Haiti-Experte: Sklavenähnliche Zustände bei Arbeitern

HaitiDie Dominikanische Republik und ihr Nachbarland Haiti teilen sich gemeinsam die Karibikinsel Hispaniola. Dennoch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Während an den Stränden der „DomRep“, wie sie Urlauber liebevoll nennen, der Tourismus floriert, grassiert in Haiti die Armut. Um einen Job zu finden, wandern viele Haitianer in den spanischsprachigen Nachbarstaat aus. Dort genießen sie aber nicht gerade große Beliebtheit.

Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre und gehört zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder. Vom Erdbeben 2010 erholt sich das Land nur allmählich. Noch immer haben Zehntausende Menschen keine Häuser und leben in Elendsvierteln in Wellblechhütten. Die meisten Haitianer haben keine richtige Arbeit. Jeder zweite lebt von weniger als einem US-Dollar am Tag. Kein Wunder also, dass viele das Land verlassen und in die wirtschaftlich deutlich besser dastehende Dominikanische Republik auswandern. Dort arbeiten sie in der florierenden Tourismusbranche, vor allem aber in der Landwirtschaft. Dort herrschen aber Bedingungen wie in der Sklaverei, weiß der Historiker und Haiti-Experte Christophe Wargny.

„Heute arbeiten zehntausende Haitianer als Erntehelfer auf den Zuckerrohrplantagen. In einem Rahmen, der der Sklavenarbeit sehr nahekommt. Die Arbeiter haben keine Papiere, bekommen Gutscheine, die sie in Lebensmittelgeschäften einlösen können. Also das System ist der Sklavenarbeit sehr nahe. Seit einigen Jahren verschlimmert sich die Situation weiter. Die haitianische Regierung reagiert darauf nur sehr wenig.”

Während rund 95 Prozent der Haitianer dunkelhäutig sind, liegt der Anteil der schwarzen Bevölkerung in der Dominikanischen Republik bei rund 12 Prozent. Christophe Wargny, der gemeinsam mit Haitis Ex-Präsidenten Aristide Jean-Bertrand ein Buch über die Probleme des Landes schrieb, erklärt, dass es einen starken Rassismus gegen die haitianischen Einwanderer gibt:

„Vielleicht braucht das Land in Zeiten der Krise einen Sündenbock. Es ist sicher so, dass Haiti diese Rolle spielt. Jedes Mal, wenn die Dominikanische Republik Schwierigkeiten hat, machen sie die Haitianer dafür verantwortlich, etwa, dass sie den anderen die Arbeit wegnehmen. Es stimmt, dass die Haitianer in der Landwirtschaft im Zuckerrohranbau eine große Rolle spielen, sowie im Baugewerbe und der Infrastruktur in der Dominikanischen Republik.“

Auch in der Dominikanischen Republik ist die Armutsquote mit 40 Prozent höher als in anderen Ländern der Region. Dennoch blickt man auf das Nachbarland Haiti mit seinen sozialen Problemen herunter. Die Ursachen für die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Ländern liegen in der Kolonialgeschichte. Sowohl Haiti als auch die Dominikanische Republik waren spanische Kolonien.

Doch als Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts Haitis Kolonialherr wurde, begann der Niedergang des Staates. Massiv wurden Wälder gerodet, um Häuser und Schiffe bauen zu können. Durch die fehlende Vegetation brachen die natürlichen Schutzwälle gegen Naturkatastrophen weg, der Grund für zahlreiche Überschwemmungen oder Schlammlawinen in Folge von Erdbeben. Zwar war die Solidarität der Dominikanischen Republik mit Haiti nach dem Erdbeben 2010 groß – es war das erste Land, das nach der Naturkatastrophe Hilfen schickte. Doch auf politischer Ebene fehlt den Haitianern sowohl in der eigenen Heimat als auch in der Dominikanischen Republik die Rückendeckung:

„Internationale Organisationen versuchen zwar, darauf aufmerksam zu machen. Aber mit wenig Erfolg. Auch bei den haitianischen Wahlen war das kein großes Thema. Die Haitianer in der Diaspora sind auf sich alleine gestellt, in New York oder Montreal haben sie weniger Probleme. Aber in der Dominikanischen Republik gibt es eine starke Verschlechterung der Situation und die Einwanderer sind isoliert.“ (rv)

