Vatikan-Diplomat zur Lage in Palästina: „Sich nicht an das Morden gewöhnen“

UNO-Fahne„Gewalt führt nirgendwohin, weder jetzt noch in Zukunft.“ Das sagte der Vatikan-Vertreter bei der UNO in Genf an diesem Mittwoch mit Blick auf die Lage in Palästina. Erzbischof Silvano Tomasi äußerte sich bei der Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates zur Situation in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ostjerusalems. Auf lange Sicht „kann es keine Gewinner der derzeitigen Tragödie geben, bloß neues Leid“, heißt es in der Rede des Diplomaten, die der vatikanische Pressesaal veröffentlichte. Der Vatikan-Diplomat beanstandete, dass geschätzte 70 Prozent der Opfer in Palästina Zivilisten seien, die laut den internationalen Konventionen eigentlich geschützt werden müssten. Das sei „genauso inakzeptabel wie die Raketen“ der Palästinenser auf zivile Ziele in Israel.

Tomasi griff in seiner Rede zu teils drastischen Formulierungen. „Die Gewissen sind gelähmt von einem Klima unausgesetzter Gewalt, die versucht, Lösungen auf dem Weg der Vernichtung des anderen herbeizuführen“, sagte der Vatikan-Diplomat in Genf. „Die anderen zu dämonisieren schaltet aber ihre Rechte nicht aus.“ Der Weg zur Zukunft liege darin, „unsere gemeinsame Menschlichkeit“ anzuerkennen.

Erzbischof Tomasi erinnerte an die Reise von Papst Franziskus ins Heilige Land vom vergangenen Mai, bei der dieser ein Ende des Konflikts zwischen Israel und Palästina gefordert habe. Die sich verschlechternde Lage in Gaza erinnere permanent an die Notwendigkeit, zu einem sofortigen Waffenstillstand zu gelangen und Friedensverhandlungen aufzunehmen. Franziskus habe darauf hingewiesen, dass dies nur unter Verzichten auf beiden Seiten zu machen sei.

Tomasi rief die internationale Gemeinschaft zur Verantwortung. Sie müsse „den Parteien in diesem entsetzlichen Konflikt helfen, zu einer Vereinbarung zu gelangen“, um die Gewalt zu stoppen. Ebenso nahm der Vatikan-Diplomat die Medien in die Pflicht. Sie müssten über die Tragödie in Palästina – Tomasi vermied das Wort „Krieg“ – fair und unvoreingenommen berichten. Die Strategie der Gewalt könne „ansteckend sein und unkontrollierbar werden“, warnte der päpstliche Diplomat. In einer Zeit allgegenwärtiger Menschenrechtsverletzungen müsse man vermeiden, „sich an das Morden zu gewöhnen“. Vielmehr gelte es, positiv zu reagieren, um den Konflikt zu mildern, „der uns alle betrifft“. (rv)

Vollfassung: Papstrede vor Palästinenser-Autoritäten

PalaestinaHerr Präsident, liebe Freunde, ich danke dem Präsidenten, Herrn Mahmoud Abbas, für seine Worte des Willkommens und richte meinen herzlichen Gruß an die Vertreter der Regierung und an das ganze palästinensische Volk. Ich bin dem Herrn dankbar, heute hier mit euch an dem Ort zu sein, an dem Jesus, der Friedensfürst, geboren ist, und ich danke euch für euren herzlichen Empfang.

Der Nahe Osten erlebt seit Jahrzehnten die dramatischen Folgen des Sich-Hinziehens eines Konflikts, der viele schwer zu heilende Wunden verursacht hat, und auch wenn zum Glück keine Gewalt auflodert, führen die Ungewissheit der Situation und die Verständnislosigkeit zwischen den Parteien zu Unsicherheit, Verweigerung der Rechte, Isolierung und Auswanderung ganzer Gemeinden, zu Spaltungen und zu Not und Leiden aller Art.

Indem ich denen meine Nähe bekunde, die am meisten unter den Folgen des Konflikts leiden, möchte ich aus tiefstem Herzen sagen, dass es Zeit ist, dieser Situation, die immer unerträglicher wird, ein Ende zu setzen, und das zum Wohl aller. Mögen sich also die Anstrengungen und die Initiativen zur Schaffung der Bedingungen für einen stabilen Frieden verdoppeln, der auf Gerechtigkeit, auf die Anerkennung der Rechte eines jeden und auf die beiderseitige Sicherheit gegründet ist. Es ist für alle der Moment gekommen, den Mut zur Großherzigkeit und zur Kreativität im Dienst des Guten zu haben, den Mut zum Frieden, der darauf beruht, dass alle das Recht zweier Staaten bejahen, innerhalb international anerkannter Grenzen zu existieren und Frieden und Sicherheit zu genießen.

