Trotz Türkeiprotest: Bundestag erkennt Völkermord an Armeniern und anderen Christen an

BundestagKardinal Reinhard Marx würdigt Entscheidung mit einer Stellungnahme – Aufruf zum Dialog.

BERLIN – Der Deutsche Bundestag hat heute den Völkermord an Armeniern und anderen christlichen Minderheiten anerkannt – trotz scharfer Kritik der Türkei, welche bis heute die Anerkennung verweigert.

Mit einer Resolution wurden die während des Ersten Weltkrieges begangenen Massaker, Todesmärsche und weiteren Verbrechen an Armeniern, Aramäern, Assyrern und Pontos-Griechen als Genozid bezeichnet. Auch Papst Franziskus, der Armenien in einigen Tagen besuchen wird, spricht seit Jahren von einem Völkermord.

Dazu reagierte unmittelbar nach der Abstimmung der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx mit einer Stellungnahme zu der Anerkennung der „systematischen Vernichtungsaktion“ des Osmanischen Reiches, die CNA im vollen Wortlaut dokumentiert:

„Es ist wichtig und verdienstvoll, dass sich der Deutsche Bundestag in seiner Resolution mit den furchtbaren Ereignissen befasst, denen in der Zeit der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches Hunderttausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Besonders umstritten war und ist dabei die Qualifizierung der an den Armeniern und anderen Gruppen begangenen Verbrechen als ‚Völkermord‘. Für die Nachfahren der Opfer ist die Verwendung dieses Begriffs verständlicherweise ein großes Anliegen. Tatsächlich gebietet es die Redlichkeit, keinen Zweifel daran zu lassen, dass es sich bei dem ‚großen Verbrechen‘ (wie die Armenier sagen) nicht um kriegsbedingte Exzesse handelte, sondern um eine systematische Vernichtungsaktion, um einen Genozid.

Angesichts ihrer Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eignen sich die Deutschen am allerwenigsten als Lehrmeister anderer Völker. Wenn der Bundestag sich heute mit dem Unrecht befasst hat, das den Armeniern angetan wurde, so geschieht dies daher vor allem auch deshalb, weil das Deutsche Reich als Verbündeter der Osmanen im Weltkrieg genaue Kenntnisse von den damaligen Ereignissen hatte und dennoch nichts tat, um effektiv Einfluss auf die Regierung in Konstantinopel zu nehmen. Diese kalte Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Armenier gibt uns Deutschen auch heute noch Anlass zur Scham.

Der Blick in die Vergangenheit darf niemals dazu dienen, alte Rechnungen zu begleichen und andere Völker anzuklagen. Vielmehr soll er – über die Gräben der Schuld hinweg – eine Zukunft des Miteinanders eröffnen. Es kommt deshalb jetzt darauf an, Dialog, Zusammenarbeit und Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien zu fördern. Wenn Deutschland dazu einen Beitrag leisten kann, sollte unser Land, in Freundschaft mit beiden Völkern, zur Stelle sein.“ (CNA Deutsch)

Papst will „Völkermord“-Opfer seligsprechen

Papst FranziskusPapst Franziskus will ein Opfer der türkischen Christen- und Armenierverfolgung während des Ersten Weltkriegs seligsprechen lassen. Er bestätigte am Samstag im Vatikan das Martyrium des syrisch-katholischen Bischofs Flavian Michele Melki (1858-1915). Dieser war am 29. August 1915 im Zuge der Ausschreitungen, die der Papst unlängst als „Völkermord“ eingestuft hat, in seiner Bischofsstadt Djezireh „aus Hass auf den Glauben“ getötet worden. Djezireh liegt in der heutigen Türkei.

Der künftige Selige gehörte zur Gemeinschaft von St. Ephrem; er war 1858 in Kalaat Mara, ebenfalls in der heutigen Türkei, geboren worden. „Er hat eine fundamentale Rolle gespielt beim Ermutigen der Menschen, trotz aller Schwierigkeiten der damaligen Epoche, während der Verfolgungen im Osmanischen Reich, ihren Glauben zu leben“, sagt der Postulator im Seligsprechungsverfahren, Pater Rami al-Kabalan. „Bischof Melki lebte selbst in extremer Armut; er verkaufte sogar seine Messgewänder, um den Armen zu helfen, und er war unermüdlich in den Pfarreien unterwegs. Es gibt da einen Satz von ihm, der mich immer sehr bewegt: Als sie versuchten, ihn zwangsweise zum Islam zu bekehren, hat er einfach geantwortet ‚Ich verteidige meinen Glauben bis aufs Blut!’.

Ein genaues Datum für die Seligsprechung des Bischofs steht noch nicht fest. Sicher ist hingegen, dass sie noch in einiger zeitlicher Nähe zum Gedenken an den Völkermord vor hundert Jahren liegen wird. „Hundert Jahre nach diesen Ereignissen erleben wir Christen des Nahen Ostens jetzt fast dieselben Verfolgungen, wenn auch unter anderen Vorzeichen… Darum gibt uns dieser Märtyrer Mut, unseren Glauben zu leben und zu verteidigen. Wir sollten keine Angst haben, auch wenn unsere Lage im Irak, in Syrien und anderswo in Nahost sehr schwierig geworden ist. Ich glaube persönlich, dass die Seligsprechung wirklich eine sehr starke kirchliche Bedeutung bekommen wird im heutigen Kontext: Die Figur des Märtyrers ist nicht überholt, sie bleibt in der Kirche und im Gedenken der Gläubigen, wir alle sind, auf verschiedene Weise, zum Martyrium gerufen.“

Der syrisch-katholische Geistliche legt noch einmal nach: „Unsere Kirche ist die kleinste von denen, die mit dem Nachfolger Petri verbunden sind. Wir wurden im Irak angegriffen und in Mossul ausgelöscht; in Aleppo, jetzt in Karyatain, im Bistum Homs sind wir unter Druck – wir sind wirklich die am stärksten verwundete Kirche, wir werden überall verfolgt…“ (rv)