Kardinal Eijk: Die Quelle der Verwirrung ist „Amoris Laetitia „

Der niederländische Kardinal Willem Jacobus Eijk (64) stellt sich offen auf die Seite der „Dubia-Kardinäle“.

Kardinal Eijk ist Arzt und Theologe mit Erfahrungen in der Bioethik. Als Erzbischof von Utrecht (seit 2008) und Präsident der Bischofskonferenz der Niederlande ist er bekannt, für klare Worte. So hat er die Thesen der Gemeinschaft für die Geschiedenen und Wiederverheirateten vor, während und nach den beiden Bischofssynoden über die Familie (2014, 2015) abgelehnt.

Zu Beginn der zweiten Sitzung der Synode war er einer von dreizehn Kardinälen, die Papst Franziskus einen Brief schrieben und ihn aufforderten, die Freiheit und Korrektheit der synodalen Diskussion zu gewährleisten. Franziskus war wütend darüber.

Eijk ist ein entschiedener Kritiker der Verwirrung „Amoris Laetitia“. Das wird deutlich in einem Interview, dass er Lorenzo Berrocchi in der März-Ausgabe des italienischen Magazins „il timone“ gegeben hat.

Der folgende Auszug des Interviews erschien in „L Espresso“ (von Sandro Magister):

„Frage: Eminenz, was denken Sie über die kontroverse Frage des Zugangs zu den Sakramenten für geschiedene und wiederverheiratete Paare?

Antwort: Die Frage, ob die sogenannten Geschiedenen und Wiederverheirateten die sakramentale Absolution empfangen dürfen und damit die Eucharistie, bricht die Kirche auseinander. Auf allen Ebenen, unter Kardinälen, Bischöfen, Priestern und Laien, begegnet man einer manchmal heftigen Debatte. Die Quelle der Verwirrung ist die postsynodale Ermahnung „Amoris Laetitia“, geschrieben von Papst Franziskus am Ende der Synoden der Familie von 2014 und 2105.
Diese Verwirrung betrifft vor allem Nummer 305 der Ermahnung. Man stellt fest, dass einige Bischofskonferenzen pastorale Regeln eingeführt haben, die beinhalten, dass die geschiedenen und wiederverheirateten Personen unter einer Reihe von Bedingungen und nach einer pastoralen Prüfung durch den Priester, der sie begleitet, zur Gemeinschaft zugelassen werden können. Andere bischöfliche Konferenzen schließen dies jedoch aus. Aber was an Ort A wahr ist, kann an Ort B nicht falsch sein. Diese verschiedenen Interpretationen der Ermahnung, die sich auf Fragen der Lehre beziehen, führen bei den Gläubigen zur Verwirrung. Ich würde mich also freuen, wenn der Papst in dieser Hinsicht Klarheit schaffen würde, vorzugsweise in Form eines magistratischen Dokuments.
Ich selbst habe an beiden Synoden über die Familie teilgenommen und argumentiere, dass man Geschiedenen, die standesamtlich wieder geheiratet haben, nicht den Empfang der Kommunion erlauben kann. Ich habe das auch in einem Aufsatz für das Buch getan, das Beiträge von elf Kardinälen enthält und zwischen den beiden Synoden veröffentlicht wurde.

 Frage: Können sie kurz erklären, was ihre Position ist?

Antwort: Jesus selbst sagt, dass die Ehe unauflöslich ist. Im Matthäusevangelium (19,9; vgl. 5,32) scheint er eine Ausnahme zuzulassen, was bedeutet, dass man seine Frau „im Falle der unehelichen Vereinigung“ zurückweisen kann. Nichtsdestoweniger ist die Bedeutung des griechischen Wortes „porneia „Unverhohlene Einheit“, „hier übersetzt als“ uneheliche Vereinigung „, ist ungewiss: Es bedeutet höchstwahrscheinlich eine Vereinigung, die wegen einer Ehe zwischen verbotenen Verwandtschaftsgraden inzestuös ist (vgl. Lev 18: 6-18; Apg 15: 18-28).
Das tiefere Argument ist, dass man den Geschiedenen und Verheirateten die Kommunion nicht auf der Grundlage einer Analogie zwischen der Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Christus und der Kirche erlauben darf (Eph 5: 23-32). Die Beziehung zwischen Christus und der Kirche ist eine totale gegenseitige Selbstspende. Die totale Spende Christi an die Kirche geschieht in der Spende seines Lebens am Kreuz. Diese Gesamtspende wird im Sakrament der Eucharistie präsent sein.

