Reform der Medienarbeit: „Wir brauchen dringend Koordinierung

Bernd Hagenkord Papst Franziskus wünscht eine Reform der vatikanischen Medienlandschaft. Neben dem Geldinstitut IOR, der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls APSA und dem Rentenfonds stehen also „Osservatore Romano“, Radio Vatikan und alle anderen Komponenten der Medienlandschaft im kleinsten Staat der Welt derzeit auf dem Prüfstand. Was sind eigentlich die vatikanischen Medien? Erklärungen von unserem Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord.

„Da gibt es zunächst natürlich Radio Vatikan, unser eigenes Haus. Das sind über 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 60 Ländern in 37 Redaktionen, samt Technikern und so weiter. Dann gibt es da den Osservatore Romano, den wir immer als Vatikanzeitung bezeichnen, was aber so nicht ganz stimmt, weil er eher ein Amtsblatt ist denn eine Zeitung, jetzt aber zunehmend auch journalistisch arbeitet. Auf Italienisch kommt er täglich heraus, andere Ausgaben wie die deutschsprachige wöchentlich oder in anderen Rhythmen. Als drittes gibt es das Vatikanische Fernsehen CTV, auch das ist nicht ganz korrekt benannt, weil es eher eine Produktionsgesellschaft ist denn ein eigener Sender, auch wenn für das Internet Sendungen produziert werden. Viertens gibt es natürlich den Pressesaal oder die Pressestelle und dann noch den Päpstlichen Rat für Soziale Kommunikationsmittel wie er offiziell heißt, also den Medienrat. Auch hier wird seit kurzem ein eigenes Medium im Internet betrieben, gefüllt mit den Inhalten der anderen Vatikanmedien. Das braucht ganz dringend eine Koordinierung.“

Was ist die Aufgabe dieser Medien?

„Je nach Medium und auch nach Sprache. Das Deutschsprachige Programm des Radios macht ganz andere Sendung als Hindi oder Arabisch, da gibt es große kulturelle Unterschiede. Wir sind journalistischer, andere wegen des fast vollständigen Fehlens von katholischer Infrastruktur sehr viel katechetischer. Die Aufgabe ergibt sich so aus den Menschen, für die man den Dienst anbietet, und aus dem, was der Vatikan mit einem Medium will.“

Wo genau befinden sich die Sitze der vatikanischen Medien?

„Der Osservatore und das Fernsehen sind im Vatikan selbst, Radio Vatikan und der Medienrat wie auch der Pressesaal in unmittelbarer Nähe. Wir sind aber nicht im selben Gebäude untergebracht. Da könnte man zum Beispiel nachdenken, etwas zusammen zu legen, wenn schon die Nutzungsgewohnheiten auch in diese Richtung gehen und die einzelnen Formen wie Internet und Radio immer mehr verschmelzen.“

Wenn zum Beispiel der Papst eine Reise macht, welche Funktion erfüllen die vatikanischen Medien?

„Zum einen technische: Wir liefern den Ton, das Fernsehen liefert Bilder, auch für andere Sender. Dann berichten wir aber auch vor Ort, Radio Vatikan schickt immer eine Redaktionsgruppe an die Orte, die der Papst besucht, um von da aus zu berichten. Wir wollen so gute Information zur Verfügung stellen über all das, was der Papst tut, auch wenn es vielleicht nicht auf dem Radar der anderen Medien ist.“

Die Reformplanung soll ein Jahr dauern. Das verkündete Präfekt des neuen vatikanischen Wirtschaftssekretariates, Kardinal George Pell, an diesem Mittwoch einer Pressekonferenz – was genau soll in diesem Jahr passieren? Welche Personen sind in dem Komitee und wurden die Menschen speziell von Papst Franziskus ausgesucht?

„Ich denke, dass die Personen von Fachleuten im Vatikan ausgesucht wurden. Dass wir Reform brauchen und Koordinierung, das ist uns allen klar, allein schon deswegen, weil die Medien in der Welt sich ändern und das alles viel Geld kostet. Also hat man sich die Leute – von innen und außen – geholt, von denen man sich Rat und Vorschläge erwartet, wie man das gut umsetzen kann. Und ich hoffe, dass genau das in dem Jahr passieren wird.“

Immer wichtiger wird die digitale Welt, der Online Journalismus. Was tut der Vatikan um bei der Digitalisierung der Welt mitzuhalten?

„Viel. Wir selber sind ja über Internet und Newsletter sehr präsent, andere nutzen Facebook oder Twitter mehr, je nachdem. Aber das ist alles noch etwas zufällig, hier täte Zusammenarbeit Not, dass nicht alle das für sich selber machen sondern man Erfahrungen und Technik austauschen kann. Nehmen wir Twitter: Papst Benedikt hat damit angefangen, Papst Franziskus ist einer der meist gefolgten und wichtiger noch meist weitergetwitterten Personen im Netz, das sind alles Sätze von ihm, die der Medienrat aussucht, ihm vorlegt und die er dann verbreiten lässt. Das ist ein Weg. Aber ich hoffe, dass es noch viele weitere für uns gibt, damit wir auch in Zukunft dort die Informationen so an die Hörerinnen und Hörer und die User und Leser bringen, wo sie gesucht werden.“ (rv)

Papst-Interview: „Ich habe kein persönliches Projekt unterm Arm, sondern führe aus, was wir Kardinäle überlegt haben“

