Kardinal Tagle: „Wir brauchen ein humanitäres Umdenken“

Kardinal TagleAm ersten UNO-Gipfel für humanitäre Hilfe hat am Montag und Dienstag in Istanbul auch der philippinische Kardinal Luis Tagle teilgenommen. Der Erzbischof von Manila ist Präsident von Caritas Internationalis. Er wirbt im Gespräch mit Radio Vatikan für ein „humanitäres Umdenken“:

„Ich denke, der erste Schritt sollte sein, sich wirklich dem Menschen zuzuwenden. Die Opfer von Unglück und Leid bei der Hand zu nehmen, die Geschichten von Flüchtlingen anhören. Das ist das Eine. Der andere wichtige Punkt ist die humanitäre Hilfe – und damit beschäftigt sich besonders auch die Caritas. Bei der Caritas haben wir gelernt, dass internationale Förderer und Agenturen das Subsidiaritätsprinzip akzeptieren müssen. Anders geht es nicht. Denn die kommen von ganz oben, und manchmal meinen sie es zwar gut, aber die örtlichen Gemeinden kennen ihre eigene Kultur, ihre Bedürfnisse und ihre Situation besser. Also sollten wir den örtlichen Gemeinden bei ihrer eigenen Rehabilitation und dem Wiederaufbau helfen. Uns also nicht von oben herab einmischen.“

Der dritte Punkt, den Kardinal Tagle anspricht, hat vor allem mit der derzeitigen Flüchtlingskrise – nicht nur in Europa – zu tun. „Wir müssen die Gründe für die Konflikte, die Menschen dazu bewegen, aus ihrer Heimat wegzugehen, ansprechen. Wenn eine Naturkatastrophe der Grund ist, müssen wir das benennen und die dramatischen Veränderungen untersuchen, um sie in Zukunft verhindern zu können. Ich habe dieses ungute Gefühl, dass erfolgreiche Hilfsaktionen zwar gelobt werden – aber Menschen sollten nicht nur für kurze Zeit humanitäre Organisationen unterstützen. Das reicht nicht!“

Das Schicksal eines Menschen sei keine To-do-Liste, die man abhaken und dann wegwerfen könne, sagt Tagle. „Wenn eine Hilfsaktion erfolgreich ausgeführt wurde, meinen einige Bereiche der Gesellschaft sagen zu können: „Naja, die Bedürfnisse der Menschen sind gestillt … Damit ist es jetzt gut.“ Aber das ist kein Ersatz für politische Entscheidungen! Und leider denken gerade viele von denen so, die politischen Einfluss haben.“

Kardinal Tagle ist davon überzeugt, dass gerade in einer pluralen Welt die Menschen gut zusammenarbeiten können.

„Was für Ressourcen haben wir in unserer pluralen Welt, in der wir einander respektieren sollten, um Frieden zu schaffen? Wie können wir Brücken bauen? Wie schaffen wir Versöhnung? Wie können wir friedliebend sein? Ich bin mir sicher: Alle Religionen finden hierauf Antworten, denn alle Religionen haben genügend Ressourcen.“ (rv)

Die Woche im Vatikan: Imam, Fronleichnam, Katholikentag

Kardinal FiloniMit einem Paukenschlag startet der Vatikan in diese Woche: Die Audienz des Papstes für den Groß-Imam der al-Azhar-Universität von Kairo könnte den Dialog zwischen Katholiken und Muslimen wieder neu anstoßen. An diesem Montagmittag trifft Franziskus den Scheich Ahmad Muhammad al-Tayyib, der die renommierteste Einrichtung des sunnitischen Islam leitet. Etwas weniger hochrangig ist im Vergleich dazu das Treffen des Papstes mit dem römischen Präfekten Paolo Tronca: Der „Commissario Straordinario“ hatte Roms Geschicke in den letzten Monaten geleitet und scheidet nach den Bürgermeisterwahlen in ein paar Tagen aus dem Amt.

Für den Vatikan ist dieser Montag auch der erste Jahrestag der Seligsprechung von Erzbischof Oscar Arnulfo Romero (San Salvador). Der Präfekt der Missionskongregation, Kardinal Fernando Filoni, setzt seine Reise durch Kolumbien fort. In Istanbul beginnt der erste Weltgipfel für humanitäre Hilfe, in den Papst Franziskus große Erwartungen setzt und an dem auch eine Vatikan-Delegation teilnimmt.

