Pax Christi: „Papstreise ist Friedenszeichen für Nahost“

Betroffen und schockiert haben Kirchenvertreter, Politiker und Hilfsorganisationen aus der ganzen Welt auf die israelische Attacke auf die Solidaritätsflotte vor der Küste Gazas reagiert. Bei der blutigen Auseinandersetzung auf hoher See zwischen israelischen Militärs und Teilen der Besatzung des Hilfskonvois wurden mutmaßlich über 10 Menschen getötet und bis zu 50 teilweise schwer verletzt. Die Ankunft der sechs Schiffe, beladen mit humanitären Gütern für die Menschen im abgeriegelten Gazastreifen, sei schon lange geplant gewesen. Darauf verweist der Vize-Präsident von Pax Christi Deutschland, Johannes Schnettler, im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Insofern muss eine erfahrene Armee in der Lage sein, eine solche Flotte entsprechend einzuschätzen und deeskalierend zu agieren. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, warum denn in der neutralen Zone schon angegriffen worden ist und die Schiffe nicht auf andere Weise gestoppt worden sind.“
Auf der Solidaritätsflotte befanden sich Vertreter ziviler Organisationen aus fast 40 Nationen; treibende Kraft der Aktion sei die US-amerikanische Organisation Freies Gaza. Die Menschenrechtsaktivisten hätten das israelische Militär provoziert und attackiert, hieß es zuletzt von israelischer Seite. Diesen Vorwurf gelte es jetzt sorgfältig zu prüfen, so Schnettler:
„Wenn es zu solchen Provokationen gekommen ist, müssen wir uns natürlich selbstkritisch auch fragen, ist das mit den Zielen einer gewaltfreien Aktion konsequent eingehalten. Andererseits ist natürlich auch vor dem Hintergrund des Einsatzes die Verhältnismäßigkeit des israelischen Einsatzes zu kritisieren.“
Mit der Solidaritätsflotte sollte nicht nur konkrete humanitäre Hilfe geleistet, sondern auch ein politisches Signal gegen die Blockade der Palästinensergebiete gesetzt werden. Dabei sei jedoch, unterstreicht der Vizedirektor von Pax Christi, im Vorfeld mehrfach die gewaltfreie Absicht der Aktion dargestellt worden. Der Vorfall dürfe jetzt nicht zu weiterer Gewalt in der Region führen, warnt Schnettler:
„Wir hoffen natürlich, dass diese Empörung jetzt nicht in exzessive Gewalt umschlägt, also die Empörung, die sich jetzt in Israels Nachbarländern breit macht. Wir müssen weiterhin an dem Ziel des Friedens im Nahen Osten bedingungslos festhalten. Es bedarf einer bedingungslosen Aufklärung des Vorfalls und dann muss man wirklich fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Reaktion Israels.“
Nach dem Blutvergießen war international Kritik an Israel laut geworden. Darin sieht Schnettler auch eine Chance – der Vorfall sei ohne Zweifel eine „menschliche und politische Katastrophe“, so Schnettler wörtlich, aber vielleicht könne er auch einen Wechsel in Israels Gaza-Politik einleiten:
„Vielleicht haben wir hier einen Einstieg in die Lösung des Problems gefunden. Es muss jetzt gelingen, dass wir Israel nicht an den Pranger stellen als Buhmann, mit dem die Staatengemeinschaft nicht mehr zusammenarbeiten will, sondern die Öffentlichkeit, so wie sie jetzt reagiert, macht ja deutlich: Israel, denke über die Verhältnismäßigkeit deiner Mittel nach! Es geht den Aktivisten und uns als Pax Christi auch um die Sicherheit Israels in der Region, diese Sicherheit ist dem Land von der internationalen Staatengemeinschaft zugestanden, aber das bedingt natürlich auch, dass es Sicherheit und Freiheit geben muss für die Palästinenser in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel.“
Auch die Papstreise nach Zypern könne hier ein Zeichen der Hoffnung sein, und eine deutliche Botschaft an beide Konfliktparteien in der Region:
„Der Papst ist das moralische Gewissen der Weltgemeinschaft und er kann sowohl Israel als auch Palästina eine deutliche Botschaft schicken, dass es zum Frieden keine Alternative gibt. Das heißt Israel muss den Umgang mit den israelischen Gebieten neu überdenken und die palästinensische Bevölkerung muss sich darüber klar werden, dass sie in einem friedlichen Miteinander mit Israel wird leben müssen und jedwede Drohung auf den Staat Israel unterlassen muss. Wenn der Papst die Kraft hat diese Botschaft in beide Richtungen zu sprechen, dann ist Zypern dafür ein guter symbolischer Ort, weil von dort aus ja auch die Flotte gestartet ist, die die humanitäre Aktion zum Ziel bringen wollte.“ (rv)

