Bilanz (2): Das war 2014 aus der Sicht des Vatikans

Bilanz 2014Der Papst reist. Auslandsreisen führten ihn 2014 ins Heilige Land, nach Korea, Albanien, Straßburg und in die Türkei. Unvergessen bleibt sein spontaner Gebets-Stopp am Trennwall zwischen Israelis und Palästinensern. Es war überhaupt eine Reise von Mauer zu Mauer: vom Trennwall in den besetzten Palästinensergebieten zur Klagemauer; dort umarmte er einen Rabbi und einen Muslimgelehrten, schon wieder so ein emblematisches Bild. Im Juni, kurz nach seiner Heilig-Land-Reise, lud Franziskus die Präsidenten Israels und Palästinas, Peres und Abbas, zum Friedensgebet in die vatikanischen Gärten. Erfolg blieb der einmaligen Friedensinitiative zunächst versagt, denn im August flammte ein neuer Krieg zwischen den verfeindeten Nachbarn auf: der Gaza-Krieg. Beim Friedensgebet wich ein muslimischer Teilnehmer vom mühsam austarierten Gebetsprotokoll ab, als er auf einmal eine Sure des Korans rezitierte.

Reisen an die Peripherie

Einige der Papstreisen dieses Jahres waren, charakteristisch für ihn, Reisen an die „Peripherien“. In Korea, überhaupt in Fernost war seit 26 Jahren kein Petrusnachfolger mehr gewesen. Hier sprach Papst Franziskus 124 Märtyrer selig; und gleichzeitig richtete er von diesem zweigeteilten Land zwischen Russland, China und Japan eine Friedensbotschaft an ganz Asien. Europa betrat Franziskus sozusagen durch die Hintertür, bei einem Eintagestrip nach Tirana, Albaniens Hauptstadt. Ausgerechnet dieses lange isolierte Balkanland würdigte er als Modell friedlichen Zusammenlebens zwischen Christen und Muslimen. In Ankara pochte er auf mehr Rechte für Christen und betete einen Moment still in der Blauen Moschee von Istanbul – übrigens war das sein erster Moscheebesuch als Papst überhaupt. Vor allem aber setzte Franziskus fort, was er schon mit einer Begegnung in Jerusalem getan hatte: Er pflegte die Beziehungen zum Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, Patriarch Bartholomaios.

Nicht nur zu den orthodoxen Kirchen pflegt Papst Franz Sonderbeziehungen. Sein ökumenischer Suchscheinwerfer erfasste 2014 auch – ganz anders, als das bisher in Rom Usus war – Freikirchen, oder die Heilsarmee. Fast fühlen sich die traditionellen Ansprechpartner im ökumenischen Friedenspfeifenrauchen, die Kirchen der Reformation nämlich, ein wenig vernachlässigt von diesem Papst.

In Straßburg hielt Franziskus bei der kürzesten Papstreise der Geschichte seine bisher längsten Reden. Europa kann aus seiner Altersstarre herausfinden, wenn es statt der Zahlen wieder mehr den Menschen in den Blick nimmt, sagte der Papst aus Argentinien vor dem EU-Parlament und dem Europarat. Besonders genau durchgelesen hat die Straßburger Papstreden Annette Schavan. Die unter medialem Druck zurückgetretene Bildungsministerin von Angela Merkel ist 2014 als neue deutsche Botschafterin am Vatikan angetreten, erste Frau in diesem Amt, und erste Katholikin seit langem.

