Zurück zum Mittelalter?

Pater PioZunächst ist das Heilige Jahr eher schleppend angelaufen; nur selten sah man vor dem Petersdom mal Pilger in Richtung Heilige Pforte wallen. Das hat sich jetzt geändert: Menschen stehen Schlange, um (noch bis Donnerstag) in Sankt Peter an den sterblichen Überresten der heiligen Pater Pio und Pater Leopoldo Mandic vorbeizudefilieren. Ein eigentümliches, irgendwie vorkonziliares Bild, diese zwei gestrengen Männer mit braunen Kutten und grauen Bärten, die in ihren Glassärgen im Petersdom liegen.

Pater Raniero Cantalamessa ist der offizielle Prediger des Päpstlichen Hauses und selbst Kapuziner. Wir fragten ihn, ob wir jetzt zurück sind im Mittelalter.

„Das Mittelalter ist wieder da – das könnte ja auch heißen, der heilige Franz von Assisi ist wieder da! Auch der große heilige Franziskus gehörte ja zum Mittelalter, und ich glaube nicht, dass irgendjemand etwas dagegen hätte, wenn wir heute einen neuen heiligen Franz hätten. Von Mittelalter sprechen ist also etwas Zweideutiges, weil Mittelalter auch etwas Positives, Wunderschönes bedeuten kann.“

Und trotzdem, Pater Cantalamessa: Diese Pilger, die kleine Heiligenbildchen oder Rosenkränze an den Sarg von Pater Pio drücken, um eine Berührungsreliquie zu schaffen – manchen Katholiken ist bei solchen Szenen unbehaglich.

„Natürlich hat die Volksfrömmigkeit Ausdrucksformen, die nicht dazu geschaffen wurden, um die ganz feinen Gaumen zufriedenzustellen, die Wohlerzogenen, manchmal auch Säkularisierten unserer Welt. Allerdings: Das, was das Volk liebt, geringzuschätzen, ist für mich eine Beleidigung des Volkes. Wir können uns nicht einerseits bei jeder Debatte aufs Volk berufen, wie sogenannte Volksparteien das immer tun, und andererseits, wenn das Volk sich in Bewegung setzt, von Lemmingen sprechen oder vom Mittelalter. Ich höre da ein bisschen Hochmut heraus – als käme man sich da besser vor als andere. Sicher muss man die Volksfrömmigkeit erziehen, aber ich wäre selbst gerne so einfach, um es einfach wie diese Leute zu halten und Gottvertrauen zu haben, auch Zutrauen zur Fürbitte der Heiligen.“ (rv)

Papst öffnet Heilige Pforte: „Die Zeit der großen Vergebung“

LateranoChristen werden an ihrer Barmherzigkeit beurteilt werden. Das sagte Papst Franziskus bei seiner Predigt anlässlich der Öffnung der Heiligen Pforte in seiner Bischofskirche San Giovanni in Lateran an diesem Sonntag. Der Ritus verlief etwas anders als vor knapp einer Woche auf dem Petersplatz: Die Öffnung der Heiligen Pforte fand nach dem Bußritus statt, nicht zum Ende der Messfeier. Auch wurden andere Gebete gesprochen. Gleichzeitig – so sah es der Ablauf vor – sollten auch in den anderen Bischofskirchen der Welt die Heiligen Pforten geöffnet werden, so sie noch nicht offen sind.

In seiner Predigt legte der Papst einen ersten Schwerpunkt auf die Freude, ein wichtiges Thema seines Pontifikates. Er zitierte aus der ersten Lesung „Juble, jauchze“: Gott gebe Hoffnung und erlaube es, der Zukunft gelassen entgegen zu sehen. „Der Herr hat alle Verdammung widerrufen und hat entschieden, in unserer Mitte zu leben“, sagte der Papst mit Blick auf das näher kommende Weihnachtsfest. „Wir dürfen uns nicht von Müdigkeit überwältigen lassen; auch ist uns keine Traurigkeit erlaubt, auch wenn wir dazu Gründe hätten wegen der vielen Sorgen und der vielen Formen von Gewalt, die unsere Menschheit verletzten. Die Ankunft des Herrn füllt aber unser Herz mit Freude. Der Prophet, der in seinem eigenen Namen – Zefania – den Inhalt seiner Verkündigung trägt, öffnet unser Herz für die Zuversicht: Gott schützt sein Volk. In einer Zeit von viel Gewalt und Brutalität, vor allem durch Menschen, die ihre Macht ausspielen, lässt uns Gott wissen, dass er selber sein Volk regieren wird, dass er es nicht mehr der Arroganz der Willkür der Herrschenden überlässt, und es von aller Furcht befreien wird. Heute wird von uns erwartet, dass wir unsere Hände nicht aus Zweifel, Ungeduld oder Leiden sinken lassen“.

Dann ging der Papst auf den Anlass der Feier ein, die Öffnung der Heiligen Pforte auch in dieser Kirche. „Auch dieses einfache Zeichen ist eine Einladung zur Freude“, schloss er an seinen vorherigen Gedanken an. „Es beginnt die Zeit der großen Vergebung, das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Es ist der Augenblick, die Anwesenheit Gottes und seine väterliche Zärtlichkeit neu zu entdecken.“

Wie seinerzeit die Menge vor Johannes dem Täufer, so fragten die Menschen auch heute, was sie denn tun sollten. Darauf habe Gott einen ziemlich radikalen Auftrag, formulierte der Papst: „Vor der Heiligen Pforte, die zu durchschreiten wir berufen sind, werden wir aufgefordert, Instrument der Barmherzigkeit zu sein und zwar in dem Wissen, dass wir danach gemessen werden.“ Der Weg, der in der Taufe beginne, dauere ein ganzes Leben lang, „barmherzig zu sein, wie es der Vater ist.“ Es sei der Auftrag, „die Liebe zu empfangen und zu bezeugen, die weiter geht als die Gerechtigkeit, eine Liebe die keine Grenzen kennt. Und für diese unendliche Liebe sind wir verantwortlich, trotz all unserer Widersprüche.“

Er bete dafür und lade alle zum Gebet ein, „auf dass wir die unendliche Liebe unseres himmlischen Vaters verstehen können, welche das Leben umwandelt und erneuert.“

Die Heilige Pforte an der Papstbasilika Sankt Paul vor den Mauern wurde ebenfalls an diesem Sonntag eröffnet, allerdings nicht vom Papst, sondern vom zuständigen Erzpriester, Kardinal James Michael Harvey. Die Pforte der vierten römischen Papstbasilika (neben Petersdom, Sankt Johannes im Lateran und Sankt Paul vor den Mauern), Santa Maria Maggiore, wird hingegen wieder Franziskus selbst eröffnen. Er nimmt das Ritual am 1. Januar vor, dem Hochfest der Gottesmutter Maria. (rv)