Tomasi: Muslimische Migranten als Herausforderung

Erzbischof Silvano TomasiDie Ankunft von immer mehr muslimischen Flüchtlingen in Europa kann zur Herausforderung für die christliche und demokratische Identität des Kontinents werden. Das sagte Erzbischof Silvano Maria Tomasi am Wochenende im Interview mit Radio Vatikan. Der ständige Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf kritisiert eine systematische Politik der Ungleichheit zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Ländern. Es gebe einen Willen, diese Ungleichheit beizubehalten.

Neben der politischen Ungleichheit und den multinationalen Beziehungen, die vor allem zum Vorteil der starken Länder arbeiteten, habe die Irak-Invasion 2003 die Situation im Nahen Osten nachhaltig destabilisiert, sodass so viele Menschen nun nach Europa flöhen, so Tomasi. Man müsse das Problem, also die unsichere Lage im Nahen Osten, an der Wurzel packen. Aber als Christ habe man auch die Pflicht, gastfreundlich zu sein. Ganz so einfach sei das aber nicht, gibt Tomasi zu. Man habe eine Pflicht die Flüchtlinge aufzunehmen, aber Europa müsse auch die eigene – nach Tomasi – eine christliche Identität wahren können. „Es gibt muslimische Migranten, die sich mit einem speziellen Problem konfrontiert sehen – sie können die Trennung von Religion und Politik, von Kirche und Staat, wie wir es sagen würden, nicht akzeptieren. Das hat einen direkten Einfluss auf den Integrationsprozess. Und was machen wir da? Wir müssen sagen, dass es Grundwerte gibt, die akzeptiert werden müssen. Dazu gehört die Wahrung des Pluralismus in unserer Gesellschaft, die Trennung von Politik und Religion und die Akzeptanz normaler demokratischer Prozesse, sodass ein friedliches, konstruktives Zusammenleben möglich ist, und die Menschen, die kommen, Teil der Gesellschaft werden und sie bereichern.“

Zudem beklagt Tomasi eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber der Christenverfolgung im Nahen Osten. Abgesehen von Papst Franziskus, der immer wieder an das Leiden erinnere, werde das Geschehen auf internationaler Bühne ignoriert. „Christen sind die am meisten verfolgte religiöse Gruppe in der Welt. Der Westen ist aber gleichgültig gegenüber dem Leiden der Christen. Als ob die Menschenrechte der Christen nicht den gleichen Wert wie andere Menschen hätten. Ich denke, diese Situation ist nicht akzeptabel und wir müssen kontinuierlich darauf pochen, eine öffentliche Meinung hervorzubringen, die es schließlich schafft darauf zu drängen, zu handeln und eine politische Lösung zu finden,“ betont Tomasi.

Konfliktparteien, verschiedene Volksstämme und andere Interessensgruppen an einen Tisch bringen. Nur so könne man das soziale und politische Leben in Ländern wie zum Beispiel Libyen wieder normalisieren. Damit Vereinbarungen eingehalten werden, kann es auch sinnvoll sein, militärische Präsenz der Vereinten Nationen zu zeigen, so Tomasi. (rv)

Kardinal Vegliò: Migranten sind Menschen, keine Paket

Kardinal Antonio Maria VeglioDie Aufteilung der Bootsflüchtlinge per Quote zeigt, dass Europa gegenüber den Migranten nicht gleichgültig ist. Davon ist der für Migrationsfragen zuständige Kurienkardinal Antonio Maria Vegliò überzeugt. Im Gespräch mit Radio Vatikan äußerte der Präsident des Päpstlichen Migrantenrates aber auch deutliche Kritik: Es sei „unglaublich“, wie die Politiker in der Europäischen Union mit dem Thema umgingen. „Es ist klar, dass die genannten Zahlen, die die entsprechenden Ländern bereit wären, aufzunehmen, lächerlich sind, wenn man sie mit den realen Zahlen der Flüchtlinge vergleicht. Deshalb sind die bisherigen Beschlüsse aus unserer Sicht ungenügend.“

Die politische Diskussion in Brüssel dürfe sich nicht auf Zahlen beschränken, fuhr Vegliò fort. Es gehe um die Würde von „konkreten Menschen“.