Familiensynode: eine überraschend offene Debatte

Ausgerechnet das Thema Ehe- und Familienpastoral hatte sich der Papst als erste große Reformbaustelle im Innerkirchlichen ausgesucht. Dazu verschickte er einen Fragebogen an die Bischofskonferenzen in aller Welt, der vielerorts auch von interessierten Laien ausgefüllt wurde. Für viele eine Sensation: Zum ersten Mal interessiert sich ein Papst vor Beginn einer römischen Bischofssynode für die Meinungen und Haltungen im gläubigen Volk. Dem deutschen Kurienkardinal Kasper fiel gewissermaßen die Aufgabe des Lockvogels zu. Er stellte vor dem Papst und vielen Kardinälen im Februar die Skizze einer neuen Eheseelsorge vor. Schnell gewann daraufhin eine Debatte an Fahrt, auch die Träger von Kardinalskäppchen beteiligten sich munter daran. Im babylonischen Stimmengewirr ging es vor allem um die Frage, ob geschiedene Menschen nach einer zweiten, zivilen Heirat zur Kommunion gehen dürfen oder nicht.

Unter den Scheinwerfern der Weltöffentlichkeit trat im Oktober 2014 die außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zusammen; Franziskus wünschte ausdrücklich eine offene Debatte zu einer Palette strittiger Themen – und er bekam sie auch. Manchen kam das wie ein Durcheinander vor, einige sahen Ur-Elemente katholischer Lehre wie zur Disposition gestellt, andere rühmten die Wiederentdeckung des freien Worts in der Kirche. Als ein Zwischenbericht zur Halbzeit der Beratungen von Zugehen auf Homosexuelle und von Gradualität kirchlicher Gebote sprach, platzte dem polnischen Erzbischof Gadecki der Kragen: In diesem Text gebe es Spuren einer gegen die Ehe gerichteten Ideologie.

Von „Buona sera“ bis „Hier bestimme ich“

Zum Schluss der Synode machte Papst Franziskus, der bis dahin in der Aula geschwiegen hatte, überraschend klar, dass er hier die Entscheidungen treffe. Es war ein weiter Weg von seinem „Buona sera, ich bin der Bischof von Rom“, mit dem er 2013 angetreten war, bis zu diesem „Ich bin hier, kirchenrechtlich gesehen, der Oberbefehlshaber“ von 2014. In der Hitze des medialen Wortgefechts ging manchmal unter, dass erst nach der nächsten Synode im Herbst 2015 Beschlüsse – wohlgemerkt des Papstes, nicht der Synode – zu erwarten sind.

Noch vieles mehr könnte man von 2014 erwähnen: Ukraine. Ebola. CIA-Folterskandal. Oder, im Vatikan, das Verfahren gegen den polnischen Erzbischof Wesolowsky wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in seiner Zeit als Nuntius in der Karibik. Da wäre noch einiges mehr. In Erinnerung bleibt der Franziskus des Jahres 2014 vor allem mit zwei Bildern: Gebet an der israelischen Sperrmauer. Gebet in der Blauen Moschee. Und mit einem diplomatischen Erfolg: der geglückten Vermittlung bei der Annäherung zwischen den USA und Kuba nach einem halben Jahrhundert der Eiszeit.

Wie lange er noch Papst sein werde, wisse er nicht, sagte Franziskus zum Entsetzen nicht weniger Gläubiger vor Journalisten bei der Rückreise von Korea. Einen Amtsverzicht wie Benedikt XVI. könne er sich gut vorstellen, oder auch einfach „zwei, drei Jahre noch, und dann ins Haus des Herrn“. Ein so dichtes päpstliches Jahr wie 2014 lässt erahnen, dass aus dem Scherz unvermittelt Wirklichkeit werden könnte. Aber auch, dass die katholische Kirche einen Papst wie Franziskus heute braucht. (rv)

Kardinal Parolin: EU ist ein Friedensprojekt

Kardinal Pietro ParolinAls wär`s viel länger her: Erst am Dienstag letzter Woche ist Papst Franziskus in Straßburg vor dem EU-Parlament aufgetreten und hat der „Großmutter Europa“ neues Leben einzuhauchen versucht. Jetzt spricht der engste Mitarbeiter des Papstes, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, von seiner Hoffnung, dass Europaskeptiker sich vom europäischen Projekt überzeugen lassen.

