Vatikan-Bankdirektor über Finanzkrise: „Politischer Bezugspunkt fehlt“

Der vatikanische „Chefbanker" macht eine falsche Geldpolitik in den USA für die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortlich. Das Instrument Wirtschaft habe sich heutzutage nur noch selbst im Blick, statt dem Menschen zu dienen, sagte Ettore Gotti Tedeschi, der Präsident des vatikanischen Geldinstitutes IOR, im Interview mit Radio Vatikan.

„Die Politik, übrigens nicht die europäische, hat diesen Prozess ausgelöst. Besonders die US-amerikanische Politik, aber nicht nur sie, wollte um jeden Preis das Wachstum der eigenen Wirtschaft auf hohem Niveau halten. Das trieb die Familien in die Verschuldung. Die Politik hielt die Menschen zum Konsum an, um Wachstum zu erreichen."

Heute ist der Politik die Kontrolle über die Wirtschaft entglitten, merkt Gotti Tedeschi kritisch an.

„Wo gibt es heute auf der Welt einen starken politischen Bezugspunkt? In den letzten 40 Jahren dachten wir, die USA seien der Bezugspunkt. Aber leiten die USA heute die globale Wirtschaft? Nein, denn die Welt hat sich globalisiert. Was früher einmal ein Bezugspunkt für große Entscheidungen und weitreichende politische Eingriffe war, hat sich heute selbst zurückgestutzt."

Von einer höheren Besteuerung von Eigentum, inklusive Besitz und Erbschaften, hält der vatikanische Finanzexperte wenig. Eine solche Steuer auf Eigentum würde fast nur die Familien treffen und dementsprechend verunsichern, die gespart haben, glaubt Gotti Tedeschi.

„Wenn wir wirklich auf die Ressourcen der Familien zurückgreifen müssen, warum leiten wir diese Mittel nicht direkt dem Wirtschaftswachstum zu? Nicht eine Steuer auf Eigentum stopft das Schuldenloch der öffentlichen Haushalte, sondern das Wirtschaftswachstum. Wenn ich also so seltene, wertvolle Ressourcen habe wie das Ersparte beispielsweise der Italiener, ist es viel besser, sie dem Wirtschaftswachstum zuzuführen, als damit zeitweilig eine öffentliche Verschuldung auszugleichen, die doch nur weiter wachsen würde, solange wie die Probleme fortbestehen." (rv)

Eurokrise: Schelte für Politiker aus dem Vatikan

Klare Worte aus dem Vatikan zur Eurokrise: Ursache für die Haushaltskrise, die ausgehend von Griechenland mehreren Mitgliedsstaaten der Eurozone zusetzt, sind ein Mangel an Leitung und Verantwortung in der Politik. Das unterstreicht Ettore Gotti Tedeschi, Präsident der Vatikanbank IOR. Im Interview mit Radio Vatikan wirft er der europäischen politischen Liga Versagen vor:

„Diese Krise ist das Ergebnis dürftiger Vorstellungen vom Leben, die Entscheidungsträger im öffentlichen Leben in der letzten Zeit an den Tag gelegt haben. Hier liegt der wirkliche Grund für die Krise: Die wichtigen Entscheider haben vollständig den Sinn für die Realität, für das Gemeinwohl und für notwendige Leitung verloren. Wie es der Papst bei seiner Reise nach Aquileia ausgedrückt hat: Jemand im Leitungsamt ist eine Person, die weiß, dass Leitung ein Instrument ist, um ein Ziel zu erreichen, in diesem Fall das Gemeinwohl. Die Personen, die diese tiefe Krise provoziert haben, haben diesen Sinn verloren."

So hätten Politiker niemals die horrenden Schulden zulassen dürfen, die die Staaten, allen voran die USA angehäuft hätten, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Man habe das Wachstum der Schulden geradezu gefördert. Die USA hätten dieses System des dramatischen Anstiegs der Schulden erst geschaffen, um den Haushalt zu stützen, der von alleine nicht wuchs. Dieses sein ein rein künstliches und nur auf Konsum ausgerichtetes Wachstum gewesen.
Im „Leadership", also in Führungsqualitäten, sieht Gotti Tedeschi aber auch einen möglichen Lösungsweg aus der Krise:

„Wenn Europa eine zentrale Regierung hätte, die ich ökonomisch verantwortlich wüsste für ganz Europa, dann könnten wir heute angemessen entscheiden und die Konsequenzen gut einplanen. Dazu braucht man aber eine zentrale Regierung, nicht nur eine Zentralbank, die die politischen Entscheidungen den einzelnen Ländern in ihren verschiedenen Umständen überlässt." (rv)

