird`s fast immer, wenn sich die christliche Minderheit in der Türkei um eine Verbesserung ihrer Lage bemüht. Oehring kann ein Lied davon singen. Allerdings hält er nichts davon, hinter dem Mord an Bischof Padovese mehr zu sehen als die Tat eines Einzelnen.
„Ich denke, dass man diese Geschichte des dramatischen Todes von Bischof Padovese in einem anderen Licht sehen muss – und dass man das nicht vermengen darf mit der Frage, ob dieser Tod einen nationalistischen oder islamistischen Hintergrund gehabt hat. Ich denke, das sollte man losgelöst sehen, und glaube, der Heilige Vater hat das Richtige gesagt, als er gleich nach dem schrecklichen Ereignis davon gesprochen hat, dass das eine private, eine persönliche Angelegenheit gewesen sei. Dabei sollte man es belassen. Alles andere führt nur zu Spekulationen, die wir jetzt gerade ja auch in verschiedenen katholischen Medien in den letzten Tagen erlebt haben.“
Es ist der – wie Padovese aus Italien stammende – türkische Bischof Luigi Franceschini, der in Interviews angibt, der Mörder habe Padovese aus Hass auf das Christentum getötet. Franceschini glaubt auch, dass die christlichen Pfarreien in Anatolien von fanatischen Moslems unterwandert würden. Oehring glaubt das nicht:
„Die Türkei ist ein Land, in dem man Verschwörungstheorien liebt, und offensichtlich fallen auch manche, die dort schon lange leben, solchen Theorien anheim. Ich würde schon sagen, dass das etwas merkwürdigt klingt, wenn jetzt behauptet wird, da hätte es Infiltrationen von islamischer Seite gegeben – die einzelnen Gruppierungen, die einzelnen Gemeinden sind so klein, dass es kaum vorstellbar ist, dass es tatsächlich islamistischen Gruppierungen gelungen sein sollte, solche Gemeinden in dem Mass zu infiltrieren, dass man dann auch tatsächlich bis hin zu einem Tötungsdelikt gelangen kann. Das glaube ich eigentlich nicht!“
Solche Äußerungen und Spekulationen seien, so Oehring, „wenig hilfreich“ für die Christen in der Türkei. (rv)

Türkei: „Fintenreich, wie er immer agiert“

Vor zwei Tagen musste die Türkei ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes aus Straßburg akzeptieren: Da entschieden die Richter, Ankara müsse ein Waisenhaus auf einer Insel vor Istanbul an das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel zurückgeben. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht für die bedrängten orthodoxen Christen in der Türkei, ja für die Christen dort überhaupt. Otmar Oehring ist missio-Menschenrechtsexperte und Türkei-Kenner – er sagt:
„Ich denke, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die letzte Hoffnung für alle Minderheiten in der Türkei ist – und das ist nicht nur die christliche, sondern auch die jüdische Minderheit, die Bahai und andere Gruppen. In gewisser Weise gilt das auch für die Aleviten, auch wenn man sich fragen kann, inwieweit die mit rund 30 Prozent Bevölkerungsanteil überhaupt noch als Minderheit anzusehen sind. Das Problem mit allen Entscheidungen des Menschenrechtsgerichtshofs mit Bezug auf die Türkei ist allerdings die Umsetzung. Die Türkei lässt tatsächlich die Fristen ablaufen, in denen sie gegen entsprechende Urteile des Straßburger Gerichtshofs Revision einlegen könnte – aber sie handelt dann immer wieder nicht im Einklang mit den Urteilen.“
Und genau das könnte jetzt auch im Falle des Waisenhauses passieren, über das am 15. Juni die Richter in Straßburg befunden haben.
„Eigentlich hätte der türkische Staat dieses Waisenhaus schon vor über einem Jahr an das Patriarchat zurückgeben müssen; das hat er aber nicht getan, obwohl er auch damals die Frist hat ablaufen lassen, ohne Widerspruch einzulegen. Die Frage ist, was jetzt passiert – es gibt in Istanbul die Befürchtung, dass der türkische Staat (fintenreich, wie er eigentlich immer agiert hat) auch diesmal wieder versuchen könnte, das Gebäude an eine Stiftung „zurückzugeben“, die seit 1902 dieses Waisenhaus im Auftrag des Ökumenischen Patriarchats verwaltet hat, die aber natürlich nie Eigentümer dieses Waisenhauses war und deren Mitglieder im Streit mit dem Ökumenischen Patriarchat liegen.“ (rv)