„Ich hoffe, sie hören auf die Botschaft des Papstes. Das ist eine Botschaft, die sehr auf dem Wert des europäischen Projekts bestanden hat, auch im Licht der Resultate, die dieses Projekt ergeben hat. Natürlich sind wir im Moment in einer Periode der Schwierigkeiten, der Krise, der Ermüdung – aber man darf doch nicht übersehen, dass dieses europäische Projekt den Frieden und Wohlstand für viele Generationen bedeutet hat. Das sollte man den jungen Leuten noch stärker vermitteln. Wenn man das europäische Projekt auf Materielles und Bürokratisches reduziert, dann geraten die grundlegenden Werte aus den Augen, die Werte der Gründungsväter Europas. Trotz aller Schwächen der EU: Hier haben wir doch ein wichtiges Werkzeug, um für Europa den Frieden zu sichern, den Wohlstand und einen Platz in der Welt.“

Parolin sprach mit uns am Rand einer römischen Feier, bei der an hundert Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Vatikan erinnert wurde. Auch mit Blick auf Europaskeptiker in Großbritannien sagt die Nummer Zwei des Vatikans:

„Die Welt ist heute komplizierter und konfliktträchtiger, als wir uns das nach dem Fall der Berliner Mauer vorgestellt haben. Das internationale Szenario hat sich stark verändert. Und darum ist es heute wirklich essentiell, miteinander zu reden und zu verhandeln, um dann die Probleme der Welt gemeinsam anzugehen.“ (rv)

Franziskus vor dem Europarat: „Europa, wo ist deine Kraft?“

Franzsikus200 Müde sei Europa geworden: Eine Aussage, die Papst Franziskus an diesem Dienstag in Straßburg nicht das erste Mal machte. Wie kommt man aus dieser Mattheit heraus? Dadurch, dass Europa nicht stehen bleibt, sondern überschreitet, aus sich selbst heraus geht. Diese in seinen Predigten und Texten immer wieder genannten geistigen Ratschläge wandte er vor den Vertretern des Europarates auf gesellschaftliche, geistige und politische Probleme an.

In Straßburg versammelt waren die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die Vertreter der Mitgliedsländer, die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie auch die verschiedenen Einrichtungen, die den Europarat als solchen bilden.

„Tatsächlich ist fast ganz Europa in dieser Aula zugegen, mit seinen Völkern, seinen Sprachen, seinen kulturellen und religiösen Ausdrucksformen, die den Reichtum dieses Kontinentes ausmachen.“

Das erste Anliegen des Europarats und deswegen das erste Anliegen der Rede des Papstes war der Frieden. Der Weg zum Frieden bestehe darin, den anderen nicht als Feind zu sehen, sondern als einen Bruder, der anzunehmen sei, so Papst Franziskus.

„Um das Gut des Friedens zu gewinnen, muss man vor allem zum Frieden erziehen, indem man eine Kultur des Konfliktes fernhält, die auf die Angst vor dem anderen, auf die Ausgrenzung dessen, der anders denkt oder lebt, ausgerichtet ist. Freilich darf der Konflikt nicht ignoriert oder beschönigt werden; man muss sich ihm stellen. Wenn wir uns aber in ihn verstricken, verlieren wir die Perspektive, die Horizonte verengen sich, und die Wirklichkeit selbst zerbröckelt. Wenn wir in der Konfliktsituation verharren, verlieren wir den Sinn für die tiefe Einheit der Wirklichkeit, halten die Geschichte an und verfallen der inneren Zermürbung durch fruchtlose Widersprüche.“

Leider gebe es auch in Europa immer noch Konflikte, Schmerz und auch Tote, so der Papst: „Darum ist das Werk des Europarates auf der Suche nach einer politischen Lösung der gegenwärtigen Krisen wichtig und ermutigend.“ Friede sei aber nicht bloß das Nichtvorhandensein von Kriegen, Konflikten und Spannungen – der Papst warb hier für ein positives Verständnis von Frieden, wie Europa ihn wünsche.