Haiti: Kirche überall im Land aktiv

Langlois Eigentlich hat Haiti, das wohl ärmste Land der westlichen Hemisphäre, schon Probleme genug: Armut, Kriminalität, die Folgen des verheerenden Erdbebens vor vier Jahren, das über 200.000 Todesopfer forderte. Aber in den letzten Monaten kam zu allem Überfluss noch eine schwere politische Krise hinzu. Diese konnte jetzt gelöst werden – mit der Vereinbarung, im Oktober Wahlen abzuhalten. Der Mann, der diese Lösung mit den streitenden Parteien ausgehandelt hat, ist der neue Kardinal von Haiti, Chibly Langlois. Papst Franziskus hatte den Erzbischof von Les Cayes zur allgemeinen Überraschung zu Jahresbeginn in seinen Kardinalssenat aufgenommen. Über die Lage in Haiti sagte Langlois zu Radio Vatikan:

„In sozialer Hinsicht haben die Menschen unglaubliche Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen. Viele Familien leiden und machen große Härten durch. Das macht die Verantwortung der Regierenden und der Behörden umso größer: Sie sollten eigentlich alles tun, um dem Land aus dieser Lage herauszuhelfen.“

Massendemonstrationen in der Hauptstadt Port-au-Prince haben in den letzten Monaten immer wieder den Rücktritt von Präsident Michel Martelly gefordert. Sie werfen ihm vor, Hilfsgelder für den Wiederaufbau verschleudert zu haben. Einige Male trieben Sicherheitskräfte die Demonstranten mit Gewalt auseinander. Die Kirche kann sich nicht an die Stelle der Politik setzen. Aber sie muss damit umgehen, dass kaum eine Institution auf Haiti soviel Vertrauen in der Bevölkerung genießt wie sie.

„Natürlich ist die Kirche überall im Land präsent – von den Pfarreien bis hin auf die Ebene der Caritas, der Schulen, des Engagements für Gerechtigkeit und Frieden. Wir stehen an allen Fronten! Und natürlich engagieren wir uns auch bei den politischen Akteuren – so konnten wir jetzt mithelfen, dass sie sich einmal an einen Tisch setzen und sich eine gemeinsame Lösung für die politische Krise ausdenken. Wahlen sind in unserem Land jetzt nötig, und uns allen liegt sehr daran, jetzt im Land keine Dauerkrise zu bekommen. Die Kirche steht also im Dienst der Gesellschaft, im Dienst der Behörden – damit man wirklich mithelfen kann, das Leben der ganzen Gesellschaft zu verändern.“

Der Kardinal betont, dass die Kirche sich nach dem Erreichen der politischen Übereinkunft jetzt nicht zurückzieht, sondern die Umsetzung begleiten und auch überwachen will. Er weiß, dass viele weiterhin unzufrieden sind mit dem Erreichten: Oppositionspolitiker hatten mehr erhofft, viele Haitianer fordern immer noch den sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Aber Chibly Langlois hofft, dass sich der gute Wille durchsetzt. Zu den Massendemonstrationen in Port-au-Prince sagt er:

„Die Verteilung von Geldern und Ressourcen war immer schon umstritten in Haiti. Es fehlt an einem Sinn für das Gemeinwohl, das ist einer der Hauptgründe, warum so viele Menschen im Land leiden. Die Verantwortlichen müssen schon genau darauf achten, dass bei der Verteilung der Gelder im Land die Armen nicht zu kurz kommen – die Mehrheit der Menschen im Land ist arm.“

Vier Jahre nach dem Erdbeben gibt es noch unglaublich viel wieder aufzubauen, sagt der Kardinal.

„Wir haben noch nicht eine einzige Kirche in der Hauptstadt wieder aufgebaut in diesen Jahren – immer noch werden Untersuchungen gemacht und Mittel organisiert. Dabei müssten nicht nur Kirchen, sondern auch Pfarrhäuser und Schulen wieder entstehen. Wichtiger ist aber noch, dass sich die wirtschaftliche Lage so vieler Familien nach dem Erdbeben noch verschlimmert hat, die wirtschaftliche Lage Haitis hat sich verschlechtert. Wir tun als Kirche, was wir können, aber wir haben natürlich nur sehr begrenzte Mittel.“ (rv)

Haiti dankt dem Papst

LangloisHaitis Bischöfe haben Papst Franziskus für die Erhebung von Erzbischof Chibly Langlois in den Kardinalsstand gedankt. Das sei ein „Zeichen großen Vertrauens, welches das gesamte Volk Haitis ehrt“, heißt es in einer Botschaft des haitianischen Bischofskonferenz. Der bitterarme Karibik-Staat erhält am Samstag seinen ersten Kardinal. Für Haiti sei mit der aktuell laufenden Vermittlung der Kirche auf politischem und sozialem Gebiet überdies ein wichtiger Moment gekommen, so die Bischöfe. Einer kirchlichen Gruppe unter Leitung des Bischofs von Les Cayes, des zukünftigen Kardinals Chibly Langlois, war es zuletzt gelungen, eine Übereinkunft zwischen den verschiedenen politischen Akteuren zur Durchführung einer Parlamentswahl im nächsten Jahr zu finden. Die Unterschrift unter das Abkommen ist allerdings noch nicht gesetzt.  (rv)
 