Ich wünsche mir von Herzen, dass im Hinblick auf dieses Ziel allerseits Initiativen und Taten vermieden werden, die dem erklärten Willen, zu einer wirklichen Übereinkunft zu gelangen, widersprechen, und dass man nicht müde wird, den Frieden mit Entschlossenheit und Kohärenz zu verfolgen. Der Friede wird unzählige Vorteile für die Völker dieser Region und für die ganze Welt mit sich bringen. Es ist also notwendig, sich entschieden zu ihm auf den Weg zu machen, auch indem jeder auf etwas verzichtet.

Ich wünsche dem palästinensischen wie dem israelischen Volk und den jeweiligen Verantwortlichen, diesen glücklichen Aufbruch zum Frieden mit jenem Mut und jener Festigkeit zu unternehmen, die für jeden Aufbruch nötig sind. Der Friede in der Sicherheit und das gegenseitige Vertrauen werden zum beständigen Bezugsrahmen werden, um die anderen Probleme anzugehen und zu lösen, und so Anlass geben für eine ausgewogene Entwicklung, die zum Vorbild für andere Krisengebiete wird.

Es liegt mir am Herzen, auf die aktive christliche Gemeinde hinzuweisen, die ihren bedeutsamen Beitrag zum Gemeinwohl der Gesellschaft leistet und die Freuden und Leiden des ganzen Volkes teilt. Die Christen beabsichtigen, diese ihre Rolle als vollberechtigte Bürger weiterhin auszuüben, gemeinsam mit den anderen Mitbürgern, die sie als Brüder und Schwestern betrachten.

Herr Präsident, Sie sind als Mann des Friedens und als Friedenstifter bekannt. Die jüngste Begegnung im Vatikan mit Ihnen und meine heutige Anwesenheit in Palästina bestätigen die guten Beziehungen, die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Palästina bestehen und von denen ich mir wünsche, dass sie weiter gefördert werden können, zum Wohl aller. In diesem Zusammenhang möchte ich den Einsatz zur Erarbeitung eines Beiderseitigen Abkommens würdigen, welche verschiedene Aspekte des Lebens der katholischen Gemeinschaft im Land betrifft und dabei der Religionsfreiheit besondere Beachtung schenkt. Die Berücksichtigung dieses grundlegenden Menschenrechts ist nämlich eine der unverzichtbaren Bedingungen für den Frieden, für die Brüderlichkeit und für die Harmonie. Sie sagt der Welt, dass es pflichtgemäß und möglich ist, zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu einem guten Einvernehmen zu gelangen; sie bezeugt, dass die Dinge, die wir gemeinsam haben, so zahlreich und wichtig sind, dass es möglich ist, einen Weg entspannten, geordneten und friedlichen Zusammenlebens zu finden, indem man die Unterschiede akzeptiert und sich freut, als Kinder eines einzigen Gottes Geschwister zu sein.

Herr Präsident, liebe hier in Bethlehem versammelte Freunde, der allmächtige Gott segne euch; er beschütze euch und gewähre euch die Weisheit und die nötige Kraft, den mutigen Weg zum Frieden fortzusetzen, so dass die Schwerter sich in Pflugscharen verwandeln und dieses Land wieder in Wohlstand und Eintracht erblühen kann. Salam! (rv)

Israel/Palästina: Vorläufige Entscheidung im Mauerstreit

IsraelDie israelischen Autoritäten haben eine Entscheidung zu Beschwerden im Zusammenhang mit dem geplanten Mauerbau im Cremisantal gefällt. Unter anderen eine Gruppe von Salesianerschwestern sowie mehrere palästinensische Bauernfamilien hatten Einspruch gegen die Enteignung ihrer Grundstücke erhoben, auf denen die Mauer verlaufen sollte. Dem Richterspruch nach soll der Verlauf der Mauer dahin gehend geändert werden, dass das Schwesternkonvent über die Stadt Beit Jala von den Palästinensergebieten aus zugänglich bleiben soll. Dennoch sollen Großteile des Landbesitzes der Schwestern konfisziert werden, da auch der geänderte Mauerverlauf über deren Land führt. Die Entscheidung des Gerichts vom 24. April kommt zwei Monate nach der letzten Anhörung und stellt einen vorläufigen Schlusspunkt in einem bereits seit sieben Jahren währenden Rechtsstreit dar. Die katholische Menschrechtsorganisation Society of St. Yves, die den Rechtsstreit im Namen der Bischofskonferenz des Heiligen Landes angestrengt hatte, behielt sich das Recht auf Einspruch beim Höchsten Gerichtshof des Staates Israel vor.