Stefan von KempisDas war ein guter Kerl; der tat, was er konnte, so schlecht war der nicht.“ So ähnlich sollten die Menschen sich später einmal seiner erinnern, hofft Papst Franziskus. Die Zeitung „La Vanguardia“ aus dem spanischen Katalonien veröffentlichte jetzt ein langes Interview mit dem Papst, das sie am Montag in Rom mit ihm geführt hatte – einen Tag nach den Friedensgebeten für den Nahen Osten in den Vatikanischen Gärten. In dem Gespräch äußert sich Franziskus auch zum Stand der Reformen im Vatikan und warnt mit Blick auf Katalonien vor Unabhängigkeitsbestrebungen, die mehr von „Abspaltung“ als von „Emanzipation“ geprägt seien. Hier einige Auszüge aus dem Interview. „Die verfolgten Christen sind eine Sorge, die mir als Hirte sehr nahe geht. Ich weiß sehr viel über Verfolgungen, kann aber aus Vorsicht nicht darüber sprechen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Aber es gibt Orte, an denen es verboten ist, eine Bibel zu besitzen oder den Katechismus zu lehren oder ein Kreuz zu tragen.“ Die Gewalt im Namen Gottes prägt den Nahen Osten… „Das ist ein Widerspruch. Gewalt im Namen Gottes passt nicht in unsere Zeit. Das ist etwas Altes. Aus historischer Perspektive muss man einräumen, dass wir Christen sie zeitweise praktiziert haben. Wenn ich an den Dreißigjährigen Krieg denke, dann war das Gewalt im Namen Gottes. Heute ist das kaum vorstellbar, nicht wahr? Wir kommen manchmal aus religiösen Gründen zu sehr ernsten, sehr schwerwiegenden Widersprüchen. Fundamentalismus, zum Beispiel. Wir drei Religionen haben jeweils unsere fundamentalistischen Gruppen, klein im Verhältnis zum ganzen Rest.“ Wie denken Sie über den Fundamentalismus? „Eine fundamentalistische Gruppe ist gewalttätig, selbst wenn sie niemanden tötet und niemanden schlägt. Die mentale Struktur des Fundamentalismus ist Gewalt im Namen Gottes.“ Der Hebel für Veränderungen Manche sehen Sie als einen Revolutionär… „Für mich besteht die große Revolution darin, zu den Wurzeln zu gehen, sie zu erkennen und zu schauen, was diese Wurzeln uns heute zu sagen haben. Es gibt keinen Widerspruch zwischen revolutionär und zu den Wurzeln gehen. Vielmehr glaube ich, dass der Hebel, um wirkliche Änderungen herbeizuführen, die Identität ist. Man kann nie einen Schritt machen im Leben, wenn man nicht von hinten losgeht, wenn man nicht weiß, woher ich komme, wie ich heiße, welchen kulturellen und religiösen Namen ich trage.“ Sie haben oft das Protokoll gebrochen, um den Menschen nahe zu sein… „Ich weiß, dass mir mal etwas passieren kann, aber das liegt in den Händen Gottes… Seien wir realistisch, in meinem Alter habe ich nicht mehr viel zu verlieren.“ Warum ist es so wichtig, dass die Kirche arm und demütig ist? „Armut und Demut sind im Zentrum des Evangeliums, und das sage ich in theologischem, nicht soziologischem Sinn. Man kann das Evangelium nicht verstehen ohne die Armut, aber man muss sie vom Pauperismus unterscheiden.“ Was kann die Kirche tun, um die wachsende Ungleichheit zwischen Reichen und Armen zu reduzieren? „Es ist bewiesen, dass wir mit der Nahrung, die übrigbleibt, die Hungernden ernähren könnten. Wenn Sie Fotos von unterernährten Kindern in verschiedenen Teilen der Welt sehen, dann schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, das ist nicht zu verstehen! Ich glaube, wir sind in einem Weltwirtschaftssystem, das nicht gut ist… Wir haben das Geld in den Mittelpunkt gestellt, den Geldgott. Wir sind in den Götzendienst des Geldes verfallen… Wir schließen eine ganze Generation aus, um ein Wirtschaftssystem aufrecht zu erhalten, das nicht mehr zu ertragen ist. Ein System, in das Krieg führen muss, um zu überleben… Aber weil man keinen Dritten Weltkrieg führen kann, führt man eben regionale Kriege. Und was bedeutet das? Dass Waffen produziert und verkauft werden, und dadurch sanieren sich die Gleichgewichte der … großen Weltwirtschaften.“ Die Situation in Spanien Sind Sie besorgt über den Konflikt zwischen Katalonien und Spanien? „Jede Spaltung macht mich besorgt. Es gibt Unabhängigkeit aus Emanzipation und Unabhängigkeit aus Abspaltung. Unabhängigkeiten aus Emanzipation sind z.B. die amerikanischen, sie emanzipierten sich von den europäischen Staaten. Unabhängigkeiten von Völkern aus Abspaltung, das ist eine Zergliederung… Denken wir an das frühere Jugoslawien. Natürlich gibt es Völker mit so verschiedenen Kulturen, dass man sie nicht einmal mit Klebstoff aneinanderkleben kann. Der jugoslawische Fall ist sehr klar, aber ich frage mich, ob es in anderen Fällen so klar ist, bei anderen Völkern, die bis jetzt vereint gewesen sind. Man muss Fall für Fall studieren. Schottland, Padanien, Katalonien. Es wird gerechtfertigte und nicht gerechtfertigte Fälle geben, aber die Abspaltung einer Nation, ohne dass es vorher eine zwangsweise Einheit gab, so etwas muss man mit der Pinzette anfassen und Fall für Fall studieren.“ Die Friedensgebete für den Frieden in Nahost Die Gebete für Frieden im Vatikan waren nicht leicht zu organisieren, weil es dafür keinen Präzedenzfall gab. Wie fühlten Sie sich dabei? „Ich spürte, dass das etwas war, was uns alle übersteigt. Hier im Vatikan sagten 99 Prozent, dass das nicht klappen würde, und danach wuchs dieses eine Prozent immer mehr. Ich spürte, dass wir uns da zu einer Sache gedrängt sahen, die wir so noch nicht kannten und die allmählich dann Gestalt annahm. Es war überhaupt kein politischer Akt, das spürte ich von Anfang an, sondern ein religiöser Akt: ein Fenster zur Welt hin öffnen.“ Warum haben Sie entschieden, sich ins Auge des Taifuns zu begeben, also in den Nahen Osten? „Das wirkliche Auge des Taifuns war – wegen dem Enthusiasmus, den es da gab – der Weltjugendtag von Rio im letzten Jahr! Der Beschluss, ins Heilige Land zu reisen, kam zustande, weil Präsident Peres mich einlud. Ich wusste, dass sein Mandat in diesem Frühling auslief, und sah mich darum gewissermaßen dazu gezwungen, vorher zu fahren. Seine Einladung hat den Reisetermin beschleunigt. Ich hatte das eigentlich nicht so geplant.“ Sie sagen, dass in jedem Christen ein Jude steckt… „Es wäre wohl korrekter zu sagen, dass man sein Christentum nicht wirklich leben kann, wenn man seine jüdische Wurzel nicht anerkennt. Ich spreche vom Judentum im religiösen Sinn. Meiner Meinung nach muss der interreligiöse Dialog das angehen, die jüdische Wurzel des Christentums und die christliche Blüte aus dem Judentum heraus. Ich verstehe, dass das eine Herausforderung ist, eine heiße Kartoffel, aber als Brüder können wir das tun.“ Wir urteilen Sie über Antisemitismus? „Ich wüsste nicht zu erklären, wie er zustande kommt, aber ich glaube, er hängt im Allgemeinen sehr mit der Rechten zusammen. Der Antisemitismus pflegt in den rechten Strömungen besser Fuß zu fassen als in den linken, nicht wahr? Und so geht er weiter. Wir haben sogar Leute, die den Holocaust leugnen – ein Wahnsinn!“ Eines Ihrer Vorhaben ist es, die Vatikan-Archive zum Holocaust zu öffnen. „Das wird viel Licht in die Sache bringen.“ Papst Pius XII. Macht Ihnen Sorge, was man da entdecken könnte? „Was mir bei diesem Thema Sorgen macht, ist die Figur von Pius XII.: Dem armen Pius XII. haben sie wirklich alles Mögliche vorgeworfen. Aber man muss daran erinnern, dass er früher einmal als der große Verteidiger der Juden gegolten hat, er versteckte viele in den Klöstern Roms und anderer italienischer Städte, und auch in der Sommerresidenz Castel Gandolfo. Dort, im Zimmer des Papstes, in seinem eigenen Bett, wurden 42 Babys geboren, Kinder von Juden oder anderen Verfolgten, die sich dorthin geflüchtet hatten. Ich will damit nicht sagen, dass Pius XII. keine Irrtümer begangen hätte – ich selbst begehe auch viele –, aber man muss seine Rolle im Kontext der Epoche lesen. War es zum Beispiel besser, dass er schwieg oder dass er nicht schwieg, damit nicht noch mehr Juden getötet würden? Manchmal ärgert es mich auch ein bisschen, wenn ich sehe, wie alle gegen die Kirche und Pius XII. sprechen und dabei die Großmächte ganz vergessen. Wissen Sie, dass die Großmächte ganz genau das Eisenbahnnetz der Nazis kannten, auf dem die Juden in die KZs gebracht wurden? Sie hatten Fotos davon! Aber sie warfen keine Bomben auf diese Schienen. Warum? Darüber sollten wir auch mal sprechen!“ „Ich bin kein Erleuchteter“ Sie ändern viele Dinge. Wohin führen diese Änderungen? „Ich bin kein Erleuchteter. Ich habe kein persönliches Projekt unterm Arm, sondern ich führe aus, was wir Kardinäle vor dem Konklave auf den Generalkongregationen überlegt haben, als wir jeden Tag über die Probleme der Kirche diskutierten. Da sind Überlegungen und Empfehlungen entstanden. Eine sehr konkrete war, dass der künftige Papst ein Gremium von auswärtigen Beratern brauchte, die nicht im Vatikan wohnen.“ Sie haben daraufhin den Kardinalsrat gegründet… „Das sind acht Kardinäle aus allen Kontinenten und ein Koordinator. Sie treffen sich hier alle zwei oder drei Monate. Anfang Juli haben wir wieder vier Tage Sitzung, und wir führen die Änderungen durch, um die die Kardinäle uns bitten. Es ist nicht obligatorisch, dass wir das machen, aber es wäre unvorsichtig, nicht auf die zu hören, die Ahnung haben.“ Wie denken Sie über den Rücktritt von Benedikt XVI.? „Papst Benedikt hat eine sehr große Geste getan. Er hat eine Tür geöffnet, eine Institution gegründet, die der möglichen emeritierten Päpste… Ich werde dasselbe tun wie er, nämlich den Herrn bitten, dass er mich erleuchte, wenn der Moment kommt, und dass er mir sage, was ich tun soll, und das wird er sicher tun.“ Ich werde Sie nicht fragen, wem Sie bei der WM die Daumen drücken… „Die Brasilianer haben mich gebeten, neutral zu bleiben…“ (lacht) „und ich halte mein Wort, denn Brasilien und Argentinien sind immer Antagonisten.“ Übersetzung: Stefan Kempis, Radio Vatikan (rv)