Deshalb muss derjenige, der an der Eucharistie teilnimmt, bereit sein, sich selbst ganz zu schenken, was Teil der totalen Hingabe der Kirche an Christus ist. Wer sich nach einer standesamtlichen Trauung scheiden lässt und wieder heiratet, während die erste Ehe nicht für null erklärt wird, verstößt gegen das gegenseitige Gesamtgeschenk, das diese erste Ehe mit sich bringt. Die Verletzung des Gesamtgeschenks der ersten Ehe, das noch als gültig anzusehen ist, und das Fehlen des Willens, dieses Gesamtgeschenk zu halten, macht die betreffende Person unwürdig, an der Eucharistie teilzunehmen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Geschiedenen und Wiederverheirateten an den liturgischen Feiern einschließlich der Eucharistie teilnehmen können, ohne die Kommunion zu empfangen, und dass die Priester sie pastoral begleiten kann.

In dem Fall, in dem sich die Geschiedenen und Wiederverheirateten nicht trennen können, zum Beispiel wegen ihrer Verpflichtungen gegenüber den Kindern, die beiden angehören, können sie nur unter Erfüllung der genannten Bedingungen zur Kommunion oder zum Bußsakrament zugelassen werden, in Nummer 84 von „Familaris Consortio“ und in Nr. 29 von „Sacramentum Caritatis“. Eine dieser Bedingungen ist, dass beide entschließen müssen, als Bruder und Schwester zu leben, was bedeutet, sexuelle Beziehungen zu beenden.“

Kardinal Eijks Äußerungen klingen wie ein Hilfeschrei an das Welt-Episkopat. Nachdem er Anfang Januar in der niederländischen Presse seine Bedenken gegen „Amoris Laetitia geäußert hatte, meldet er sich nun auch in der italienischen Presse mit der Ermahnung:

„Was an Ort A wahr ist, kann an Ort B nicht falsch sein“!

(vh)

Kardinal Ratzinger: Warum wiederverheiratete Geschiedene nicht zur Kommunion dürfen

Zur Vollversammlung des Päpstlichen Familienrates veröffentlicht die Vatikanzeitung Osservatore Romano einen kaum bekannten Text des heutigen Papstes zum Thema Seelsorge für Geschiedene und Wiederverheiratete. Darin geht er konkret auf Einwände gegen die kirchliche Vorschrift ein, dass Geschiedene, die eine neue Ehe eingegangen sind, nicht zur Kommunion gehen dürfen. Das Thema hat vor allem die deutschsprachige Kirche in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschäftigt und war zuletzt beim Papstbesuch in Deutschland wieder benannt worden. Den Essay hatte Kardinal Joseph Ratzinger 1998 als Vorwort zu einem vom Vatikan veröffentlichten Buch beigesteuert; an diesem Mittwoch hob ihn der „Osservatore Romano", zusammen mit einem Papst-Text zum selben Thema, auf die Doppelseite im Innenteil.

Unauflöslichkeit
Detailliert geht der damalige Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation auf Kritik am Kommunionverbot für wiederverheiratete Geschiedene ein. Als erstes widerspricht er der Ansicht einiger Exegeten, gar so streng habe es Jesus mit der Unauflöslichkeit der Ehe gar nicht gemeint. „Das Lehramt betont …, dass sich die kirchliche Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe aus der Treue gegenüber dem Wort Jesu ableitet. Jesus bezeichnet die alttestamentliche Scheidungspraxis eindeutig als Folge der menschlichen Hartherzigkeit," so der heutige Papst. Ähnlich sieht es für Ratzinger zweitens bei einem Blick auf die Kirchenväter aus: Auch hier stellt er fest, dass es „einen klaren Konsens der Väter bezüglich der Unauflöslichkeit der Ehe" gibt und dass „die Kirche der Väterzeit Ehescheidung und Wiederheirat eindeutig ausschließt". Das wiegt aus seiner Sicht schwerer als Hinweise darauf, dass einige der Kirchenväter „auf der pastoralen Ebene eine gewisse Flexibilität mit Rücksicht auf schwierige Einzelsituationen toleriert" haben.