Die Mauer, die seit 2003 im Bau ist, soll israelischer Auffassung nach der Terrorabwehr dienen; sie wurde jedoch bereits im Jahr 2004 in einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag für völkerrechtswidrig erklärt, da sie zu etwa 80 Prozent jenseits der Grünen Linie verlaufen soll. Diese bildet als Waffenstillstandslinie von 1948 nach internationaler Rechtsauffassung die Außengrenze des Staates Israel zum 1967 besetzten Westjordanland. (rv)

Vatikan begrüsst UNO-Entscheidung zu Palästina

Der Vatikan begrüßt die Entscheidung der UNO-Vollversammlung in New York, Palästina einen Beobachterstatus als Nicht-Mitgliedsstaat zuzuerkennen. Nur kurz nach dem Votum in der Nacht auf Freitag veröffentlichte das vatikanische Staatssekretariat eine Erklärung. Sie verweist darauf, dass sich der vatikanische „Außenminister", Erzbischof Dominique Mamberti, schon letztes Jahr vor der UNO für eine Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas eingesetzt habe. Wörtlich heißt es aus dem Vatikan: „Das Votum vom 29. November drückt die Gefühle einer Mehrheit der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft aus." Auch der Heilige Stuhl hat einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen.

Es war eine Genugtuung für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas: 138 der 193 Staaten in der UNO-Vollversammlung stimmten für eine diplomatische Aufwertung der Palästinenser. Abbas hatte die Vollversammlung dazu aufgerufen, eine „Geburtsurkunde für Palästina" auszustellen. Die USA und Israel werteten die Abstimmung als Rückschlag für die Friedensbemühungen im Nahen Osten, insgesamt neun Staaten stimmten mit Nein. In seinem Kommuniqué erinnert der Heilige Stuhl daran, dass der palästinensische Sieg „für sich allein noch keine hinreichende Lösung für die Probleme in der Region darstellt": Es brauche neue Anstrengungen für Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit. Dabei müssten „die legitimen Erwartungen sowohl Israels als auch Palästinas respektiert" werden.

Eine definitive Lösung des Nahostkonflikts kann aus Vatikansicht – das wird in dem nächtlichen Statement erneut klar – nur auf Grundlage der UNO-Entscheidungen von 1947 gefunden werden. Diese sahen die Existenz zweier Staaten vor. Der Heilige Stuhl appelliert an beide Völker, die Verhandlungen „in gutem Glauben wiederaufzunehmen" und alles zu vermeiden, was der ernsthaften Suche nach einer dauerhaften Friedenslösung entgegensteht, heißt es weiter.

Ausdrücklich erinnert der Vatikan an seinen Grundlagenvertrag mit der PLO vom 15. Februar 2000. Dieser verlangt ein international überwachtes Statut für Jerusalem, das Religions- und Gewissensfreiheit garantiert, dem besonderen Charakter Jerusalems als Heiliger Stadt Rechnung trägt und den Zugang zu den Heiligen Stätten sichert. Der Vatikan habe sich wiederholt für eine Zwei-Staaten-Lösung in der Region ausgesprochen, betont das Staatssekretariat. Dabei habe er aber auch immer das Recht des Staates Israels auf ein Leben in Sicherheit innerhalb international anerkannter Grenzen bekräftigt. Zugleich habe er das Recht des palästinensischen Volkes auf ein unabhängiges und souveränes Heimatland und auf ein Leben in Würde und mit freien Reisemöglichkeiten verlangt.

Das Communiqué zitiert aus der Rede von Papst Benedikt XVI. zum Abschluss seiner Heilig-Land-Reise vom 15. Mai 2009 auf dem Flughafen von Tel Aviv: „Kein Blutvergießen mehr! Keine Kämpfe mehr! Kein Terrorismus mehr! Kein Krieg mehr! Lasst uns stattdessen den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen! Lasst bleibenden Frieden herrschen, der auf Gerechtigkeit gründet, lasst echte Versöhnung und Heilung walten. Es möge allgemein anerkannt werden, dass der Staat Israel das Recht hat, zu existieren und Frieden und Sicherheit innerhalb international vereinbarter Grenzen zu genießen. Ebenso möge anerkannt werden, dass das palästinensische Volk ein Recht auf eine souveräne, unabhängige Heimat, auf ein Leben in Würde und auf Reisefreiheit hat. Die Zwei-Staaten-Lösung möge Wirklichkeit werden und nicht ein Traum bleiben!" (rv)