Bilanz (2): Das war 2014 aus der Sicht des Vatikans

Bilanz 2014Der Papst reist. Auslandsreisen führten ihn 2014 ins Heilige Land, nach Korea, Albanien, Straßburg und in die Türkei. Unvergessen bleibt sein spontaner Gebets-Stopp am Trennwall zwischen Israelis und Palästinensern. Es war überhaupt eine Reise von Mauer zu Mauer: vom Trennwall in den besetzten Palästinensergebieten zur Klagemauer; dort umarmte er einen Rabbi und einen Muslimgelehrten, schon wieder so ein emblematisches Bild. Im Juni, kurz nach seiner Heilig-Land-Reise, lud Franziskus die Präsidenten Israels und Palästinas, Peres und Abbas, zum Friedensgebet in die vatikanischen Gärten. Erfolg blieb der einmaligen Friedensinitiative zunächst versagt, denn im August flammte ein neuer Krieg zwischen den verfeindeten Nachbarn auf: der Gaza-Krieg. Beim Friedensgebet wich ein muslimischer Teilnehmer vom mühsam austarierten Gebetsprotokoll ab, als er auf einmal eine Sure des Korans rezitierte.

Reisen an die Peripherie

Einige der Papstreisen dieses Jahres waren, charakteristisch für ihn, Reisen an die „Peripherien“. In Korea, überhaupt in Fernost war seit 26 Jahren kein Petrusnachfolger mehr gewesen. Hier sprach Papst Franziskus 124 Märtyrer selig; und gleichzeitig richtete er von diesem zweigeteilten Land zwischen Russland, China und Japan eine Friedensbotschaft an ganz Asien. Europa betrat Franziskus sozusagen durch die Hintertür, bei einem Eintagestrip nach Tirana, Albaniens Hauptstadt. Ausgerechnet dieses lange isolierte Balkanland würdigte er als Modell friedlichen Zusammenlebens zwischen Christen und Muslimen. In Ankara pochte er auf mehr Rechte für Christen und betete einen Moment still in der Blauen Moschee von Istanbul – übrigens war das sein erster Moscheebesuch als Papst überhaupt. Vor allem aber setzte Franziskus fort, was er schon mit einer Begegnung in Jerusalem getan hatte: Er pflegte die Beziehungen zum Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, Patriarch Bartholomaios.

Nicht nur zu den orthodoxen Kirchen pflegt Papst Franz Sonderbeziehungen. Sein ökumenischer Suchscheinwerfer erfasste 2014 auch – ganz anders, als das bisher in Rom Usus war – Freikirchen, oder die Heilsarmee. Fast fühlen sich die traditionellen Ansprechpartner im ökumenischen Friedenspfeifenrauchen, die Kirchen der Reformation nämlich, ein wenig vernachlässigt von diesem Papst.

In Straßburg hielt Franziskus bei der kürzesten Papstreise der Geschichte seine bisher längsten Reden. Europa kann aus seiner Altersstarre herausfinden, wenn es statt der Zahlen wieder mehr den Menschen in den Blick nimmt, sagte der Papst aus Argentinien vor dem EU-Parlament und dem Europarat. Besonders genau durchgelesen hat die Straßburger Papstreden Annette Schavan. Die unter medialem Druck zurückgetretene Bildungsministerin von Angela Merkel ist 2014 als neue deutsche Botschafterin am Vatikan angetreten, erste Frau in diesem Amt, und erste Katholikin seit langem.

Familiensynode: eine überraschend offene Debatte

Ausgerechnet das Thema Ehe- und Familienpastoral hatte sich der Papst als erste große Reformbaustelle im Innerkirchlichen ausgesucht. Dazu verschickte er einen Fragebogen an die Bischofskonferenzen in aller Welt, der vielerorts auch von interessierten Laien ausgefüllt wurde. Für viele eine Sensation: Zum ersten Mal interessiert sich ein Papst vor Beginn einer römischen Bischofssynode für die Meinungen und Haltungen im gläubigen Volk. Dem deutschen Kurienkardinal Kasper fiel gewissermaßen die Aufgabe des Lockvogels zu. Er stellte vor dem Papst und vielen Kardinälen im Februar die Skizze einer neuen Eheseelsorge vor. Schnell gewann daraufhin eine Debatte an Fahrt, auch die Träger von Kardinalskäppchen beteiligten sich munter daran. Im babylonischen Stimmengewirr ging es vor allem um die Frage, ob geschiedene Menschen nach einer zweiten, zivilen Heirat zur Kommunion gehen dürfen oder nicht.