EU: „Lunacek-Bericht spaltet Europa“

Radio VatikanDas EU-Parlament hat mit großer Mehrheit den Antrag der österreichischen EU-Abgeordneten Ulrike Lunacek angenommen. 394 Befürworter, 176 Gegner sowie 72 Stimmenthaltungen: so lautet das Abstimmungsresultat. Der Lunacek-Antrag fordert in der EU eine Familienpolitik, die Ehe- und Familienrechte auf Homosexuelle ausweitet. Mit der Annahme des Berichts habe eine Lobby gewonnen, die Europa spaltet. Das ist das Fazit von Maria Hildingsson, Generalsekretärin der europäischen Vereinigungen katholischer Familienverbände. Im Gespräch mit Radio Vatikan erläutert Hildingsson, weshalb ihrer Meinung nach dieser Bericht „gefährlich“ für die Europäische Union sei.

„Dieses Thema ist sehr heikel, weil jedes EU-Land eine andere Familienpolitik betreibt und in allen Ländern sehr unterschiedliche Sensibilitäten vorherrschen. Wenn wir nach Osteuropa schauen, so müssen wir feststellen, dass es dort kein einziges Land gibt, das beispielsweise ein ähnliches Gesetz wie Frankreich hat.“

Die Generalsekretärin des Verbundes aller katholischen Familienvereine Europas kündigte für die nächsten Wochen eine Kampagne an. So soll mit Blick auf die EU-Wahlen im Mai eine Internet-Plattform entstehen, die die Familienfreundlichkeit der Politik aller Kandidaten und Kandidatinnen prüft. Überhaupt rät Hildingsson, in Fragen der Familienpolitik ganz auf Information und Aufklärung zu setzen. Vor der Abstimmung zum Lunacek-Bericht etwa seien etliche Abgeordnete nicht in rechter Weise über die Inhalte informiert worden.

