Eröffnung der Synode: „Die Vision ist verblasst“

„Die Neuevangelisierung ist kein Programm, sie ist eine Art, zu denken, zu sehen und zu handeln. Sie ist eine Art Linse, durch die wir die Möglichkeit sehen, das Evangelium erneut zu verkünden. Sie ist auch Zeichen für das Weiterwirken des Heiligen Geistes in der Kirche."

So definierte der Generalrelator – also der Berichterstatter – der Bischofssynode, der Washingtoner Erzbischof Kardinal William Donald Wuerl, das Projekt, dem sich die Vollversammlung der Bischofssynode ab diesem Montag in ihren Sitzungen widmet. In der von ihm lateinisch gehaltenen thematischen Eröffnung zeichnete er die Grundlinien vor, an denen entlang die Synode in den nächsten drei Wochen denken werde. Dabei griff er vor allem die beiden Vorbereitungsdokumente auf, die Lineamenta von 2011 und das Instrumentum Laboris von 2012.

Jesus ja – Kirche nein?

Kardinal Wuerl begann seine Überlegungen beim Träger der Verkündigung, der Kirche. Genau hier begännen schon die Probleme, die eine erneuerte Verkündigung des verblassenden Glaubens notwendig gemacht hätten.

„Was unseren katholischen Glauben heute auszeichnet, ist genau dieses Verständnis von der Kirche als fortdauernder Gegenwart Christi, dem Mittler von Gottes rettendem Eingreifen in unsere Welt, und der Kirche als Sakrament von Gottes heilsbringendem Handeln. (…) Die intellektuelle und ideologische Trennung von Christus und seiner Kirche ist ein erstes Faktum, mit dem wir bei dem Versuch einer Neuevangelisierung von Kultur und Menschen heute umzugehen haben."

„Jesus ja – Kirche nein", oder wahlweise „Gott ja – Kirche nein". So dächten auch nicht wenige Christen, führte Kardinal Wuerl aus. Der Zusammenhang von Jesu Leben und Sterben einerseits und seinem Auftrag für die Menschen andererseits werde von ihnen nicht mehr gesehen. Die Gründe dafür identifizierte Wuerl in den sich wandelnden Bedingungen der Kultur:

„Eine der Herausforderungen, die einerseits die Neuevangelisierung dringend macht und andererseits eine Barriere gegen sie bildet, ist der heutige Individualismus. Unsere Kultur und der Schwerpunkt in vielen Teilen der gegenwärtigen Gesellschaft heben den Einzelnen hervor und schätzen die für jede Person notwendige Bindung an andere gering."
Das schaffe die Rahmenbedingungen, denen sich Verkündigung heute gegenübergestellt sehe.

„Der dramatischen Veränderungen unterworfene gesellschaftliche Hintergrund für die Annahme, die Aneignung und das Leben des Glaubens ist der Kontext dieser Synode. Der Aufruf, den katholischen Glauben, die Botschaft des Evangeliums, die Lehre Christi erneut vorzuschlagen, ist gerade deshalb notwendig, weil wir so vielen Menschen begegnen, die diese Heilsbotschaft zwar gehört haben, für die diese Verkündigung aber jetzt schal geworden ist. Die Vision ist verblasst. Die Verheißungen scheinen leer zu sein oder keinen Bezug zum wirklichen Leben zu haben."

Das Erbe der 70er und 80er Jahre

Kardinal Wuerl blieb nicht abstrakt, er nannte konkret „Ross und Reiter" dieser von ihm diagnostizierten Veränderungen:

„Die gegenwärtige Situation hat ihre Wurzeln in den Umbrüchen der 1970er und 1980er Jahre, Jahrzehnte, in denen es offenkundig eine mangelhafte oder fehlerhafte Katechese auf vielen Unterrichtsebenen gab. Wir standen vor einer Hermeneutik der Diskontinuität, von der das Milieu der höheren Bildungszentren durchdrungen war und die sich auch in einer irrigen liturgischen Praxis widerspiegelte. Ganze Generationen wurden getrennt von dem System der Unterstützung, das die Glaubensweitergabe erleichterte. Es ist, als hätte sich der Einfluss der Säkularisierung wie ein Tsunami über die kulturelle Landschaft ergossen und wichtige Kennzeichen der Gesellschaft wie Ehe, Familie, den Begriff des Gemeinwohls und des objektiven ‚richtig’ und ‚falsch’ hinweggespült."

Zusätzlich zu dieser schwierigen Lage habe der Missbrauchsskandal die Krise der Verkündigung vertieft, so der Kardinal weiter. Er habe „dem Misstrauen gegenüber den Strukturen der Kirche Vorschub geleistet".
Das Ergebnis dieser Entfremdung, zu der laut Wuerl verschiedene Ursachen beigetragen haben: Ganzen Generationen von Katholiken seien die Grundgebete nicht mehr bekannt, sie wüssten nicht mehr um den Wert einer Teilnahme an der heiligen Messe und hätten den Sinn für Transzendenz und das Geheimnis des menschlichen Lebens verloren. Das habe dazu geführt, so der Geistliche weiter, dass ein großer Teil der Gläubigen schlecht darauf vorbereitet sei, mit der modernen Kultur umzugehen.