Vatikan: Messe für Haiti, ein Jahr nach Erdbeben

Vor einem Jahr bebte in Haiti die Erde: An diesen fatalen Jahrestag will der Vatikan mit einer Messfeier in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore erinnern. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der zweite Mann im Vatikan, will die Messe am nächsten Mittwoch um 16.30 Uhr zelebrieren. Die Initiative dazu ging von der Botschaft Haitis beim Heiligen Stuhl und von weiteren in Rom präsenten Diplomaten aus. Bei dem Erdbeben starben über 220.000 Menschen auf Haiti; noch heute lebt dort eine Million Menschen, darunter etwa 500.000 Kinder, unter dramatischen Bedingungen in Zelten. Zu allem Überfluß hat eine Cholera-Epidemie in den letzten Monaten Tausende von Opfern gefordert. An diesem Sonntag bricht der Leiter des Päpstlichen Hilfswerkes Cor Unum, Kardinal Robert Sarah, nach Port-au-Prince auf.
 „Ich will dem haitischen Volk die Nähe des Heiligen Vaters versichern und sein Gebet. Natürlich werde ich viele Gespräche führen und die Messe mit den Bischöfen und den Gläubigen feiern; dabei will ich deutlich machen, dass nicht nur der Papst, sondern die ganze Kirche, das ganze Volk Gottes für die Leidenden auf Haiti betet. Und ich will versprechen, dass wir weiterhin konkret helfen werden, das Land wieder aufzubauen."
Kirchliche Organisationen, vor allem die Caritas Haiti, betonen, dass das Land jetzt nicht nur Nothilfe braucht, sondern längerfristige Hilfen. Das sieht auch Kardinal Sarah so:
„Wir haben ja schon viel gemacht, aber es gibt noch viel zu tun: Schulen wieder aufbauen, Krankenhäuser, Wohnungen… Das allererste ist es aber, sozusagen den Menschen wiederherzustellen. Das ist das Wichtigste. Darum haben wir uns für Haiti vor allem in den Bereichen Schulen, Krankenhäuser und Landwirtschaft engagiert." (rv)

Haiti: Voodoo und der Krieg der Religionen

Dass im Januar in Haiti die Erde gebebt hat, daran ist Voodoo schuld. Sagen viele US-Protestanten, etwa der Fernsehprediger Robertson. Wohl noch nicht einmal der Islam hat einen so üblen Ruf im Westen wie Voodoo, die Religion Haitis. Was ist davon zu halten? Das erklärt uns Dimitri Bechack, ein Anthropologe und Ethnologe aus Paris

„Voodoo ist eine Religion, die ursprünglich aus dem afrikanischen Benin kommt und die mit dem Sklavenhandel dann nach Haiti kam, also nach Santo Domingo. Die haitianische Geschichte behauptet, dass es beim Sklavenaufstand von Haiti im August 1791 eine Voodoo-Zeremonie gegeben hat. Voodoo gehört also zur Geschichte Haitis und zum Aufbau dieses Landes. Heute heißt es, dass in Haiti die Hälfte der Bevölkerung katholisch ist; zwischen zwanzig und dreißig Prozent sind Protestanten – und die Voodoo-Anhänger sind 100 Prozent! Das bedeutet: Das ist eine Bewegung, die die Religionsgrenze sozusagen sprengt – manche sagen: Es ist die Matrix der haitianischen Kultur. Heute findet sich diese Religion überall, wo es Immigranten aus Haiti gibt, und seit 1986 hat sie sich strukturell verändert.

Das war der Abgang von Duvalier; der Diktator Francois Duvalier hatte eine ganze Reihe von Voodoo-Elementen mit seiner Herrschaft verknüpft. Als er dann 1986 ins Exil musste, haben die Menschen gegen viele Symbole seiner Herrschaft revoltiert, und darunter vor allem gegen die Voodoo-Tempel. Es dauerte dann ein Jahr, bis die Verfassung Voodoo-Praktiken nicht mehr unter Strafe stellte. Seit damals beobachten wir die Gründung vieler Voodoo-Gruppen und –Zirkel. 2008 wurde dann ein Oberer Voodoo-Führer gewählt.