Praxis der Ostkirchen
Dem damaligen Kardinal ist zwar klar, dass die von Rom getrennten Ostkirchen unter Berufung auf „einen Strang der patristischen Tradition … in gewissen Fällen eine Zweit- und auch eine Drittehe erlauben". Doch diese Praxis ist für ihn „die Folge eines komplexen historischen Prozesses, einer immer liberaleren – und sich mehr und mehr vom Herrenwort entfernenden – Interpretation einiger dunkler Vätertexte". Sie könne „von der katholischen Kirche aus lehrmäßigen Gründen nicht übernommen werden". Zumal in dieser Frage die katholische Lehre „die ursprüngliche Auffassung der Väter" wiedergibt.

Der Gewissen der Einzelnen
Aber darf denn die Kirche in einem so delikaten Bereich „nur auf rechtliche Normen verweisen", ohne „auch das Gewissen der einzelnen (zu) achten und (zu) tolerieren"? Das ist der dritte Einwand, dem sich der Essay von Joseph Ratzinger stellt. „Vor allem in der Frage des Sakramentenempfangs solle die Kirche hier Schritte setzen und den betroffenen Gläubigen nicht nur Verbote vorhalten", zitiert er die Kritiker. Seine Replik: „Die Unauflöslichkeit der Ehe ist eine dieser Normen, die auf den Herrn selbst zurückgehen und daher als Normen göttlichen Rechts bezeichnet werden. Die Kirche kann auch nicht pastorale Praktiken – etwa in der Sakramentenpastoral – gutheißen, die dem eindeutigen Gebot des Herrn widersprechen." Allerdings dürfe sie prüfen, „welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Ehe als unauflöslich im Sinne Jesu betrachtet werden kann". Wiederverheiratete Geschiedene, die ihre frühere Ehe als nicht gültig ansehen, sollten sich auf jeden Fall an das kirchliche Ehegericht wenden, statt sich sozusagen selbst freizusprechen. Aber wenn das Ehegericht ein Fehlurteil spricht? Dann könnte es allerdings sein, so Kardinal Ratzinger, dass Gläubige sich nicht daran halten müssten: „Diese Frage bedarf aber weiterer Studien und Klärungen."

Die Tradition des Konzils
Alles zu „legalistisch", ja „vorkonziliar"? Was ist denn, wenn eine Ehe sozusagen stirbt, weil „das personale Band der Liebe zwischen den Ehegatten" reißt? Der heutige Papst zeigt zunächst, dass das Konzil, an dem er als theologischer Berater teilgenommen hat, keineswegs mit „der traditionellen Eheauffassung gebrochen" hat: Wenn es zum Beispiel statt von einem Ehevertrag von einem Bund spricht, dann „darf dabei nicht vergessen werden, dass auch im Bund das Element des Vertrags enthalten" sei. „Ehe ohne rechtliche Normierung, die sie ins ganze Gefüge von Gesellschaft und Kirche einordnet, gibt es nicht", befindet der Präfekt der Glaubenskongregation. Und „wenn die Kirche die Theorie annehmen würde, dass eine Ehe tot ist, wenn die beiden Gatten sich nicht mehr lieben, dann würde sie damit die Ehescheidung gutheißen und die Unauflöslichkeit der Ehe nur noch verbal, aber nicht mehr faktisch vertreten."

Pastoral und Praxis
Der Essay geht fünftens auch auf den Vorwurf ein, die Haltung der Kirche sei heutzutage schwer verständlich, „nicht pastoral" und nicht barmherzig genug. „Gewiss ist es schwierig, dem säkularisierten Menschen die Forderungen des Evangeliums verständlich zu machen", räumt Ratzinger ein. „Aber diese pastorale Schwierigkeit darf nicht zu Kompromissen mit der Wahrheit führen." Immerhin bemühe sich die Kirche doch in letzter Zeit deutlich darum, „die Forderungen der Wahrheit mit jenen der Liebe (zu) verbinden". „Wenn früher bei der Darlegung der Wahrheit vielleicht gelegentlich die Liebe zu wenig aufleuchtete, so ist heute die Gefahr groß, im Namen der Liebe die Wahrheit zu verschweigen oder zu kompromittieren." Letztlich könne doch „nur das Wahre … letzten Endes auch pastoral sein". (rv)