Der Dienstag ist katholischer Weltgebetstag für die Katholiken in China. Im Vatikan wird das Ethnologische Museum (es ist Teil der Vatikanischen Museen) wiedereröffnet und zudem das Motto des nächsten großen Welttreffens der Familien bekanntgegeben, das die irische Hauptstadt Dublin 2018 ausrichten wird. Außerdem geht vor einem Vatikan-Gericht das Verfahren zu Geheimnisverrat, genannt „Vatileaks II“, weiter. In Griechenland treffen sich die orthodoxen Bischöfe des Landes, um über die Themen des für Juni auf Kreta geplanten Panorthodoxen Konzils zu beraten.

Am Mittwoch hält der Papst seine übliche Generalaudienz auf dem Petersplatz, und in Leipzig startet – u.a. mit einer Videobotschaft von Franziskus – der 100. Deutsche Katholikentag. Am Donnerstag wird das Hochfest Fronleichnam gefeiert; der Papst wird um 19 Uhr die Messe vor der Lateranbasilika feiern, danach zieht eine Prozession mit dem Allerheiligsten zur nahegelegenen Basilika Santa Maria Maggiore.

Für den Freitag stehen zwei Termine auf dem Papstprogramm, die erst noch einer offiziellen Bestätigung harren: Audienz für den Präsidenten von Costa Rica, Luis Guillermo Solis, und Treffen mit dem Generalkapitel der „Kongregation von Don Orione“. Außerdem starten im Vatikan die Heilig-Jahr-Feiern der Diakone. In Japan wird US-Präsident Obama als bisher höchstrangiger amerikanischer Politiker Hiroshima besuchen.

Für den Samstag ist eine Audienz von Papst Franziskus mit dem Präsidenten von Singapur, Tony Tan, geplant; auch hier allerdings steht die offizielle Bestätigung noch aus. Am Vatikan-Bahnhof wird der Papst erneut einen Kinderzug („Treno dei Bambini“) in Empfang nehmen, der Päpstliche Kulturrat hat auch diesmal benachteiligte Kinder ausgewählt, die per Zug in die Vatikanischen Gärten gebracht werden. Ebenfalls in diesen Gärten begeht der emeritierte Papst Benedikt XVI. am Samstag den 39. Jahrestag seiner Bischofsweihe: Am 28. Mai 1977 war er in der Liebfrauenkirche zum Erzbischof von München und Freising geweiht worden. Auch das armenische Programm von Radio Vatikan feiert am Samstag: Es wird 50.

Am Sonntag wird auf dem Petersplatz eine große Messe im Rahmen der Heilig-Jahr-Feiern der Diakone zelebriert; um 12 Uhr betet der Papst von einem Fenster des Apostolischen Palastes aus den Angelus. Im Apostolischen Palast von Castel Gandolfo beginnt am Sonntag eine Sommerschule in Astrophysik; Thema ist diesmal „Wasser im Sonnensystem und darüber hinaus“. (rv)

Bücher-Diplomatie: Der Vatikan und die Türkei

Erzbischof BruguèsDie Gespräche mit der Türkei waren ein „wirklicher Erfolg“: Nein, das sagt nicht Angela Merkel oder einer ihrer EU-Kollegen, sondern der Archivar der Heiligen Römischen Kirche. Es geht auch nicht um Flüchtlinge, sondern um Bücher und Manuskripte. Erzbischof Jean-Louis Bruguès war in der Türkei, um die Arbeit der Apostolischen Bibliothek und des Vatikanischen Geheimarchivs vorzustellen – und ist bei seinen türkischen Gesprächspartnern auf viel Interesse gestoßen.

„Für die (Apostolische) Bibliothek gibt es eine praktische Verfahrensweise: Ein neuer Botschafter stellt sich als erstes dem Papst vor, dann dem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, und dann kommt er in die Bibliothek. Wir sind also die dritte Adresse der diplomatischen Besucher! Als der neue Botschafter der Türkei (beim Heiligen Stuhl) ernannt wurde, kam er also zu mir, schenkte mir Bücher für die Bibliothek und schlug mir eine Reise in die Türkei vor. Das Ziel sollte darin bestehen, Bibliothek und Geheimarchiv vorzustellen.“

Dazu müsse man wissen, so der Erzbischof, „dass die öffentliche Meinung der Türkei ein eher negatives Bild vom Heiligen Stuhl und auch vom Archiv hat, weil es das Geheime im Namen trägt“. Das betreffe übrigens nicht nur Türken, sondern auch vielen Menschen in unseren Breiten. Sie hören „Geheimarchiv“ und denken: Aha, der Vatikan will seine Geheimnisse für sich behalten.