Aber nicht alles sei düster, betonte der Kardinal. Immer wieder habe es Aufbrüche gegeben und neue Suchbewegungen. Wuerl nannte hier vor allem die neuen geistlichen Gemeinschaften, die neuen kirchlichen Gemeinschaften und auch ganz allgemein die Suchbewegung, die man bei den nachwachsenden Generationen feststellen könne. Dort sei ein Vertrauen in die Botschaft Jesu spürbar. Diese Dynamik müsse die Kirche als Ganze aufgreifen, erinnerte der Kardinal – dies werde bislang häufig unterlassen.

„Leider haben wir erlebt, wie dieses Vertrauen nur allzu lange durch die Übernahme eines großen Teils des säkularen Wertesystems untergraben wurde, das sich in den vergangenen Jahrzehnten durchgesetzt hat als eine höherwertige und bessere Lebensweise als diejenige, die von Jesus, seinem Evangelium und seiner Kirche vorgeschlagen wird. Im schulischen und theologischen Bereich der Kultur, der die Hermeneutik der Diskontinuität widerspiegelt, wurde die Sicht des Evangeliums nur zu oft verdunkelt und eine sichere, überzeugte Stimme machte den Entschuldigungen Platz für das, woran wir festhalten und was wir glauben."

Mängel

Kardinal Wuerl nannte das das „Peinlichkeitssyndrom": Ein Herunterspielen der Botschaft, um in der Kultur der Moderne anzukommen, letztlich ein mangelndes Vertrauen in die Wahrheit des Glaubens. Das habe dann auch ganz konkrete Auswirkungen, die man benennen könne. Er nannte besonders Mängel in der Theologie:

„Da die Theologie Begriffe gebraucht, um unseren Glauben auszudrücken, der im Evangelium verwurzelt ist, sind die Grundlagen unseres Glaubens in Gefahr, wenn die Menschen mit dem begrifflichen Rahmen Schwierigkeiten haben. Säkularismus und Rationalismus haben eine Ideologie geschaffen, welche den Glauben der Vernunft unterwirft. Religion wird zu einer persönlichen Angelegenheit. Die Lehre in Glaubensangelegenheiten wird auf eigentümliche Auffassungen reduziert, ohne dass die Möglichkeit eines Anspruchs auf eine allgemein gültige Wahrheit besteht."

In einer vom Relativismus beherrschten Kultur hätten Begriffe wie Menschwerdung, Auferstehung, Erlösung, Sakrament und Gnade nur noch wenig Bedeutung.

„Es ist eine Versuchung für die Träger der Evangelisierung, und vielleicht auch für die Seelsorger, diese begrifflichen Hindernisse nicht in Angriff zu nehmen und statt dessen unsere Aufmerksamkeit und Energie auf eher soziologische Notwendigkeiten oder pastorale Initiativen zu lenken. Oder sogar eine Wortfindung jenseits unser eigenen Theologie zu betreiben."

Wie ist alldem zu begegnen? Durch den Einsatz von Menschen. Wie schon beim Kongress zum Thema Neuevangelisierung im Vatikan von einem Jahr deutlich wurde, betonte auch Kardinal Wuerl die Zentralität der Evangelisatoren, also der Menschen, die die Träger der Verkündigung Jesu sind.

„Unter den Qualitäten, die heute vom Träger der Evangelisierung erwartet werden – und es gibt von denen viele, die man identifizieren kann – ragen vier heraus: Kühnheit und Mut, die Bindung an die Kirche, das Gefühl der Dringlichkeit und die Freude."

Aber auch in inhaltlicher Hinsicht gebe es eine Stärke, die man nicht vernachlässigen dürfe: Das Bemühen um soziale Gerechtigkeit, dass immer integraler Bestandteil der Verkündigung sei.

„Wenn wir heute die Themen betrachten, die diejenigen einladen, die sich von der Kirche entfremdet haben, so kann es uns ermutigen, dass so viele junge Leute den Wunsch verspüren, in den Dienst der Kirche einbezogen zu werden. Für sie stellt die Lehre der Kirche über soziale Gerechtigkeit sowohl eine Offenbarung als auch eine Einladung zu einem erfüllteren Leben innerhalb der Kirche dar."

Soweit die einleitenden Worte von Kardinal Wuerl zur Bischofssynode – ein inhaltlicher Aufschlag und die große Linie, der die Gedanken und Diskussionen an diesem Montag und während der gesamten Synode folgen werden. (rv)