„Im EU-Parlament war die Atmosphäre kurz vor der Abstimmung eigentlich sehr ruhig. Doch es gab eine starke Mobilisierung der Lobbys auf den sozialen Netzwerken wie Twitter. Das hat zu viel Unruhe und Unklarheiten bei etlichen EU-Abgeordneten geführt und viele haben dann doch für den Bericht gestimmt. Deshalb ist es meiner Meinung nach zu diesem Resultat gekommen.“ (rv)

Die unendliche Geschichte des IOR: Ein Kommentar

Bernd HagenkordErst waren es ein Priester und einige andere, die mit Verdacht auf Geldwäsche verhaftet wurden. Schnell war von der Vatikanbank IOR die Rede, obwohl die Beteiligten auf den ersten Blick nichts damit zu tun hatten. Dann traten aber der Direktor und der Vizedirektor des Instituts zurück. Erinnerungen an eine Aussage Papst Franziskus´ werden wach, als er während einer Morgenmesse meinte, die IOR sei zwar wichtig, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wird es nun Zeit für die Auflösung des IOR? Ein Kommentar von Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord.

Es sind Begriffe, die sich von selbst nahe legen: Korruption, Vertuschung, dann dieser merkwürdige Versuch, 20 Mio € zu schmuggeln. Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass das reicht. Ein neuer Papst, sozusagen ein neuer Besen, der gut kehrt, da könnte man doch gleich ganz sauber machen und das IOR schließen; die Geschichten sind teilweise unappetitlich und einige Kardinäle haben ja auch schon lauthals nach einem Aus gerufen.
Trotzdem wage ich eine etwas ruhigere Analyse: Bevor irgendetwas entschieden wird, sollte herausgefunden werden, was eigentlich genau passiert ist und passiert. Das tut der Papst, indem er eine eigene Kommission einrichtet, die ihn über die Strukturen und die Geschäfte des IOR unterrichtet. So verführerisch die schnelle und vermeintlich klare Lösung ist, sie geht am Ziel vorbei. Wer aufräumen will, muss erst einmal genau hinschauen und dann erst die Schlüsse ziehen.
Genau das passiert im Vatikan zurzeit. Deswegen sind die Skandale, so schmerzhaft sie sind, kein neuer Korruptionssumpf, sondern Heilungsschmerzen.
Im Interview mit Radio Vatikan hatte IOR-Präsident Ernst von Freyberg eine Null-Toleranz-Politik „bei Kunden, aber auch bei Angestellten, die irgendwie in Geldwäsche verwickelt sein sollten", angekündigt. Ich denke, dass wir diese Null-Toleranz-Politik gerade in Aktion sehen. (rv)

100 Tage Franziskus – ein Kommentar

Papst Franziskus ist am Freitag 100 Tage Papst – Anlass für Radio Vatikan, Rückschau zu halten. Lesen und hören Sie hier einen Kommentar von unserem Redaktionsleiter, Pater Bernd Hagenkord SJ.

Was ist so besonders an der 100? Sind 100 Tage anders als 93 oder 104? Für Journalisten wohl, dienen solche Daten doch einem ritualisierten Blick auf etwas Neues. In diesem Fall auf das Pontifikat Papst Franziskus.

Was können wir bei einem solchen Blick sehen? Zum einen, dass die häufig geäußerte Vermutung, das "Wirkliche" müsse noch kommen, nicht stimmt. Wir sehen einen Papst, der sein Verständnis von Amt ausübt, täglich und vor aller Augen. Bei den Menschen, für die Menschen und für die Kirche, die diese Menschen bilden.

Er hat die Symbolsprache des Amtes geändert und – wie seine letzten Vorgänger alle auch – Dinge weggelassen, die nicht mehr als Symbol dienen, sondern nur verwirren. Er kommuniziert direkt, baut keine Distanzen auf, spricht spontan und predigt frei. Es sind nicht "nur" Zeichen, die wir sehen, wenn wir die Massen von begeisterten Menschen und die Umarmungen, die Segnungen, das Anfassen, die Gespräche sehen, die Franziskus dort führt. Das ist der Papst, der Franziskus sein will.

Auch einige Themen hat er ganz klar benannt, in Ansprachen, Predigten und Gesprächen. Gegen die Selbstumkreisung der Kirche, gegen den Karrierismus, etc. Vor allem aber ist das alles ein "für": Gegen Selbstumkreisung bedeutet eine verkündende, freudige Kirche. In den Worten des Papstes: e bello, no? Gegen Karrierismus bedeutet eine großherzige Kirche und großherzige Christen. In den Worten des Papstes: è bello, no?

Aber trotz dieser Worte, die immer wieder Interesse und Faszination für diesen Papst wecken, ist es das "Gesamtkunstwerk" Papst, das so beeindruckend ist, und zwar von Tag Eins an. Sein Auftreten, Handeln, Spechen und seine Art, Bischof zu sein, passen zusammen. Durch sein Tun ist er ein Verkünder dessen, für den er steht.

In einer seiner ersten Predigten hat er den heiligen Franziskus zitiert: er forderte seine Franziskaner auf, "mit allem das Evangelium zu verkünden, und wenn nötig, dann auch mit Worten". Das ist es, was wir sehen, wenn mir nach 100 Tagen auf den Papst blicken. Und ich bin sicher, dass wir das bei all den anderen Gelegenheiten der Medienwelt auch sehen werden: nach 500, 1.000 oder sonst wieviel Tagen. (rv)

Der neue Papst und die Schubladen: Ein Kommentar

Bernd HagenkordVon unserem Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord SJ

 Das Ofenrohr in der Sixtinischen Kapelle war noch nicht kalt, da war der Kampf um die Deutungshoheit schon im vollen Gang. Drauflos wurde erklärt, was da im Konklave, im Vatikan und unter den Kardinälen passiert sei.

Holen wir erst einmal etwas Luft. Franziskus ist noch nicht 24 Stunden Papst. Er hat durch seine Namenswahl und sein Auftreten ganz starke Aussagen gemacht, auch die Gebetsbitte für sich und seinen Vorgänger waren geistliche Zeichen auf sein Pontifikat hin.