Vatikan weist Vorwürfe gegen IOR-Chef zurück

Der Vatikan zeigt sich überrascht über die Ermittlung der römischen Staatsanwaltschaft gegen den Präsidenten der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi. Das schreibt das vatikanische Presseamt in einer Note an diesem Dienstag. Der Heilige Stuhl unterstütze jegliche Maßnahmen gegen Geldwäscherei, fügt die Note an. Weiter wird betont, dass es sich um Geldtransfers handelt, die nicht mit italienischen Banken zu tun haben. Der Vatikan habe weiterhin Vertrauen gegenüber dem Präsidenten und Generaldirektor der Vatikanbank. Wie italienische Medien berichteten, wurden mehrere Millionen Euro auf einem Konto des IOR bei der römischen Niederlassung der Bank Credito Artigiano beschlagnahmt. Tedeschi und einem weiteren führenden Mitarbeiter des Geldinstitutes werde vorgeworfen, gegen die Vorschriften zur Vorbeugung von Geldwäsche verstoßen zu haben, so die Medien am Dienstag. (rv) 

Vatikan-Banker: „Finanzkrise begann mit Geburtenrückgang“

 

Dass der Präsident der Vatikanbank „IOR" sich einmal in der Öffentlichkeit zu Wort meldet, ist sehr selten. Jetzt hat Professor Ettore Gotti Tedeschi dem Vatikanfernsehen ein Interview gegeben – und dabei erklärt, wie die internationale Finanzkrise aus seiner Sicht entstanden ist.
„Der wahre Ursprung der Krise – da habe ich persönlich keinen Zweifel – ist der Einbruch der Geburtenrate in den Ländern des Westens. In den siebziger Jahren sagten die so genannten Neo-Malthusianer einmal voraus: Wenn die Bevölkerung so weiterwächst wie bisher, nämlich zwischen vier und 4,5 Prozent, dann werden vor dem Jahr 2000 Millionen von Menschen, vor allem in Asien und in Indien, an Hunger sterben… Das sagt doch alles über die Prognosefähigkeit vieler Wirtschaftssoziologen. In der Dritten, Vierten Welt konnte niemand die Bücher über die demographische Bombe lesen, und darum haben sie weiter in aller Ruhe Kinder bekommen – und haben ihre Lebensbedingungen sogar verbessert, dank der Fortschritte im Gesundheits- und Ernährungswesen."
Ganz anders sei die Entwicklung im Westen gelaufen: Stillstand des Bevölkerungswachstums – und damit nach Ansicht des Vatikan-Bankers die Notwendigkeit zu Strukturreformen. „Denn die Geburten gehen zurück, das heißt: Weniger junge Leute treten produktiv in die Arbeitswelt ein, und dafür gibt es mehr ältere Leute, die aus dem Produktivsystem ausscheiden und ein Kostenfaktor für die Gemeinschaft werden. Klar gesagt: Wenn die Bevölkerung nicht wächst, dann steigen die Fixkosten dieser wirtschaftlichen und sozialen Struktur oft dramatisch, je nachdem, wie sehr die Bevölkerungsstruktur ungleichgewichtig wird. Die Gesundheits- und Sozialkosten steigen, Steuern können nicht mehr gesenkt werden, die Ersparnisse gehen zurück… Der Westen hat versucht, diesen Einbruch in seiner Entwicklung durch Finanzaktivitäten und Auslagerung der Produktion aufzufangen, und eine Weile ist das auch gutgegangen: Das System wächst dadurch, dass die Familien sich verschulden. Letztlich hat man an den Finanzmärkten versucht, das nachlassende Wachstum der Wirtschaft zu kompensieren – welches wiederum mit der Tatsache zusammenhängt, dass keine Kinder mehr geboren wurden…"
Die USA unter Präsident Barack Obama wollen nun die Banken für die Kosten der Finanzkrise haftbar machen: Obama will das Bankensystem ordnen und Manager-Boni begrenzen. Aber Gotti Tedeschi hält das nicht für das Nonplusultra:
„Ich glaube vor allem, dass es übertrieben ist, den Bankern und Finanzmanagern den Ursprung der Krise in die Schuhe zu schieben. Die Krise kommt nicht von den Banken und der Finanz: Sie haben die Krise zwar verschärft, wurden aber auch durch einige Regierungen darin ermutigt, obwohl allen die ganze Zeit über klar war, dass die Wachstumsrate, die der Kreditexpansion zugrunde lag, fiktiv war. Jetzt müßte es eher darum gehen, die Schuldenlast der Regierungen, der Familien, der Finanz- und Industrieinstitutionen zu verringern. Zurück zu akzeptablen Kriterien! Es gibt nur einen Weg, das wirtschaftlich-finanzielle Gleichgewicht wiederherzustellen – er heißt „austerità", Nüchternheit, Einschränkung." (rv)