„Wir müssen in Europa unsere Egoismen überwinden. Der Andere wird uns immer irgendwie stören, weil er da ist und ein bisschen von unserem Reichtum nimmt. Egoismus gehört leider zur menschlichen Natur. Doch wir müssen ihn überwinden und vor allem eines beachten: Flüchtlinge sind Menschen und keine Zahlen oder Pakete!“

Wer dem Flüchtlingsproblem begegnen wolle, müsse allerdings nicht nur das Thema Migration anpacken, sondern auch etwas gegen die derzeit 52 Kriege unternehmen, die es weltweit gibt. Denn überall, wo Konflikte und Gewalt herrschten, gebe es Menschen, die bereit sind, zu fliehen, erinnert Vegliò. (rv)

Pater Lombardi: Gemeinsame Zukunft mit Migranten

Zusammen mit den Migranten und Flüchtlingen muss eine gemeinsame Zukunft aufgebaut werden. Das hat Vatikansprecher Pater Federico Lombardi in seinem wöchentlichen Editorial für Radio Vatikan an diesem Samstag betont. Besonders die Wirtschaftskrise habe die Probleme der Flüchtlinge verschärft, so Lombardi:

„Laut der Vorhersagen werden in diesem Jahrhundert weitere 200 Millionen Menschen in der gesamten Welt als Flüchtlinge ihr Land verlassen. Die Wirtschaftskrise verringert nicht, sondern verschärft unter gewissen Gesichtspunkten die Probleme der Migration. Und so fließen die Ströme der Männer und Frauen, die ihr Land wegen Armut, Naturkatastrophen oder Unterdrückung über das Mittelmeer, das Rote Meer, die Sinai-Wüste oder die Grenze zwischen Mexiko und den USA auch unter Lebensbedrohung verlassen, ständig weiter."

Weiter ging Pater Lombardi auf den Beitritt des Heiligen Stuhls zur Internationalen Migrantenorganisation ein. Schon Pius XII. und Paul VI. hatten sich mit der Frage beschäftigt, gibt er an. Mit dem Beitritt intensivere der Heilige Stuhl sein bisheriges Engagement und seine Beteiligung an der Völkergemeinschaft, so der Jesuit:

„Der Heilige Stuhl trägt die Verteidigung der Menschenrechte mit, und zwar auf der Grundlage der festen Überzeugung der Würde jedes Menschen. Und er tritt zugleich auch für das Wirken der vielen katholischen Organisationen ein, die sich in diesem Bereich auf jedem Kontinent betätigen. Sie geben den Worten und Vorschlägen des Heiligen Stuhls Inhalt und Glaubwürdigkeit."

Laut Pater Lombardi sollten Migranten und Flüchtlinge nicht als Gefahr, sondern als Vorreiter und Brückenbauer einer besseren Zukunft wahrgenommen werden:

„Indem wir ihnen die Möglichkeit geben, zu leben und zu wachsen, müssen wir mit ihnen zusammen eine gemeinsame Zukunft aufbauen." (rv)

Warum der Vatikan Vollmitglied einer internationalen Organisation wird

Erst an diesem Sonntag hatte Papst Benedikt XVI. bei seinem Angelusgebet zu mehr Solidarität mit Migranten und Staatenlosen aufgerufen. An diesem Montag nun trat der Heilige Stuhl der Internationalen Migrationsorganisation in Genf bei: ein Zeichen, wie wichtig man das Thema im Vatikan nimmt, schließlich ist der Heilige Stuhl nur in sehr wenigen internationalen Organisationen ein Vollmitglied, statt sich mit dem Beobachter-Status zu begnügen. Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei den UNO-Einrichtungen in Genf – so heißt der offizielle Titel – ist der italienische Erzbischof Silvano Tomasi. Er erklärt uns:

„Wir sehen im Moment weltweit einen steten Strom von Migranten und Flüchtlingen; da ist es wichtig, Präsenz zu zeigen und an den Anstrengungen der Staatengemeinschaft teilzunehmen. Der Heilige Stuhl will etwas Spezifisches einbringen: die ethische Stimme. Da gibt es zum Beispiel so viele Menschen, die sterben bei dem Versuch, ihr Land zu verlassen: aus Nordafrika Richtung Europa, aus Afrika über das Rote Meer Richtung Jemen… Es ist also wichtig, dass der Heilige Stuhl bei dieser Organisation Vollmitglied wird: Er weist darauf hin, dass das Phänomen Migration auch in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht unbeachtet bleiben darf und dass es weiter anwachsen wird. "

All zu stark ist dieses Anwachsen derzeit allerdings nicht: Nach den neuesten Zahlen der Weltmigrantenorganisation, kurz IMO, liegt die Zahl der Migranten weltweit stabil bei 214 Millionen. Das sind nur wenig mehr als vor fünf Jahren, aber immerhin drei Prozent der Weltbevölkerung. Dass der Heilige Stuhl sich diesmal für eine Vollmitgliedschaft entschieden hat, liegt daran, dass er einer so heiklen menschenrechtlichen Frage eine stärker vernehmbare Stimme haben will als sonst.

„In Sachen Migration geht es weniger um Politik als um die Notwendigkeit, die menschlichen Bedürfnisse dieser Menschen unterwegs in verschiedenen Teilen der Welt zu erfüllen. Als Kirche haben wir ja auch ein weites Netz von katholischen Verbänden, und die Kirche steht ja längst in der ersten Reihe beim Dienst an Migranten. Da ist eine stärkere Zusammenarbeit mit den Strukturen der internationalen Gemeinschaft ein logischer operativer Schritt, um noch effizienter zu helfen."

„Extrem tendenziös, polarisierend und negativ": So sieht aus der Sicht der Weltmigrantenorganisation die Debatte über Flüchtlinge und Asylbewerber in den meisten Industrienationen aus. Vor allem werde der Bevölkerung immer wieder fälschlich suggeriert, dass die Zahl der Migranten steige und steige. Beispiel Italien: Da liegt der Prozentanteil der Einwanderer an der Gesamtbevölkerung bei sieben Prozent. Gefühlt macht er allerdings stolze 25 Prozent aus, wie Meinungsumfragen ergeben.

„Wir wollen vor allem eine ethische Lesart des Migranten-Phänomens in die Debatte einspeisen: Da geht es um den Schutz des Menschen und seiner Würde. Zweitens wollen wir operativ eine engere Zusammenarbeit der katholischen Verbände erreichen, die Migranten helfen. Und drittens wollen wir eine Art Gewissen sein und in den einzelnen Ländern auf ein demokratisches Umfeld hinwirken, in dem alle, die das brauchen, soziale Hilfen bekommen."

Und zwar ganz ungeachtet der Frage, woher die Migranten kommen oder zu welcher Religion sie sich bekennen. In den Medien wird immer wieder darüber spekuliert, dass der so genannte Arabische Frühling einen Massenansturm von Flüchtlingen auf Europa auslösen könnte. Davon ist bisher allerdings, wie die Weltmigrantenorganisation am Montag betonte, weit und breit nichts zu sehen: Die Einwandererzahlen nach Europa seien konstant geblieben, und nur ein verschwindend geringer Prozentsatz von Menschen entscheide sich für die Überfahrt per Boot Richtung EU. Überhaupt: In vielen westlichen Ländern ist von 2008 auf 2009 die Zahl der Neu-Einwanderer gesunken. In Großbritannien etwa von 505.000 auf 470.000, in Spanien von 700.000 auf 469.000. Erzbischof Tomasi:

„Die katholischen Verbände helfen allen Migranten, egal, was sie glauben, welche Hautfarbe sie haben oder wie ihr legaler Status ist. Was zählt, ist die menschliche Person und ihre Würde. Beides wird oft beschädigt, wenn jemand von einem Land zum nächsten zieht, auf der Suche nach Arbeit und Überleben." (rv)