Es wird sich viel ändern, er wird viel ändern. Und auch wir müssen uns ändern. Dringend.

Zum Ersten hat uns Franziskus bewiesen, dass unsere Kategorien von „konservativ“ und „progressiv“ nicht mehr stimmen. Es ist ja ein altes Lied auf diesem Blog, aber ich stimme es noch einmal an: Was wir in unserer Kirche und nicht nur da unter diesen Begriffen verstehen, trifft schon längst nicht mehr die Realität. Und genau das ist das Problem mit diesen Kategorien: Sie sollen uns helfen, zu verstehen, verwirren aber nur noch. Sie ver-unmöglichen es, zu sehen. Sie verstellen den Blick.

Wenn man zum Beispiel seinen Einsatz für Gerechtigkeit, das Anprangern von Ausbeutung etc. sieht, dann muss man ihn einen fortschrittlichen Papst nennen. Wenn man seine moraltheologischen Ansichten zitiert, dann wird jeder deutschsprachige Journalist ihn einen Konservativen nennen. Das Ergebnis: Eine gespaltene Persönlichkeit.

Könnten wir den Papst selber dazu befragen, würde er – und viele andere mit ihm – verwundert den Kopf schütteln und uns fragen, wie wir darauf kämen, diese Dinge voneinander zu trennen. Für den Blick Lateinamerikas, Afrikas und anderer Teile der Welt gehören Schutz des Lebens und Fragen der Gerechtigkeit untrennbar zusammen, sie kämen gar nicht auf die Idee, das in einerseits progressiv und andererseits konservativ aufzuspalten.

Unsere Kategorien des Verstehens stimmen also nicht mehr.

Um nicht missverstanden zu werden: Damit will ich die Anliegen, die sich hinter den Begriffen verbergen, keinesfalls herunterspielen. Die bleiben wichtig. Aber daneben treten eben auch andere Anliegen, die mit dem Selbstverständnis einer wachsenden und lebendigen Kirche vorgetragen werden. Jetzt zu tun, als ob „die halt noch nicht so weit sind wie wir“, ist genauso ein Blind-Macher wie die überholten Kategorien.
Wir müssen neu lernen, Kirche zu sehen und zu verstehen. Das ist die für mich nachhaltigste Wirkung des gestrigen Abends. Der Mann, der dort auf den Balkon getreten ist, wird für uns eine Herausforderung sein. Und das ist eine wunderbare Voraussetzung für den Beginn eines neuen Pontifikates. (rv)

Pater Lombardi zum 70. Geburtstag

Er ist Vatikansprecher, Generaldirektor unseres Senders und in beiden Funktionen häufig bei Radio Vatikan zu hören: Pater Federico Lombardi. In diesen Tagen feiert der Jesuitenpater zwei wichtige Jubiläen. Am Mittwoch begeht er seinen 70. Geburtstag, und am 2. September wird er seit 40 Jahren Priester sein. Der „Leiter des vatikanischen Presseamtes", wie sein offizieller Titel lautet, ist Ansprechpartner der Medien für alle Fragen rund um Papst und Vatikan. Er organisiert Pressekonferenzen und betreut die Presse während der Reisen des Papstes. Papst Benedikt ernannte den norditalienischen Priester, der gut deutsch spricht und im übrigen ausgebildeter Mathematiker ist, 2006 zum Nachfolger des Spaniers Joaquin Navarro-Valls, der dieses Amt 22 Jahre lang ausübte.

Geboren wurde Lombardi am 29. August 1942 im Piemont, in der Provinzstadt Saluzzo südlich von Turin. 1960 trat er in den Jesuitenorden ein, 1962 empfing er die Priesterweihe und begann ein Philosophie-Studium an einer Ordensfakultät. 1965 bis 1969 wirkte Lombardi am Studentenkolleg der Jesuiten in Turin und studierte zugleich Mathematik. Es folgte ein vierjähriger Aufenthalt in Deutschland, wo er 1973 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main das Lizenziat in Theologie erwarb und als Seelsorger italienische Gastarbeiter betreute. Danach ging Lombardi in den Journalismus: Er arbeitete für die Jesuitenzeitschrift „Civilta Cattolica" und stieg 1977 zum Vize-Chefredakteur des namhaften Blattes auf.

Von 1984 bis 1990 wurde Lombardi Provinzial seines Ordens in Italien. Von Rom in den Vatikan waren es dann nur noch wenige Meter: 1991 trat der Pater als Programmdirektor von Radio Vatikan in den Dienst des Heiligen Stuhls. 2005 ernannte ihn Benedikt XVI. zum Leiter des päpstlichen Senders. Seit 2001 steht er auch an der Spitze des vatikanischen Fernsehzentrums CTV.

Schon auf seiner ersten Reise mit dem Papst kam es zur Feuertaufe: Die Regensburger Rede von Benedikt XVI. vom 12. September 2006 löste in Teilen der muslimischen Welt wegen eines missverständlichen Zitates Empörung und gewalttätige Proteste aus. Lombardi hatte seine erste Bewährungsprobe als Leiter des Vatikanischen Presseamtes. Weitere sollten folgen: Die Affäre um den Holocaustleugner Richard Williamson, der Missbrauchsskandal, zuletzt die Vatileaks-Affäre und die Negativschlagzeilen der Vatikanbank IOR.

Dabei zeigt sich, dass der Papst eine gute Hand bei der Auswahl seines Sprechers bewiesen hatte. Auch in extremen Situationen zeichnet sich der Jesuit durch Gelassenheit, Verbindlichkeit und Geduld aus. Ärgerlich oder gar aufbrausend erlebt man ihn nie. Zu beobachten war dies zuletzt auf dem Höhepunkt der Vatileaks-Affäre im Sommer. Während der nahezu täglichen Briefings korrigierte er zunächst ruhig und gelassen die unverdrossenen Falschmeldungen italienischer Zeitungen, referierte knapp den neuesten Stand der Entwicklung und blieb auch noch freundlich, als nach einem einstündigen Frage-Marathon abstruse Detailfragen gestellt wurden.