Das Europa, welches der Europarat vertrete, habe den Weg der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates gewählt, um den Frieden zu fördern, würdigte der Papst die Staatengemeinschaft. Damit sie dies auch weiterhin tun könne, müsse sie ihre eigenen Wurzeln kennen und diese auch nutzen. Das lehre zum Beispiel, dass man nach Wahrheit suchen müsse, so Franziskus. Wahrheit, das unbeeinflusste Gewissen und das Erkennen der Würde gehörten zusammen, führte der Papst aus. Nur mit Blick auf die Wahrheit gebe es deswegen den Raum der verantwortlichen Freiheit.

„Man muss sich zudem vor Augen halten, dass ohne diese Suche nach der Wahrheit jeder zum Maß seiner selbst und seines Handelns wird und so den Weg zur subjektivistischen Behauptung der Rechte bahnt. Auf diese Weise wird der Begriff der Menschenrechte, der von sich aus Allgemeingültigkeit besitzt, durch die Idee des individualistischen Rechts ersetzt. Das führt dazu, sich im Grunde für die anderen nicht zu interessieren und jene Globalisierung der Gleichgültigkeit zu fördern, die aus dem Egoismus entspringt und Frucht eines Menschenbildes ist, das unfähig ist, die Wahrheit aufzunehmen und eine authentische soziale Dimension zu leben.“

Heute aber scheine es so, als ob bei diesem Anliegen, den Frieden zu sichern, nicht mehr viel Energie da sei.

„Ein etwas müdes und pessimistisches Europa, das sich durch die Neuheiten, die von den anderen Kontinenten kommen, belagert fühlt. Wir können Europa fragen: Wo ist deine Kraft? Wo ist jenes geistige Streben, das deine Geschichte belebt hat und durch das sie Bedeutung erlangte? Wo ist dein Geist wissbegieriger Unternehmungslust? Wo ist dein Durst nach Wahrheit, den du der Welt bisher mit Leidenschaft vermittelt hast?“

Von der Antwort auf diese Frage werde die Zukunft des Kontinentes abhängen. Europa müsse darüber nachdenken, ob sein gewaltiges Erbe auf menschlichem, künstlerischem, technischem, sozialem, politischem, wirtschaftlichem und religiösem Gebiet ein bloßes museales Vermächtnis der Vergangenheit sei. Hier spiele der Europarat eine „primäre Rolle“ und hierbei wolle die Kirche helfen.

„In dieser Perspektive ist der Beitrag zu verstehen, den das Christentum heute zur kulturellen und gesellschaftlichen europäischen Entwicklung im Rahmen einer rechten Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft leisten kann. Aus christlicher Sicht sind Vernunft und Glaube, Religion und Gesellschaft berufen, einander zu erhellen, indem sie sich gegenseitig unterstützen und, falls nötig, sich wechselseitig von den ideologischen Extremismen läutern, in die sie fallen können. Die gesamte europäische Gesellschaft kann aus einer neu belebten Verbindung zwischen den beiden Bereichen nur Nutzen ziehen, sei es, um einem religiösen Fundamentalismus entgegenzuwirken, der vor allem ein Feind Gottes ist, sei es, um einer ,beschränkten‘ Vernunft abzuhelfen, die dem Menschen nicht zur Ehre gereicht.“

Er wünsche sich, dass eine neue soziale und wirtschaftliche Zusammenarbeit entstehe, die frei sei von ideologischen Bedingtheiten und die der globalisierten Welt mit Solidarität begegne, so Papst Franziskus weiter. Das brauche es auch mit dem Blick auf die Probleme des Kontinents: Jugendarbeitslosigkeit, Aufnahme von Flüchtlingen, die Armut in Europa und den Umweltschutz – dies seien dringende Themen.