Unter den Scheinwerfern der Weltöffentlichkeit trat im Oktober 2014 die außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zusammen; Franziskus wünschte ausdrücklich eine offene Debatte zu einer Palette strittiger Themen – und er bekam sie auch. Manchen kam das wie ein Durcheinander vor, einige sahen Ur-Elemente katholischer Lehre wie zur Disposition gestellt, andere rühmten die Wiederentdeckung des freien Worts in der Kirche. Als ein Zwischenbericht zur Halbzeit der Beratungen von Zugehen auf Homosexuelle und von Gradualität kirchlicher Gebote sprach, platzte dem polnischen Erzbischof Gadecki der Kragen: In diesem Text gebe es Spuren einer gegen die Ehe gerichteten Ideologie.

Von „Buona sera“ bis „Hier bestimme ich“

Zum Schluss der Synode machte Papst Franziskus, der bis dahin in der Aula geschwiegen hatte, überraschend klar, dass er hier die Entscheidungen treffe. Es war ein weiter Weg von seinem „Buona sera, ich bin der Bischof von Rom“, mit dem er 2013 angetreten war, bis zu diesem „Ich bin hier, kirchenrechtlich gesehen, der Oberbefehlshaber“ von 2014. In der Hitze des medialen Wortgefechts ging manchmal unter, dass erst nach der nächsten Synode im Herbst 2015 Beschlüsse – wohlgemerkt des Papstes, nicht der Synode – zu erwarten sind.

Noch vieles mehr könnte man von 2014 erwähnen: Ukraine. Ebola. CIA-Folterskandal. Oder, im Vatikan, das Verfahren gegen den polnischen Erzbischof Wesolowsky wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in seiner Zeit als Nuntius in der Karibik. Da wäre noch einiges mehr. In Erinnerung bleibt der Franziskus des Jahres 2014 vor allem mit zwei Bildern: Gebet an der israelischen Sperrmauer. Gebet in der Blauen Moschee. Und mit einem diplomatischen Erfolg: der geglückten Vermittlung bei der Annäherung zwischen den USA und Kuba nach einem halben Jahrhundert der Eiszeit.

Wie lange er noch Papst sein werde, wisse er nicht, sagte Franziskus zum Entsetzen nicht weniger Gläubiger vor Journalisten bei der Rückreise von Korea. Einen Amtsverzicht wie Benedikt XVI. könne er sich gut vorstellen, oder auch einfach „zwei, drei Jahre noch, und dann ins Haus des Herrn“. Ein so dichtes päpstliches Jahr wie 2014 lässt erahnen, dass aus dem Scherz unvermittelt Wirklichkeit werden könnte. Aber auch, dass die katholische Kirche einen Papst wie Franziskus heute braucht. (rv)

Bilanz (1): Das war 2014 aus der Sicht des Vatikans

Bilanz 2014Wir sagen es gleich: 2013 war das einfacher mit dem Jahresrückblick. Es war das Jahr der zwei Päpste. Benedikt XVI. hatte auf sein Amt verzichtet, ein in dieser Art einmaliger Moment in der Kirchengeschichte, und mit Franziskus trat der erste Papst aus der Neuen Welt an. Äonenwandel, wohin man blickte. 2014 war anders: Franziskus ist in sein zweites Amtsjahr getreten, vieles, was 2013 noch Ankündigung, Vorahnung, Vorwegnahme war, ist jetzt in den Kreislauf des Geschehens getreten – und Benedikt ist immer noch da, doch zurückgezogen in den Vatikanischen Gärten und „so still wie möglich“, so hat er es selbst einem deutschen Besucher gegenüber formuliert.

Das Konzil wird heilig gesprochen

Was hat Franziskus alles bewegt und angestoßen im Jahr 2014? Er hat – und das ist die erste Station in unserem Gang durch das Jahr – drei Päpste in den römischen Heiligenkalender aufgenommen. Im April sprach er seine Vorgänger Johannes Paul II. und Johannes XXIII. heilig; im Oktober schrieb er Paul VI. ins Buch der Seligen. Für alle drei Päpste hegt das Kirchenoberhaupt aus Argentinien große Verehrung. Johannes XXIII. ließ mit dem II. Vatikanischen Konzil jenen frischen Wind aus allen Erdteilen in die Kirche, auf den auch Franziskus setzt. Paul VI. lenkte das Reformwerk des Konzils umsichtig ans Ziel. Und Johannes Paul II. schlug mit seinem Pontifikat einen neuen Ton zwischen Mystik, Politik, klarer Ansage und Charisma an.