Vatikan/Nahost: „Widersinniger Verlust von Menschenleben“

Von einem „widersinnigen Verlust von Menschenleben“ spricht der Vatikan im Zuge der jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten. Die Attacke habe im Heiligen Stuhl „schmerzhaftes Bedauern“ ausgelöst, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi am Mittag gegenüber Journalisten. Ein israelisches Elitekommando hatte am frühen Montagmorgen Schiffe einer „Solidaritätsflotte“ für den Gaza-Streifen attackiert. Bei der Militäraktion wurden ersten Berichten zu folge bis zu 16 Menschen getötet und bis zu 50 Menschen teilweise schwer verletzt. Nach dem Gaza-Krieg im Jahr 2009 hat Israel keine einzige Hilfsflotte mehr durch die Blockade gelassen. Das berichtet unsere Jerusalemkorrespondentin Gabi Fröhlich. Neben der angegriffenen Flotte seien zwar weitere Hilfsschiffe unterwegs, die attackierte Flotte sei aber die größte gewesen:
„Diese 700 Aktivisten waren wohl auch sehr entschieden, ihre Hilfsgüter durch die Blockade hindurch nach Gaza zu bringen – die Israelis wiederum waren sehr entschlossen, sie daran zu hindern. Und offenbar ist die Situation nach dem, was man bis zu diesem Zeitpunkt hört und auf Bildern sieht, schlicht und einfach eskaliert. Es hat wohl, auch das sagen die Bilder, ebenso Angriffe seitens der Aktivisten auf die eindringenden Soldaten gegeben. Und die Soldaten hatten möglicherweise die Order, darauf hart zu reagieren. De facto kam es zu diesem sehr bedauerlichen und schlimmen Blutvergießen.“
Der israelische Industrie- und Handelsminister Benjamin Ben-Eliezer bedauerte unterdessen gegenüber örtlichen Medien den blutigen Ausgang der Aktion. Die Soldaten hätten auf eine „enorme Provokation“ reagiert. Dem widersprach „Freies Gaza“-Sprecherin Audrey Bomse: Die Besatzung der unter türkischer Flagge fahrenden „Mavi Marmara“ habe der Übernahme durch das israelische Militär ausschließlich gewaltfreien, „passiven“ Widerstand entgegengesetzt, unterstrich sie in einer ersten Stellungnahme. Auf Seiten der Kirche herrsche große Bestürzung über die jüngste Eskalation, so Fröhlich im Gespräch mit uns:
„Weihbischof Shomali, der Kanzler des lateinischen Patriarchats von Jerusalem, hat gesagt, er sei sehr traurig und die Armee hätte unter allen Umständen versuchen müssen, das Blutvergießen zu verhindern. Zu konkreten Einzelheiten äußern sich die Kirchenführer nicht. Denn alles ist ja noch ein bisschen unklar. Vage ist, was genau passiert ist. Aber allgemein ist man der Ansicht, dass so etwas nicht hätte passieren dürfen.“
Altpatriarch Michel Sabbah äußerte die Meinung, dass bereits die Erstürmung der Flotte, die mit humanitären Gütern nach Gaza unterwegs war, ein Vergehen sei. Die Kirche, meint unsere Korrespondentin, sehe die Blockade als grundsätzliches Problem. Und daran hätten auch die Aktivisten erinnern wollen.
„Sabbah unterstreicht, man könne nicht 1,5 Millionen Menschen mit einer Kollektivstrafe belegen, weil man in einem Konflikt mit ihrer Regierung liegt. Und die Abriegelung, so sagt das der einstige Patriarch, beraubt die Menschen im Gaza-Streifen so grundlegender Rechte wie Freiheit, Möglichkeiten der Selbstversorgung, usw. Also geht es nicht so sehr darum, dass Menschen im Gaza-Streifen Hunger leiden und dass man ihnen überlebensnotwendige Hilfsgüter bringen müsste. Sondern es geht um eine Krise der Menschenwürde, um grassierende Arbeitslosigkeit. Darum, eingesperrt und einer fremden Willkür ausgeliefert zu sein. Also um ein Leben wie im Gefängnis, ohne persönliche Schuld, für die meisten der Menschen im Gaza-Streifen.“
Das prangerten die einheimischen Kirchenvertreter schon lange an, so Fröhlich, und auch der Solidaritätsflotte sei es darum gegangen, den Blick der Öffentlichkeit auf den Gaza-Streifen zu lenken – der nicht nur unter einheimischen palästinensischen Christen als großes Unrecht empfunden wird. Taten, die den Lippenbekenntnissen der internationalen Politik folgten, seien überfällig:
„Es ist immer wieder so, dass schlechte Neuigkeiten den Blick der Weltöffentlichkeit auf diese Region lenken. Und die Hoffnungen, dass sich die westliche Welt und das Ausland den Nahen Osten mehr zu Herzen nehmen als bisher, bestehen. Es bleibt also die Hoffnung, dass aus so negativen Nachrichten wie der heutigen doch noch etwas Positives entstehen kann.“ (rv)