Hinzu kommt eine eiserne Disziplin: Lombardi bewältigt ein immenses Arbeitspensum, zumal er auch Radio Vatikan und das vatikanische Fernsehzentrum CTV leitet. Morgens ist er im Pressesaal, danach im Radio, nachmittags im Fernsehen und abends wieder im Radio, bis dieses um 21 Uhr seine Pforten schließt. Sein großer Schreibtisch quillt über, seine Tür steht immer offen, am Mobiltelefon hebt er immer ab. Und in der römischen Ordenszentrale der Jesuiten gehört er stets zu den letzten, die am späten Abend ihre Mahlzeit einnehmen. (rv)

Caritas Internationalis zur Not syrischer Flüchtlinge

Assads Macht bröckelt, und Vorschläge für ein mögliches „Danach" werden immer hörbarer. So hatte der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Mar Gregorios Ibrahim, zuletzt einen umfassenden Friedensplan für Syrien vorgelegt. Von einem Neubeginn ist das bürgerkriegsgeschüttelte Syrien allerdings noch weit entfernt. Im Interview mit Radio Vatikan berichtet Laura Sheahan von Caritas Internationalis vom Schicksal zehntausender syrischer Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Jordanien, Libanon und Türkei geflohen sind. Sheahan hat in den vergangenen Tagen dort Flüchtlingslager besucht.

„Die syrische Flüchtlingskrise hat sich im vergangenen Monat verschärft, die Zahl der Flüchtlinge hat zugenommen. Niemand hätte gedacht, dass es so schlimm werden würde. Wir arbeiten hart und mit Mühe daran, allen Menschen zu helfen, brauchen aber noch mehr finanzielle und andere Hilfen."

Nach offiziellen Angaben des Flüchtlingswerkes der Vereinten Nationen UNHCR flohen im vergangenen Monat 120.000 Menschen aus Syrien, die wirkliche Zahl sei aber noch höher, so die Caritas Internationalis-Mitarbeiterin. Auch viele islamische Wohlfahrtsorganisationen seien vor Ort aktiv, um den Menschen zu helfen, berichtet Sheahan. Viele Flüchtlinge seien völlig verstört:

„Das sind Menschen, die schreckliche Dinge in ihrem Land gesehen haben, mit denen sie nie gerechnet hätten. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die Milch für ihre fünf Kinder brauchte. Aus Angst vor den Heckenschützen ging ihr Nachbar für sie. Er wurde angeschossen, sie rannte raus, um ihm zu helfen – und wurde am Bein getroffen. Die Frau überlebte, aber der Nachbar erlag seinen Verletzungen."

In einem Bericht der unabhängigen Syrienkommission des UNO-Menschenrechtsrates werden den syrischen Regierungstruppen und der bewaffneten Opposition Kriegsverbrechen bescheinigt: Darin ist von Folter, sexueller Gewalt und willkürlichen Verhaftungen die Rede. Insgesamt habe sich die Menschenrechtslage in den vergangenen Monaten dramatisch verschlechtert. Der Vatikan hat mehrfach zur Waffenruhe, zum Zulassen humanitärer Hilfen und zu Dialog aufgerufen. (rv)

Frankreich: „Jetzt heißt es beten“

Jetzt gilt es für die Katholiken in Europa und für die Zukunft ihres Kontinentes zu beten. Das ist die erste Reaktion der französischen Bischofskonferenz nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahlen in der „Grande Nation" sowie nach dem Machtwechsel in Griechenland. Mit François Hollande wird erstmals seit dem Ende der Mitterrand-Ära vor 17 Jahren wieder ein Sozialist Präsident in Frankreich. Nachdem sich Hollande im Wahlkampf für eine striktere Trennung von Staat und Religion ausgesprochen hatte, befürchtet die katholische Kirche des Landes einerseits Benachteiligungen. Andererseits haben die Bischöfe Sorge, dass die Einheitswährung sowie die Europäische Union geschwächt werden könnten und dass mehr Arbeitslosigkeit und Armut entstehen könnten. Wenn man sich die Börsenmärkte ansieht, dann sieht es nicht rosig aus: Am Montagmorgen stand der Euro unter Druck und auch die Aktienmärkte in Paris und Athen standen im Minus.

Am Sonntagabend hat Hollande in seiner ersten Ansprache unter anderem unterstrichen, dass er sich für die nationale Einheit einsetzen wolle. Der Wunsch nach Einheit sollte jedoch nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa gelten. Daran erinnert der Pressesprecher der Französischen Bischofskonferenz, Monseigneur Bernard Podvin, im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Gerade die Katholiken in Frankreich möchten nun die Einheit innerhalb unserer Gesellschaft fördern. Das beweist beispielsweise die starke Beteiligung der katholischen Wähler am Wochenende. Das Resultat in Frankreich bekundet aber auch, dass es viele Stimmenthaltungen gab. Diese zählen in Frankreich bisher nicht. Die beiden Anwärter waren so unterschiedlich, dass es nun wirklich darum geht, einen Dialog innerhalb der Gesellschaft zu fördern. Wir machen da gerne mit."

Hollande gab bekannt, dass er sich für einen deutlich weniger harten Sparkurs in der Eurokrise einsetzen wird. Damit scheinen Spannungen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorprogrammiert zu sein, die sich bisher mit Nicolas Sarkozy für harte Sparprogramme in Europa eingesetzt hat.

„Der französische Präsident muss in erster Linie alle Franzosen repräsentieren. Deshalb soll er nicht die derzeit herrschende Krise noch weiter verstärken. Die katholische Kirche denkt ja bekanntlich nicht national, sondern möchte das Allgemeinwohl aller unterstützen. Deshalb wünschen wir uns, dass der neue französische Präsident nicht nur an seine Wähler denkt, sondern möglichst den Blick weitet auf die Probleme, die uns in der nächsten Zeit betreffen werden."

Ein Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hollande soll es direkt im Anschluss an die Amtseinführung geben, berichtete die dpa an diesem Montag. Hollande erhielt noch am Wahlabend eine Einladung der Bundesregierung nach Berlin.