Man muss erst katholisch getauft sein, um in Voodoo eingeführt zu werden. Eine Voodoo-Zeremonie hat als erstes das Ziel, die Geister zu ernähren. Die Geister sind die Mittler zwischen den Menschen und dem guten Gott; Voodoo-Anhänger glauben an Gott, an einen Gott. Aber um in Verbindung mit ihm zu treten, braucht man die Geister. Die Voodoo-Zeremonien stimmen also diese Geister gnädig, geben ihnen zu essen, durch Opfer zum Beispiel oder durch Trance: Solche Trance zeigt an, dass die Geister herabgestiegen sind zu den Menschen. Es ist eine ziemlich komplexe Religion mit zahlreichen Riten, und je nach Region in Haiti sehr unterschiedlich. Übrigens gibt es noch eine starke Übereinstimmung zwischen Voodoo und dem katholischen Glauben: Die Voodoo-Geister werden nämlich durch Bildnisse der katholischen Heiligen verehrt. Schon in der Sklavenzeit nutzten ja die Sklaven die Heiligenbildchen, um Gott zu verehren; sobald sie in der Kolonie Santo Domingo ankamen, wurden sie getauft. Und alle Voodoo-Riten beginnen mit katholischen Gebeten.

Heute hat Voodoo in Haiti Konkurrenz – und zwar vor allem von protestantischer Seite. Am 23. Februar – nach dem verheerenden Erdbeben – haben wir erlebt, dass eine evangelikale Gruppe in Cité-Soleil eine Voodoo-Zeremonie überfallen und mit Steinen beworfen hat. Die katholische Kirche hat Voodoo immer rigoros bekämpft, vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts und dann wieder 1941-42: Damals führte sie eine Kampagne gegen Voodoo durch und zerstörte dabei zahlreiche Tempel. Auch der Staat in Haiti hat Voodoo lange entschieden bekämpft – bis zu Duvalier. Dieser hat Voodoo in seine Machtstruktur miteingebaut. Was wir nach dem Erdbeben vom Januar erleben, ist ein Kampf der Protestanten gegen Voodoo. Das hat mit der Rolle zu tun, die Voodoo während und nach der Staatsgründung von Haiti gespielt hat: Weil Voodoo von Anfang an bestimmend war für die Herausbildung Haitis nach dem Sklavenaufstand, assoziieren viele Protestanten alle Übel Haitis mit Voodoo. In dieser Hinsicht hat das Erdbeben Spannungen verstärkt, die es vorher schon gab. Voodoo versucht nicht, andere zu seiner Religion zu bekehren. Die Protestanten hingegen versuchen, Voodoo auszurotten und die Gläubigen für sich zu gewinnen.

Das gelingt ihnen auch bis zu einem gewissen Punkt; es gibt viele Übertritte von Voodoo-Anhängern zum Protestantismus – und zwar, weil viele Voodoo-Adepten sich der Verwünschungspraktiken nicht mehr zu erwehren wissen. Ich habe eine ganze Reihe früherer Voodoo-Anhänger getroffen, die wegen solcher Verwünschungspraktiken zum Protestantismus übergetreten sind. Seit 2003 ist Voodoo per Dekret als Nationalreligion anerkannt – seitdem gibt es eine noch stärkere Konkurrenz unter den Religionen in Haiti. Eigentlich würde man sich vom Staat eine eher neutrale Haltung erwarten, etwa wie im laizistischen Frankreich; aber in Haiti hängen einige staatliche Organismen eng mit Voodoo zusammen. Dafür sind dann aber auch wieder wichtige Vertreter des Protestantismus in den politischen Instanzen vertreten und die Voodoo-Leute nicht. Voodoo fordert im Moment zum Beispiel einen Platz im nationalen Wahlrat. Sie versuchen, mehr Platz in der Politik zu bekommen.

Das Erdbeben hat eigentlich nur die religiösen Überzeugungen verstärkt, die schon da waren. Für die Protestanten ist Voodoo daran schuld, dass es das Erdbeben gegeben hat. Schon vor dem Erdbeben wurde Voodoo für alle Übel in Haiti verantwortlich gemacht. Ich glaube nicht, dass es zwischen den Protestanten und Voodoo zu einem – wie der oberste Voodoo-Führer angekündigt hat – „offenen Krieg" kommen wird; daran haben eigentlich beide Seiten kein Interesse. Voodoo ist eher auf dem Rückzug, im Moment. Allerdings muss man diese Eskalation schon im Auge behalten: Der Angriff von Evangelikalen auf eine Voodoo-Zeremonie am 23. Februar war das erste Mal, vorher war die Gewalt nur verbal gewesen, in der Presse vor allem. Im wesentlichen sind die Voodoo-Anhänger aber daran gewöhnt, immer in der Defensive zu sein: Oft hat man, wenn es Probleme oder Katastrophen in Haiti gegeben hat, die Voodoo-Anhänger und Voodoo-Tempel angegriffen." (rv)