„Es geht darum, gemeinsam eine umfassende Überlegung anzustellen, damit eine Art ,neuer Agora‘ entsteht, in der jede zivile und religiöse Instanz – obschon in der Trennung der Bereiche und in der Verschiedenheit der Positionen – sich frei den anderen gegenüberstellen kann, ausschließlich bewegt von der Sehnsucht nach Wahrheit und dem Wunsch, das Gemeinwohl aufzubauen. (..) Mein Wunsch ist, dass Europa mit der Wiederentdeckung seines historischen Erbes und der Tiefe seiner Wurzeln (..) jene geistige Jugend wiederfindet, die es fruchtbar und bedeutend gemacht hat.“ (rv)

Kardinal Parolin: In Straßburg wird es um Umweltschutz und Solidarität gehen

Kardinal Pietro ParolinEs wird die kürzeste Auslandsreise eines Papstes in der Geschichte: Am nächsten Dienstag fliegt Franziskus nach Straßburg, spricht dort vor dem EU-Parlament und dem Europarat. 26 Jahre ist es jetzt her, dass der heilige Papst Johannes Paul II. sich an die EU-Abgeordneten wandte; der Besuch von Franziskus im Europarat ist sogar eine Premiere, dorthin ist noch kein Papst gekommen. Worüber wird Franziskus in Straßburg sprechen? Das verrät uns Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, im Interview mit dem Vatikanischen Fernsehzentrum CTV.

„Bewahrung der Schöpfung, oder weltlich gesprochen: Schutz der Umwelt. Und dann das Thema der Solidarität gegenüber den Menschen, die neue Möglichkeiten außerhalb ihres eigenen Landes suchen, auch das ist ja ein Thema, auf das der Papst häufig zurückkommt. Es wird vor allem um Solidarität gehen, die ja nicht nur einer der Werte des geeinten Europas ist, sondern sogar – finde ich – das eigentliche Ziel der Existenz Europas, und sicher eine seiner grundlegenden Dimensionen. Und schließlich die ganzheitliche Vision des Menschen: Der Mensch in all seinen Dimensionen, einschließlich der spirituellen und transzendenten. Diese Dimension kann auch eine konstruktive Antwort geben auf die Herausforderungen, vor denen Europa im Moment steht.“

Nur dreißig Prozent der Europäer haben den Umfragen zufolge derzeit eine positive Sicht der EU; das liegt vor allem an der hartnäckigen Wirtschaftskrise. Die Idee des geeinten Europa hat an Glanz eingebüßt. Was tun, Kardinal Parolin?

„Die Menschen sehen in Europa oft eine weit entfernte Realität, eine bürokratische Realität, die sich nicht für die wirklichen Probleme des Alltags der Menschen interessiert. Die Krise führt zu einem Verlust an Hoffnung und Vertrauen, dass Europa tatsächlich eine Antwort auf die vielen Probleme auf dem Kontinent geben kann. Anders als vor einigen Jahrzehnten gibt es jetzt nicht mehr diesen Optimismus, dass man schon Antworten finden wird. Ich habe den Eindruck, dass das, was mal am Beginn der europäischen Idee stand, seine Gründungswerte nicht länger allgemein akzeptiert werden. Wenn man keinen gemeinsamen Ausgangspunkt mehr hat, kann man aber auch nicht mehr gemeinsam die Probleme anpacken. Darum scheint es mir wichtig, dass man in Schule und Ausbildung den jungen Leuten konkret zeigt, welchen Wert das europäische Projekt hat. Und dass es, wenn man es im Geist seiner Gründungsväter lebt, auch heute noch den Herausforderungen gewachsen und zu konkreten Antworten in der Lage ist.“

‚Europa ist müde’, hat Papst Franziskus Mitte Juni bei einem Besuch bei der römischen Basisgemeinschaft Sant`Egidio gesagt. ‚Wir müssen ihm helfen, sich wieder zu verjüngen.’ 75 Millionen junge Leute in Europa sind ‚Weder-Nochs’, das heißt, sie arbeiten nicht und studieren auch nicht. Parolin:

„Das große Problem Europas ist heute leider die Arbeitslosigkeit, vor allem bei jungen Leuten. Das führt zu immer mehr sozialer Ausschließung. Man müsste diesen Menschen mehr Solidarität und Hilfe geben, ihnen und den Migranten, den alleinerziehenden Müttern, den alten und behinderten Menschen – mehr Hilfen für sie wären ein sicherer Weg, um dem europäischen Projekt wieder mehr Kraft zu verleihen. Denn wie gesagt: Genau deswegen ist Europa geboren. Um Frieden zu sichern und eine besondere Aufmerksamkeit für die Schwächeren.“ (rv)

Botschaft an Taizé-Treffen: Geburtsstätte des Friedens in Europa

TaizeIn seiner Botschaft an das 36. europäische Jahrestreffen der Gemeinschaft von Taizé versichert Franziskus den Teilnehmern seiner Solidarität und erinnert an die Zusammenkunft vor einem Jahr, das in Rom stattgefunden hatte. Der Ort des diesjährigen Treffens sei bedeutsam, so der Papst in seiner Botschaft. Es handelt sich um die französische Stadt Straßburg.

Europa braucht den Einsatz von Jugendlichen, ihres Glaubens und ihres Mutes, um die Schwierigkeiten der Gegenwart zu überwinden. Diese wie in diesen Fällen üblich vom vatikanischen Staatssekretär Erzbischof Pietro Parolin unterschriebene päpstliche Botschaft begrüßt die 20.000 erwarteten Teilnehmer an diesem Samstag zum Taizé- Jahrestreffen in Straßburg und der Ortenau. Papst Franziskus würdigt in der Botschaft die Tatsache, dass das Treffen an der Geburtsstätte des modernen Europas stattfinde, dort wo die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Krieg gewachsen sei. Die Region sei deswegen ein Symbol der Hoffnung für die europäische Familie, so der Papst. Die Aufgabe der Jugendlichen für 2014 sei es, die Einheit aller Menschen zu suchen, die Christus lieben, so Franziskus. „Ihr wisst, dass die Spaltung zwischen den Christen ein großes Hindernis für die Aufgabe ist, die Christus der Kirche gegeben hat. Auch die Glaubwürdigkeit der christlichen Verkündigung wäre viel größer, wenn es den Christen gelingen würde, die Trennungen zu überwinden“, heißt es in der Botschaft. Er als Papst teile die Überzeugung der Jugendlichen, dass man viel voneinander lernen könne, vor allem wenn die Wirklichkeiten der Welt so verschieden seien. Franziskus versichert den Teilnehmern, den Gastgebern und den Vorbereitern und Seelsorgern seinen Segen und wünscht, dass der Geist des Friedens und der Versöhnung sich über diese Treffen an alle Zeitgenossen ausbreite. (rv)

EU/Italien: Kruzifixstreit, macht Straßburg heute Mängel wieder gut?