„Ich wurde nach Istanbul eingeladen, wo es eine großartige Universität gibt – die Universität der schönen Künste –, um dort vor 400 Studierenden zu sprechen. Die Aufmerksamkeit war wirklich groß! Und ich habe ja 25 Jahre lang unterrichtet…, dass die Bibliothek und das Archiv für alle Studierenden offen sind, auch für die aus der Türkei, und dass wir zur Zusammenarbeit bereit sind. Die Antwort darauf war enthusiastisch!“

Zweite Station für Bruguès: Smyrna. Der neue katholische Erzbischof, ein Dominikaner, ist ein alter Bekannter von Bruguès, der ebenfalls Dominikaner ist, und lud ihn zu einem Vortrag ein. Eine weitere Etappe in Bruguès „Bücher-Diplomatie“. Der Erzbischof erklärt das so:

„Es gibt in der Bibliothek zunächst eine wissenschaftliche Dimension: 15.000 Menschen, die jedes Jahr zu uns zum Forschen und Studieren kommen. Aber dann gibt es auch noch eine zweite Dimension, die ich zunächst nicht verstanden hatte: die Kultur. Sie ist in einigen, schwierigen Fällen die einzige Art und Weise, Brücken zu bauen, wo es ansonsten nur Grenzen und Gegensätze gibt. Auch in der Türkei konnte ich trotz einer eher negativen öffentlichen Meinung die Öffnung der Kirche durch den Kanal der Kultur demonstrieren.“

Seit fast drei Jahren treibt der rührige Franzose seine „Bücher-Diplomatie“ voran. Den Anfang machten, wie er erzählt, Politiker und auch orthodoxe Metropoliten aus Belgrad, Sofia, Bukarest: „Sie baten mich, den orthodoxen Ortskirchen und den Ländern zu helfen, ihr vom Krieg beschädigtes historisches Gedächtnis wiederherzustellen; die nationalen Bibliotheken waren verbrannt oder zerstört. Ich fand es sehr interessant, dass orthodoxe Kirchen die katholische Weltkirche um Hilfe baten. Mittlerweile ist die Vatikan-Bibliothek eine Art Mutterbibliothek für diese nationalen und kirchlichen Bibliotheken geworden.“

Wichtig geworden ist auch die Zusammenarbeit mit China: Immerhin unterhält das kommunistische Land keine diplomatischen Beziehungen zum Vatikan. Für Bruguès „Bücher-Diplomatie“ war das kein Hindernis. „Wir bereiten eine Wanderausstellung für China vor, für den Sommer 2017. Das chinesische Publikum soll die antiken (chinesischen) Manuskripte kennenlernen, die wir heute in unserer Bibliothek haben. Um sie dem großen Publikum vorzustellen, werden sie komplett digitalisiert.“ (rv)

Papstreise in die Türkei: Vor allem ökumenisch

TürkeiÖkumenische und interreligiöse Begegnungen stehen im Zentrum von Papst Franziskus‘ Reise in die Türkei. Der Vatikan gab an diesem Dienstag der Programm der Reise im Detail bekannt. Demnach wird der Papst am 28. November zunächst in die Hauptstadt Ankara fliegen und dort zunächst das Mausoleum des Staatsgründers Kemal Atatürk besuchen. Danach wird er vom Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan empfangen. Am Ende des ersten Tages wird der Papst auch die Diyanet besuchen, das Amt für Religiöse Angelegenheiten, und dort mit dessen Präsidenten zusammentreffen.

Am Samstag, dem 29. November, reist der Papst dann weiter nach Istanbul, wo er zunächst die Hagia Sofia besuchen wird, offiziell das Museum Santa Sofia. Die ehemalige Basilika und ehemalige Moschee ist offiziell ein Museumsgebäude. Im Anschluss wird der Papst die Sultan Ahmet Moschee besuchen, die in direkter Nachbarschaft zur Hagia Sofia liegt und die in Europa vor allem als „Blaue Moschee“ bekannt ist. Danach feiert der Papst in der katholischen Kathedrale eine Messe.

Nachmittags nimmt Papst Franziskus in der orthodoxen Patriarchalkirche Sankt Georg an einem ökumenischen Gebet teil. Danach trifft er den ökumenischen Patriarchen und das Ehrenoberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Bartholomaios I.; es handelt sich dabei um eine private Begegnung.

Am Sonntag beginnt das offizielle Programm mit der Feier der göttlichen Liturgie wieder in der Patriarchalkirche. Am 30. November wird das Fest des Apostels Andreas gefeiert, des Patrons des Patriarchats. Anschließend wird – wie bei Reisen und Begegnungen dieser Art üblich – eine ökumenische Erklärung unterzeichnet. Zuletzt hatte es eine solche in Jerusalem gegeben.

Am Nachmittag wird der Papst dann wieder nach Rom zurückkehren. (rv)