HintergrundDie große Mehrheit der aktiven Katholiken in Frankreich wählte am Sonntag Nicolas Sarkozy. Laut einer von der katholischen Wochenzeitung "La Vie" in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage stimmten 79 Prozent der regelmässigen Kirchgänger bei der Stichwahl um das Präsidentenamt für den Konservativen Sarkozy. (rv)

„Ein Papst auf der Höhe der Zeit“

Am Montag wird Joseph Ratzinger 85 Jahre alt. Zu denjenigen, die ihn schon lange kennen, gehört Kardinal Walter Kasper. Radio Vatikan hat ein Interview mit dem langjährigen, inzwischen emeritierten Präsidenten des Päpstlichen Einheitsrates geführt und wollte zunächst von ihm wissen, wann er dem heutigen Papst eigentlich das erste Mal begegnet ist.

„Genauer kennengelernt habe ich ihn 1964, als ich Professor in Münster in Westfalen wurde. Er war damals auch Professor in derselben katholischen Logenfakultät. Begegnet ist er mir allerdings schon ein Jahr vorher, bei einer Akademieveranstaltung der Diözesanakademie in Stuttgart. So ist es fast eine halbes Jahrhundert, das wir uns kennengelernt haben und uns zunächst als Theologen begegnet sind."

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Eindruck?

„Der erste Eindruck war derselbe, wie wir Joseph Ratzinger, jetzt Benedikt XVI. heute kennen. Ein sehr stiller gesammelter Mensch, der sehr bescheiden auftritt, hochbelesen und grundgescheit ist, aber in seinen Aussagen sehr bestimmt ist. Er spricht eine sehr schöne Sprache, verständlich und ansprechend. Und so ist er auch geblieben, bis heute."

Sie kennen ihn als Theologen, als Erzbischof von München und Freising, als Präfekten in Rom, als Sie selbst Bischof in Deutschland waren. Dann als Präfekten, als Sie hier in Rom gearbeitet haben, nun als Papst. Wie ist es, den Papst schon so lange und in so verschiedenen Rollen zu kennen?

„Gut, es war zunächst natürlich eine Schwierigkeit schon innerhalb des Konklaves, wenn jeder Kardinal zum Papst vorgeht, ihn begrüßt, man gibt ihm die Hand und verspricht den Gehorsam. Und da war es für mich die Schwierigkeit, wie soll ich ihn denn überhaupt anreden, denn wir waren per „Du" und man kennt sich schon sehr lange als Kollegen, dann als Bischöfe hier in Rom. Aber er hat es mir dann sehr leicht gemacht. Seine ersten Worte, die er zu mir gesagt hat, damals noch im Konklave, waren: Nun müssen wir den Weg der Einheit gemeinsam gehen!

Und als ich ihn dann später im Vatikan zu einem persönlichen Gespräch getroffen habe, sagte er „wir belassen es bei dem Du". Nun, man ist in diesem Moment sehr zurückhaltend, man darf beim Papst nicht indiskret sein. Ich versuche dies möglichst wenig zu gebrauchen, aber es ist immer ein sehr persönliches und herzliches Gespräch und eine angenehme Begegnung.

Wir schätzen uns gegenseitig, ich auf jeden Fall schätze ihn sehr als Theologen. Wenngleich ich hier und da gelegentlich andere theologische Akzente gesetzt habe. Aber das ist in der Theologie durchaus etwas Normales, da braucht es gelegentlich Disputationen. Das gehört sozusagen zum Geschäft der Theologie. Mit einem Papst führt man selbstverständlich keine öffentliche Disputation. Das tut man nicht, und es würde dem Amt auch schaden. Das Amt ist zu wichtig, um es zu beschädigen."

Sie haben es angesprochen: Diskussion unter Theologen ist normal, sogar wissenschaftlich gewünscht. Sie haben mit ihm gestritten. Die Frage etwa des Primates der Verschiedenheit und des Petrus, ich erinnere mich an meine eigenes Theologiestudium. Wie ist das, mit dem Theologen Joseph Ratzinger zu streiten? Was für eine Art akademische Auseinandersetzung führt man mit Joseph Ratzinger?

„Zunächst einmal, man führt eine sehr respektvolle Auseinandersetzung, denn an seiner theologischen Qualität besteht kein Zweifel, ich selber habe großen Respekt vor seiner theologischen Leistung. Zum anderen führt man eine Auseinandersetzung auf dem gemeinsamen Boden des katholischen Glaubens, wir sind beide katholisch, also auf einer gemeinsamen Grundlage. Hier ist eine Auseinandersetzung etwas Wünschenswertes. Und dann geht es schon zur Sache. Er spricht ja auch eine sehr deutliche Sprache, und das darf man dann auch wieder unter allem Respekt tun. Es war aber nie eine Feindseligkeit oder dergleichen zwischen uns. Als Papst ist es eine völlig andere Sache, zumal als Kardinal hier in Rom ist es einfach unsere Aufgabe, dem Papst zu helfen, ihn unter Umständen auch einmal aus Situationen herauszuhauen, das muss man auch tun. Er kann sich ja nicht immer in der gleichen Weise wehren, wie man das sonst tun kann, da muss man ihm helfen, ihn unterstützen und vielleicht einen echten Wadenbeißer für ihn machen."

Nun hat er ja auch als Papst selber zu Diskussionen eingeladen. Sein Jesus-Buch will er nicht als lehramtliches Dokument verstanden wissen. Haben Sie mit ihm schon einmal über dieses Buch gesprochen, oder wissen Sie von Diskussionen, die er selber über dieses Jesus-Buch beziehungsweise Jesus-Bücher geführt hat?

„Ich habe nie selber mit ihm über dieses Buch gesprochen. Es hat sehr viel Anerkennung gefunden. Es ist schließlich auch ein Buch, das auch für Nicht-Fachtheologen lesbar ist, was sehr wichtig ist. Es gibt natürlich unter den Fachtheologen hier und da unterschiedliche Meinungen, das ist das normalste der Welt. Im Großen und Ganzen werden die aber sehr sachlich und zurückhaltend geäußert. Man will einem Papst nicht zu nahe treten, aber auf der anderen Seite schätzt man, dass er sich überhaupt so auf die Exegese eingelassen hat.

Es ja auch nicht selbstverständlich, dass sich ein Papst auf die heutige, moderne Exegese einlässt, sie zitiert und sich damit auseinandersetzt und Position bezieht. Das Buch hat in sofern schon auch etwas bewirkt, als es eine hypertrophe, überzogene, kritische Einstellung zurückstutzt. Man kann ja auch die Kritik überziehen.