Alle drei Päpste zusammen stehen für das Zweite Vatikanische Konzil. Mit den Heilig- und Seligsprechungen bekannte sich der erste Papst, der am Konzil nicht mehr teilgenommen hat, zum selbigen. Doch wie häufig lag auch bei der Heiligsprechung von Johannes und Johannes Paul ein schräger Schatten der Kirchenpolitik über dem frommen Tun: Johannes XXIII. hatte es einst sozusagen im Doppelpack mit Pius IX., dem Papst des Unfehlbarkeitsdogmas, über die Schwelle zur Seligsprechung geschafft. Und jetzt wurde Johannes` Heiligsprechung (ohne den eigentlich nötigen neuen Nachweis eines Wunders) an die von Johannes Paul gekoppelt.

Neue Kardinäle

Ein großes Kirchenfest im Vatikan hatte schon vorher, Ende Februar, stattgefunden: Papst Franziskus erhob 19 Kirchenmänner zu Kardinälen, darunter den Deutschen Gerhard Ludwig Müller, vor allem aber Ortsbischöfe aus der Weltkirche. Auch dazu war der emeritierte Papst Benedikt als Zuschauer in den Petersdom gekommen.

Anders, als wir bis jetzt den Eindruck erweckt haben, wurde 2014 im Vatikan nicht nur gefeiert. Mit dem Präfekten der Glaubenskongregation Müller hatte Franziskus gerade den Mann im Amt bestätigt und zum Kardinal erhoben, den viele als eine Art Antipoden zum argentinischen Papst wahrnahmen. Hier deutsche Ernsthaftigkeit und profunde Theologie, dort der mehr pastoral ausgerichtete, leichtfüßige Papst vom Ende der Welt. An Müllers Kardinalsfeier nahm auch der glücklose Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst teil, vom Boulevard verknappend „Protzbischof“ getauft, er wurde von Papst Franziskus 2014 als Bischof von Limburg abgesetzt.

Reformen laufen an

Unattraktiv, aber reißfest zieht sich ein roter Faden durch das Pontifikatsjahr 2014. Er heißt: Vatikan-Reform. Zum einen wünscht Franziskus finanzielle Transparenz, zum anderen eine straffere Behördenstruktur. Im Februar schuf er eine zentrale Aufsichtsbehörde für alle Geld-Angelegenheiten im Vatikan, das Wirtschaftssekretariat. Damit endet eine Zeit, in der die linke Hand im Papststaat nicht wusste, was die Rechte tat: ein Ansatz, der beim Almosengeben der einzig richtige ist, beim Wirtschaften aber falsch. Die Zusammenlegung von Päpstlichen Räten oder vatikanischen Medien ist noch im Stadium der Untersuchung. Neun Kardinäle beraten den Papst bei der Reform, die Franziskus eher wohlüberlegt als schnell ins Werk setzen möchte.

Kurz vor Jahresende sollte Kardinal Pell in einem Interview auf einmal erklären, der Vatikan stehe finanziell viel besser da als erwartet, beim Durchgang durch die Bücher hätten sich noch einige hundert Millionen Euro hier und da gefunden. Zur Jahresbilanz gehört auch, dass das vatikanische Finanzinstitut IOR bestehen bleibt – aber teilweise entmachtet und mit neuem Chef, einem französischen Adeligen.

Wegen der nötigen Finanz- und Wirtschaftsreformen im Vatikan kommt eine Neufassung der vatikanischen Strukturen erst allmählich in Gang. Die Erwartungen von außen sind groß. Nicht allen fällt auf, dass es dem Papst nach eigener Aussage in erster Linie um eine spirituelle Reform geht.

Machtlos gegenüber dem Terror

Die erste Sorge des Papstes – ganz wörtlich, Sorge – galt im Jahr 2014 den verfolgten Christen. Vor allem in Syrien und im Irak, wo die Terrorgruppe Islamischer Staat unfassbaren Schrecken verbreitet, Menschen vor laufender Kamera köpft. Steinzeit-Islam mit dem Säbel in der Hand. Manche Beobachter beschleicht der Gedanke, dass die Gretchenfrage an den Islam, wie Benedikt XVI. sie einmal in seiner Regensburger Rede gestellt hat – Wie hast du`s mit der Gewalt? – nachgerade prophetisch war.

Franziskus weiß nicht, was er angesichts des Isis-Terrors tun soll. In den Irak reisen? Zu gefährlich, sagen ihm seine Berater. Er schickt also einen Sondergesandten, den italienischen Kardinal Filoni, der früher Nuntius in Bagdad war. Dialog anbieten? Schwierig, aber die Tür bleibt theoretisch offen, sagt der Papst in einem Interview. Einen Brandbrief schreiben? Das wird die Schlächter im Namen Allahs nicht beeindrucken. Immerhin, der vatikanische Dialograt veröffentlicht eine Liste der Isis-Gräueltaten, eine Art „J`accuse“ aus Rom, in dieser Deutlichkeit bisher einmalig in der katholisch-islamischen Gemengelage. (rv)