Argentinien: Kritik an Buenos Aires

Kardinal Jorge Bergoglio hat die Zustände in der argentinischen Hauptstadt kritisiert. „Buenos Aires ist eine bestechliche Stadt", zitiert die Tageszeitung „La Gaceta" den Erzbischof der Hauptstadtdiözese. In der argentinischen Metropole gebe es ein gesellschaftliches Klima, das Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung fördere. Vor allem Migranten sowie Mädchen und Frauen aus den Armenvierteln seien Opfer einer geduldeten Versklavung. „Selbst einen Hund behandeln wir besser", sagte Bergoglio. (rv)

Vatikan/Frankreich: „Migranten sind Menschen“

Der zweite Mann im Vatikan hat bei einem Besuch in Paris an die Rechte von Migranten erinnert. „Jeder Migrant ist ein Mensch und hat daher unveräußerliche Rechte, die zu respektieren sind", sagte Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone bei der Sozialwoche der französischen Kirche. Der Vatikan hatte im Sommer die Kampagne der französischen Regierung gegen Roma kritisiert. Präsident Nicolas Sarkozy sah sich aus diesem Grund zu einer kurzfristig anberaumten Aussprache mit dem Papst genötigt. Kurienerzbischof Agostino Marchetto trat kurz nach einigen heftigen Bemerkungen in Richtung Paris aus Altersgründen von seinem Amt im Päpstlichen Migrantenrat zurück, wiederholte danach aber seine deutliche Kritik. Kardinal Bertone ging in Paris nicht ausdrücklich auf den Umgang der Behörden mit den Roma ein. (rv) 

China: Migranten und Menschenrechtler vor Expo mundtot gemacht

Die Ausmaße der aktuellen Weltausstellung, der Expo Shanghai 2010, sind gigantisch. Laut offiziellen Angaben soll die chinesische Schau umgerechnet 3,2 Milliarden Euro gekostet haben. Das Gelände ist 20 Mal so groß wie das der vergangenen Ausstellung im spanischen Saragossa: China will der Welt seine wirtschaftliche Stärke präsentieren. Seit diesem Wochenende ist die Expo eröffnet. Die Expo symbolisiert das aktuelle China mit seinem Wirtschaftsmotor, aber auch mit seinen Schattenseiten, meint Pater Bernardo Cervellera, der Herausgeber des katholischen Netzportals Asianews. Unsere englischsprachigen Kollegen von Radio Vatikan haben mit ihm über die Menschenrechtssituation in China gesprochen.
„Die Expo steht geradezu symbolhaft für das aktuelle China. In China gibt es eine sehr kleine Gruppe von Menschen, die zur Kommunistischen Partei gehört. Sie verfügt über den meisten Reichtum im Land. Gleichzeitig, auch wenn man es nicht sofort sieht, ist die Expo aber auch das Verdienst von Migranten. Sie verdienen mit ihrer Arbeit nur sehr wenig und jetzt dürfen sie auch nicht in der Stadt bleiben. Eben um das Erscheinungsbild der Stadt, von China nicht zu stören mit ihrer Armut, mit Demonstrationen oder mit ihrem Verlangen danach, mehr Anteil an dem Erfolg Chinas zu haben.“
Aktivisten, die während der Weltausstellung auf die Situation der Menschenrechte aufmerksam machten, seien verbannt worden, erzählt Pater Cervellera. Viele von ihnen seien im Vorfeld der Expo in so genannte „schwarze Gefängnisse“ geworfen worden.
„Das sind Räume, in welche die Polizei Gefangene ohne einen Prozess stecken kann. Auf diesem Weg wird die Expo sehr friedlich, sehr erfolgreich ablaufen, aber die chinesische Bevölkerung wird immer losgelöst sein von der politischen und wirtschaftlichen Führungsebene.“ Bis Ende Oktober werden 70 Millionen Besucher aus 200 Nationen zur Expo in Shanghai erwartet. (rv)