Venezuela: „Eine Art Supermacht, um alles ändern“

Die richtige Antwort auf die politische Krise in Venezuela ist, sich jetzt nicht zurück zu ziehen und der Regierung das Feld zu überlassen: Kardinal Jorge Urosa Savino findet die Entscheidung, sich trotz der faktischen Abschaffung des Parlaments weiter an Wahlen zu beteiligen, richtig. Im Interview mit Radio Vatikan bekräftigt er seine Einschätzung, dass es eine „Verletzung der Rechte des Parlaments“ ist, wenn dieses „aus seinen Räumen vertrieben“ wird, um dort nun die so genannte verfassungsgebende Versammlung tagen zu lassen. Präsident Nicolas Maduro hatte eine solche Versammlung einberufen, diese tagt nun dort, wo eigentlich das Parlament sitzt.
Die Bischöfe des Landes positionieren sich eindeutig und lehnen öffentlich die frisch gewählte Versammlung ab. Jetzt legt Kardinal Urosa gegenüber Radio Vatikan noch einmal nach: „Wenn die Rechte des Parlaments verletzt werden, dann ist das eine Verletzung der Rechte des Volkes“.
Nicht legal
Die verfassungsgebende Versammlung sei überhaupt nicht legal zustande gekommen. „Sie ist nicht vom venezolanischen Volk einberufen worden, sondern vom Präsidenten. Der Gedanke, dass jeder Präsident einfach eine solche Versammlung einberufen kann, um alles zu ändern, ist unglaublich. Jetzt tun sie so, als ob die Versammlung eine Art Supermacht sei, die alles ändern könne.“
International reagieren Regierungen negativ auf die Entwicklungen in Venezuela, die USA haben weitere Sanktionen verhängt, die Länder Lateinamerikas haben das Land aus seiner Wirtschaftsvereinigung Mercosur ausgeschlossen. Kardinal Urosa besorgt im Augenblick vor allem, dass die Folgen dieser Reaktionen die Menschen belasten, nicht die Regierung. „Das Problem ist aber, dass die Regierung nicht versteht, dass es so nicht weiter geht, dass sie ihr Vorgehen ändern muss und dass die Situation des Landes jeden Tag schlechter wird.
An Wahlen muss man teilnehmen
Als nächsten Schritt hat die Regierung nun Regionalwahlen ausgeschrieben, 23 Gouverneure und Regionalversammlungen sind zu besetzen. Die Opposition hat nun entschieden, das nicht zu boykottieren. „Das ist ein Schritt vorwärts“, kommentiert das Kardinal Urosa. „Nicht teilzunehmen würde bedeuten, der Regierung alle Posten und alle Autorität zu überlassen. An diesen Wahlen muss man teilnehmen.“
Maduro hat unterdessen in einer Rede vor der verfassungsgebenden Versammlung bekräftigt, an dieser festhalten zu wollen. Bis „August 2019“ solle sie bestehen bleiben, um das Volk „so lange wie möglich zu umarmen und zu beschützen“, so der Präsident bei seiner Ansprache in Caracas. Er sandte auch eine deutliche Warnung an die Opposition: Die Versammlung habe „jede Vollmacht“ und werde die Immunität von Abgeordneten aufheben, um „jeden einzelnen“ zu bestrafen, der „zu Gewalt bei den Demonstrationen“ angestachelt habe.
Bischöfe beklagen „Hexenjagt“
In ein einer offiziellen Stellungnahme reagieren die Bischöfe Venezuelas auch auf diese Drohungen des Präsidenten. Sie fordern, dass die „Hexenjagt“ auf Bürger eingestellt wird, die anders als die Regierung denken. Die Bischöfe richten die Aufmerksamkeit vor allem auf die politischen Gefangenen im Land, beklagen die Beleidigung derer, die sich um die Situation der Insassen kümmern und zählen die Missstände auf: Gefangene würden „unmenschlich und grausam“ behandelt, es fehle an Hygiene, an medizinischer Versorgung und an Rechtsbeistand, auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln sei prekär.
Grundsätzlich wenden sich die Bischöfe gegen „den Mangel an Respekt vor rechtsstaatlichen Prozessen“. In der Verfassung Venezuelas garantierte Grundrechte würden verletzt. Die Bischöfe fordern durch ihre Kommission Iustitia et Pax ein Ende der „Verfolgung und der physischen und psychologischen Folter“ gegen Oppositionelle. Die Bürger des Landes werden in der Erklärung aufgefordert, „die staatlichen Funktionäre, welche die Menschenrechte verletzen, öffentlich anzuklagen“. „Wir verlangen Gerechtigkeit“, endet die Erklärung. (rv)