Gelegentlich braucht es auch eine Kritik an der Kritik. Das hat er ja auch getan. Vor allem hat er auch versucht, sich nicht so auf den historischen Jesus zu fixieren, sondern Jesus aus dem Ganzen des neuen Testaments heraus zu interpretieren. Das ist eine neue Form der Exegese, eine ganzheitliche, kanonische Exegese innerhalb des Kanons des neuen Testaments, wie sie vor allem in Amerika entwickelt worden ist. Und in sofern ist er hier auch schon auf der Höhe der Zeit."

Das wahrscheinlich prägendste Merkmal an Joseph Ratzinger, Benedikt XVI. ist das Theologe sein, das kommt immer wieder, auch ein Theologe der verständlich ist, vor allem mittwochs bei den Generalaudienzen immer wieder hervorkommt. Wie würden Sie sein Denken beschreiben?

„Es ist ein Denken, das von der Bibel und den Kirchenvätern herkommt. Es ist entscheidend für ihn, dass aus der ganz großen weiten Tradition heraus schöpft, sie aber auch zu aktualisieren versteht. Vor allem geht es ihm, das ist mein Eindruck, um eine spirituelle Vertiefung des Glaubens und das ist etwas, was mir viele Hörer der Audienz oder der Predigten, der Katechesen sagen, dass sie diese spirituellen Akzente und diese Tiefe und den Reichtum sehr schätzen. Also für ihr eigenes religiöses Leben sehr viel mitnehmen. Mir scheint das eines der Hauptanliegen seines Pontifikats zu sein. Die Vertiefung des Glaubens selber, denn nur aus einem vertieften Glauben können dann auch sinnvolle Reformen kommen und nicht der umgekehrte Weg ist möglich."

Hat sich das in den letzten 50, 55 Jahren als Theologe bei ihm geändert, oder war das immer schon da?

„Ich denke das war mehr oder weniger immer schon da. Er war schon immer ein spiritueller, frommer Mensch. Als Papst kommt natürlich das Pastorale, das Spirituale noch viel mehr zum Tragen, das Wissenschaftliche tritt in diesem Moment etwas zurück. Das liegt einfach an der neuen Aufgabe, wo er große Menschenmassen ansprechen muss. Da kann er nicht als Fachtheologe reden. Aber diese spirituelle Sprache, die auch eine Sprache des Herzens ist, die versteht er zu sprechen. Er hat auch eine sehr schöne Sprache, übrigens nicht nur wenn er deutsch spricht, auch das Italiensche ist er sehr reich und vor allem das Französische, das sagen auch Franzosen zu mir. Er könne viel besser französisch als manche Franzosen es können. Er ist sehr ausdrucksfähig und das spricht dann schon sehr an."

Er ist jetzt 85 Jahre alt, er hat jahrzehntelang Theologen geprägt. Was meinen Sie, was für theologische und geistige Elemente werden über die nächsten Jahrzehnte bleiben von Benedikt XVI.?

„Ich denke, dass die Elemente sehr lange überdauern, ausgehend vom Konzil, wo er einer der einflussreichen theologischen Berater war, über kirchlich geäußerte Fragen und dass er die Liebe zur Kirche, eine tiefe Einsicht in das Wesen der Kirche, nicht nur eine soziologische Sicht der Kirche, als Leib Christi, als Braut Christi, Tempel des Heiligen Geistes. All das hat die Theologie geprägt und das wird sicher auch weiter wirken. Er hat das dann sehr vertieft von Augustinus her, der ein besonders beliebter Kirchenvater ist, und bei Augustinus in den Psalmkommentaren etwa, kann man wunderbare Aussagen über die Kirche finden.

Zum Zweiten spielt bei ihm die Geschichtstheologie eine große Rolle. Mit der hat er sich vor allem im Zusammenhang mit Bonaventura befasst, einem ganz großen Vertreter der scholastischen Theologie. Aber auch schon bei Augustinus über den Gottesstaat, das ist ja auch eine Art Geschichtstheologie, das spielt ebenfalls eine Rolle. Und von dort her hat er auch Zugänge gefunden, etwas später, als er schon Kardinal war, zu politischen Problemen der Gegenwart, Religionsfreiheit, die Situation der Kirche in der modernen Gesellschaft. Das spielt jetzt natürlich notwendigerweise eine wichtige Rolle: Diese Warnung vor dem Relativismus der Postmoderne, wo es darauf ankommt, die Wahrheitsfrage in den Vordergrund zu stellen. Die Freiheit ist nur dann frei, wenn sie auf die Wahrheit bezogen ist. Wenn sie das nicht mehr ist, wird sie abhängig von Eigeninteressen, Stimmungen und Mehrheitsmeinungen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, die Wahrheitsfrage so in den Vordergrund zu stellen.

Da besteht sehr viel Tradition des Platon, des Augustinus, auch des hohen Mittelalters. Ich denke, das ist ein besonderer Akzent bei ihm. Das ist ein zeitkritischer Akzent, aber wie ich meine ein notwendiger, weil eine gewisse Gleichgültigkeit besteht über die Wahrheit beziehungsweise man die Wahrheitsfrage abzuwerten versucht: „was ist denn das, Wahrheit", wie Pilatus fragte. Davor kann man nur warnen. Das wäre dann auch das Ende der europäischen Kultur. Und dagegen ist er auch ein Wächter oder einer, der aus der reichen europäischen Tradition und Kultur kommt. Es geht ihm auch um die Zukunft Europas, um die es nicht ganz so gut bestellt ist, wenn man auf das kulturelle, geistige Leben schaut."

Herr Kardinal, ganz herzlichen Dank. Vielleicht abschließend, wenn Sie möchten, noch ein Geburtstagsgruß: was wünschen Sie dem Heiligen Vater für seine nächsten Lebensjahre Ad multos annos?

„Man wünscht ihm natürlich mit 85 Jahren die nötige physische Kraft, aber vor allem auch die nötige geistige Durchhaltekraft gegenüber manchen Anfechtungen, denen er ausgesetzt ist. Vor allem Freude an seiner Aufgabe! Freude an der Kirche und Hoffnung für die Kirche und für sein eigenes ewiges Leben." (rv)