  Verstoßen Kruzifixe in staatlichen italienischen Schulen gegen Grundrechte? Über diese Frage entscheidet an diesem Freitag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in letzter Instanz. Hintergrund ist die Klage einer Mutter gegen die Anbringung christlicher Symbole in staatlichen Schulen. Die in Italien lebende Finnin hatte angegeben, diese verletzten die Rechte von Schülern, die selbst keiner christlichen Religion angehörten. Im November 2009 wertete der Europäische Menschenrechtsgerichtshof Kruzifixe an italienischen Schulen als Verstoß gegen das Erziehungsrecht der Eltern. Auch wenn das Kruzifix für einige Schüler motivierend sei, könnte es auf Schüler anderer Religionen „emotional verstörend" wirken, hieß es damals zur Urteilsbegründung. Der Staat Italien legte im Juni 2010 Berufung gegen das Urteil ein. An diesem Freitag wird nun das endgültige Urteil erwartet. Nach der ersten Entscheidung des Gerichtshofes gegen Kruzifixe in italienischen Schulen sprach Radio Vatikan mit dem Freiburger Staatsrechtler Stefan Mückl, der als Dozent an der Päpstlichen Universität „Santa Croce" lehrt und sich das umstrittene Kruzifix-Urteil des Straßburger Gerichtes einmal näher angesehen hat. Er wies den Straßburger Richtern damals Fehlschlüsse und schwere handwerkliche Mängel nach. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Einschätzung der Staatsrechtlers vom Juni 2010.
Grundsätzlich bemängelt Mückl, dass der Streit um das Schulkreuz viel zu wenig als öffentliche Debatte geführt wurde und wird. Und was die rechtliche Seite betrifft: Der supranationale Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe sich bei seiner ersten Entscheidung auf das Kruzifixurteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes (1995) gestützt, ohne jedoch Fehler und die Besonderheiten des deutschen Urteils zu berücksichtigen: „Alle Schwachpunkte der Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes finden sich nun wieder in der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes".
Im italienischen Fall hatte der Menschrechtsgerichtshof das Kreuz als Eingriff in Grundrechte gewertet: Die Schule dürfe keine „Schaubühne missionarischer Aktivitäten" sein, hieß es dort, staatliche Neutralität und Pluralismus müssten dort garantiert sein. Das Kruzifix sei ein „genuin religiöses und appellatives Symbol", in der Schule sei es für die Kinder unausweichlich und könne als „emotional verstörend" empfunden werden.
Natürlich habe das Kruzifix eine spezifisch religiöse Bedeutung im kirchlichen Kontext, so Mückl dazu. Wie jedes Symbol bedürfe aber auch das Kreuz der Auflösung. Und die fiele eben je nach Kontext anders aus: „Der Symbolbetrachter wird ja nicht zu einer Äußerung der Billigung oder Affirmation oder Anbetung gehalten, es wird noch nicht einmal eine wie auch immer geartete Stellungnahme abverlangt." Das Symbol ist an sich also noch lange kein Aufruf zur Bekehrung, stellt der Jurist klar.
Größtes Manko des Urteils ist nach Mückl: Das Straßburger Gericht habe den jeweiligen Einschätzungsspielraum der nationalen Regierung, in diesem Fall Italien, komplett übergangen: „Diesen Beurteilungsspielraum hat der Gerichtshof in der Vergangenheit stets respektiert und es nicht unternommen, seine eigene Einschätzung an deren Stelle zu setzen. Von diesem Grundsatz findet sich in der neuen Entscheidung aber rein gar nichts."
Mit dem Kruzifixurteil habe Straßburg wohl europaweit Exempel statuieren wollen, vermutet der Staatsrechtler. Damit würde das Gericht den eigenen Grundsätzen untreu: „Was die Kammer hier nun macht, ist, dass sie letzten Endes die Rolle eines gesamteuropäischen Gesetzgebers einnehmen möchte, indem sie die ihr richtig erscheinende Konzeption des Verhältnisses von Staat und Kirche in die Form eines einzelfallbezogenen Judikates gießt." Den wirklichen Schaden aus dieser Entscheidung trüge letztlich nicht Italien, auch nicht das Kruzifix, sondern der Gerichtshof selber, und mit ihm die europäische Idee. Mückl: „Es ist hier einer einzigen Kammer gelungen, in einer einzigen Entscheidung die Autorität des gesamten Gerichtshofes aufs Spiel zu setzen, und zwar eine Autorität, die dieser Gerichtshof bitter braucht, wenn es darum geht, in anderen Fällen, wo in des Wortes wirklicher Bedeutung Menschenrechte auf dem Spiel stehen, diese auch tatsächlich zu schützen." (rv)