Venezuela: Ein Appell des Jesuitengenerals

In Venezuela geht das sozialistische Regime aufs Ganze: Gegen alle Proteste im In- und Ausland lässt Präsident Nicolas Maduro an diesem Sonntag die Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung stattfinden. Dahinter steht der durchsichtige Plan, das Parlament zu entmachten, weil in ihm die Opposition dominiert.

Seit Wochen demonstrieren auf Venezuelas Straßen und Plätzen Hunderttausende von Menschen gegen das Regime, das das Land in eine schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise geführt hat. Maduro regiert seit Jahren mit Hilfe von Ausnahmezustand und Dekreten am Parlament vorbei; fällige Regional- und Kommunalwahlen fallen aus, weil der Autokrat (wohl zu Recht) eine Blamage an den Urnen befürchtet, und damit einen weiteren Verlust an Legitimität.

„Leiden der Menschen muss Priorität haben“

Der Ordensobere der Jesuiten, Pater Arturo Sosa, ruft Maduro von Rom aus eindringlich zum Umdenken auf. Sosa ist Venezolaner und hat lange Politikwissenschaften in Caracas gelehrt; einer seiner Schüler war Hugo Chavez, Gründer des jetzigen Regimes und politischer Ziehvater Maduros.

„Ich schließe mich den Stimmen, Absichten und Positionen der Bischöfe von Venezuela an“, sagt Sosa in einem über Radio Vatikan lancierten Appell. „Die Bischöfe sind sehr einig untereinander und auf einer Linie mit den Jesuiten Venezuelas und den anderen Ordensleuten im Land. Sie haben sehr mutige Positionen geäußert und betont, dass die Priorität jetzt das Leiden der Menschen sein muss.“

Die Bischofskonferenz hat in dem Appell, auf den sich der Jesuitengeneral bezieht, auch Maduros Projekt einer Verfassungsgebenden Versammlung eine deutliche Absage erteilt. In ihrem Statement warnt sie außerdem davor, der Präsident wolle eine Art marxistisches Regime in Venezuela einführen.

Pater Sosa betont zunächst nicht so sehr das Politische, sondern weist vor allem auf die immer schwierigere Lage der Bevölkerung hin. „Die Menschen leiden im Moment, weil es an den grundlegenden Lebensbedingungen mangelt. Sie haben weder Nahrung noch Sicherheit, keine Medizin, keine funktionierende Schule – nichts, was zu einem normalen Leben gehört.“

Für einen „wirklichen“ Dialog

Dann wird der Ordensmann aus Venezuela aber doch politisch. „Es geht darum, das Leiden der Menschen zu teilen, damit aus der Politik ein echtes Werkzeug wird, um die Probleme der Bevölkerung zu lösen, und nicht ein Ort des Kampfes um Macht oder Privilegien, die die Macht der einen oder anderen Gruppe verschaffen kann. Darum ist es nötig, einen wirklichen Dialog aufzunehmen. Einen Dialog, der in erster Linie das Leiden der Bevölkerung wahrnimmt und auch die verschiedenen Positionen in dieser Krisensituation.“

An Versuchen, einen nationalen Dialog zur Lösung der verknäuelten Probleme Venezuelas in Gang zu bringen, hat es nicht gefehlt, auch der Vatikan hat sich da um eine Vermittlung bemüht. Doch alle sind bislang an Maduros Starrköpfigkeit gescheitert.

„Es ist nötig, durch eine ehrliche und wahrhaftige Vermittlung zu einem Programm der nationalen Einigung zu finden, damit man wirklich prioritär die Probleme angeht, wegen denen Millionen von Venezolanern heute leiden. Schluss mit der Gewalt! Wir sollten doch dazu imstande sein, miteinander zu reden und zu Übereinkünften zu kommen, die zum Nutzen aller sind.“

Nach Angaben einer venezolanischen NGO sind in den letzten Wochen über hundert Menschen bei Protesten ums Leben gekommen. (rv)