„Es war nie so leicht wie jetzt, aus dem Priesteramt rauszufliegen“

 

cicDer Vatikan arbeitet derzeit an der Revision einiger Bestimmungen des Kirchenrechts. Bereits nach Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils war eine Reform in Angriff genommen worden; sie mündete in der Promulgation des heute gültigen „Codex Iuris Canonici“, der am 25. Januar 1983 von Papst Johannes Paul II. veröffentlicht wurde. Teil der aktuell laufenden Revision ist unter anderem das kirchliche Strafrecht. Der Salesianerpater Markus Graulich vom Kirchengericht „Sacra Rota Romana“ erläutert im Gespräch mit uns einige Details.

„Da läuft jetzt etwa seit zwei Jahren ein Projekt, welches die Konsultationsphase hinter sich hat: Das ist also an alle Bischofskonferenzen verschickt worden. Und jetzt geht es darum, die Reaktionen zu werten und eventuell zu dem Entwurf eines geänderten Gesetzes zu kommen.“

Das Ideal einer „nicht strafenden Liebeskirche“ sei u.a. wegen des Missbrauchsskandals nicht mehr aufrechtzuhalten gewesen, so Graulich. Das Kirchenrecht sei samt seiner Beigesetze im Bereich sexueller Missbrauch zwar „schon ausreichend“, meint er. Allerdings gebe es Probleme bei Rezeption und Anwendung des Gesetzeswerks:

„Einmal ist es nicht bekannt – es wurde im Vorfeld nicht angewandt, auch nicht während der Krise, oder da nur unzureichend.“

Das sei etwa am Beispiel Irland deutlich geworden, so Graulich. In seinem Hirtenbrief vom 19. März 2010 an die Kirche des Landes sprach Benedikt XVI. vom „Versagen in der Anwendung bestehender kanonischer Strafen“ und von der „fehlgeleiteten Tendenz“ in der irischen Kirche, „Strafverfahren für kanonisch irreguläre Umstände zu vermeiden“. Bestehende Gesetze wurden in diesem Fall also teilweise nicht angewandt, so Graulich. Umgekehrt würden heute bestimmte Beigesetze des Kirchenrechtes teilweise „krude angewandt“, sozusagen in Richtung des anderen Extrems – klagt Graulich, der die Rechtsgeschichte gut kennt:

„Es war nie so leicht in der Geschichte der Kirche wie jetzt, aus dem Priesteramt rauszufliegen! Häufig ist es so, dass allein der Verdacht eines Missbrauchs reicht, dass die Bischöfe die Priester schon aus dem Dienst nehmen. Und dann ist es natürlich schwierig, wenn man einmal schon damit angefangen hat, auch wenn sich die Unschuld herausstellt, sie dann wieder einzugliedern. Also, da ist noch einiges zu tun…“

Eine weitere Baustelle im kirchlichen Strafrecht: die Integration von Beigesetzen in den bestehenden Kodex. Graulich nennt ein Beispiel.

„Dann gab es die Beigesetze mit dem Motu proprio ,Sacramentorum sanctitatis tutela‘, den ,delicta graviora‘, mit der Gesetzgebung für den Umgang mit den Tätern. Und das muss jetzt eben alles ins Gesetzbuch mit hinein – es gab ja Änderungen oder Ergänzungen außerhalb des Kodex, die man jetzt versucht, mit hineinzunehmen.“

Mit dem Motu proprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“ nahm Papst Johannes Paul II. im April 2001 sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker in die Liste der „delicta graviora“ auf – der Vergehen, die für die katholische Kirche am schwerwiegendsten sind. Junge Menschen seien im kirchlichen Strafrecht teilweise besser geschützt als in den staatlichen Gesetzgebungen, unterstreicht Graulich:

„In der kirchlichen (Gesetzgebung, Anm. d. Red.) gibt es ein Schutzalter von 18 Jahren: Also jede sexuelle Belästigung, jeder sexuelle Missbrauch von Minderjährigen unter 18 ist strafbar. Bei den staatlichen Gesetzgebungen liegt es in der Regel bei 16, bei einigen sogar bei 14 Jahren.“

Auch in Punkto Verjährung gibt es unterschiedliche Regeln im kirchlichen und im staatlichen Recht. So liegt die Verjährungsfrist im Fall des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker laut kirchlichen Bestimmungen derzeit bei 20 Jahren. Papst Benedikt XVI. hatte nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in Deutschland im Mai 2010 eine Neufassung des Motu proprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“ approbiert, mit der u.a. die Verjährungsfrist von zehn auf 20 Jahre hochgesetzt wurde. Weiter wurde damals festgelegt, dass die Glaubenskongregation die Verjährung in bestimmten Fällen sogar aufheben kann. Die Zusammenarbeit der kirchlichen und der staatlichen Rechtsprechung stoße so an bestimmte Grenzen, führt Graulich aus.

„Es werden ja staatliche Voruntersuchungen oder Untersuchungen von Missbrauchsfällen auch bei der kirchlichen Rechtsprechung mit berücksichtigt und mit verwertet. Das hat aber seine Grenzen, weil es eben unterschiedliche Auffassungen gibt über Verjährung und über das Schutzalter.“

In einem Rundschreiben vom Mai 2011 hat der Vatikan die Bischofskonferenzen der einzelnen Länder bei Missbrauchsfällen zur Zusammenarbeit mit den zuständigen staatlichen Behörden aufgefordert. Insbesondere gelte es „die Anzeigepflicht für solche Verbrechen zu beachten“, heißt es in dem Brief der Kongregation für die Glaubenslehre, der die Bischofskonferenzen dazu anhält, Leitlinien für die Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker zu erstellen. Was diese Anzeigepflicht betrifft, dürfte die Frage wohl ähnlich heikel sein wie bei der des Schutzalters: So müsste ein Kirchenvertreter in Deutschland und Italien – laut staatlichem Gesetz wohlgemerkt – gar keine Anzeige erstatten, wenn er von Missbrauch erfährt – in Frankreich, wo Anzeigepflicht besteht, dagegen sehr wohl. (rv)